Me, We

DIE QUADRATUR DER NÄCHSTENLIEBE

6/10


mewe02© 2021 Filmladen


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2021

BUCH / REGIE: DAVID CLAY DIAZ

CAST: VERENA ALTENBERGER, LUKAS MIKO, BARBARA ROMANER, ALEXANDER SRTSCHIN, ANTON NOORI, THOMAS OTROK U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Angesichts der Lage in Afghanistan ist das Thema wieder in aller politischer Munde: wie den Menschen helfen, die dem Taliban-Regime entfliehen wollen? Aufnehmen? Ablehnen? Überhaupt keine Hilfe leisten, weil das Boot voll ist? Bei der Sache mit der Hilfe – mit dem sogenannten Altruismus oder dem Beistehen des schwächer Aufgestellten – ist die Bereitschaft der anderen meist eine, die sich mit dem eigenen Ego vereinbaren lassen soll. Mit zu viel Selbstlosigkeit würde man die Komfortzone der eigenen Existenzblase verlassen. Wer will das schon? Wer kann das schon? Wer hat nicht schon genug Probleme? Alles interessante Fragen, die der aus Paraguay stammende Filmemacher David Clay Diaz in seinem vierteiligen Episodenfilm aufwerfen will, dabei aber mit diesen vier Teilen ordentlich durcheinander gerät. Was aber die Relevanz seiner Arbeit zumindest inhaltlich nicht schmälert. Denn da sind starke Momente dabei, die allesamt den gleichen Schluss ziehen.

Wir haben in einer Episode die diesjährige Buhlschaft aus Salzburg, Verena Altenberger, die als freiwillige Helferin nach Lesbos reist, um sich gestrandeten Flüchtlingen aus dem nahen Osten anzunehmen. Wir haben andererseits Lukas Miko als Leiter in einem österreichischen Asylantenheim, der mit einigen Insassen so seine Probleme hat. In erster Linie mit einem Afrikaner, der die errichtete Harmonie vehement stört. Andernorts gibt es einen jungen Österreicher (vielversprechend: Alexander Srtschin), der sich mit einigen Freunden zusammentut, um als „Schutzengel“ junge Mädchen sicher nach Hause zu eskortieren. Zu guter Letzt holt sich eine liberale Single-Frau mittleren Alters – einfach, weil es andere auch tun – einen Flüchtling ins Zuhause. Wer weiß, wofür dieser noch gut sein kann.

Alle vier Ansätze sind mal grundverschieden. Altenbergers Figur der um alles in der Welt helfen wollenden Mittelschichts-Bürgerin sucht in ihrem Tun genauso eine Selbstbestätigung wie der junge Österreicher, der den Helden der Nacht spielt. Lukas Miko als erfahrener Heimleiter müsste mit dem provokanten Afrikaner Aba eigentlich gut umgehen können. Dennoch scheitert er an seinem Ich-Konzept und hütet sich davor, das, was er bisher erreicht hat, aufs Spiel zu setzen. Auch Barbara Romaner als die alleinstehende Lady will nicht länger alleine sein, darüber hinaus entspricht es dem Trend. Alle vier nutzen, völlig unbewusst oder auch zum Teil bewusst oder aber auch nur verdrängt, die Not der anderen, um das eigene Ego auf variable Weise zu bereichern. Dabei allerdings sei ihnen auf alle Fälle zugestanden, dass sie ihr Tun aus einer hehren Bereitschaft heraus umsetzen. Clay Diaz gibt der Bedeutung des Altruismus wieder seinen Ursprung zurück – demnach lässt sich dieser ohne Eigennutz und biographischem Kolorit kaum ausleben. Am Elegantesten schließt Altenbergers Griechenland-Episode dabei den Kreislauf des Helfens und vertauscht beinahe schon die Rollen.

In Me, We – dem kürzesten Gedicht überhaupt und von Muhammad Ali – steckt ganz schön viel Selbstreflexion, zumindest Reflexion für den Zuseher, der als Dritter klar sieht, wonach all die helfenden Hände greifen wollen. Me, We sagt ja im Grunde auch schon alles – und hinterlässt mit dem fehlenden You die größte Lücke.

Lücken gibt es auch im szenischen Konzept des Films – und das ist der eigentliche und einzige Stolperstein. Während andere, wie zum Beispiel Jim Jarmusch, ihre Episoden in ihrer kompakten Gesamtheit ins Werk einbinden, sieht Clay Diaz einen Vorteil darin, seine Geschichten zu zerschnipseln und all diese kurzen Szenen abwechselnd zu arrangieren. Das Ergebnis ist ein ruheloser, durchaus enervierender Zickzackkurs durch vier Episoden gleichzeitig, die mit dem, was sie auszusagen hätten, unter mehr Bedachtsamkeit wirksamer gewesen wären.

