Joker: Folie à Deux (2024)

WER ZULETZT LACHT

7,5/10


joker2© 2022 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: TODD PHILLIPS

DREHBUCH: TODD PHILLIPS, SCOTT SILVER

CAST: JOAQUIN PHOENIX, LADY GAGA, BRENDAN GLEESON, CATHERINE KEENER, ZAZIE BEETZ, HARRY LAWTEY, STEVE COOGAN, LEIGH GILL, SHARON WASHINGTON, JACOB LOFLAND, BILL SMITROVICH, KEN LEUNG, CONNOR STORRIE U. A.

LÄNGE: 2 STD 18 MIN


Wo ist Batman, wenn man ihn braucht? Wo diese gebrochenen, aber idealistischen Recken und Helden, die für eine bessere Welt eintreten wollen? Wie wir bereits aus Joker wissen: Zu diesem Zeitpunkt, als der anarchistische Clown namens Arthur Fleck seinen Stufentanz vollführt, ist Bruce Wayne gerade mal noch ein Dreikäsehoch. Irgendwie passt da chronologisch einiges nicht zusammen. Doch das hat einen Grund. Einen sehr driftigen, erhellenden, so ziemlich aus der Bahn werfenden. Dieses Gotham der Frühzeit ist die prähistorische DC-Epoche ohne Metawelten, Glamour und fantastischer Mutationen. Todd Phillips weiß, wie er diese fiktive Welt erden muss, damit sie ernst genommen wird. Im weiteren Sinne hat dies auch Matt Reeves so gehandhabt. Sein Batman mit Robert Pattinson und Colin Farrell als Pinguin, der weit jenseits eines Danny De Vito keine fliegenden Frackträger im Sinn hat wie einst bei Tim Burton, feiert den Realismus. Doch auch dann ist diese Batman-Welt kein Umstand, mit welchem sich Phillips beschäftigt. Er schafft es, diese mächtige Begrifflichkeit „Joker“ als Gesinnungszustand aus seinem Kontext zu lösen.

Im Film von 2019 war der Joker Ausdruck eines unterdrückten Traumas, mit allen bitteren Konsequenzen und allem Frust, wofür ein Individuum wie Arthur Fleck letztlich die Gewalt als Ventil gewählt hat. Eine One-Man-Show ist das geworden, Joaquin Phoenix bekam völlig zurecht, wie jeder weiß, dafür seinen Oscar. Auch wenn man damals schon so seine Vermutungen im Kopf hatte, was es mit dieser Interpretation denn noch auf sich haben könnte – gerade durch Joker: Folie à Deux erreicht das Psychogramm einer kaputten Seele, die wohl darum gebettelt hätte, als schizophren diagnostiziert zu werden, eine Metaebene, auf welcher sich die Idee eines launigen Anarchisten, der das System zu Fall bringen kann, völlig verselbstständigt. Es stellt sich dabei die Frage: Ist Arthur Fleck der Joker, oder ist der Joker Arthur Fleck? Was oder wer war zuerst da? Wofür steht diese Idee und wie sehr lässt sie sich von diesem Menschen trennen, der seit zwei Jahren hinter Arkhams Mauern sitzt? Die Idee des Joker erhält ihren Vorwärtsdrall durch das Auftauchen einer legendären Gespielin – von Harley Quinn, längst schon kongenial verkörpert durch Margot Robbie, die das Plakative des Charakters treffend skizziert hat. Lady Gaga ist anders, Lady Gaga offenbart erstmals das Ungeschminkte hinter dem Wahnsinn, und wir stellen fest: dieser reicht lediglich zum Imitat. All die Songs, die in Joker: Folie à Deux zum Besten gegeben werden, verstärken nur noch den Charakter einer Show, die nur Fassade ist für etwas ganz anderes.

Dass dieses fast schon als Epilog zu verstehende Filmexperiment einem an bewährtem Content interessierten Publikum mitunter sauer aufstößt, ist ein Umstand, den Phillips akzeptiert. Denn seine Vision ist eine Versuchsanordnung, die als filmisches Essay betrachtet werden kann – als eine ungefällige Abhandlung, die das Gefälle zwischen Mensch und Kunstfigur sehr stark und fast schon katharisch in den Fokus nimmt. Das lässt sich nur machen, wenn der Plot selbst auf das Wesentliche reduziert bleibt: Wir haben Arkham, wir haben den Gerichtssaal, wie haben die Träume eines gepeinigten, abgemagerten Häftlings, eines gebrochenen Bajazzo. Belebt wird seine Kunstfigur durch Harley oder Ley, die den berühmt-berüchtigte Fünffachmörder wieder auf die Beine hilft, um das bevorstehende Erbe von Batmans großer Nemesis anzunehmen. Doch Phillips hat seine eigenen Visionen, schenkt Arthur Fleck seine eigene Bedeutung, lässt sein Publikum dumm dastehen und steht zu seiner Conclusio.

Ähnlich wie bei Kill Bill ergänzen und bereichern sich beide Filme auch hier. Im Gegensatz zu Joker aus 2019 ist dieses weitergesponnene Spiel mit Identität und Gesellschaft nicht ganz so perfekt. Joker: Folie à Deux gibt sich weitaus zurückhaltender, versponnener und darf auch Längen verbuchen, in denen man sich fragt, ob diese Momentaufnahmen einer verheißungsvollen Begegnung zweier Kultfiguren irgendwann noch mehr versprichen als nur das Vorhaben, etwas Großes zu errichten. Oft tritt sein Film auf der Stelle, die Gesangseinagen bewegen die Geschichte kaum voran. Phoenix kann schauspielern, aber nicht singen, es bleibt ein Krächzen neben dem verrauchten Hauchen einer Lady Gaga, die auch schon mal besser war. Und dennoch ist es Schauspielkino auf höchster Stufe, schafft Phillips ikonische Bilder und epische Düsternis, dieses Krächzen passt da ganz gut hinein. Etwas kürzer hätte nicht geschadet, wäre auch gar nicht aufgefallen, denn manches wiederholt sich. Am Ende aber legt der Film seine Karten auf den Tisch – mit einem Knall, einem Getöse, einem unvergesslichen Schlussakt. Und siehe da: Das Blatt enthält nur Joker.

