Die Vorkosterinnen (2025)

RUSSISCH ROULETTE AM MITTAGSTISCH

6/10


© 2025 Filmladen Filmverleih


ORIGINALTITEL: LE ASSAGGIATRICI

LAND / JAHR: ITALIEN, BELGIEN, SCHWEIZ 2025

REGIE: SILVIO SOLDINI

DREHBUCH: DORIANA LEONDEFF, SILVIO SOLDINI, CRISTINA COMENCINI, GIULIA CALENDA, ILARIA MACCHIA, LUCIO RICCA, NACH DEM ROMAN VON ROSELLA POSTORINO

CAST: ELISA SCHLOTT, ALMA HASUN, MAX RIEMELT, EMMA FALCK, BORIS ALJINOVIC, OLGA VON LUCKWALD, THEA RASCHE, BERIT VANDER, KRIEMHILD HAMANN, ESTHER GEMSCH, NICOLO PASETTI U. A.

LÄNGE: 2 STD 3 MIN


Er ist wieder da. Und sicher nicht das letzte Mal. Immer und immer wieder wird das Musterbeispiel, der Prototyp des menschenverachtenden Diktators der Neuzeit die Medien infiltrieren. Er wird zitiert, er wird verfilmt, und alle, die ihn jemals auch nur auf periphere Weise umgeben haben, werden noch zu Wort kommen. Und wenn es sich dabei auch nur um einen Mythos handelt. Um ein Gerücht wie dieses zum Beispiel, das von einer Gruppe Frauen handelt, die von Adolf Hitlers auserwählter Militär-Elite zwangsrekrutiert wurde, um Speisen vorzukosten, die dem Führer wohl geschmeckt haben.

Es gab da eine Dame, Margot Woelk hieß sie, die kurz vor ihrem Ableben 2012 mit Erinnerungen an die Öffentlichkeit ging, in denen sie als Vorkosterin für Adolf Hitler gedient haben soll. Mit weiteren fünfzehn Frauen soll sie in der Wolfsschanze im Jahre 1942 diverse Speisen auf Toxine geprüft haben, natürlich den eigenen Tod, falls es doch mal zu einem Giftanschlag hätte kommen sollen, inbegriffen. Diese erstaunlichen Fakten wurden 2014 von einem Journalisten hinterfragt, somit stehen in dieser Sache Aussage gegen Aussage – bis Rosella Postorino einen Roman darüber schrieb. Dieser hat mit historischen Tatsachen nun überhaupt nichts mehr gemein, bleibt aber als verlockende Hypothese im geschichtsfreien Raum stehen, als fiktiv-verspielte Ergänzung eines zu finsteren popkulturellen Legende gewordenen Schwerverbrechers, den seine Liebe zu Schäferhunden und vegetarischem Essen manchmal viel zu harmlos erscheinen lassen – Oliver Masucci (Er ist wieder da) hat’s bewiesen, wie leicht das geht, und wie leicht man das Böse verdrängen kann, wenn sich die Ikonographie einer Person verselbstständigt. Der Roman PostorinosDie Vorkosterinnen – fand seinen Weg ins Kino, hat dieser doch alle Voraussetzungen, um genug Melodrama auf die Leinwand zu werfen, das vor dem Hintergrund farbintensiver Hakenkreuzfahnen und umringt von einer Vielzahl gestandener deutscher Wehrmachtsmänner mit schickem, geöltem Undercut einen zaghaft feministischen deutschen Mittagstisch deckt, der als Basis dient für ein Crossover unterschiedlicher Schicksale strohverwitweter und verwitweter Frauen, die mit ihrer Einsamkeit auf unterschiedliche Weise klarkommen müssen.

Liebe geht durch den Magen

Regie führte in dieser mit Damenmoden der Vierziger ausgestatteten Historien-Fiktion Silvio Soldini, der anno 2000 mit Brot und Tulpen einen wie Bruno Ganz ganz groß in Szene setzte. Ein Vierteljahrhundert später ist es Elisa Schlott, die viel dazu beiträgt, dass Die Vorkosterinnen nicht als verdünnte Ansammlung sämtlicher Tagebucheinträge so manches Schicksal als stereotypes Klischeebild verbucht. Schlott gibt ihrer Figur der fiktiven Rosa Sauer ordentlich Profil – niemals zu dick aufgetragen, selten zu wenig Emotion. An ihr bleibt man dran, und mit ihr ziehen alle anderen mit, allen voran Alma Hasun, die natürlich ein Geheimnis mit sich herumträgt, welches das Bedeutungsspektrum des Films später noch erweitern soll.

