Osama

DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT

7,5/10


osama© 2003 Polyfilm 

LAND / JAHR: AFGHANISTAN, JAPAN, IRLAND 2003

BUCH / REGIE: SIDDIQ BARMAK

CAST: MARINA GOLBAHARI, ARIF HERATI, ZUBAIDA SAHAR U. A. 

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Es ist, was viele nicht für möglich hielten, tatsächlich nochmal passiert: Afghanistan ist seit dem 15. August des Jahres wieder in den Händen der Taliban, die, im Eiltempo und einem Virus gleich, das ganze Landüberzogen hat. So leicht lässt sich diese Krankheit wohl nicht mehr abschütteln, denn was nun fehlt, ist das US-Militär. Die ganze Welt harrt an den Grenzen und sieht zu. Fürchtet, auch bald wieder erfahren zu müssen, wie Frauen und ihre Rechte mit Füßen getreten werden. Dieses mal allerdings wollen die Taliban laut Medienberichten moderater auftreten. Angst braucht niemand mehr zu haben. Alles nur ein Lippenbekenntnis? Nach dem von den USA gewaltsam herbeigeführten Ende des Taliban-Regimes anno 2001 hat sich der afghanische Autorenfilmer Siddiq Barmak dieser für Frauen so entsetzlichen, aber überwunden geglaubten Zeit angenommen – und ein so nüchternes wie ernüchterndes Zeitdokument geschaffen. Nach 12 Years a Slave kann ich dieses Werk wohl zu den hoffnungslosesten und deprimierendsten Filmen zählen, die ich jemals gesehen habe.

Wie denn auch etwas anderes erzählen? Alles andere wäre eine Verharmlosung der Tatsachen. Im Film allerdings lassen sich zuversichtliche Alternativen gegen tatsächliche Geschichtsschreibung austauschen. Tarantino hat zum Beispiel Hitlers Schicksal umgeschrieben – oder die Ermordung von Sharon Tate. Warum nicht auch dem Schicksal afghanischer Frauen einen helleren Anstrich verleihen? Warum nicht dort Hoffnung setzen, wo keine ist? Womöglich, weil es Siddiq Barmak viel zu schwer fallen würde, den Ernst des Erlittenen zu übergehen. So lässt der Filmemacher seine 13jährige Hauptdarstellerin Marina Golbahari (ein bemerkenswertes Naturtalent) sprichwörtlich durch einen Dornwald gehen, der nie endet. Ein Leidensweg steht dem Mädchen bevor, das jeden Tag aufs Neue zusehen muss, wie es für sich und ihre Familie an Nahrung kommt. Da der Vater verstorben ist und sich auch sonst niemand findet, um Mutter und Tochter durch Kabul zu geleiten, muss sich letztere kurzerhand als Junge ausgeben. Der Plan geht nach hinten los, als Osama ganz plötzlich zwangsrekrutiert und in die Koranschule gesteckt wird.

Das ist erst der Anfang – vom Ende eines Lebens, das gerade erst begonnen hat. Die Hoffnung, heißt es, stirbt zuletzt. Und zwar tatsächlich, denn Barmak lässt sie sterben, ohne Wenn und Aber, im Gegensatz zum weitaus zuversichtlicheren Animationsdrama Der Brotverdiener, der ebenfalls, und natürlich in erster Linie, von der Verleugnung der Weiblichkeit handelt. Dabei gibt sich der Stil von Osama jedoch keinem nackten Realismus hin, sondern wendet sehr wohl klassische und gut erlernte Methoden einer Bildsprache an, die vieles versinnbildlicht und die weit davon entfernt ist, aus der physischen wie psychischen Gewalt einen marktschreierischen Nutzen zu ziehen. Das tut aber der Intensität dieses fatalen Schicksals keinen Abbruch, ganz im Gegenteil. Die Resignation der einzelnen Menschen ist erschütternder als jeder Aufschrei.

Osama ist ein Film, der zu gegebenem Anlass kaum besser passen würde. Der zeigt, wie sehr das Gewaltregime der Taliban humanistische Fortschritte um Jahrhunderte zurückgeworfen hat. Mal sehen, ob die neue Macht im Land gemäßigter vorgeht. Zu hoffen wäre es. Doch wenn diese Hoffnung stirbt, wissen wir’s.

Osama

Der Brotverdiener

WEIL ICH EIN MÄDCHEN BIN

7/10


breadwinner© 2018 Netflix


LAND / JAHR: KANADA, IRLAND, LUXEMBURG 2017

REGIE: NORA TWOMEY

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): SAARA CHAUDRY, SOMA BHATIA, ALI KAZMI, LAARA SADIQ, ALI RIZVI BADSHAH U. A. 

