How to Make a Killing (2024)

FARGO IM WEIHNACHTSPULLI

6/10


© 2025 Gaumont


LAND / JAHR: FRANKREICH 2024

REGIE: FRANCK DUBOSC

DREHBUCH: FRANCK DUBOSC, SARAH KAMINSKY

KAMERA: LUDOVIC COLBEAU-JUSTIN, DOMINIQUE FAUSSET

CAST: FRANCK DUBOSC, LAURE CALAMY, BENOÎT POELVOORDE, JOSÉPHINE DE MEAUX, MEHDI MESKAR, KIM HIGELIN, TIMÉO MAHAUT, EMMANUELLE DEVOS, ANNE LE NY, LOUKA MELIAVA U. A.

LÄNGE: 1 STD 53 MIN



Ruhe, bitte!

Wieder einmal kam ich in den zweifelhaften Genuss einer Kinovorstellung, die durch einen weiteren Gast so konsequent gestört wurde, dass es letztlich unmöglich war, in How to Make a Killing auch emotional einzutauchen. Wie man also jemanden umbringt, war mir letzten Endes klar – mitgerissen hat mich die schwarze Thrillerkomödie aber leider kein bisschen. Das wäre anders gewesen, wäre die schwer alkoholisierte oder aber auch mit andren Substanzen zugedröhnte Dame hinter mir, die irgendwann dann doch noch den Saal verließ auf Bitten ihrer Begleitung, nicht wiedergekommen. In solchen Momenten wünscht man sich vom Kinosaal ins Heimkino – oder aber sein Geld zurück.

Ein Bärendienst fürs Weihnachtsgeld

Wie dem auch sei – und ja, ich habe versucht, den permanenten Off-Kommentar aus dem Publikum auszublenden: Mit diesem französischen Knaller könnte man sogar von einem Weihnachtsfilm der anderen Art sprechen, abseits von RomCom, Kitsch und Weihnachtsmann. Wenige Tage vor dem Heiligen Abend wird die die tief verschneite Landstraße zum Laufsteg für einen Braunbären, den es, wie mehrmals betont wird, in diesen Breiten ja eigentlich gar nicht geben soll. Doch Meister Petz, der vorher noch eine Truppe Drogenkuriere im unwegsamen Tann verschreckt hat, stellt sich nun dem Auto von Christbaumverkäufer Michel in den Weg. Der weicht aus – und rammt am Straßenrand ein parkendes Auto, was zur Folge hat, dass die Dame im Wagen ungefähr ähnlich lädiert ist wie die Karosserie und sich davon auch nicht mehr erholen wird. Der andere, ihr Partner, fällt vor Schreck ins Gehölz und segnet ebenfalls das Zeitliche. Im Kofferraum der Schrottkarre finden Michel und seine Frau jede Menge Kohle, die sie natürlich einheimsen, braucht das Xmas-Unternehmen doch ohnehin längst eine Finanzspritze. Somit hat die kauzige, liebevolle Kleinfamilie einerseits ein leises schlechtes Gewissen, andererseits ein nettes Weihnachtsgeld und es ist ja nicht so, dass die beiden Leichen so ganz plötzlich verschwinden müssen. Sie werden verlagert, an einen ganz anderen Ort – womit die Karten neu gemischt werden.

Groteske ohne viel Charakter

Franck Dubosc (Die Rumba-Therapie, Liebe bringt alles ins Rollen) hat sich von der französischen Romantikkomödie zwischenzeitlich verabschiedet und, wie es scheint, dem großen Vorbild der Coen-Brüder, nämlich Fargo, nachgeeifert. So staubtrocken und subversiv ist How To Make a Killing allerdings nicht geworden, denn schließlich lässt es sich drehen und wenden wie man will, den französischen Stil zwischen Chanson-Charme und kecker Louis de Funes-Komödie wird man in diesen Breiten einfach nicht los. Passt das denn überhaupt so zusammen, wenn der Tod auf skurrile Weise seinen Tribut fordert und das organisierte Verbrechen auch noch im wahrsten Sinne des Wortes hereinschneit, um Chaos zu stiften? Vielleicht mag das die Krux gewesen sein, die dazu geführt hat, dass das Duo Franck Dubosc und Laure Calamy (Julie – Eine Frau gibt nicht auf) als pseudokriminelle Improvisateure nicht so recht überzeugen. Einzig Benoît Poelvoorde, der schon in Quentin Dupieux surrealer Krimisatire Die Wache als Polizeiermittler glänzen konnte, trifft mit seinem Gespür für Situationskomik so ziemlich ins Schwarze. Und zugegeben: die verbalen Verwechslungen und schrägen Interpretationen zünden tatsächlich. Gerade der Wortwitz hat so seine Momente, wohingegen der wohldosiert blutige Kriminalreigen zu gefällig und boulevardesk wirkt, um anders oder gar besser zu sein als andere Komödien dieser Art. Franzosen können vieles: Tragikomödien, Krimikomödien, Krimis ohne Komödie und selten auch Horror. Den lakonischen Dorfthriller im bizarren Weihnachtspulli-Look, das bekommen sie dann doch nicht so hin. Was hauptsächlich an den austauschbaren Charakteren liegt, die viel lieber Beziehungen erörtern als die Frage, wohin mit dem nächsten Toten.