Me, We

Djam

RHYTHMUS DER STANDHAFTEN

6,5/10

 

djam© 2018 MFA

 

LAND: FRANKREICH, GRIECHENLAND, TÜRKEI 2018

REGIE: TONY GATLIF

CAST: DAPHNÉ PATAKIA, MARYNE CAYON, SIMON ABKARIAN U. A. 

 

Nichts hat er auf die Reihe bekommen, das Meiste improvisiert, und das hat dann schlussendlich doch geklappt: die Rede ist vom wohl berühmt-bercühtigsten Griechen in der Filmgeschichte, sehen wir mal von den Göttern und Halbgöttern des Olymps ab: Alexis Sorbas, grenzgenial verkörpert von Anthony Quinn. Und sein Tanz trotz all des Schlamassels am Ende des Films hat sogar einen völlig neuen Stil begründet: den Sirtaki. Vom Sirtaki ist die kokette Djam gar nicht so weit entfernt – ihr Steckenpferd ist der Rembetiko, eine den osmanischen Klängen verwandte Musikrichtung, die auch als der Blues Griechenlands bezeichnet wird. Tragische Inhalte, die von Liebe, Heirat und sonstigen Herzschmerz erzählen, melancholisch bis zum letzten Ouzo-Tropfen, allerdings aber auch von orientalisch-beschwingten Rhythmen durchzogen. Rembetiko – das ist Musik, da bleibt man laut STS wirklich irgendwann mal dort und steckt die Füße in den weißen Sand, grad weil es akustisch eben auch so anders ist als daheim.

Diese Djam also lebt auf Lesbos, direkt an der Grenze zur Türkei. Wir wissen natürlich, welchen schicksalhaften Stellenwert Lesbos in Sachen Flüchtlingskrise hat und ganz klar bleibt dieser tragische Faktor neben einigen anderen nicht unerwähnt. Die unangepasste Waise, die bei ihrem Onkel lebt, wird also von selbigem nach Istanbul geschickt, um Ersatzteile für das Ausflugsboot zu holen, das wieder flottgemacht werden soll, für den Fall, dass sich irgendwann doch wieder Touristen hierher verirren. Klar, dass Djam keinen straffen Zeitplan folgt, ganz im Gegenteil. Sie gabelt noch dazu eine völlig mittellose Französin auf, die auf dem Weg in ein syrisches Flüchtlingslager sitzengelassen wurde. Die beiden tun sich zusammen, vergessen Zeit und Ort und mit Musik geht fortwährend sowieso alles besser, und wo prinzipiell mal jeder die Flinte ins Korn wirft, wenn überall gestreikt oder sonst was wird, holt Djam ihre Instrumente hervor und trällert zwischen Grenzzaun und levantinischer Geschichte den Mut zum Weitermachen her.

Viel mehr ist in Tony Gatlifs Roadmovie gar nicht los. Muss es auch nicht, denn der gebürtige Algerier mit einem ausgeprägten Faible für richtig gute Volksmusik sucht den richtigen Klang für Momente, an denen Worte nicht mehr reichen, lässt Schauspielerin Daphné Patakia die Hüften schwingen und andere am Bouzouki schrummen. Gemeinsam setzen all diese Menschen, denen sowohl die Finanzkrise der Griechen oder das humanitäre Drama der Flüchtenden übel mitspielt, ganz auf Tradition, besinnen sich auf ihre Wurzeln, wollen durchhalten, solange die „Musi“ spielt. Gatlif, der 2005 für Exils den Regiepreis in Cannes gewonnen hat, ist mir mit seinem 2000 erschienenen, so feurigen wie temperamentvollen Film Vengo bis heute gut in Erinnerung geblieben. Djam entwickelt nicht ganz so ein Feuer und erweckt auch keine Sehnsucht nach dem Süden, zeigt Europa aber mal von einer ganz anderen Seite, nämlich mit dem Blick von der Ostküste her aufs Mittelmeer. Probleme gibt’s dort viele, irgendwann zählt nur mehr, woher man kommt. Und das lässt sich mit Klängen und Rhythmen am besten anpeilen, obwohl selbst diese berauschenden Rhythmen die gelegentliche Schwermut von Djam nicht ausgleichen können. Wer einen Sommerfilm erwartet, wird schaumgebremst – Gatlif verlegt seine kulturelle Reise in den mediterranen Winter, er filmt Schauplätze auf Lesbos, die alles, nur nicht touristisch verwertbar sind. Er zeigt die Grenze und die Verzweiflung, die Traurigkeit und den Trotz. Manchmal wirkt die Musik dabei fehl am Platz, aber vielleicht ist sie genau dann am besten platziert, wenn gar keinem danach ist, zu musizieren. Vielleicht braucht man dann die Musik am meisten. Wie bei Zorbas, dem Griechen, der plötzlich anfängt zu tanzen.

Djam