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Was macht Angelina Jolie eigentlich, wenn sie nicht gerade als Maleficent im Märchenland für Chaos sorgt? Sie produziert und finanziert Werke humanitären Inhalts, wie zum Beispiel diesen Animationsfilm der Kanadierin Nora Twomey (Das Geheimnis von Kells), der sich mit dem Kindsein in Afghanistan der Gegenwart beschäftigt und auf dem Roman Die Sonne im Gesicht von Deborah Ellis basiert, die eine Zeit lang in den Flüchtlingslagern der Region tätig war und so einiges an persönlichen Begegnungen in diese Geschichte einfließen hat lassen. Gäbe es Netflix nicht, hätte ich Der Brotverdiener damals unter den Oscarnominierten 2018 in der Sparte Animationsfilm gar nicht erst wahrgenommen. Zu stark war die Konkurrenz durch Coco – Lebendiger als das Leben. Der Brotverdiener war aber nicht einfach so unter den besten fünf. Wenn es in einem Film um so grundlegende Themen wie Frauenrecht, Gefährdung menschlicher Grundrechte und Fanatismus geht, um verhinderte Kindheiten und politische Willkür, kann sowas ja gar nicht unbeachtet bleiben. Schon gar nicht, wenn so zermürbende Themen so aufbereitet werden, dass auch der Grundschulgeneration sonnenklar einleuchtet, wie man als Mensch leben soll und wie nicht, was man als Mensch dürfen soll und was nicht. So, wie Twomley den Stoff erzählt, kann ein Problemfilm wie dieser familiengerechte Zerstreuung durchaus einmal ablösen, um Umstände auf dieser Welt in den Fokus zu nehmen, die Kinder freilich wissen dürfen. Dazu gehört die Tatsache, dass eben das Glück einer unbeschwerten Kindheit nichts Selbstverständliches ist.

2003 hat der afghanische Filmemacher Siddiq Barmak mit dem Streifen Osama bereits ähnliches erzählt: unter der Besetzung der Taliban dürfen Frauen nicht alleine auf die Straße, da reicht nicht mal die Burka. Das Mädchen Parvana muss eines Tages zusehen, wie ihr ohnehin schon kriegsversehrter Vater von wütenden Taliban-Aufpassern verhaftet wird – wochenlang bleibt dieser verschollen. Das Essen wird knapp, die insgesamt vierköpfige Restfamilie beginnt zu darben. Da hat Parvana eine Idee: sie wird einfach zum Jungen, um zumindest mal das Notwendigste heranschaffen zu können. Und Papa muss auch noch gefunden werden.

Der Zeichenstil dieses Films ist bewusst schlicht gehalten, dennoch haben die Bilder eine ansprechende Tiefe, was natürlich auch an den vorgezeichneten, statischen Hintergrundbildern liegt – ganz so wie Disney das immer schon gemacht hat. Zwischen all dieser eigentlich durchaus dramatischen und berührenden Geschichte öffnet sich eine zweite Erzählebene – illustriert wird hier auf gänzlich andere Art ein Märchen, dass sich Parvana ausdenkt – und im Grunde ihr eigenes Streben widerspiegelt. Mit finsteren Elefanten, Raubtieren und magischen leuchtenden Spiegeln.  Durch diese märchenhafte Komponente fällt es jüngeren Zusehern noch viel leichter, anzudocken. Denn Märchen sind ja von Grund auf nichts für Zartbesaitete, das wissen die Kids. Und entsprechend erträglich werden auch Szenen, die keiner von uns jemals erleben möchte.

Der Brotverdiener hinterlässt einem am Ende mit einem wohligen Gefühl der Zuversicht. Das eine Kindheit wie diese noch nicht ganz verloren ist. Denn die Welt ist groß, und zum Glück eben nicht nur Afghanistan.

Der Brotverdiener

The Outpost – Überleben ist alles

MIT DEM RÜCKEN ZUR WAND

6,5/10


outpost2© 2020 Telepool

LAND: USA 2019

REGIE: ROD LURIE

CAST: SCOTT EASTWOOD, CALEB LANDRY JONES, ORLANDO BLOOM, TAYLOR JOHN SMITH, JACOB SCIPIO, JACK KESY U. A. 