Fürs Ende macht die Dame hinter mir endlich wieder den Abgang, in den letzten Minuten finde ich mich also wieder rein in dieses französische Winterwonderland mit Blut an der Baggerschaufel und denke darüber nach, das Ganze vielleicht nochmal im Heimkino nachzuholen. Während einer stillen Nacht.

How to Make a Killing (2024)

Julie – eine Frau gibt nicht auf (2021)

DIE GEHETZTE VON PARIS

6,5/10


julie© 2021 Novoprod Fugu Films


ORIGINALTITEL: À PLEIN TEMPS

LAND / JAHR: FRANKREICH 2021

REGIE / DREHBUCH: ERIC GRAVEL

CAST: LAURE CALAMY, ANNE SUAREZ, GENEVIÉVE MNICH, NOLAN ARIZMENDI, CYRIL GUEÏ, LUCIE GALLO, SASHA LEMAÎTRE CREMASCHI, AGATHE DRONNE U. A.

LÄNGE: 1 STD 25 MIN


An jedem Tag muss die Schlacht des Alltags geschlagen werden. Jeden Tag, ist es nicht das ewig herbeigesehnte Wochenende, reißen uns in aller Herrgotts Früh technische Gerätschaften wie auch immer aus dem Schlaf. Jeden Tag müssen wir gefallen, funktionieren, das Beste geben. Wo ist die Work-Life-Balance denn eigentlich hin? Sie wird zur netten Theorie, die man anstreben, aber nie umsetzen kann. Denn das Beste ist oft nicht gut genug. Und will man mal das Beste auch energisch durchsetzen, sind die, von denen man schließlich abhängig sein muss, am Besten nicht interessiert. Denn Julie, zweifache Mutter und geschieden, muss tagtäglich aus einem Vorort vor Paris in die Stadt pendeln, um ihrer Arbeit als Reinigungskraft in einem Nobelhotel nachgehen.

Blöd nur, dass die Gewerkschaften der Fahrbediensteten allesamt streiken und Julie ordentlich hudeln muss, um zeitgerecht ihre Arbeit zu beginnen. Wie immer im Leben kommt alles zusammen, was man gut und gerne übers Jahr verteilen könnte. Erschwerend zu diesem logistischen Engpass kommt die Chance auf einen Jobwechsel inklusive Bewerbungsgespräche, die kaum während der regulären Arbeitszeit unterzubringen sind. Als ob das nicht reichen würde, quält die Bank mit der Aufforderung, endlich die Raten fürs Haus zu bezahlen. Und überhaupt sieht sich die betagte Nachbarin nicht mehr imstande, die beiden Kinder zu betreuen. Eine andere oder ein anderer hätte angesichts dieser übermannenden Schwierigkeiten entweder längst resigniert oder wäre Amok gelaufen wie Michel Douglas in Falling Down. Julie, überzeugend dargeboten von Laure Calamy, mit all den Nuancen zwischen Ehrgeiz, Überlebenswillen und Erschöpfung, lässt diese schwierige Zeit aber nicht zu ihrem eigenen Waterloo werden. Sie geht Risiken ein, um all das gleichzeitig zu stemmen. Der sozialpolitische Hintergrund mit den urbanen Streiks und den bürgerkriegsähnlichen Unruhen in den Banlieues lässt Eric Gravels Film erscheinen wie ein semidokumentarisches Drama der Gebrüder Dardenne (Zwei Tage, eine Nacht mit Marion Cotillard), allerdings nur gelegentlich, denn so ausgesprochen kontrastreich und nüchtern wie deren Werke ist Julie – eine Frau gibt nicht auf (im Original schlicht und einfach A Plein temps – Vollzeit) nicht geworden. Hinter Calamys überaus charmanter und reizender Art, die Dinge zu meistern, scheint man fast eine französische Komödie zu vermuten, und die Tonalität ist weicher, geschmeidiger und auf weniger Reibung aus. Die Reibung entsteht aus den schwierigen Umständen, die sich immer höher auftürmen, bis gar nichts mehr geht. Ist Julie die Chronologie eines Burnouts? Wohl eher die rastlose, umtriebige und durchgetaktete Beobachtung des Alltags einer Durchschnittsbürgerin, die Hürden überwinden muss, welche tausendfach anderswo genauso existieren. Der Fokus aufs Individuum aber lässt dieses Bravourstück eines Spagats zwischen Ausbeutung, sozialer Ignoranz und doch auch aufkeimender Solidarität zwischen den Leidtragenden zu einem abenteuerlichen Thriller werden, der in einer Filmrealität spielt, die der Protagonistin nicht so kaltschnäuzig gegenübersteht wie in den Filmen der Dardennes. Das Schicksal fordert Julie zwar heraus, behält sie aber in seiner Gunst.

