Silent Night – Stumme Rache (2023)

EIN MANN SIEHT WEIHNACHTSROT

4/10


silent-night-2023© 2023 Leonine


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: JOHN WOO

DREHBUCH: ROBERT ARCHER LYNN

CAST: JOEL KINNAMAN, KID CUDI, CATALINA SANDINO MORENO, HAROLD TORRES, VINNY O´BRIEN, YOKO HAMAMURA, ANTHONY GIULIETTI U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Freunde der abseitigen Seasons Greetings auf der Leinwand werden sich noch erinnern können, wie Stranger Things-Star David Harbour vorletztes Jahr als martialischer Weihnachtsmann in Violent Night ungeladene Gäste der Reihe nach und auch blutig genug ins Jenseits beförderte. Violent Night – ein keckes, gar silbentreues Wortspiel. Der Weihnachts-Faktor, sofern sich dieser bemessen ließ, war hoch genug und deutlich höher als bei Stirb langsam, an welchem sich die Geister scheiden, ob er nun in dieses spezielle Genre passt oder nicht. Santa Claus mochte in Tommy Wirkolas actiongeladener Zuckerstange viel Gutes im Schilde geführt haben – allerdings war der Umstand, böse Jungs zu bestrafen, nichts, was der Allmächtige tadeln hätte wollen. Der Equalizer würde das genauso sehen.

Nach Wirkola folgt nun Altmeister John Woo. Die im Jahreskalender der Kinos pflichtmarkierte Actionhülse durfte schließlich auch 2023 nicht fehlen. Diesmal aber ganz ohne Wortspiel. Schlicht und ergreifend als Silent Night – Stumme Rache betitelt, liegt der Clou dieses Streifens darin, gänzlich auf Dialoge zu verzichten. Fast wie Mel Brooks‘ Silent Movie, nur mit Geräuschkulisse. Ein Kniff, der zuletzt im Alienhorror No One Will Save You seine Anwendung fand (zu sehen auf Disney+). Das Donnern von Explosionen, fauchende Projektile und die akkurat gesetzte Handkante muss natürlich den Ton angeben, denn was ist ein Actionfilm ohne Sound Design. Im Mittelpunkt des Geschehens steht Joel Kinnaman als trauernder Familienvater, der im sonnigen Süden der USA das Weihnachtsfest 2022 im Garten seines Anwesens verbringt. Da liefern sich rivalisierende Banden, wohl kaum im Bewusstsein, welcher Tag heute ist, jenseits des Gartenzauns einen Shootout. Eines dieser Projektile trifft den siebenjährigen Sohnemann tödlich. Kinnaman läuft den Gangstern hinterher, durchschwitzt dabei seinen blutverschmierten Rentierpulli, kann nicht mehr klar denken, denn sonst würde er wohl abschätzen können, dass die Wut in dessen Bauch niemanden der bösen Jungs davon abhalten würde, auch ihm den Rest zu geben. Letztlich wird auch er erschossen. Die Kugel tötet ihn zwar nicht, lässt ihn aber verstummen. So plant der finstere, trauernde und wortlose Normalo ein Jahr lang seine Rache – ganz zum Leidwesen der verzweifelten Ehefrau und Mutter, die nicht zu ihrem Gatten durchdringt.

Mehr gibt der Plot von Silent Night – Stumme Rache dann auch nicht her. Das alles ist ein klarer Fall für ein Sequel von Ein Mann sieht rot, Death Wish oder überhaupt eine Neuinterpretation des ganzen trivialen Musters, unbedingt und fast schon erzwungenermaßen getrimmt auf saisonalen Charakter, wie sie Weihnachtsfilme eben haben. Nur spürt man davon nichts. Silent Night – Stumme Rache kann, noch viel mehr als Stirb langsam, überall und irgendwann spielen. Das Übrige ist die Routine eines Rache-Plots, angereichert mit pathetischen Sequenzen, wie sie John Woo gerne inszeniert. Es fliegt viel Blei durch die Gegend, es spritzt das Blut in mehr oder weniger expliziter Martial Art. Es ist ein Film, der allein schon durch das durchschnittliche Spiel von Joel Kinnaman den Moment verpasst, am Zuschauer anzudocken. Die Schlachtplatte am Heiligen Abend zieht vorbei wie der Rentierschlitten am Firmament, weder gelingt die emotionale noch die Thrillerschiene. John Woo lässt es krachen, keine Frage. Für den Moment vielleicht befriedigend, darüber hinaus aber viel zu simpel und schmerzlich vorhersehbar.

Silent Night – Stumme Rache (2023)

A War

PAPA IST IM KRIEG

6,5/10

 

A WAR© 2015 Studiocanal Deutschland

 

LAND: DÄNEMARK 2015

REGIE: TOBIAS LINDHOLM

CAST: PILOU ASBÆK, TUVA NOVOTNY, SØREN MALLING, DULFI AL JABOURI, CHARLOTTE MUNCK, ALEX HØGH ANDERSEN U. A. 