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Ich muss, wie ich finde, kein Stratege sein, um nicht bereits aus der Geschichte gelernt zu haben, dass Bastionen aller Art am besten erhöht errichtet werden. Hügelkuppen, Felsgrate, Hochebenen, irgendwie dort, wo all die Gerüsteten und sich Verteidigenden einen Überblick auf das haben, was Gefährliches auf sie zukommen mag. Die Army dürfte diesen Input zeitweilig ignoriert haben. Anscheinend aber ist dieses tiefe Tal inmitten des Hindukusch und nahe an der Grenze zu Pakistan der einzig wählbare Ort, um ein politisch recht instabiles Gebiet abzudecken. Camp Keating nennt sich dieses mehr schlecht als recht gesicherte Nest, umgeben von bedrohlichen Bergflanken. Hier auszuharren lässt sich salopp als Arschkarte bezeichnen. Denn es vergeht kein Tag, an dem es nicht zu Scharmützeln der Taliban kommt. Ein Alltag, während dem man auf Nadeln sitzt, ruhige Minuten hat man keine. Angesichts begrenzter Mittel zur Verteidigung ist eines ganz wichtig: Ein gutes Verhältnis zu den Menschen, meint Captain Keating, der es schafft, sich mit den Afghanen zu verbrüdern. Als er fällt, tut sich ein neues Machtvakuum auf – und der Frieden scheint zu kippen.

The Outpost von Rod Lurie war einer der Filme, die noch vor dem Herbst-Lockdown in den Kinos liefen – und eine Episode aus der jüngeren amerikanische Militärgeschichte erzählt, auf die der US-Verteidigungsminister wohl wirklich nicht stolz gewesen sein konnte. Die Vernichtung des Camp Keating hatte nämlich ungefähr genauso viel Mehrwert wie das Verheizen junger Männer in Oliver Stones Platoon, in Hamburger Hill oder Mel Gibsons Hacksaw Ridge

The Outpost fängt mehr oder weniger recht sachte an, er schildert den Alltag, kurze Feuergefechte, gezielte Artillerie, dann wieder Freizeit, zwischenmenschliche Auseinandersetzungen, was eben so dazugehört, wenn man als Soldat im Ausland Dienst schiebt. Fast ist es wie in Sam Mendes Jarhead – das immer gleiche Prozedere. Dann, in der zweiten Hälfte des Films oder gar im letzten Drittel, nachdem die vielen Namen nun auch ihre Gesichter gefunden haben, bricht die Hölle los. Rod Lurie inszeniert diese Schlacht um Fort Keating mit sicherer Hand und so intensiv, dass der Detonationsstaub zwischen den Zähnen knirscht. Hier fliegt alles um die Ohren, was nicht niet- und nagelfest ist, hier begeben sich Scott Eastwood und Co in einen distanzlos abgefilmten Dauerstress, der nicht ohne posttraumatische Belastungsstörung ausgehen kann. Doch wie geistesgegenwärtig und mit welcher Teamfähigkeit all die Männer agieren, ist faszinierend. Aus diesem ganzen Getöse sticht die Figur des Staff Sergeant Ty Carter am stärksten hervor. Schauspieler Caleb Landry Jones verkörpert diesen schwer einschätzbaren Charakter, der zwischen Panik und Pflichtgefühl Unglaubliches vollbringt, mitreißend und enorm glaubwürdig, ganz ohne Pathos, ganz ohne religiöse Motivation, sondern einfach nur in manischem Altruismus. Dieser gemeinsame Schulterschluss ums Überleben ist gleichsam berührend wie in seiner filmischen Umsetzung entsprechend hektisch, lärmend und blutig. 

Den stolzen Salut auf Kosten militärkritischer Untertöne konnte sich Rod Lurie letzten Endes dann doch nicht verkneifen.

The Outpost – Überleben ist alles

A War

PAPA IST IM KRIEG

6,5/10

 

A WAR© 2015 Studiocanal Deutschland

 

LAND: DÄNEMARK 2015

REGIE: TOBIAS LINDHOLM

CAST: PILOU ASBÆK, TUVA NOVOTNY, SØREN MALLING, DULFI AL JABOURI, CHARLOTTE MUNCK, ALEX HØGH ANDERSEN U. A. 

 

Will man wirklich viel über das menschliche Verhalten ganz besonders in weniger alltäglichen Situationen erfahren, will man das Spektrum der individuellen Verantwortung bis zur Grenze ausloten, dann sollte man, ferner man nicht in sachkundigen Büchern darüber schmökern will, das dänische Kino heranziehen. Wer fällt mir da natürlich als erstes ein? Susanne Bier, keine Frage. Thomas Vinterberg natürlich, dessen Familiendrama Das Fest nachhaltig im Magen liegt. Martin Zandvliets Unter dem Sand erschüttert nicht weniger und stellt die Frage der Kriegsschuld mitten in den leeren Raum. Tobias Lindholm schließt sich da an. Sein selbst verfasstes Kriegsdrama mit dem schlichten Titel A War tut sich absichtlich schwer, eine Grenze zu ziehen zwischen dem individuellen Drang, die Liebenden zu schützen und dem entseelten Pragmatismus korrekter Vorgehensweisen im Krieg. Bei Lindholm wissen wir: der Krieg ist nichts für Menschen, denn egal, wie sie sich, wenn es hart auf hart kommt, entscheiden: eine Partei zieht immer den Kürzeren.

