The Zone of Interest (2023)

VOR DEN PFORTEN DER HÖLLE

7,5/10


thezoneofinterest© 2024 LEONINE


LAND / JAHR: USA, VEREINIGTES KÖNIGREICH, POLEN 2023

REGIE: JONATHAN GLAZER

DREHBUCH: JONATHAN GLAZER, FREI NACH DEM ROMAN VON MARTIN AMIS

CAST: CHRISTIAN FRIEDEL, SANDRA HÜLLER, JOHANN KARTHAUS, LUIS NOAH WITTE, NELE AHRENSMEIER, LILLI FALK, IMOGEN KOGGE, STEPHANIE PETROWITZ, ZUZANNA KOBIELA, MARTYNA POZNAŃSKA U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Des Nazideutschen Paradies liegt vor den Pforten der Hölle. Dieser Umstand alleine spricht schon dafür, dass sich eine derartige Weltsicht so sehr ihren destruktiven Abnormen anbiedert, dass diese wie selbstverständlich hinnimmt, Mauer an Mauer mit Tod und Verderben zu leben und dabei noch den Wohlstand zu genießen, den sich diese Familie, namentlich Höß, auf Kosten der anderen angeeignet hat. Einer wie Jonathan Glazer macht daraus garantiert keinen herkömmlichen Film. Das weiß man spätestens, seit man Under the Skin gesehen hat. Glazer ist ein Künstler der suggestiven, indirekten Bildsprache, der Präzision und der audiovisuellen Synergien. Nicht zu vergessen: er ist ein Mann der Extreme. Extreme aber auf eine Art, die nicht darauf aus ist, entweder einen Drogenrausch auszuleben oder um des Effektes willen den Vorschlaghammer des Radikalen ins Gesicht des Zusehers zu schmettern. Extreme können allein schon dadurch entstehen, dass die Möglichkeit außen vorgelassen wird, Identifikationsfiguren zu finden. In diesem widerlichen, von krankhaften Ideologien durchdrungenen Diesseits, dass sich so anfühlt, als wäre man mit der großmütterlichen Liebe-Familie-Nostalgie längst vertraut und vereint, liegt der Albtraum in einer banalen Normalität, in der augenscheinlich alles seine perfekt Ordnung hat, in der aber, bei genauerem Hinsehen und im Beachten der Details, einiges nicht stimmt und ein Unwohlsein erzeugt, das man hat, wenn man einen Traum träumt, der in den letzten Sekunden seines Bestehens zum Schreckensbildnis mutiert, bevor man schweißgebadet hochschreckt.

Jonathan Glazer schafft in seinem Film im farbenstrahlenden Sommer rund um den Geburtstag des Lagerkommandanten des KZ Auschwitz, Rudolf Höß, penibel aufgeräumte Tableaus, in denen alles seine perfekte Ordnung hat und keines der Requisiten nur zufällig herumsteht. Oft sind es wortlose Beobachtungen eines Herumtreibens glattgebügelter Uniformträger und aufgeföhnter Kaffeetrinkerinnen, prachtvoller Kinderchen in Lederhosen und geblümten Sommerkleidchen. Ein Kitsch ist das, wie aus altbackenen Werbungen. Wie aus den Filmen eines Jaques Tati, der die bürgerliche Ordnung anders als hier im lakonischen Slapstick durch den Fleischwolf dreht. Und dann ist da dieses gewisse Etwas: Die Mauer, der Stacheldraht, der über allem aufragende Schlot, aus dem Feuer und Rauch quillt. Jeder weiß, was das bedeutet, ohne es beim Namen nennen zu müssen. Es ist das Schrecklichste, was Menschen anderen Menschen jemals angetan haben. Und dennoch wird es in The Zone of Interest zur erschütternden Beiläufigkeit, zur geduldeten Hinnahme einer Notwendigkeit, weil die Wahrheit erfunden werden kann.

Filme über die Gräuel des Holocaust gibt es viele, sogar im Genre der Komödie unter der Regie von Roberto Benigni fand der Schrecken seinen Ausdruck. Glazer hingegen entwickelt eine filmische Installation. Ein selbsterklärendes Understatement, bei dem nichts gesagt werden muss, in dem jedes zweite Wort überflüssig, jede Neugier auf die blanke Gewalt zu obszön wäre, um ihr nachzugeben. The Zone of Interest ist eine Anordnung aus assoziativen Bildern und unmissverständlichen Geräuschen – es ist das Grauen im Hintergrund, dass das Harmlose im Vordergrund ins Monströse verzerrt. Glazers Film könnte im Endlosloop auf einer KZ-Mauer projiziert werden, als eindrückliche Ergänzung durch einen Blickwinkel, mit dem sich unsere heutige Generation vielleicht näher fühlt als mit jenem der Leidenden. Wer die Filme des Schweden Roy Andersson kennt, findet in diesem Arrangement aus Alltagsszenen und Aphorismen so manche Ähnlichkeiten wieder, die Absurdität einer Koexistenz aus Horror und Komfortzonen-Arroganz, aus Verdrängung und schluchttiefer Diskrepanz. Diese Widernatürlichkeit bringt Glazer zusammen und möchte wie absurdes Theater erscheinen. In Wahrheit aber ist es die Realität, die uns aufgetischt wird, und die Blindheit vor der eigenen Mitschuld, die uns, so schnell können wir gar nicht schauen, in ein neues Desaster hineinreiten kann.