 

Will man wirklich viel über das menschliche Verhalten ganz besonders in weniger alltäglichen Situationen erfahren, will man das Spektrum der individuellen Verantwortung bis zur Grenze ausloten, dann sollte man, ferner man nicht in sachkundigen Büchern darüber schmökern will, das dänische Kino heranziehen. Wer fällt mir da natürlich als erstes ein? Susanne Bier, keine Frage. Thomas Vinterberg natürlich, dessen Familiendrama Das Fest nachhaltig im Magen liegt. Martin Zandvliets Unter dem Sand erschüttert nicht weniger und stellt die Frage der Kriegsschuld mitten in den leeren Raum. Tobias Lindholm schließt sich da an. Sein selbst verfasstes Kriegsdrama mit dem schlichten Titel A War tut sich absichtlich schwer, eine Grenze zu ziehen zwischen dem individuellen Drang, die Liebenden zu schützen und dem entseelten Pragmatismus korrekter Vorgehensweisen im Krieg. Bei Lindholm wissen wir: der Krieg ist nichts für Menschen, denn egal, wie sie sich, wenn es hart auf hart kommt, entscheiden: eine Partei zieht immer den Kürzeren.

Worum geht’s also? Nun, der dreifache Familienvater Claus Michael Pedersen ist Befehlshaber einer Einheit Soldaten, die in Afghanistan einen von Bauern bevölkerten Landstrich sichern sollen. Der wird aber immer wieder von Taliban-Milizen heimgesucht, bevorzugt des Nachts, wenn die ausländischen Krieger in ihren Kojen schlafen und keine Gefahr darstellen. Mit dem Tod ist bei Pedersens Kompanie jederzeit zu rechnen, entsprechend angespannt ist die Situation und spitzt sich zu, nachdem eine von den Taliban bedrohte Familie an der Kaserne um Zuflucht fleht. Das geht natürlich nicht, da könnte ja jeder kommen, die Trennlinie zwischen Zivilisten und Militär muss gezogen bleiben, wir sind ja schließlich Menschen unterschiedlicher Klasse und haben nichts gemein – oder ist in dieser Gleichung da irgendwo der Wurm drin? Das erfährt Pedersen tags darauf am eigenen Leib, als besagte Familie tot in ihrer Hütte liegt – und er selbst mit seinen Leuten ins Kreuzfeuer gerät. Wie aus dieser Situation rauskommen? Befehl an die Luftstreitkräfte: den Angreifer bombardieren, sonst sieht hier keiner den nächsten Morgen. Alsbald stellt sich heraus: das militärische Ziel war eigentlich ein ziviles.

Eines ist ganz klar: A War ist nicht mit Filmen der Art eines Michael Bay wie 13 Hours oder Peter Bergs Lone Survivor zu vergleichen. Lindholms Gleichnis ist um Breitengrade subtiler, und setzt auch rechtzeitig einen viel weiter gefassten Blickwinkel auf die Situation, so wie es einst schon Susanne Bier mit ihrem oscargekrönten Film In einer besseren Welt gemacht hat. Nur so, indem man gleichzeitig zwei völlig gegensätzliche Welten oder gar Genres zusammenbringt, die doch einen gemeinsamen Nenner haben, nämlich den Soldat Pedersen, lässt sich früh erkennen, worauf es hier eigentlich ankommt. Nicht aufs Überleben, nicht auf die Gräuel des Krieges, denn das ist ohnehin klar. Sondern auf die Unmöglichkeit im Krieg, die strategische Vernunft vor persönliche Bindung zu stellen. Der Mensch ist immer noch ein Gefühlswesen, neben den Grundbedürfnissen empfindet er immer noch Angst, Liebe und Wut als die stärksten Triebfedern seines Handelns. Ein Soldat ist schließlich kein Roboter, auch wenn Kubrick in Full Metal Jacket dieses aus seinen Rekruten machen wollte.

Womit ich mir etwas schwer tue, das ist dieses dem Film zugrundeliegende, verantwortungslose Verhalten, das sich natürlich nicht auf den Einsatz in Afghanistan bezieht, sondern auf die eigentliche Entscheidung des Vaters einer fünfköpfigen Familie, die unerlässliche Wichtigkeit einer Vaterfigur hinter berufliches Pflichtgefühl zu stellen – ein Verhalten, das ich nicht nachvollziehen kann. Soldat Pedersen tut es trotzdem – und wird zwangsläufig in den Sog aus Pflicht und Gewissen hineingezogen, was mir allerdings keine Genugtuung verschafft, weil ich mir nicht sicher bin, ob die Erkenntnis letzten Endes genau die war, die ich ihm gewünscht hätte.

A War