Worum geht’s also? Nun, der dreifache Familienvater Claus Michael Pedersen ist Befehlshaber einer Einheit Soldaten, die in Afghanistan einen von Bauern bevölkerten Landstrich sichern sollen. Der wird aber immer wieder von Taliban-Milizen heimgesucht, bevorzugt des Nachts, wenn die ausländischen Krieger in ihren Kojen schlafen und keine Gefahr darstellen. Mit dem Tod ist bei Pedersens Kompanie jederzeit zu rechnen, entsprechend angespannt ist die Situation und spitzt sich zu, nachdem eine von den Taliban bedrohte Familie an der Kaserne um Zuflucht fleht. Das geht natürlich nicht, da könnte ja jeder kommen, die Trennlinie zwischen Zivilisten und Militär muss gezogen bleiben, wir sind ja schließlich Menschen unterschiedlicher Klasse und haben nichts gemein – oder ist in dieser Gleichung da irgendwo der Wurm drin? Das erfährt Pedersen tags darauf am eigenen Leib, als besagte Familie tot in ihrer Hütte liegt – und er selbst mit seinen Leuten ins Kreuzfeuer gerät. Wie aus dieser Situation rauskommen? Befehl an die Luftstreitkräfte: den Angreifer bombardieren, sonst sieht hier keiner den nächsten Morgen. Alsbald stellt sich heraus: das militärische Ziel war eigentlich ein ziviles.

Eines ist ganz klar: A War ist nicht mit Filmen der Art eines Michael Bay wie 13 Hours oder Peter Bergs Lone Survivor zu vergleichen. Lindholms Gleichnis ist um Breitengrade subtiler, und setzt auch rechtzeitig einen viel weiter gefassten Blickwinkel auf die Situation, so wie es einst schon Susanne Bier mit ihrem oscargekrönten Film In einer besseren Welt gemacht hat. Nur so, indem man gleichzeitig zwei völlig gegensätzliche Welten oder gar Genres zusammenbringt, die doch einen gemeinsamen Nenner haben, nämlich den Soldat Pedersen, lässt sich früh erkennen, worauf es hier eigentlich ankommt. Nicht aufs Überleben, nicht auf die Gräuel des Krieges, denn das ist ohnehin klar. Sondern auf die Unmöglichkeit im Krieg, die strategische Vernunft vor persönliche Bindung zu stellen. Der Mensch ist immer noch ein Gefühlswesen, neben den Grundbedürfnissen empfindet er immer noch Angst, Liebe und Wut als die stärksten Triebfedern seines Handelns. Ein Soldat ist schließlich kein Roboter, auch wenn Kubrick in Full Metal Jacket dieses aus seinen Rekruten machen wollte.

Womit ich mir etwas schwer tue, das ist dieses dem Film zugrundeliegende, verantwortungslose Verhalten, das sich natürlich nicht auf den Einsatz in Afghanistan bezieht, sondern auf die eigentliche Entscheidung des Vaters einer fünfköpfigen Familie, die unerlässliche Wichtigkeit einer Vaterfigur hinter berufliches Pflichtgefühl zu stellen – ein Verhalten, das ich nicht nachvollziehen kann. Soldat Pedersen tut es trotzdem – und wird zwangsläufig in den Sog aus Pflicht und Gewissen hineingezogen, was mir allerdings keine Genugtuung verschafft, weil ich mir nicht sicher bin, ob die Erkenntnis letzten Endes genau die war, die ich ihm gewünscht hätte.

A War

Vice – Der zweite Mann

DIE STAATEN BIN ICH

8,5/10

 

vice© 2019 Universum

 

LAND: USA 2019

REGIE: ADAM MCKAY

CAST: CHRISTIAN BALE, AMY ADAMS, STEVE CARELL, SAM ROCKWELL, EDDIE MARSAN, JESSE PLEMONS U. A.