Hut ab vor Sandra Hüller, die sich mit einer Figur auseinandersetzen muss, die in so abartiger Selbstverständlichkeit den Pelz von Anne Franks Mutter trägt, Hut ab vor Christian Friedel, der in arbeitsmüder Nüchternheit viel mehr Leute vergast sehen möchte als ohnehin. Mit solchen Rollen muss man als Künstler erstmal klarkommen. Mit dieser Widerlichkeit, die sogar auf Pferd und Hund überschwappt, sieht man sich in The Zone of Interest konfrontiert, und man kann gar nicht anders, als sich in die Geborgenheit einer Beschaulichkeit zu flüchten. In eine Blase, in eine Zone des Eigeninteresses, um nicht Schaden zu nehmen, Denn den haben die anderen. Das Grollen aus der Tiefe des Tartaros, das Glazer ertönen lässt, macht uns aber letztlich bewusst, dabei vom Nachtmahr heimgesucht worden zu sein.

The Zone of Interest (2023)

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull

BODYSWITCH FÜR LITERATEN

7/10


felixkrull© 2021 Warner Bros Pictures Germany


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2021

REGIE: DETLEV BUCK

SCRIPT: DANIEL KEHLMANN, DETLEV BUCK, NACH DEM ROMAN VON THOMAS MANN

CAST: JANNIS NIEWÖHNER, LIV LISA FRIES, DAVID KROSS, MARIA FURTWÄNGLER, NICHOLAS OFCZAREK, JOACHIM KRÓL, CHRISTIAN FRIEDEL U. A.

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Thomas Mann zu lesen ist Arbeit. Seine Kunst bekommt man nicht bequem vor die Füße gelegt, ist also keine Convenience-Lektüre, die runtergeht wie Öl. Für Thomas Mann muss man sich kognitiv ins Zeug legen, da muss man mitdenken. Thomas Mann ist wie das Besteigen eines Gipfels – auch nicht immer einfach. Dafür aber, wenn dieser als erklommen gilt, ist das Gefühl ein erhabenes, vor allem erfülltes, dank präzise ausformulierter Sätze und geistreicher Umschreibungen. Den großen Literaten auch filmisch umzusetzen, gestaltet sich prinzipiell als eine ebensolche Gratwanderung – zum Glück aber fanden und finden sich immer wieder Könner ihres Fachs, die den Geist Thomas Manns einfangen konnten und können. Luchino Visconti zum Beispiel – aus seinem Tod in Venedig sind die nebligen Bilder vom Lido immer noch in guter Erinnerung. Hans W. Geißendörfer, Urvater der Lindenstraße, hat den Zauberberg Anfang der 80er als internationale Produktion mit unter anderem Charles Aznavour und Rod Steiger auf die Leinwand gewuchtet. Der Geist des Literaten war da immer noch da. Heinrich Breloers Buddenbrooks mit Armin Müller-Stahl geriet hingegen zu einer sitzfleischquälenden, elendslangen Familienchronik, die wohl als Miniserie besser geeignet gewesen wäre. Denn dünne Heftchen sind Manns Werke natürlich keine. Und jetzt, jetzt will Detlev Buck es auch nochmal wissen. Wie es denn so ist, Thomas Mann zu inszenieren. Und zwar ein Werk, das gar nicht mal fertiggestellt wurde, ein Fragment eben. Vielleicht liegen Fragmente besser in der Hand des Filmemachers, wenn das Ende gar nicht mal vom Zaun gebrochen werden muss. Denn das ist stets die größte Hürde, um zu erreichen, dass ein Film zur runden Sache wird.

Eines aber vorweg: Detlev Buck bringt den Klassiker zu einem melancholischen Ausklang, indem er diesen zuvor mit einer verbal durchaus gestrengen, aber leichtfüßigen Dramatisierung liebkost hat. Kein Wunder, hinter dem Drehbuch steht jemand, dessen Bücher ich sehr schätze und der mich zuletzt auch in Daniel Brühls Nebenan in Aufbau und Dialog absolut überzeugt hat: Daniel Kehlmann. Bei Kehlmann ist selten ein Wort zu viel, die Szenen sind knackig und nicht über Gebühr aufgebauscht. Detlev Buck gefällt das, und ich bin froh, dass dieser die Finger von seiner sonst fahrigen Fabulierlust lässt. Die braucht es hier nicht. Bei einem Stoff wie Felix Krull braucht es Millimetermaß, und beide, Kehlmann und Buck, geben sich konzentriert. Die richtige Eleganz des Films hält dann schließlich mit dem lustvoll aufspielenden Ensemble Einzug. Statt Horst Buchholz brilliert diesmal der in Film und Fernsehen mittlerweile recht omnipräsente Jannis Niewöhner. Doch alle Achtung: der junge Mann scheint die beste Wahl für einen Hochstapler zu sein, der sich gar nicht mal als solcher verkauft, sondern viel mehr als charmanter Opportunist, der sich durch ein missgünstiges Leben schlängelt und weiß, bei wem und wann er ansetzen muss.

Das wäre nämlich dann Marquis Louis de Venosta, gespielt von David Kross, welchem Felix Krull sein Leben beichtet, im Schanigarten eines Pariser Cafés. Was Kroll in Paris so treibt? Er mogelt sich von Deutschland in die Stadt der Liebe und arbeitet in einem Hotel als Liftboy mit der Möglichkeit, die Karriereleiter hochzusteigen, wobei der eine oder andere weibliche Hotelgast nicht wirklich von ihm lassen kann. Viel wichtiger aber scheint die Liebe zur schönen Zaza (Liv Lisa Fries), für welche Krull wohl den größten Bodyswitch-Coup seines Lebens landen will.

Die meines Wissens nach dritte Verfilmung des Romans gelingt auf vielen Ebenen, ist formschön in ein heruntergebrochenes Script gegossen und geizt nicht mit stimmigen Kulissen, noblen Kostümen und schrägen Nebenfiguren, die das Karussell des improvisierten Lebens gefällig, aber auch süffisant vorführen.

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull