No Bears (2022)

WO DÖRFLER IHRE GRENZEN ZIEHEN

5/10


nobears© 2022 Celluloid Dreams


LAND / JAHR: IRAN 2022

REGIE / DREHBUCH / PRODUKTION: JAFAR PANAHI

CAST: JAFAR PANAHI, NASER HASHEMI, VAHID MOBASSERI, BAKHTIYAR PANJEEI, MINA KAVANI, REZA HEYDARI U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN


Jafar Panahi ( u. a. Taxi Teheran) will eigentlich nur Filme machen. Doch es sind Filme über den Iran, über dessen Werte, dessen politische Willkür, dessen fundamentale Strenge. Das sehen der oberste Führer Ali Chamenei und seine getreuen Hardliner natürlich nicht so gern, wie in jedem Land, in welchem Demokratie abgeschafft und gegen menschenverachtende Repressalien getauscht wurde. Trotz dieses Machtapparats kann sich der Iran – im Gegensatz zu Nordkorea – auf eine lebendige Filmwelt verlassen, auf zahlreiche Künstler, die nicht nur, aber vorallem, das Medium Kino dafür nutzen, um für ihr Land aktiv zu werden. Dieses Kino ist stark und laut, bekommt eine Bühne auf allen nur erdenklichen Filmfestspielen, um Missstände aufzuzeigen, die so nicht mehr tragbar sind. Jafar Panahi war und ist einer von jenen, die Engpässen trotzen, um zu tun, was getan werden muss. Und hatte das Pech, in seinem Land unter „Hausarrest“ gestellt zu werden. Eine Haftstrafe, die 2022 begann, konnte aufgrund eines Hungerstreiks Panahis ausgesetzt werden – auf Kaution. Bevor dies aber geschehen konnte, lief sein Film No Bears vor zwei Jahren auf den Filmfestspielen von Venedig. Und ist endlich, nach langer Verspätung, in den österreichischen Kinos zu sehen.

Was es mit Bären in Panahis Film auf sich hat, ist schnell erklärt. Es ist die Beschwichtigung vor Gefahren, die gar nicht existieren, die aber, um andere kontrollieren zu können, gerne als Warnung kolportiert werden. Diese Gefahren sind unter anderem pelzige Räuber, die sich durch die engen Gassen eines grenznahen Dorfs schieben könnten – es aber schließlich nicht tun, da es dort, an der Grenze zur Türkei, gar keine Bären gibt. Doch es gibt Schmuggler, Schieber, es gibt argwöhnische Polizisten und den Geheimdienst, der penibel darauf achtet, wer hier in der Provinz nicht ins Bild passt. Natürlich ist das Jafar Panahi, der sich selbst spielt, höchstpersönlich. Er will einen Film drehen, doch das Drehen ist für ihn längst verboten. Er tut dies im Geheimen, während sich Cast und Set jenseits der Grenze in der Türkei befinden. Panahi hat sich dafür in einem kleinen Dorf niedergelassen, in welchem jeder jeden kennt und jeder Neue sofort dazu instrumentalisiert wird, etwaige Querelen in der Gemeinschaft auszubaden. Während Reza, Panahis rechte Hand, allnächtlich mit dem nach Anweisungen des Meisters gedrehten Filmmaterial unbemerkt die Grenze passiert, bleibt Panahi nur die Möglichkeit, den Alltag der Menschen zu fotografieren und auf eine gute Internetverbindung zu warten. Da passiert es und Panahi macht das Foto eines Paares, das laut den Dorfdogmen gar nicht existieren darf, da von den Älteren längst bestimmt wird, wer wen zu heiraten hat. Die Community lässt nicht locker und nötigt Pahani zur Herausgabe des Corpus delicti. Der aber stellt sich quer.

Man kann sich denken, wie sehr die Sache eskalieren wird. Doch Panahi bemüht sich nicht, sein Drama hochkochen zu lassen. Es ist der Verzicht auf überschminkte Emotionen – eine Art neue Sachlichkeit im iranischen Kino. Viel stärker als Asghar Farhadi (u. a. The Salesman) bleibt Panahi Purist, akkurater Autorenfilmer eines nackten, aber unprätentiösen Realismus, der sein Konfliktdrama auf mehrere Ebenen auffächert. Natürlich steigert das Ineinanderspinnen dieser Erzählfäden die Ausdrucksstärke und Botschaft: Wie sehr in die staubtrockene Erde hineingerammt vorgestrige Traditionen so manches Leben aufs Spiel setzen, und wie sehr sich dörfliche Grundstrukturen auf die nationale Geißel hochrechnen lassen können, mag klar veranschaulicht sein. Doch bleibt das Drama in seiner kargen Nüchternheit, so sehr die Authentizität auch anzuerkennen ist, eine flüsternde Trauma- und Problembewältigung, die sich mit dem Film im Film im Grunde keinen Gefallen tut, zu flüchtig mag die Liebesgeschichte von zwei Flüchtenden erscheinen, die in der Türkei darauf warten, Pässe zur Weiterreise nach Frankreich zu bekommen.

