Jojo Rabbit

VOM KRIEG DER KINDER

8,5/10

 

jojorabbit© 2019 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2019

REGIE: TAIKA WAITITI

CAST: ROMAN GRIFFIN DAVIS, TAIKA WAITITI, THOMASIN MCKENZIE, SCARLETT JOHANSSON, SAM ROCKWELL, REBEL WILSON, ALFIE ALLEN, STEPHEN MERCHANT U. A. 

 

Niemals sollte man sein inneres Kind aus den Augen verlieren. Niemals vergessen, wie es ist, Dingen im Leben mit einer verspielten Neugier zu begegnen. So, als wäre man ein Pionier für eine Sache, die zwar durchaus schon längst bekannt ist, aber so noch nicht gesehen worden ist. Mit unbedarftem Blick. Taika Waititi ist so ein Mensch, ein Künstler, der sich formelhafter Herangehensweisen an eine Sache entzieht. Der diese vielleicht kennt, und weiß, wie es andere bislang gemacht haben, dem das Bisher aber nicht sonderlich gefällt, und sich daher auf eine Augenhöhe begibt, die noch niemand eingenommen hat. Seine Augenhöhe ist die des zehnjährigen Johannes, genannt Jojo. Wir sind irgendwo in Deutschland, in einer Kleinstadt, nicht weit vor Ende des Zweiten Weltkriegs, wo Jungen und Mädchen zur Hitlerjugend müssen und das jüdische Volk längst schon in den KZs vor sich hinstirbt. Jojo himmelt Hitler an, dieser ist sein Idol, und das geht sogar so weit, dass der Führer zu einem imaginären Freund wird, der den blonden Buben stets begleitet und mit rollendem R und kantiger Aussprache Ratschläge fürs arische Leben erteilt. Wäre da nicht seine Mutter, die, was natürlich vorerst niemand ahnt, im Haus ein jüdisches Mädchen versteckt. Was Hitler ganz und gar nicht unter die schnauzbärtige Nase geht. Und dem kleinen Jojo anfangs auch nicht. Aber warum eigentlich?

Ja, warum eigentlich, fragt sich Waititi und entlässt seinen kleinen (Anti)helden in den bizarren Alltag eines so irren wie wertevernichtenden Regimes, dass völlig aus der Luft gegriffene Schauermärchen über alles Andersartige kolportiert und mit kruden Schreckgespenstern vom eigenen Schrecken ablenkt. In diesem zerstörerischen Sog steckt also dieser Jojo, der sich einerseits vom Massenwahn mitziehen und begeistern lässt, wie sich Kinder eben begeistern lassen, und andererseits aber langsam anfängt, seine eigenen Wertvorstellungen anzuerkennen. Einem Kaninchen den Hals umdrehen? Geht nicht. Denn als Kind ist man immer noch Mensch, hat seine eigene Sicht der Dinge und wehe, man bleibt sich nicht selber treu. Waititi weiß das alles, er weiß, welche Fragen er stellen muss, und er weiß, worauf es in Zeiten wie damals hätte vermehrt ankommen sollen. Dass der verspielte Neuseeländer einen ganz eigenen Draht zum Kindsein hat, das wissen wir seit Wo die wilden Menschen jagen. Wobei er das Kindsein niemals idealisiert, niemals wirklich wie Grönemeyer all die Bengel an die Macht kommen lassen will, sondern sie dazu nötigt, in ihrem ach so jungen Alter ihr Tun selbst zu reflektieren.

Dass einem Thema wie diesem – die Nazizeit und all der Krieg – mit solch zerstreuter, verspielter Leichtigkeit begegnet werden kann, ist staunenswert und überraschenderweise kein bisschen irritierend. Jojo Rabbit ist bunt, aber niemals unbotmäßig schrill. Ist parodistisch wie es einst Chaplin in Der Große Diktator, aber niemals geschmacklos. In dieser Kindlichkeit liegt ein bitterer, erschreckender Ernst, der sich aber bewältigen lässt, weil er den Keim junger, humanistisch denkender Helden in sich trägt. Diese Dinge entdeckt man in diesem Film nicht ohne Gänsehaut. Nicht ohne einen Frosch im Hals. Aber mit unverhohlener Sympathie zu einem Ensemble, das ein gefühlt großes Vertrauen zu seinem Regisseur hat und sich in ein Szenario fallen lässt, dass es wert ist, durchzuleben. Roman Griffin Davis ist eine Entdeckung! Thomasin McKenzie fasziniert wiedermal genauso wie schon damals in Leave No Trace. Scarlett Johansson gelingt eine Gratwanderung zwischen Stummfilm-Performance und schönstem Bühnenzauber. Sam Rockwell wiederum hätte ich auch diesmal wieder für den Oscar nominiert, so seltsam hanswurstig und unbefangen verkörpert er seinen Hauptmann Klenzendorf.