Das Ensemble weiß, was es zu tun hat, zumindest bei den Damen. Die Herrschaften unter des Führers Fuchtel bleiben austauschbar, vor allem Max Riemelt als bärbeißiger, stiernackiger Muskelprotz weckt warum auch immer das sexuelle Interesse unserer Hauptdarstellerin, wobei man natürlich ahnt, dass in der Not der Teufel Fliegen frisst. Somit gibt es dort eine Liebelei, und da wieder eine kleine Intrige unter den Frauen, im Ganzen aber ist wohl weniger das Konzept des Vorkostens hier Thema als gewisse Sorgen und Nöte, die alle zwar angerissen, aber nie entsprechende Wichtigkeit erlangen. Das macht den Film dann doch über weite Strecken recht bruchstückhaft und gedehnt, um nicht zu sagen langatmig, denn all das hat man schon unzählige Male glaubwürdiger, intensiver und authentischer gesehen. Am Ende nimmt das Drama wieder Fahrt auf, das Essen wird abserviert, für Magenverstimmungen gibt’s Alka Seltzer.

Die Vorkosterinnen (2025)

Amsterdam

DREI MUSKETIERE GEGEN DEN FASCHISMUS

7/10


AMSTERDAM© 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: DAVID O. RUSSELL

CAST: CHRISTIAN BALE, JOHN DAVID WASHINGTON, MARGOT ROBBIE, ZOE SALDANA, RAMI MALEK, ANYA TAYLOR-JOY, MICHAEL SHANNON, MIKE MYERS, CHRIS ROCK, ROBERT DE NIRO, MATTHIAS SCHOENAERTS, ANDREA RISEBOROUGH, TAYLOR SWIFT, TIMOTHY OLYPHANT, ALESSANDRO NIVOLA U. A.

LÄNGE: 2 STD 14 MIN


Angekündigt war David O. Russells stargespickter Historienfilm bereits diesen Spätsommer in unseren Wiener Kinos. Angesichts der Fülle an bekannten Gesichtern wäre Amsterdam sowieso ein Must-See gewesen. Schon allein Christian Bale als ausgemergelter Veteran des ersten Weltkriegs mit Glasauge hätte ein Kinoticket wert sein sollen. Und dann versprach der knappe Einblick sogar noch Margot Robbie und den für mich einzig wahren James Bond-Nachfolger, nämlich John David Washington. Michael Shannon hätte sich die Ehre gegeben, Anya Taylor-Joy, Zoe Saldana und der wie immer hinter seinem Make Up verborgene Mike Myers. Nicht zu vergessen: Altstar Robert de Niro, diesmal nicht als Dirty Grandpa. Kurzum: Amerikas Stars in einer uramerikanischen Nachkriegssatire rund um eine politische Verschwörung, die in Ansätzen tatsächlich so stattgefunden haben soll. Man möchte sich kaum vorstellen, hätten diese Revoluzzer es geschafft, nach dem Vorbild Nazi-Deutschlands und des faschistoiden Italiens unter Mussolini eine ähnlich radikale Diktatur zu errichten. Doch die Geschichte hat uns gelehrt: So kam es nicht. Genauso wenig wie die Auswertung des epischen, prall ausgestatteten Schinkens für die Leinwand.

