David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

WIE DIE ANDEREN WOLLEN

7/10


davidcopperfield© 2020 Constantin Film


LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2019

REGIE: ARMANDO IANNUCCI

CAST: DEV PATEL, TILDA SWINTON, HUGH LAURIE, BEN WISHAW, PETER CAPALDI, ANEURIN BARNARD, BENEDICT WONG, JAIRAJ VARSANI, ROSALIND ELEAZAR U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ist es nicht so? Bei Nennung des titelgebenden Namens kommt doch sogleich der amerikanischen Zauberkünstler mit den dunklen Augenbrauen in den Sinn, der durch die Chinesische Mauer ging oder die Freiheitsstatue hat verschwinden lassen. Der wiederum hat sich allein aufgrund des lautmalerischen Wohlklangs so benannt. Und noch etwas recht Interessantes tritt zutage, setzt man sich mit Charles Dickens´semi-fiktionaler Biopic David Copperfield auseinander: Uriah Heep kommt darin vor. Natürlich nicht als Hardrock-Band, sondern als Namensquelle selbiger. Warum aber haben sich die britischen Musiker ausgerechnet nach der niederträchtigsten Figur aus Dickens´ Roman benannt? Der wiederum von Death of Stalin-Regisseur Armando Iannucci auf höchst exzentrische, aber vergnügliche Art interpretiert wurde.

Viel anders als überstilisiert, so denke ich, lässt sich dieser Stoff in dieser Zeit aber wohl kaum publikumswirksam für die Leinwand adaptieren. Entstanden ist ein kostümfundiertes Kommen und Gehen unterschiedlicher skurriler Gestalten, neurotischer Lebenskünstler, von Reichtum und Armut. Vor allem jene letztgenannten Gegensätze, die bei Charles Dickens in vielen seiner Werke Kern der Sache sind, bilden nicht nur das Alpha und Omega der Memoiren von David Copperfield – vor allem die Armut ist zwischendurch immer wieder Antrieb und Quelle der Improvisation all dieser Figuren, die durch ihre Entrücktheit ihren Existenzzustand überhaupt erst erträglich machen. Dazwischen verweilt der Zuseher zwischen den blumigen Worten einer eloquenten Gesellschaftskomödie, eines Begegnungsreigens und einer chaotischen Zettelwirtschaft. Denn Copperfield, der sich eigentlich nur selbst so nennt, weil alle anderen ihn so nennen wie sie wollen, notiert sein Leben stets auf Resten von Papier – der Zettelpoet ist geboren.

Eine solche Verfilmung wäre vielleicht zur langatmigen Angelegenheit eines Lebens geworden, das nicht wirklich tangiert – wäre Iannucci nicht auf die Idee gekommen, nebst eines ausgeschlafenen und bestens aufgelegten Star-Ensembles (Tilda Swinton, Hugh Laurie und auch Ben Wishaw als Uriah Heep agieren großartig) ethnische Merkmale vollständig zu ignorieren. Das ist, soweit ich weiß, ein gänzlich neuer Impuls: Copperfield selbst ist indischer Herkunft, wobei beide Eltern Europäer sind. Der Industrielle Wickfield ist Asiate, seine Tochter eine Schwarze, so wie die Mutter von Copperfields weißem Kommilitonen Steerforth. Wie seltsam das plötzlich klingt: schwarz, weiß, asiatisch, indisch. Iannucci beschämt das schubladisierte Denken seines Pubikums, sprengt die gesellschaftlichen Normen dahinter, schert sich nicht um ethnische Unterschiede. Das ist mutig – zwar anfangs etwas verwirrend, aber letzten Endes durchaus konsequent. Auch altern all die Figuren kein bisschen, sie sind stets das, was sie in Copperfields Erinnerung sind: unabänderbare Erscheinungen aus der ersten Begegnung, wie Fotografien oder gemalte Portraits. Vor diesen farbenfrohen, satten Pop-Up-Bildern aus Requisiten und liebevoll eingerichteten Interieurs klingelt das Charakterkarussell rotierend vor sich hin. Nicht unanstrengend, das Ganze, weil Iannucci seine Inszenierung in einem zweistündigen Stakkato an exaltierter Theatralik loszulassen gedenkt. Auf der Habenseite allerdings steht eine komplexe Kostüm-Adaption – auf den Punkt gebracht, straff und kurzweilig.

David Copperfield – Einmal Reichtum und zurück

Charles Dickens: Der Mann, der Weihnachten erfand

DEM GEIZ AN DEN KRAGEN

6/10

 

Dickens_Weihnachten© 2018 24 Bilder Film GmbH

 

LAND: IRLAND, KANADA 2017

REGIE: BHARAT NALLURI

CAST: DAN STEVENS, CHRISTOPHER PLUMMER, JONATHAN PRYCE, JUSTIN EDWARDS U. A.