Kindheitserinnerungen aus dem Krieg, die gibt es. Maikäfer flieg! zum Beispiel, von Christine Nöstlinger. Die Bücherdiebin. John Boormans Hope & Glory natürlich. Und nicht zuletzt die erschütternde Wahrheit hinter dem Tagebuch der Anne Frank. Waititi nutzt, ergänzend zu all diesen Erinnerungen, die fiktive Chance, in seiner berührenden, fabulierenden Tragikomödie durch die Welt- und spätere Weitsicht eines Jungen die verheerende Absurdität eines kranken Systems klar erkennbar werden zu lassen. Aber was viel wichtiger ist: er lässt die Kinder daraus lernen. Damit sich Fehler wie diese nicht nochmal wiederholen. Denn am Ende ist nichts schöner, als in Freiheit auf der Straße zu tanzen. Jojo Rabbit ist ein großartiger Film, ein rotzfreches Gloria, aufmüpfig, grundehrlich und bezaubernd. Und darf auch erhobenen Hauptes vor Wehmut und Erleichterung schluchzen.

Jojo Rabbit

Zoomania

DEM FAULTIER EINEN WITZ ERZÄHLEN

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zoomania

Wollt ihr mehr über das liebe Federvieh und ihr ungeheuer neurotisches Verhalten wissen? Dann müsst ihr euch Angry Birds ansehen. Oder hättet ihr mehr Lust auf Filme über Chamäleons und ihre nicht minder eigenwillige schuppige Verwandtschaft? Dann wäre wohl Rango von Gore Verbinski die richtige Wahl. Wenn aber jene beiden Bereiche des kinematographischen Tiergartens immer noch nicht zufriedenstellen, wartet immerhin noch ein ganz besonderes Zoo-Erlebnis auf uns. Nämlich das Abenteuer Säugetiere. Und ehe wir uns versehen, finden wir uns in Zootopia wieder.

Ja, Zootopia, das ist kein Tippsler. Im Original heißt der Film nämlich so. Völlig unverständlich, wieso Zootopia in Zoomania umgetauft wurde, bezieht sich doch das Kürzel – topia – auf einen Platz bzw. auf eine Region, ursprünglich, wie so viele Wörter, aus dem Griechischen kommend. Das Attribut mania hingegen bezieht sich auf eine Manie, auf Wahnsinn oder Raserei – wie auch immer. Wir kennen das schon aus Starmania. Daher ist es relativ befremdlich, wenn in der deutschen Synchronisation von Zoomania die Rede ist, als Bezeichnung einer überdimensional großen Stadt voller Säugetiere. Und in diesem phänomenalen Paradies der Kuscheltiere, das wiederum unterteilt ist in unterschiedliche Klimazonen, damit sich sowohl Eisbär als auch Gürteltier wohlfühlen können, geschieht ein Verbrechen. Und wer von all den Nagern, Huftieren, Krallen- und Samtpfoten wird der Sache auf den Grund gehen? Das äußerst knuffige Karnickel- oder Hasenmädchen Judy. Im Schlepptau einen zwielichtigen Fuchs, ein charmanter Ganove, der unfreiwillig zum Handkuss kommt.

Diesmal ganz ohne Unterstützung der Trickmagier aus Pixar wuchten die Disney Animations Studios ganz im Alleingang eine mitreißende Fabel auf die Leinwand, die in Charakterzeichnung, Story und Ideen dem Studio mit der hüpfenden Schreibtischlampe um nichts nachsteht. Zoomania ist rundum gelungen – und vor allem eines: sehr witzig. Wohl jetzt schon eine Szene mit Kultpotenzial ist die Begegnung mit dem Faultier hinterm Schalter am Verkehrsamt. Für alle, die sich bislang immer schon gefragt haben, wie es wohl ist, einem Faultier einen Witz zu erzählen, hat jetzt die Gelegenheit dazu, sich schiefzulachen. Überhaupt lassen die Macher des Filmes kein tierisches Klischee unerwähnt, angefangen von den Spitzmäusen bis hin zu den Elefanten. Und wenn dann der Unterweltboss Zoomanias in Gestalt eines Opossums dem guten alten Don Corleone die Ehre erweist, weiß man, dass das Geld für die Kinokarte kein rausgeschmissenes war. Und dabei haben wir es nicht mal nur mit einem klamaukigen, turbulenten Abenteuer zu tun, dass lediglich den Nachwuchs erfreut, während die Erwachsenen im Dunkel des Kinosaales immerwährend auf die Uhr schielen. Nein – Zoomania bedient das gesamte Besucherspektrum, wobei die ganz Kleinen im Publikum angesichts der komplexen Krimihandlung sehr wahrscheinlich w.o. geben werden. Aber sei´s drum – das Rendezvous im Tierreich entschädigt für jeglichen inhaltlichen Blindgänger.

Das aufgeweckte urbane Abenteuer ist zugleich kurioser Krimi und Situationskomödie vom Feinsten. Eine ausgefuchste Fabel, die an die Disney-Klassiker Basil – der große Mäusedetektiv oder Bernard und Bianca erinnert. Mit einer Story, die tierisch menschelt, ungezwungen sympathisch daherkommt, pointiert parodiert und die Fauna unseres Planeten zu schätzen weiß. Die Stadt, in der sich Fuchs und Hase im wahrsten Sinne des Wortes Gute Nacht sagen, ist auf alle Fälle einen Besuch wert.

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Zoomania