Cats

KATZEN, EMPÖRT EUCH!

5,5/10


© 2019 Universal Pictures International Germany GmbH


LAND: USA 2019

REGIE: TOM HOOPER

CAST: FRANCESCA HAYWARD, JUDI DENCH, JAMES DERULO, JAMES CORDEN, JENNIFER HUDSON, IDRIS ELBA, IAN MCKELLEN, REBEL WILSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Es war DIE Kino-Anomalie der letzten Weihnachten. Dann Spottobjekt und Preisträger der Goldenen Himbeere. Und noch etwas: erstmals wurde ein Film nachbearbeitet, der bereits im Kino lief. Regisseur Tom Hooper trifft da womöglich am wenigsten die Schuldfrage. Mit The Kings Speech war klar: er versteht sein Handwerk. Was ihm allerdings in die Quere kam, das waren das Studio mitsamt seiner Marketingstrategen, die über Biegen und Brechen die Verfilmung des Musicals Cats termingenau in die Kinos bringen wollten, auch wenn Hooper das eine oder andere mal bemerkt haben soll, für diesen Blockbuster mehr Zeit zu benötigen. Doch alles egal: was auf der Theaterbühne so gut funktioniert, wird im Kino genauso klappen. Dafür sorge doch alleine schon die fulminante Musik von Genie Andrew Lloyd Webber. Spätestens bei Memory hätten dann alle Katzen- und Musicalliebhaber Tränen in den Augen. Diese flossen dann weniger wegen Jennifer Hudsons geschmettertem Klassiker, sondern aufgrund der nicht ganz astreinen CGI-Kostümierung eines namhaften Ensembles. Allen Vorschusshimbeeren aber zum Trotz – und vielleicht rettet den Film die niedrige Erwartungshaltung beim Ansehen vor weiteren vernichtenden Urteilen – muss ich zu folgender Conclusio kommen: Tom Hoopers Cats-Version ist ansehbar, annehmbar und musikalisch gesehen verantwortlich für so manchen Ohrwurm, der tagelang haften bleiben wird.

Bezugnehmend auf die Entstehung dieser Kult-Revue aus den 80ern (hierzulande in Österreich konnte Theatermann Peter Weck mit seiner Inszenierung die Hallen füllen) ist die Kino-Version gar nicht mal so viel anders. Da wie dort sind es Menschen in Katzengestalt – oder umgekehrt, je nach Blickwinkel. Katzen wie in Felidae oder Aristocats kommen hier nicht hinter der Mülltonne hervor. Der Umstand wird alleine schon dadurch verdeutlicht, es mit Jellicle-Katzen zu tun zu haben, die sowieso anders sind. Und weil sie so anders sind, ist auch das alljährliche Katzenfest nichts Artfremdes. Im Zuge dieses Come together wird einer der Stubentiger vom Alt-Kater Deuteronimus (gespielt von Judi Dench mit Ehering am Finger) auserwählt, um wiedergeboren zu werden. Einzige Gefahr dabei: Macavity, ein fieser Kater, der das Event stets sabotiert. Bevor es aber so weit kommt, gibt’s ein Who is Who aller möglichen Charaktere, die singend ihre Skills präsentieren.

Zugegeben, da hat sich das Studio vorzeitig zurückgelehnt – bevor analoge Bodysuits mühsam geschneidert werden müssen, schlüpft der Cast doch lieber in grüne Viskose, um sich Fell und Schnurrhaar digital andichten zu lassen. Geht ganz einfach. Doch weil es so einfach geht, wird leicht geschludert. Und schon haben wir den Uncanny Valley-Effekt, der zurecht zumindest anfangs etwas seltsam aussieht. Vielleicht, weil das Make-up im Gesicht manchmal fehlt. Und an den Händen. Und manche der Katzen tragen Schuhe. Ich gebe zu, das ist etwas bizarr, so wie die Szene mit den Kakerlaken und den seltsamen kleinen Mäusen. Die ist wirklich missglückt. Doch bevor ich mich darüber ausgiebig mokiere, kommen die Ohrwürmer. Gut gesungen, auch in der Synchro, wenngleich die Lippenbewegungen nicht ganz passen. Katzengleich räkelt sich das Ensemble vor bunten Requisiten und hinter Plastikmampf. Alles ist Show, alles ist unecht und Bühne, selbst auf der Leinwand. Doch ist das im Theater nicht auch so?

Cats ist keine Fabel, Cats liegt irgendwo außerhalb und definiert sich vorrangig durch seine Musik. Akustische Erinnerungen aus der Kindheit werden wach, als das Musical überall zu hören war. Als Memory von allen, die Stimme hatten, gesungen wurde. In Tom Hoopers Film überlagern die Songs so manche Schwäche, die die Produktion durchaus hat. Francesca Hayward als weiße Katze Victoria ist ein anmutiger Hingucker, links und rechts von ihr mögen technisch gebrechliche Figuren die Choreographie halten. Iris Elba ist fehlbesetzt, Ian McKellen hingegen zum Knuddeln. Letzten Endes stehen die beiden auch dafür, wie der Film geworden ist: das Auf und Ab einer klangvollen Nummernrevue mit ordentlich Katzenkitsch.

Cats

Jojo Rabbit

VOM KRIEG DER KINDER

8,5/10

 

jojorabbit© 2019 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2019

REGIE: TAIKA WAITITI

CAST: ROMAN GRIFFIN DAVIS, TAIKA WAITITI, THOMASIN MCKENZIE, SCARLETT JOHANSSON, SAM ROCKWELL, REBEL WILSON, ALFIE ALLEN, STEPHEN MERCHANT U. A. 

