KÜNSTLER:NNEN SIND (AUCH) NUR MENSCHEN
7/10
© 2024 Neue Visionen
ORIGINALTITEL: NIKI
LAND / JAHR: FRANKREICH, BELGIEN 2024
REGIE: CÉLINE SALLETTE
DREHBUCH: CÉLINE SALLETTE, SAMUEL DOUX
CAST: CHARLOTTE LE BON, JOHN ROBINSON, DAMIEN BONNARD, JUDITH CHEMLA, ALAIN FROMAGER, QUENTIN DOLMAIRE, JOHN FOU, NORA ARNEZEDER U. A.
LÄNGE: 1 STD 39 MIN
Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es eine gute Entscheidung war, all die Kunstwerke von Niki de Saint Phalle, vormals Matthews, nicht zu zeigen. Den Beweggrund dahinter kann man dennoch gut verstehen: Es soll der Mensch sein, den Céline Sallette in den Fokus rückt, und zwar in den ausschließlichen und unverrückbaren Fokus, und sie will nicht ablenken von den Formen und Farben, mit denen die Künstlerin schon vor ihrem großen Durchbruch experimentiert hat. Niki de Saint Phalle, und diesmal meine ich den Film, will als psychologisch durchdachtes Portrait jene Mechanismen erörtern, die dazu führen, das eigene Leiden und die eigene Katharsis auf kreativ-schaffende Weise therapiert zu wissen. Dabei geht es nur um das menschliche Verhalten, nicht um das Schaffen. Vielleicht mitunter um den kreativen Prozess, doch wir als Publikum haben nur einen Blickwinkel auf die Sache: Jenen des Werkes selbst. Man könnte sagen: Wir selbst reflektieren Niki de Saint Phalles Belange, denn nicht nur einmal blickt sie selbst und alle anderen, die ihr Werk bestaunen, aus dem Film hinaus ins dunkle Auditorium, dabei sprengen sie nicht die vierte Wand, sondern bleiben ihrer Zeit verhaftet. So viel Experiment wagt Sallette dann doch nicht.
Während in vielen anderen Künstlerbiografien das Schaffen und das Geschaffene sehr stark im Vordergrund stehen, um die innere Welt der Beschriebenen zu widerspiegeln, muss Schauspielerin Charlotte Le Bon sich selbst und uns in der Imagination verweilen lassen. Die abstrakte Psyche kann sich nicht manifestieren, und glücklich jene, die kunstgeschichtlich betrachtet längst wissen, was Niki de Saint Phalle Zeit ihres Lebens geschaffen hat. Jene, die es nicht wissen, bleiben im Hintertreffen. Es fehlt ihnen der starke, expressive Ausdruck. Während ich diese Review verfasse, tendiere ich dazu, den Verzicht auf die Darstellung von Saint Phalles inneren Welten einerseits als mutigen Kniff, aber andererseits als Defizit zu betrachten. Was letztlich bleibt, ist das Psychodrama eines missbrauchten Menschen, der unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidet und dabei längst nicht als eine Person dargestellt werden will, die sich über alle anderen erhebt, die ähnliches erlitten haben – ganz ohne kreative Exposition. Saint Phalle wird andererseits greifbarer, ihre Kunst kann nicht bewertet werden, nur ihr Zugang, ihr Wille, ihre Bereitschaft, sich selbst aus dem Dunkel des Traumas zu befreien.
Das tut sie auch, und wir sehen ihr einen Spielfilm lang, der sich stark und leidenschaftlich auf seinen einzigen bekannt-unbekannten Charakter konzentriert, aufmerksam zu. Das kann, wäre die Akteurin dahinter nicht aufopfernd genug bei der Sache, zur langweilig-konventionellen Chronik werden. Ein Film wie dieser muss sich glücklich schätzen, mit purer Performance zu fesseln – da ihm alles andere weitestgehend entzogen wird. Charlotte Le Bon, die mit ihrem Regiedebüt Falcon Lake zumindest mich schwer beeindruckt hat, läuft auch hier zur Höchstform auf. Abgesehen davon, dass sie ihrem historischen Vorbild verblüffend ähnlich sieht, ist ihr ambivalentes, impulsives und scheinbar improvisiertes Spiel mitreißend genug, um in den Momenten, wo sie gerade nicht die Leinwand beherrscht, sehnsüchtig darauf zu warten, dass sie wiederkehrt. Le Bon dominiert den Film, sie zittert, sie schreit, sie tobt, sie sprüht vor Enthusiasmus, gibt sich dem Drang hin, auszubrechen. Sallette beschreibt den Weg zur inneren Erlösung, der im Kick Off zu Niki de Saint Phalle, zur großen Künstlerin, gipfelt, in nachvollziehbaren, balancierten Schritten.
Auch wenn man gerne hinter die Leinwand schlüpfen würde, um mit den Augen Le Bons diese ganze farbenfrohe Kunst zu betrachten – vielleicht ist es gut, diesen Impuls zu unterdrücken. Denn so lenkt nichts ab von dieser inneren Katharsis, die zum Triumph führt. Die Kunst bleibt subjektive Imagination, und ist interpretierbar durch jeden, der in der Kreativität sein Seelenheil findet.


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