Kann sich Panahi tatsächlich als sein fiktives autobiographisches Alter Ego Panahi im Film mit einer plakativ tragischen, aber schwülstigen Romanze wie dieser wirklich identifizieren? Sie steht dem eigentlichen Dilemma des Filmemachers konträr gegenüber, und irgendwann verliert man insofern den Überblick, da nicht mehr ganz klar ist, ob das, was als angeblicher Filmdreh passiert, auch wirklich noch Film ist oder begleitende Realität. Was also ist Drama und was Dokumentation? Der Wechsel zwischen diesen beiden Ebenen ist nur anfangs geglückt, wenig später bleibt die schale Story nur Anhang für etwas, das eigentlich auch nichts Neues berichtet. Ob Bären oder nicht: Als sehr persönliche Abrechnung mit der eigenen Unterdrückung holt sich Panahi jede Menge gerechtfertigte Aufmerksamkeit. Künstlerisch ausgefeilt ist sein Drama dabei aber kaum.

No Bears (2022)

Skyscraper

ALLES SENKRECHT

7/10

 

skyscraper© 2018 Universal Pictures International Germany GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: RAWSON MARSHALL THURBER

CAST: DWAYNE JOHNSON, NEVE CAMPBELL, PABLO SCHREIBER, ADRIAN HOLMES, ROLAND MØLLER U. A.

 

Vergesst den 138 Stockwerke hohen Wolkenkratzer der Duncan Enterprises aus dem Film Flammendes Inferno, vergesst das Nakatomi-Gebäude aus Stirb Langsam – und überhaupt auch gleich den Burj Khalifa in Dubai, das zurzeit höchste Gebäude der Welt: Jetzt – oder zumindest in vorliegendem Actionfilm Skyscraper gibt es The Pearl, errichtet im Zentrum von Hongkong, senkrechte Science-Fiction aus Glas und Stahl, 240 Etagen hoch, also mehr als 100 Etagen mehr als noch zu Zeiten von Steve McQueen. Ein wahrer Hingucker, vor allem die gigantische Kugel ganz oben, wie die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Allerdings drängt sich in diesem Film nicht nur einmal die Frage auf, ob die wahren Schauwerte auf Kosten des Wolkenkratzers gehen – oder auf Dwayne Johnson. Ein Mann gegen ein Haus, das ist die Quintessenz des Films. Letzterem wird so richtig eingeheizt, die Flammen lodern, und Sicherheitsexperte Sawyer aka The Rock hat alle Muskeln voll zu tun, seine Frau und seine beiden Kinder aus dem eben erst von ihm inspektierten Gebäude herauszuholen, bevor alles zusammenkracht. Geschehen hätte diese Katastrophe gar nicht dürfen, doch ähnlich wie John McClane im Actionklassiker des Jahrhunderst hat es Dwayne Johnson zusätzlich noch mit Handlangerns diverser Syndikate zu tun, die die enorm hohe Nadel im Heuhaufen Hongkongs gerne umgeknickt sehen, aus Wut, Rache oder aufgrund der Gier nach geschäftsschädigenden Informationen. Geht natürlich nicht, da heisst es: kaputtmachen, was kaputtbar ist. Doch etwas, das scheint scheinbar unzerstörbar: wir wissen, es ist der stiernackige Riese mit diesem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, der liebende Familienvater und Pax-Schrank von einem Mann, so stark wie Obelix und ein Musterbeispiel von einem Gutmenschen, dem man wirklich alles anvertrauen würde, sogar die eigenen Kinder.

Dwayne Johnson ist natürlich nicht dafür bekannt, ein großes Repertoire unterschiedlicher Charakterrollen vorzuweisen. Das muss er aber auch nicht. Seine Rollen in San Andreas, Jumanji und Rampage waren kaum voneinander zu unterscheiden (man könnte auch hier ein Actionhelnden-Franchise aufbauen, wenn man aus all den Rollen ein und dieselbe Person macht), seine Rolle in Skyscraper zeigt aber verdächtig mehr Herzblut, als ich vermutet hätte. Und genauso wenig hätte ich vermutet, dass hinter dem scheinbar banal konzipierten, austauschbaren Sommerkino ein wunderbar geradliniger, grundanständiger Actionkracher verborgen liegt, der wieder Erwarten richtig fetzt. Auch wenn der Ausgang der simplen Story keinem Spoileralarm unterliegt und das Publikum weiß, dass Dwayne Johnson von geradezu halbgottgleicher Unsterblichkeit gesegnet ist, weiß Skyscraper das Spannungslevel in einigen Szenen bis in die oberste Etage zu steuern. Das liegt vor allem an den schwindelerregenden Blicken, die Papa Johnson in den Abgrund wirft, und sich zeitweise einhändig oder mit Prothese an irgendetwas festkrallt, um nicht kilometertief zu fallen. Leute mit Höhenangst sollten lieber nicht die 3D-Aufführung des Filmes besuchen, doch auch ohne Effektoptimierung will man am Liebsten gar nicht hinsehen. Da bleibt Regisseur Rawson Marshall Thurber gemeinsam mit Kameramann Robert Elswit hautnah am Geschehen, blickt dem hängenden Koloss über die Schulter in die Tiefe. Doch wer so stark ist wie Dwayne Johnson, wächst in Extremsituationen, die sich in knackigem Timing zügig abwechseln, noch zusätzlich über sich hinaus – und es gelingen akrobatische Manöver, die wir als weichgespülte Alltagshelden bereits im Ansatz alle versemmelt hätten. Dass die Ressourcen an Energie und Muskelkraft stets die volle Ladung liefern, ist natürlich realistisch betrachtet völlig unmöglich, doch das Gelingen des Selbstmordkommandos ist zu einem guten Zweck, und Johnson sichtlich angestrengt genug, um mit ihm mitzufiebern. Egal, ob unser Held an der Hausmauer baumelt oder in die rotierenden Windenergie-Rotoren springen muss, ob der Sprung vom Kran oder der immense Kraftaufwand als menschliche Hängebrücke – Skyscraper ist virtuoser Actionzirkus mit verblüffenden Stunts und scheinbar ohne doppelten Boden. Das flammende Inferno, das die elegante Architektur des Wolkenkratzers emporzüngelt, in bedrohliche Hochglanzbilder gerahmt.

