The Crow (2024)

RÄCHER IM REGEN

5/10


thecrow© 2024 LEONINE


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: RUPERT SANDERS

DREHBUCH: ZACH BAYLIN, WILL SCHNEIDER, NACH DER GRAPHIC NOVEL VON JAMES O’BARR

CAST: BILL SKARSGÅRD, FKA TWIGS, DANNY HUSTON, ISABELLA WEI, JOSETTE SIMON, SAMI BOUAJILA, LAURA BIRN, JORDAN BOLGER, KAREL DOBRY U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Eric Draven würde das Wetter, wie es sich gerade über Mitteleuropa hartnäckig hält, wohl liebgewinnen. Es regnet wie aus Kübeln, so richtig hell wird es auch nicht mehr. Es ist trist, stürmisch, gerne hört man dazu Nick Cave, Leonard Cohen und The Cure. Oder überzeugt sich davon, wie die Comicfigur der Krähe in einem Remake abermals die schwarzen Schwingen ausbreitet, um seine blutige Rache über all jene zu bringen, die ihm seine Liebste genommen haben. Es war das Jahr 1994, als sich Hauptdarsteller Brandon Lee beim Dreh des Films eine Kugel einfing – und daran starb. Eines der tragischsten Momente der Filmgeschichte ließ Alex Proyas‘ Verfilmung der Graphic Novel von James O’Barr zum Kultwerk der todessehnsüchtigen Gothic-Szene avancieren. Satte dreißig Jahre später, so meint Hollywood, sei es an der Zeit, die Alleinstellung der Neunziger-Fantasy aufzuheben und die ganze Geschichte mit den technischen Mitteln, die heutzutage zur Verfügung stehen, als State of the Art-Interpretation neu zu erzählen. Das kann man natürlich machen, wenn Hollywood sich das traut. Am besten mit Bill Skarsgård, der ja schon bewiesen hat, dass er als der womöglich bessere Pennywise Tim Curry die Show stehlen könnte. Warum also nicht auch Brandon Lee? Sein Vermächtnis bleibt ohnehin unangetastet, denn sieht man sich Skarsgårds Draven an, hat der wohl nichts mehr gemein mit dem zirkushaften Robert-Smith-Lookalike an der Grenze zum traurigen Clown in Schwarz und Weiß. Diese Krähe hier ist bunter. Diese Buntheit aber macht Rupert Saunders Blutoper aber willenlos generisch. Als würde dieser Film nicht genau wissen, wohin mit seinem Stil, falls er welchen hätte.

Der neue Plot ist etwas anders als der aus den Neunzigern, dafür aber stehen Eric Draven und Shelly nach wie vor als unglückliches Liebespaar ohne Zukunft im Mittelpunkt – beide Ex-Junkies, die aus einer Entzugsklinik ausbüchsen, nachdem finstere Schlipsträger der jungen Frau nachjagen, um sie vermutlich das Zeitliche segnen zu lassen. Was alsbald auch passiert. Shelly wandert in die Hölle, was ein bisschen an die altgriechische Sage um Orpheus und Eurydike erinnert. Ihr Platz dort im Hades ermöglicht dem ewig lebenden Bösewicht Vincent Roeg (Danny Huston) aber ewiges Leben – eine Methode, die dieser schon seit Jahrhunderten pflegt, nämlich junges Blut vorschnell über die Klinge springen zu lassen, um den eigenen Jungbrunnen zu bewässern. Auch Eric wird sterben, landet aber aufgrund dieser tragischen Umstände in einer Zwischenwelt voller Krähen. Von dort muss er wieder zurück in die Welt der Lebenden, wenn er Shelly retten will. Das Ziel: Alle um die Ecke bringen, die mit ihrem Tod zu tun haben.

Liebe, Trauer, Herzschmerz und brachiale Gewalt. Damit The Crow auch wirklich überzeugen kann, müsste eine Liebesgeschichte her, dessen Paar auch fühlt, was es vorgibt, zu empfinden. Bill Skarsgård mag als Pennywise alle Stückchen spielen – für eine vom Schicksal und der Dunkelheit gebeutelte unruhige Seele aus der Zwischenwelt, auf welche nur noch die ewige Verdammnis wartet, fehlt es an Welt- und Herzschmerz. Die Sehnsucht nach Shelly bleibt ein Lippenbekenntnis, der Hass allerdings ebenso. Skarsgård tut, was die Rolle ihm aufträgt, bleibt aber überraschend empfindungsarm. Dafür kann er seine physischen Wunden ganz gut fühlen, vor allem sein Erstaunen darüber, blitzschnell wieder zu genesen. Ein bisschen dürftig ist das schon. Ein bisschen dürftig agiert auch Sängerin FKA Twigs in ihrem Spielfilmdebüt – auch sie schmachtet und leidet nach Drehbuch. Es ist, als würden beide sich verschworen haben, Brandon Lees Status nicht streitig machen zu wollen. Als würden sie bewusst Abstand halten vor der Möglichkeit, durch ihr Spiel den Kult zu schmälern.