 

Fahrenheit 9/11, oder 11/9 – wie auch immer. Mit Adam McKays Rückblick auf die politischen Umstände in den USA von den 90ern bis nach der Jahrtausendwende wird es deutlich wärmer, wenn nicht gar so heiß, dass man sich sämtlicher Scheuklappen, die womöglich erschreckende Zusammenhänge verbergen, entledigen möchte. Vice – Der zweite Mann schlägt gefühlt alle scheinbar so launigen wie persönlich gefärbten Dokusoaps eines Michael Moore um Längen, schon alleine von der Konzeption her, und ist die deutlich bessere Wahl, wenn es darum geht, die Mechanismen politisch motivierter Egomanen zu entbeinen. Vice, das ist nicht unbedingt in erster Linie die dramaturgische Passform für erlesene Schauspielkunst. Das ist es auch, aber nicht vorrangig. Vice, das ist natürlich auch eine Meinung, so wie Michael Moores Filme Meinungen vertreten. Fakten auf eine reine Objektivität herunterzubrechen, damit tut sich das Genre des erhellenden Dokumentarfilms ohnehin schwer, obwohl der Anspruch auf Unbefangenheit ein erfüllter sein will. McKay gelingt es, die Chronik der Ereignisse rund um einen schattenhaften Regierungs-VIP zumindest auf solche Art in die teils frei interpretierte True Story einzustreuen, dass sie einem Modul gleich immer noch bei Bedarf entnehmbar bleibt, wie das Corpus delicti bei einem Prozess. Natürlich kann ich mich der Richtigkeit all der Fakten nicht versichern, dazu fehlt mir die Zeit, das überlasse ich Leuten, die so tun, als wären sie Journalisten vom Kaliber eines Bob Woodward oder Carl Bernstein, und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich das auch bei Adam McKay glauben. Aber Adam McKay ist ein Komiker, einer, der die erogenen Zonen der Macht ertasten kann und messerscharfe Satiren schreibt, der mit Tina Fey gemeinsam gearbeitet hat, der ähnlich unserer Staatskünstler im ORF reingewaschener Politik das Wilde herunterräumt und dabei fast schon investigativ wirkt. Diese als Semidokumentation getarnte Teilbiographie eines stillen Wüterichs ist keine reine Satire an sich, denn dann hätten wir eine Burleske wie The Death of Stalin. Eine reine Satire aus Vice zu machen wäre aber auch am Ziel vorbei, denn erschreckenderweise braucht McKay in seinem Film kaum wirklich Raum, um dramaturgischen Übertreibungen Luft zu machen. Wie schwer sich Satire tun kann, den unglaublichen Begebenheiten der realen Regierungsgeschichte Nordamerikas den Rang abzulaufen, in diesem Punkt lässt Vice ziemlich tief blicken.

Die Skandale ausgehend vom 11. September und George W. Bushs Machtdemonstration ist uns allen – eben auch spätestens seit Moores polemischem Fahrenheit 9/11 – weitestgehend bekannt. Dass der Irak vorrangig aus wirtschaftlichem Interesse okkupiert wurde und auch der Terrorist az-Zarqāwī erst durch die USA selbst erstarkte, wie zuvor schon Osama Bin Laden (der im Afghanistankrieg von den USA bis an die Zähne bewaffnet wurde), entlockt kaum mehr ein überraschtes Aha.  Dass Adam McKay seine Version des George W. aber keineswegs (wie auch all die anderen Persönlichkeiten) dem Gespött preisgibt und ihm sprichwörtlich die Hosen runterzieht, während er vor dem Volk predigt, kommt dann doch unerwartet. Der von Sam Rockwell erstaunlich gut imitierte Präsidenten-Cowboy bleibt maximal ein Naivling, eine Marionette, die glaubt, autark zu handeln, dabei aber von unsichtbaren Kräften geführt wird, deren Oberhaupt der scheinbar unscheinbare Dick Cheney sein könnte, ein lakonischer Kauz von Politiker, der sich, wäre nicht seine Frau Lynne gewesen, in jungen Jahren womöglich in den Notstand gesoffen hätte. Wir wissen, es ist anders ausgegangen, und Cheney wird sich mit dem harmlos scheinenden Äußeren eines bequemen Onkels an die Spitze der Macht aalen, wie einst und vor vielen hundert Jahren ein gewisser Thomas Cromwell, der König Heinrich VIII regieren hat lassen, allerdings nach seinem Gutdünken, und stets nah am Verrat an seinem Herren über selbigem hinwegentschieden hat, nur um sich dann wieder auf dessen angebliche Entscheidungen zu berufen. Cromwell war der Mann im Hintergrund, und gleichzeitig das Schreckgespenst einer sündenbockenden Henkerspolitik. Wir sehen: Geschichte wiederholt sich, und auch das finstere Erbe mittelalterlicher Machtgier war mit im Gepäck der ersten europäischen Siedler nach Übersee. Die Schemata sind also die gleichen, nur Cromwell wird selber Opfer seiner Politik, während Cheney scheinbar die Absolution von irgendwo oben erhält, um seine Interessen zu wahren. Mit höherer Gerechtigkeit hat das Ganze gar nichts mehr zu tun, die gibt es nicht in McKays sezierendem Drama, das die Absurdität der Tatsachen in galligen Sarkasmus kleidet, nur um nicht überzuschnappen in Anbetracht einer Paranoia auslösenden Willkür von wenigen, die das Land der unbegrenzten Möglichkeiten matt setzen. Bleibt nur noch ein Gott, der Blitze schleudert – aber das tut er nicht. Diese Ohnmacht hat schon Karl Kraus in seinem Opus Magnum Die letzten Tage der Menschheit bis zum Exzess beschrieben – und tatsächlich finden sich in Vice Szenen, die den Visionen des kritischen Denkers entnommen sein könnten. Wenn Cheney mit Rumsfeld, Wolfowitz und Powell fein diniert und das Menü, bestehend aus Angstmache, Folter und der Theorie der einheitlichen Exekutivmacht wählt, dann wähnt man sich in einer der bizarren Szenen von Kraus´ Tragödie in 5 Akten. Wenn Cheney und Ehefrau Lynn im ehelichen Bett plötzlich anfangen, in shakespeare’schen Floskeln zu sprechen, erreicht Vice satirische Spitzen von einprägsamer Wucht und schafft erst durch solche Übertreibungen, die unerhörte, scheinbar willkürliche Niedertracht wie das pochende Herz Dick Cheneys mit beiden Händen zu fassen. Das ist schon bitteres, intelligentes Kino mit Verstand und nagendem Gewissen, dazu noch ohne viel liberaler Gutmenschtümelei des Verfassers.