Grottenschlecht sollen die Kritiken für Amsterdam vorab gewesen sein. Niemand jenseits des Atlantiks hätte sich daraufhin für den Film interessiert. Da hatten sogar all die bekannten Gesichter den Karren keinen Zoll weit aus dem Schlamm hieven können. Amsterdam wurde zum teuren Murks – und verschwand auf Nimmerwiedersehen von den Programmagenden der europäischen Kinos. Einige Monate später dann das: Russels Streifen erscheint als Streaming-Perle auf Disney+. Für all jene, die sich gerne selbst ein Bild von einem Film machen wollen, der keine Chance aufs Überleben hat und womöglich bei den diesjährigen goldenen Himbeeren abstauben wird müssen, allein schon aufgrund des von der Publicity gesteuerten, wenig schmeichelnden Richtungsdrangs. Die eigene Meinung, die hätte ich mir so oder so bilden wollen. Natürlich auch im Kino. Jetzt eben in den eigenen vier Wänden, mit Ausblick auf ein braun getünchtes Babylon New York der Dreißigerjahre, voller Untergrund, Intrigen und Bündnisse, deren Reichweiten aufgrund bedachter Vernetzung bis in alle Kreise langt. Dabei passiert es, dass der eine oder die andere, die im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder nachkriegerischer Verschwörungen gerät, wiederum andere, die in ihrer Moral und sozialer Verantwortung dank ihres Korsetts noch aufrecht stehen können, hellhörig werden lässt. Einer dieser Veteranen ist Burt Berendsen, ein knorriger Arzt mit Glasauge und besagter Leibesstütze, der gemeinsam mit seinem Buddy aus dem Krieg, Advokat Harold Woodman, Versehrten sowohl rechtlich als auch medizinisch unter die Arme greift. Und natürlich kommt es, wie es kommen muss: Einer dieser Fälle, die Obduktion eines plötzlich verstorbenen Armeegenerals Bill Meekins, wird zutage bringen, dass es sich hierbei um Giftmord gehandelt hat. Als die Tochter des Verblichenen kurz davorsteht, die Sache öffentlich zu machen, stirbt auch sie. Berendsen und Woodman sind von da an auf der Flucht, wird doch ihnen die Straftat in die Schuhe geschoben. Und während sie so durch die dunklen Gassen einer vergangenen Großstadt koffern, versuchen sie gleichermaßen, sich zu rehabilitieren. Dabei kommt ihnen das Auftauchen jener Vertrauten und Freundin gelegen, die sich damals, mit den beiden, in Amsterdam Marke Drei Musketiere auf eine lebenslange Zweckgemeinschaft eingeschworen hat.

Amsterdam ist ein Film, der diesen feisten Abwärtsdaumen nicht verdient hat und maßlos unterschätzt wird. Vielleicht deshalb, weil er seine Story relativ langsam erzählt und seinen Schwerpunkt weniger auf das Aufdecken der faschistoiden Machenschaften legt, sondern vielmehr auf die besondere Freundschaft dreier grundverschiedener Lebenskünstler, die mit Rückblenden aus dem Ersten Weltkrieg auf die Entstehung selbiger eingeht. Die kleinen, feinen Szenen, geschmackvoll ausgestattet und getextet, ufern nie in pathetische Dramatik aus. Es werden selten Leute auf offener Straße erschossen, wie in Sergio Leones Es war einmal in Amerika. Es geht nicht um Rache und Eifersucht und Missgunst, die sich in emotionalen Showdowns entlädt. Amsterdam hat das alles gar nicht. Das originell konzipierte Werk bleibt augenzwinkernd, jovial und ironisch. Und genießt dabei die Performance von Christian Bale in jeder Einstellung, der den hilfsbereiten, selbstlosen und gutmütigen Kriegsheimkehrer mit einnehmender Sympathie verkörpert. Diese Figur hat Tiefe, Licht und Schatten gleichermaßen. Ist so greifbar wie das Absonderliche eines eigenen, verschrobenen Onkels, der aber trotz seines Auftretens scharfsinnig wie kaum ein anderer bleibt. Fast schon wie die Gestalt eines gewitzten Inspektor Columbo, der für Bales Figur ein Bruder im Geiste des Glasauges bleibt. Dabei bieten Washington und Margot eine nicht weniger formidable Rückendeckung.

Amsterdam atmet die Aufbruchsstimmung und die Umbruchsstimmung des frühen 20. Jahrhunderts, wie die Sky-Hitserie Babylon Berlin. Ein neuer Krieg war da kaum noch denkbar, fast unmöglich. In dieser Erschöpfung findet Amsterdam auch seine entspannte, allerdings dialoglastige Kraft, und es mag fast sein, dass dieses an ein posthum entdecktes Werk Billy Wilders erinnernde Schaulaufen den Film über seine Erzählstränge stolpern lässt. Trotz der Wortgewalt und der scheinbar vielen, gedehnten Szenen gelingt O. Russell, die Übersicht zu bewahren. Ist man mal mittendrin, in dieser Amsterdam-Verschwörung, bleibt man gerne dran – bis zum mit Spannung erwarteten Finale, das einen Staatenbund vor dem Sturz in den Abgrund bewahren wird. Andernorts hat man, wie wir längst wissen, weniger Glück gehabt.

Amsterdam