Nichts davon wird passieren – Rupert Saunders‘ unschlüssige Interpretation findet keine eigene Note, die Szenen des Films bleiben professionelle Routine, der explizite Showdown in der Oper bietet schwarzroten Blutzoll en masse und lässt Fans des John Wick-Franchise in Sachen Gewaltdarstellung neidvoll erblassen. Die Blutleere, die man beim Killer-Gemetzel mit Keanu Reeves wohl beanstanden würde, erfüllt sich zumindest hier. Das Ganze bietet wohl die aufreibendste Szene des Films, bleibt aber austauschbar und es ist mehr oder weniger egal, ob die Krähe nun Rache übt oder John Wick.

The Crow (2024)

Honey Boy

OH MEIN PAPA…

6,5/10


honeyboy© 2020 Amazon Studios

LAND: USA 2020

REGIE: ALMA HA’REL

DREHBUCH: SHIA LABEOUF

CAST: SHIA LABEOUF, NOAH JUPE, LUCAS HEDGES, CLIFTON COLLINS JR., FKA TWIGS U. A. 

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


…war eine wunderbare Clown“. Nicht nur Freddy Quinn, sondern auch Shia LaBeouf können davon ein Liedchen singen. Letzterer beruft sich dabei aber auf seine eigene Art von entbehrungsreicher Kindheit, aus der es sich nicht unbeschadet hervorgehen lässt, sowas bringt je nach Intensität eine posttraumatische Belastungsstörung mit sich. Erstens ist einem Kind mit gerade mal zwölf Jahren der Status eines Kinderstars auch nicht egal, und zweitens übernimmt man als Kind mit gerade mal zwölf Jahren auch nicht gerne die Verantwortung über eine Vaterfigur, die nicht von sich behaupten kann, für den eigenen Nachwuchs ein gutes Vorbild zu sein. Im Film heißt der Junge Otis, und Oh mein Papa deswegen, weil nämlicher tatsächlich mit clownesken Nummern inklusive Theaterhuhn sein Geld verdient hat. Aber wie so oft im Showbiz: die rote Nase kommt dann eher vom Hochprozentigen. Um den Altvorderen wieder auf die Spur zu holen, gibt´s einen neuen Job. Auftraggeber: der eigene Sohn, der aufgrund seines Engagements ein gutes Einkommen hat und der seinen Vater somit aus der Gosse holt. Was nicht heißt, dass Otis nicht auch noch einen väterlichen Support vom Jugendamt beigesteuert bekommt – der aber für den leiblichen Vater ein rotes Tuch zu sein scheint. Bei so einem Durcheinander erzieherischer Parameter sind Konflikte und Abstürze vorprogrammiert.

Und daher verwundert es nicht, dass Honey Boy auf zwei Zeitebenen fährt, um Symptom und Ursache gegenüberzustellen. Als erwachsener Otis (also eigentlich Shia LaBeouf) gibt Lucas Hedges den rastlosen Set-Tiger, der im 24Stunden-Takt und mit allerlei unterstützenden Drogen andauernd auf hundert Sachen fährt und mitunter auch so manchen Schaden verursacht. Was folgt, ist eine Zwangseinweisung in ein Therapiezentrum, um der Psyche Herr zu werden. Im Zuge dessen erzählt Hedges aus seiner Vergangenheit – in der wir Noah Jupe (bekannt aus Wunder oder A Quiet Place) und natürlich einem verfremdeten Shia LaBeouf begegnen, mit Halbglatze und schulterlangem Haar, was irgendwie widerlich aussieht. Ungefähr genauso gibt sich der Filmvater, zeigt sich von einer sagenhaft herablassenden Seite und meint, auf diese Weise die Abhängigkeit von seinem Sohn kompensieren zu können. Honey Boy wird zu einem familiären Krankheitsbild, zu einer kleinen, konzentrierten Studie über Abhängigkeiten und dem Hinterfragen von hierarchischer Ordnung innerhalb eines Familiensystems. Unterm Strich wird klar, dass die Hilflosigkeit der eigenen Eltern zu einer Bürde der Verantwortung für den Nachwuchs wird, der diesen Brocken einfach niemals stemmen kann – und auch niemals sollte.

Shia LaBeouf sieht man vermutlich mit anderen Augen. Und nicht nur ihn, vielleicht auch so manch eine andere exaltierte Rampensau, die womöglich niemals jemanden hatte, der in der Erziehung die so wichtigen Grenzen gezogen hat. Eine intime, persönliche Arbeit ist Honey Boy geworden – nichts fürs große Kino. Aber ganz bestimmt für den Ex-Transformers-Star – als erklärendes Statement für sein eigenes Verhalten.

Honey Boy