Joker: Folie à Deux (2024)

Old

GEMEINSAM ALT WERDEN

5/10


old© 2021 Universal Pictures Entertainment Germany


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: M. NIGHT SHYAMALAN, NACH DER GRAPHIC NOVEL SANDCASTLE

CAST: VICKY KRIEPS, GAEL GARCÍA BERNAL, RUFUS SEWELL, ABBEY LEE, THOMASIN MCKENZIE, ALEX WOLFF, KEN LEUNG, NIKKI AMUKA-BIRD, ELIZA SCANLEN U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Kaum, so habe ich mir sagen lassen, beginnt die Pension, spult sich das Leben viel schneller ab als vorher. Die reguläre Arbeit fällt weg, man hat plötzlich viel mehr zu tun, und Wochenenden werden auch nicht mehr so heiß herbeigesehnt wie in Zeiten des Nine to Five. Mit der Pension kommt das spürbare Alter, nichts geht mehr so schnell wie man will. Am besten die Zeit anhalten, denn die Angst vor dem Zellabbau war und ist groß. Warum wohl hat Gräfin Báthory im Blut von Jungfrauen gebadet? Warum wollten sich wohl die Pharaonen einbalsamieren lassen? Die Angst vor dem Zerfall ist auch im Kino ein gern bedachter und erörterter Themenkreis. Mal abgesehen von den Untoten-Mysterien bleiben Filme wie Der Tod steht ihr gut einfach in Erinnerung. Der Horror entsteht dann erst, wenn das Altern plötzlich rasend schnell vonstatten geht, wie zum Beispiel in Tony Scotts Horrordrama Begierde. Ja gar in Indiana Jones zerfällt man zu Staub, wird der falsche heilige Gral zum Trunk gereicht. In 2001 – Odyssee im Weltraum musste Astronaut Dave sich selbst dabei zusehen, wie er im Eiltempo senil wird, dem Monolithen sei Dank. M. Night Shyamalan dringt mit seinem jüngsten Werk Old somit in keine allzu unbekannten Regionen vor. Allerdings erklärt er einen Zustand, der anderswo womöglich nur die Moral von der Geschichte wäre, zum Main-Act eines seltsamen Strandausflugs, der sich in vielen Szenen so anfühlt wie souveränes Formeltheater des Absurden.

Spannend ist dabei natürlich, zu beobachten, was Shyamalan aus dem leidigen Dilemma mit dem Älterwerden alles anstellt. An diesem Strand, der mich ob seiner kargen Felswände wirklich nicht von den Socken haut; der an sich schon etwas Bedrohliches aufweist und gegen die Felsbucht auf Zakynthos inklusive Schmuggler-Schiffswrack sowas von überhaupt nicht ankommt, sammeln sich wie bei Agatha Christie von jung bis alt unterschiedliche Ausflügler – zwei Familien und ein bekannter Rapper, der sich abseits hält –, um dem Bösen unter der Sonne die Stirn zu bieten. Doch als Hercule Poirot wird sich im Laufe der bizarren Begebenheiten keiner so wirklich aufspielen wollen. Stattdessen wundern sich Vicky Krieps (die bald als Sisi in Marie Kreutzers Corsage zu sehen sein wird), Gabriel García Bernal oder Thomasin Mackenzie über Wachstumsschübe und Sinnesdefizite, über plötzliche Schwangerschaften und wuchernde Krankheiten. Zurück zum Hotel kann das Grüppchen Sonnenbadender auch nicht, eine seltsame Kraft hindert sie daran. So hadern sie und akzeptieren ihr Schicksal, während der Nachwuchs kaum mehr wiederzuerkennen ist und die Zeit in Form von Zellzerfall allen davonläuft.

Natürlich ist das Gleichnis einer nicht aufhaltbaren Entropie wert genug, damit herumzuspielen. Shyamalan gefällt aber nicht nur der philosophische Ansatz daran. Der meist von älteren und ferneren Familienmitgliedern zu entsprechenden Zusammenkünften staunend herausposaunten Phrase „Groß bist du aber geworden“ zeigt der kreative Inder die lange Zunge. Schließlich impliziert das ja, dass der oder die Feststellende um genauso viel älter geworden sein muss. Doch es bleibt nicht beim Arrangement einer resignierenden Zwangsgemeinde, die sich der Dynamik des Alterns unterwirft – womit Old als surreales Statement sich selbst genügen könnte.

Shyamalan kann oder will jedoch nicht den Erwartungshaltungen seines Publikums zuwiderhandeln, erwartet dieses doch wieder den obligaten Story-Twist, vielleicht gar vom Kaliber wie in The Sixth Sense. Gut, sowas gelingt nur einmal, alle anderen Twists funktionieren als erfrischendes Storytelling aber doch noch. Um dieser Konvention treu zu bleiben, arbeitet Old auch im Bereich des Mystery-Abenteuerfilms, was sich nur holprig mit der gekünstelten, fast schon installationsartigen Zurschaustellung einer menschlichen Urangst vereinbaren lässt. Als Thriller bleibt Old auf der Strecke, als absurde Parabel mag der Film seine Stärken haben. Mit beidem aber akzeptiert Shyamalan während seiner unentschlossenen Strandwanderung halbherzige Kompromisse.

Old