Dass Calamys Figur die Dinge wohl letztlich nicht doch hinbiegen wird, steht niemals wirklich zur Debatte. Und dennoch hetzt und hechelt man mit, wenn die Getriebene von Paris alles gleichzeitig und am besten gestern meistern muss. Dass manche Faktoren wohl im Vorfeld besser durchdacht hätten werden können, will man Julie am liebsten gar nicht nachsehen – doch selbst hätte man wohl auch das eine oder andere nicht beachtet und es sich schwieriger gestaltet als nötig.

Julie – eine Frau gibt nicht auf (2021)

Der Flohmarkt von Madame Claire

NACHLASS ZU LEBZEITEN

5/10

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flohmarktmadameclaire© 2019 Neue Visionen

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LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: JULIE BERTUCCELLI

CAST: CATHERINE DENEUVE, CHIARA MASTROIANNI, SAMIR GUESMI, LAURE CALAMY, OLIVIER RABOURDIN U. A.

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Ich kannte mal einen Nachbarn, der hatte bereits zu Lebzeiten noch damit begonnen, sein Hab und Gut in Bananenkisten zu schlichten – um den Erben die ganze Arbeit zu ersparen. Da saß er, inmitten seines Wohnzimmers in einem Fauteuil, umringt von Chiquita und Jaffa, darin all sein Besitz. Irgendwann ist´s gut, so meinte er. Irgendwann ist alles Materielle nur noch eine Last, die den Abschied schwieriger macht. Je weniger man im Alter besitzt, umso leichtfüßiger wird das Sterben?

Das denkt sich zumindest Madame Claire, die eines Nachts die Erkenntnis erlangt, nur noch einen Tag zu leben. Den Morgen danach stampft sie einen Flohmarkt vor ihrem Haus aus dem Boden und verkauft ihr gesamtes Interieur, das nicht aus irgendwelchem Ramsch besteht, sondern bemerkenswerten Antiquitäten, von mechanischen Puppen bis zu Kommoden aus der Gründerzeit. Ein fröhliches Fressen für Händler und Sammler, die dann auch alsbald eintrudeln, um der scheinber leicht verwirrten Dame zum Spottpreis schillernde Schätze abzuringen. Madame Claire ist das nur recht – der Preis ist symbolisch. Loswerden ist die Devise. Das sieht ihre Tochter allerdings mit anderen Augen, die ihrer Mutter der Prophezeiung vom plötzlichen Ableben natürlich keinen Glauben schenkt – und das eine oder andere Andenken aus der elterlichen Wohnung selbst gerne hätte.

Catherine Deneuve ist im Gegensatz zu Kolleginnen wie Brigitte Bardot, die ihre Filmkarriere Anfang der 70er bereits beendet hat, noch lange nicht filmmüde, und das nach über 70 Jahren. Mit 77 Jahren muss man als Künstlerin natürlich noch längst nicht leisetreten, da ist noch einiges drin. So richtig anstrengen muss sie sich aber auch nicht mehr, und leben davon schon gar nicht. Das merkt man. Es reicht, wenn „die Deneuve“ das Set betritt, in fast jeder Szene genüsslich am Glimmstengel zieht und verloren in die Ferne blickt. Da hat das französische Kino schon einiges auf der Habenseite. Schauspielerisches Engagement ist da fast nicht mehr erforderlich. Das übernimmt dann Filmtochter Chiara Mastroianni, die interessanterweise auch im tatsächlichen Leben Deneuves leibliche Tochter ist. Ihrem Vater Marcello ist sie dabei wie aus dem Gesicht geschnitten. Sie umkreist also Madame Claire sorgenvoll und gleichsam nahvollziehbar entrüstet.  Und holt so manches verschüttete Trauma ihrer Familie wieder ans Licht.

Der Flohmarkt von Madame Claire ist, man kanns nicht schönreden und ich will es auch nicht, ein Film über das Sterben. Über die letzten Dinge, über das Unausgeprochene, das oftmals unfreiwillig mit ins Grab genommen wird. Wie schön wäre es für manche noch gewesen, in solchen Angelegenheiten reinen Tisch zu machen. Den reinen Tisch nimmt Regisseurin Jurie Bertucelli  wörtlich – und bringt mit all den alten, verstaubten Dingen, die vieles in den vier Wänden gesehen haben, die To do-Liste sämtlicher emotionaler Versäumnisse mit ans Tageslicht. Das ist gediegenes Antiquitätenkino, ein bisschen arg konstruiert und zu sehr verlassend auf Deneuves Kultstatus, die damit wie ein Denkmal aus ihrem eigenen Besitz inmitten einer bemühten Entourage thront, die versucht, dem Film ein bisschen mehr Lebendigkeit zu verleihen. Deneuve selbst jedenfalls tut sich sichtlich schwer, Emotionen zu zeigen. Dadurch gerät das ganze Szenario eines Abschieds zur wohnungsmuffigen Entrümpelung eines monoton traurigen Lebens zu Lebzeiten.

Der Flohmarkt von Madame Claire