 

Tiny Tim soll nicht sterben! Spätestens an dieser Stelle des Buches, als der Geist der Zukunft dem elenden Geizkragen und Misanthropen Ebenezer Scrooge die zukünftige Weihnacht vor Augen hält, bleibt kein Auge trocken. So herzzerreißend wie in Charles Dickens Klassiker lässt sich Nächstenliebe kaum in Worte fassen. Kein Wunder, die Geschichte zählt zu den meistverkauften Büchern weltweit. Wie es aber dazu kam, dass ein schrecklicher Mensch wie Scrooge seine Läuterung durch drei Geister erfährt, das erzählt uns der indische BBC-Regisseur Bharat Nalluri in seinem biographischen Fantasydrama Charles Dickens: Der Mann, der Weihnachten erfand. Nun, mit dieser Behauptung lehnt sich der Film sehr weit aus dem Fenster, das ist schon etwas hochtrabend. Zumindest könnte man das anfangs denken. Beim näheren Hinsehen ist das aber gar nicht mal so falsch, nur bedarf es hier einiger zusätzlicher Fußnoten, damit die Rechnung aufgeht. Charles Dickens, kein armes Schlucker, kein Nacht- und Nebelkünstler, der erst posthum zur Ikone aufsteigt – dieser Charles Dickens, der war reich, berühmt, quasi ein Star unter den Schriftstellern und Seitenblicke-Persönlichkeiten (hätte es Seitenblicke damals schon gegeben). Ein Egozentriker, mehrfacher Familienvater, humorvoll und einnehmend, ausgestattet mit unverhohlener, charmanter Arroganz, die ein Stückchen dunkle Seele, eine teerartige Traumata aus der Kindheit, tunlichst zu kaschieren versucht. Diese Erinnerung an eine entbehrungsreiche Kindheit, die hat Dickens in jedem Fall zu einem Altruisten gemacht, der lieber auf finanzielles Defizit setzt als nichts zu spenden. Licht ins Dunkel wäre sein Business gewesen. Damals aber war es die Schreiberei, und einfach nur der Sinn für Humanität, die ihn letztendlich zu einer Geistergeschichte inspirierte, die bis heute nichts von seiner Faszination verloren hat.

Die Kanadienerin Susan Coyne hat mit ihrem Drehbuch über die Genese eines Kultbuches die Grenzen zwischen Imagination und Realität ein Stückchen weit niedergerissen. Im Laufe des kreativen Schaffens taucht plötzlich die Figur des Ebenezer Scrooge in Dickens Arbeitszimmer auf, und mit ihm all die anderen Charaktere, die der Brite in seine Story gebettet hat. Sie belagern ihn auf Schritt und Tritt, und damit nicht genug – der manifestierte Scrooge – eindringlich verkörpert von Christopher Plummer und irgendwie auch eine Reminiszenz an seine Rolle des realen Geizkragens Jean Paul Getty aus Alles Geld der Welt – muss sich nicht nur für seine eigenen dunklen Seiten rechtfertigen. Er ist auch gekommen, um Dickens an die Finsternis in seinem Herzen zu erinnern, die mal war, und die nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass Vater und Sohn sich nicht so recht verstehen.

Für eine Biographie ist Charles Dickens: der Mann der Weihnachten erfand gerade richtig. Aus einem ganzen  Künstlerleben die Entstehungsgeschichte eines Kunstwerks zu extrahieren, ist vollauf genug, um dem Schreiberling näher zu kommen. Keine Ahnung aber, ob dieser wirklich so war, ob er wirklich so ein eloquenter Lebemann war, der in manisch-depressivem Anflug stets auf hypernervös alles gleichzeitig bewältigen muss. Dan Stevens fängt diese Rolle mit burschikosem Augenzwinkern ein, bleibt aber dadurch seltsam boulevardesk. Das wiederum passiert vor üppigster Ausstattung und einem übertriebenen Faible für Lichtstrahlen, die durch halb zugezogene Gardinen staubige Luft romantisch verklären. Mit diesem enorm pittoresken Effekt gerät Charles Dickens: der Mann… zu einem nostalgischen Bilderbuch, zu einem rustikalen Diorama, von handwerklich solider Biederkeit, trotz des avantgardistischen Denkens von Dickens. Für einen Weihnachtsfilm ein angenehmer Zeitvertreib bis zum großen Fest, irgendwo zwischen Schoko-Likörfläschchen und einem wiedermal zur Hand genommenen Wälzer aus dem Bücherregal. Gediegen und muffig, allerdings viel weniger geheimnisvoll und philosophisch wie das zeitlose Werk, von welchem der Film hier erzählt.

Charles Dickens: Der Mann, der Weihnachten erfand