 

Niemals sollte man sein inneres Kind aus den Augen verlieren. Niemals vergessen, wie es ist, Dingen im Leben mit einer verspielten Neugier zu begegnen. So, als wäre man ein Pionier für eine Sache, die zwar durchaus schon längst bekannt ist, aber so noch nicht gesehen worden ist. Mit unbedarftem Blick. Taika Waititi ist so ein Mensch, ein Künstler, der sich formelhafter Herangehensweisen an eine Sache entzieht. Der diese vielleicht kennt, und weiß, wie es andere bislang gemacht haben, dem das Bisher aber nicht sonderlich gefällt, und sich daher auf eine Augenhöhe begibt, die noch niemand eingenommen hat. Seine Augenhöhe ist die des zehnjährigen Johannes, genannt Jojo. Wir sind irgendwo in Deutschland, in einer Kleinstadt, nicht weit vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wo Jungen und Mädchen zur Hitlerjugend müssen und das jüdische Volk längst schon in den KZs vor sich hinstirbt. Jojo himmelt Hitler an, dieser ist sein Idol, und das geht sogar so weit, dass der Führer zu einem imaginären Freund wird, der den blonden Buben stets begleitet und mit rollendem R und kantiger Aussprache Ratschläge fürs arische Leben erteilt. Wäre da nicht seine Mutter, die, was natürlich vorerst niemand ahnt, im Haus ein jüdisches Mädchen versteckt. Was Hitler ganz und gar nicht unter die schnauzbärtige Nase geht. Und dem kleinen Jojo anfangs auch nicht. Aber warum eigentlich?

Ja, warum eigentlich, fragt sich Waititi und entlässt seinen kleinen (Anti)helden in den bizarren Alltag eines so irren wie wertevernichtenden Regimes, dass völlig aus der Luft gegriffene Schauermärchen über alles Andersartige kolportiert und mit kruden Schreckgespenstern vom eigenen Schrecken ablenkt. In diesem zerstörerischen Sog steckt also dieser Jojo, der sich einerseits vom Massenwahn mitziehen und begeistern lässt, wie sich Kinder eben begeistern lassen, und andererseits aber langsam anfängt, seine eigenen Wertvorstellungen anzuerkennen. Einem Kaninchen den Hals umdrehen? Geht nicht. Denn als Kind ist man immer noch Mensch, hat seine eigene Sicht der Dinge und wehe, man bleibt sich nicht selber treu. Waititi weiß das alles, er weiß, welche Fragen er stellen muss, und er weiß, worauf es in Zeiten wie damals hätte vermehrt ankommen sollen. Dass der verspielte Neuseeländer einen ganz eigenen Draht zum Kindsein hat, das wissen wir seit Wo die wilden Menschen jagen. Wobei er das Kindsein niemals idealisiert, niemals wirklich wie Grönemeyer all die Bengel an die Macht kommen lassen will, sondern sie dazu nötigt, in ihrem ach so jungen Alter ihr Tun selbst zu reflektieren.

Dass einem Thema wie diesem – die Nazizeit und all der Krieg – mit solch zerstreuter, verspielter Leichtigkeit begegnet werden kann, ist staunenswert und überraschenderweise kein bisschen irritierend. Jojo Rabbit ist bunt, aber niemals unbotmäßig schrill. Ist parodistisch wie es einst Chaplin in Der Große Diktator, aber niemals geschmacklos. In dieser Kindlichkeit liegt ein bitterer, erschreckender Ernst, der sich aber bewältigen lässt, weil er den Keim junger, humanistisch denkender Helden in sich trägt. Diese Dinge entdeckt man in diesem Film nicht ohne Gänsehaut. Nicht ohne einen Frosch im Hals. Aber mit unverhohlener Sympathie zu einem Ensemble, das ein gefühlt großes Vertrauen zu seinem Regisseur hat und sich in ein Szenario fallen lässt, dass es wert ist, durchzuleben. Roman Griffin Davis ist eine Entdeckung! Thomasin McKenzie fasziniert wiedermal genauso wie schon damals in Leave No Trace. Scarlett Johansson gelingt eine Gratwanderung zwischen Stummfilm-Performance und schönstem Bühnenzauber. Sam Rockwell wiederum hätte ich auch diesmal wieder für den Oscar nominiert, so seltsam hanswurstig und unbefangen verkörpert er seinen Hauptmann Klenzendorf.

Kindheitserinnerungen aus dem Krieg, die gibt es. Maikäfer flieg! zum Beispiel, von Christine Nöstlinger. Die Bücherdiebin. John Boormans Hope & Glory natürlich. Und nicht zuletzt die erschütternde Wahrheit hinter dem Tagebuch der Anne Frank. Waititi nutzt, ergänzend zu all diesen Erinnerungen, die fiktive Chance, in seiner berührenden, fabulierenden Tragikomödie durch die Welt- und spätere Weitsicht eines Jungen die verheerende Absurdität eines kranken Systems klar erkennbar werden zu lassen. Aber was viel wichtiger ist: er lässt die Kinder daraus lernen. Damit sich Fehler wie diese nicht nochmal wiederholen. Denn am Ende ist nichts schöner, als in Freiheit auf der Straße zu tanzen. Jojo Rabbit ist ein großartiger Film, ein rotzfreches Gloria, aufmüpfig, grundehrlich und bezaubernd. Und darf auch erhobenen Hauptes vor Wehmut und Erleichterung schluchzen.

Jojo Rabbit