Was Christian Bale betrifft – der hat zum Glück nicht so viel Makeup benötigt wie letztes Jahr Gary Oldman in Die dunkelste Stunde. Bale ist ja bekannt für seine Bereitschaft zum Jojo-Schauspieler, breiter kann das Spektrum an Rollen kaum sein, wenn wir uns auf der einen Seite mal Filme wie The Machinist oder Rescue Dawn hernehmen, wo der gebürtige Waliser als Schatten seiner selbst dahinvegetiert – und auf der anderen Seite eben Filme wie Vice, wo Bale womöglich mit wenigen Kniffen bis zur Unkenntlichkeit adaptiert und mit Schmerbauch den feisten Polit-Kalifen gibt. Das ist schon eine Sensation, was da geht – und womit eigentlich das ganze Ensemble spielfreudig miteifert, wobei Sam Rockwell und Steve Carell als werteverachtender Rumsfeld Performance-Gigant Bale fast schon die Show stehlen.

Vice ist, obwohl er in der jüngeren Geschichte nach Schuldigen fischt, gerade mit dieser Vergangenheit, aus der wir lernen sollten, ein klug konstruiertes Meisterwerk, dass die Schuppen von den Augen friemelt, dass die eigene rosarote Brille putzt und mit Komplementärverstand die schmeichelnde Farbe der eigenen Verdrängung wegfiltert. Zu Recht für den Oscar als bester Film nominiert, ist dieses großartige Stück Politkino im Gewand einer Art Lebensbeichte ein wichtiger, wenn auch peinlich berührender Knüppel zwischen den Beinen einer „Weltpolizei“, die eigentlich ihr Amt missbraucht hat.

Vice – Der zweite Mann

Operation: 12 Strong

DER KRIEG, EIN ABENTEUER!

5/10

 

12strong© 2000 – 2017 Concorde Filmverleih GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: NICOLAI FUGLSIG

MIT CHRIS HEMSWORTH, MICHAEL SHANNON, MICHAEL PENA, WILLIAM FICHTNER U. A.

 

Damals war es Papst Urban II. Heute sind es die Medien. Der Anschlag auf das World Trade Center im September 2001 ist wohl das ausgefeilteste filmisch dokumentierte Grauen der Neuzeit nach dem zweiten Weltkrieg. Bildmaterial, das vor allem das Herz eines amerikanischen Patrioten auf ganz besondere Weise berührt. Noch dazu, wenn dieser Patriot ohnehin schon Militärdienst leistet. Dieses ehrbare Pflichtgefühl – das sind Emotionen, die können wir hier in Europa gar nicht so richtig nachvollziehen. Schon gar nicht in Österreich – da gibt es zwar auch Patrioten, aber immerhin mit der Fußnote des Opportunismus. Das ist in den USA nicht der Fall. Da gibt es Demokraten und Republikaner. Und Republikaner – die stehen auf für ihr Land, wenn es ums Kämpfen geht. Da greift so manch einer schleunigst zum Schlüsselbund, setzt sich ins Auto und fährt zur nächsten Kaserne, um sich aktiv einer Task Force anzuschließen, die sofort und ohne Abwägen von Vor- und Nachteilen in die Höhle des Löwen reisen soll, um der teuflischen Al-Kaida zu zeigen, wo Thor´s Hammer hängt.

Und ja, ich meine Thor´s Hammer. Denn Chris Hemsworth, Marvel´s führendes Einauge nach Samuel L. Jackson als Nick Fury, ist in Operation: 12 Strong derjenige, der seiner Tochter erklären muss, dass ihr Papa nur mit Restrisiko wieder heimkehren wird. Das mag zwar eine der ersten Szenen des Filmes sein, aber spätestens da stellen sich bei mir schon die Nackenhaare auf. Wenn Heimatland vor Familie kommt, mag Hopfen und Malz verloren sein. Schon denke ich wieder an Papst Urban. Gut, das war das Mittelalter. Und gut, da gab es Lehensherren und Treueschwüre, die Pflicht, für den König zu kämpfen. Man könnte also annehmen, das Mittelalter haben wir weit hinter uns gelassen, die Bezwingung des Bösen unter Einsatz des eigenen Lebens in der Hoffnung auf Absolution. Bis auf die Absolution, die keiner mehr braucht, lässt sich das Konzept zumindest in Operation: 12 Strong bequem in die Gegenwart transportieren. Damit steht aber der makellose, zum Abenteuerfilm aufgerüschte Kriegsfilm sicherlich nicht alleine da. Obwohl ich aber auch hier dachte, dass wir diese Art von Film hinter uns gelassen haben. Missing in Action mit Chuck Norris, die Rambo-Sequels, bis – um noch weiter zurückzureisen – Steiner: Das eiserne Kreuz oder die Kanonen von Navarone oder wie diese Helden-Epen mit Stahlhelm, Panzer und MP alle heißen. Für den Kriegsfilm, vor allem aber auch für den vom amerikanischen Verteidigungsministerium gesponserten Kriegsfilm, gibt es immer eine freie Bettstatt. Der wird auch angesichts mangelnder Einkünfte nicht schwinden. Dazu ist die Lobby, die überall ihre Munition ins Spiel bringt, zu groß, zu stark, bis an die Zähne bewaffnet.

Also schwingt sich Das dreckige Dutzend unter Schreibtischhengst Thor auf die afghanischen Rösser, um den Taliban-Eiterherd am Hindukusch auszumerzen. Da vermisse ich jetzt schon die Gesichter eines Lee Marvin, Robert Mitchum oder James Coburn. Dafür schenkt uns Regisseur Fuglsig das hypnotische Charisma eines Michael Shannon oder die mutige Bereitschaft eines Michael Peña. Die sind natürlich längst nicht solche Westernhelden wie damals in den 70er Jahren, auch viel differenzierter in ihrem Spiel – was aber für Operation: 12 Strong nicht als Defizit zu vermerken ist. Davon hat sich auch Chris Hemsworth einiges abgeguckt – und gebärdet sich als Selbstfindungs-Krieger mit Herzblut gar nicht mal so schlecht. Wobei die Rückwandlung zum rechtzeitig zu Weihnachten heimkehrenden Familienmenschen jegliche Glaubwürdigkeit entbehrt. Aber war’s nicht tatsächlich so? Da müsste man den echten Captain Mitch Nelson fragen.

Hätten die Kreuzritter damals schon Kino gehabt, hätten sie diesen Film geliebt. Und wären nachher gleich nochmal in die Schlacht gezogen. Weil das Herz eines Kriegers… ok, lassen wir das. Es war ja wirklich eine erfolgreiche Mission, von der alle Beteiligten, also zumindest alle beteiligten Amerikaner, heil wieder zurückgekehrt sind. Helden des Krieges, die gab es so schon lange nicht mehr. So richtig unkritisch, tadellos und aufrichtig. Es lebe das unreflektierte, geradlinige, schnörkellose Gefechtskino weit jenseits eines Michael Cimino oder Oliver Stone. Und sogar weit jenseits eines Clint Eastwood, der mit American Sniper eine deutlich ambivalentere (Anti)helden-Exegese in Szene gesetzt hat. Wer also das Genre des Kinos gerne auf ausgefeilte Pyrotechnik und Munitionsverschleiß heruntergebrochen sehen möchte und sich einmal nicht kritisch mit der Rechtfertigung militärischer Intervention auseinandersetzen will, der kann bei Operation: 12 Strong gut und gerne mitfiebern. Nur die in Captain America zynisch beäugte, aber hier keineswegs als solche ausgewiesene Propaganda selbstloser Kriegsidealisten und die damit einhergehende Wandlung zu einem Lawrence zwar nicht von Arabien, aber von Afghanistan wird womöglich sauer aufstoßen.

Operation: 12 Strong

Thank you for Bombing

REPORTER DES SATANS

* * * * * * * * * *

thankyoubombing

Sorry gleich vorweg – aber die Wahl des einleitenden Titels für meine Rezension zu Barbara Eders eben erst mit Filmpreisen überhäuften Episodenfilm muss auf die schon recht abgedroschene, aber unglaublich passende Floskel aus Billy Wilders Filmklassiker fallen. Nicht anders, und wenn, dann nur mit viel mehr Worten kann der für österreichische Verhältnisse relativ untypische Film beschrieben werden. Dabei ist es nur positiv zu bewerten, dass es FilmemacherInnen gibt, die sich an Genres heranwagen, für die unser kleines Land nicht gerade bekannt ist.

Der bittere, enorm zynische Reigen rund um das Geschäft der Kriegsreportage beginnt wie ein Fiebertraum von Friedrich Orter und endet mit konsequenter Radikalität, die an David Fincher´s Fight Club erinnert. Mit Thank you for Bombing ist Barbara Eder tatsächlich etwas Bemerkenswertes gelungen, so verstörend die einzelnen Episoden auch sein mögen. Oder vielleicht sogar deswegen. Wenn Erwin Steinhauer, wohl einer der besten Schauspieler unseres Landes, am Wiener Flughafen am Rande eines Nervenzusammenbruchs wandelt, vermutet der Zuseher bisweilen immer noch gediegenes, aber eher zaghaftes Thrillerkino mit Suspense-Faktor, um schon bei der nächsten Episode, die dann bereits in Afghanistan spielt, den gnadenlosen Sarkasmus Eders auf voller Breitseite abzubekommen. Hier erleben wir den brillanten, wenn auch beklemmend unangenehmen Höhepunkt des Filmes, der an Brutalität und galligem Spott kaum zu überbieten ist. Die Episode über obsessivem Ehrgeiz, Geltungsdrang und Erfolgssucht ist knochenharte Satire und ausgefeiltes dramaturgisches Theater, die den Qualitäten eines Quentin Tarantino um nichts nachsteht. Dicht genug, um zu packen, erstaunlich entlarvend und den Kern der Aussage auf den Punkt gebracht. Allerdings würden jetzt wohl sensiblere Gemüter dann doch lieber den Film wechseln. Doch dranbleiben lohnt sich – das bizarre Finale ist wieder eine Klasse für sich, irgendwo zwischen Breaking Bad und dem südamerikanischen, ebenfalls in Episoden gegliederten Film Wild Tales. Die Groteske spitzt sich zu, verläuft in der Wüste und treibt das Zerrbild des isolierten, mit sich selbst und seinen Albträumen kämpfenden, nach Gefahr lechzenden Medienhelden an die Spitze. Bereit, ihr Leben zu geben. Sich selbst nur in Ausnahmesituationen zu spüren, das eigene Seelenheil im Leiden der anderen zu finden – damit beendet Barbara Eder ihr Requiem auf den inszenierten Krieg im Fernsehen, verstärkt durch einen Knalleffekt, der alle drei Stories letzten Endes doch noch auf einen Nenner bringt. Das Grauen senkt sich über Kabul, und das Fernsehen hat Top-Quoten.

Thank you for Bombing taucht seine Geschichten in scheinbar postapokalyptische, kühle, faszinierende Bilder und findet für seine narzisstischen, paranoiden und obsessiven Protagonisten die ideale Besetzung. Tatsächlich wurde der Film teilweise in Afghanistan gedreht, die Szenen in der Wüste stammen aus Jordanien. Beides gemeinsam verleiht dem ganzen erschreckende Authentizität, in welcher sich die Absurdität der Lust am Krieg umso beklemmender visualisiert.

Das Antikriegs- und Mediendrama ist gleichermaßen ein vernichtendes Pamphlet gegen Sensationsjournalismus, Gier und notwendige Gewalt, der als Zweck die Mittel heiligt. In Thank you for Bombing ist gar nichts mehr heilig. Barbara Eder lädt ein zu einer Radikalkur, die unangenehm nachhallt, aber gezielt ins Schwarze trifft. Wieviel Wahrheitsgehalt hinter ihrer polemischen Reportage steckt, lässt sich nur vermuten – großes, konzentriertes Kino auf internationalem Niveau ist es aber allemal. Spannend, aufrichtig und gemein wie ein böser Scherz.

Thank you for Bombing