Der beglückend geradlinige Reißer spart sich peripheres Beiwerk und macht Vieles richtig, was anderen Filmen dieser Machart oftmals misslingt. Natürlich fehlt der rotzfreche Zynismus eines John McClane, doch der einnehmend sympathische Riese ist kein Antiheld im Unterhemd, sondern im Hemd mit Kragen, dass aber am Ende nicht weniger dringend einen Waschgang benötigt wie das Feinripp von Bruce Willis.

Skyscraper

The Great Wall

AUF DER MAUER, AUF DER MAUER…

6/10

 

greatwall

Regie: Zhang Yimou
Mit: Matt Damon, Pedro Pascal, Willem Dafoe

 

Alle Kenner der Game of Thrones-Saga wissen – die Mauer im Norden schützt Westeros vor den Wildlingen und den Weißen Wanderern. Wie gut und wichtig so eine Mauer sein kann, beweist der mönchartige Orden der Nachtwache, gewandet in ästhetisch-unbuntem Schwarz, spaßbefreit und grimmig. So eine Mauer gab und gibt es auch in unserer Welt. Zwar längst nicht so hoch, aber ich schätze mal viel länger. Und am Wehrgang tummeln sich ganz andere Leute, nämlich Krieger in atemberaubend kunstvollen, knallbunten Rüstungen. Blau, Grün und Rot, schillernd und blank poliert. Fast wie die extraterrestrischen Outfits aus dem neuen Power Rangers-Film. Nur mehr davon, viel mehr. Und wozu das Ganze? Wozu dieser Aufwand, diese gigantische Verteidigungsanlage auf einer Mauer, durch die der Illusionist David Copperfield bereits hindurchgegangen ist?

Dazu muss man wissen – wir befinden uns zeitlich gesehen im letzten Drittel des Mittelalters, wo das Wissen um das berüchtigte, in China boomende Schwarzpulver seine Runde macht. Und man muss auch wissen – bei Zhang Yimou´s Monstergemetzel handelt es sich angeblich um eine von vielen Legenden, die sich um die große Mauer ranken. An dem Oscarpreisträger und Regisseur von Meisterwerken wie Hero oder Rote Laterne ist das Blockbusterkino aus dem Westen jedenfalls seine Spuren hinterlassen. Womöglich hat Yimou an der Revival-Schwemme der Monstergiganten doch irgendwie Gefallen gefunden. Zumindest haben es fernöstliche Filmproduzenten geschafft, gemeinsam mit Universal Pictures den Regie-Altmeister ins Boot zu holen. Jemand, der weiß, wie man Schlachtengetümmel ähnlich einem Kostümballett in Szene setzt, Martial Arts zur überstilisierten Kunst erhebt und Pfeilregen in mathematischer Symmetrie perfekt choreographiert.

Dieses Know-How braucht man, denn in The Great Wall trifft Marco Polo auf Pacific Rim. Die unerschöpfliche Herde an Kreaturen, die die sagenumwobene Mauer erklimmen wollen, um ins altchinesische Königreich zu gelangen, ist in ihrer Biomasse mit Guillermo del Toro´s Giganten aus dem Meer fast gleichzusetzen. Das uralte Bauwerk stemmt sich wie Helms Klamm aus Tolkiens Herr der Ringe den blutgierigen Vierbeinern entgegen. Inmitten des zähnefletschenden Herdentriebs thront die Königin – ein formschönes wie grausames Wesen, bewacht von drachenartigen Leibwächtern, die das auf Vibra-Call kommunizierende Geschöpf mit ausfahrbaren Nackenschildern vor den brennenden Katapultgeschossen der Menschen schützt. Das Design der zahnbewehrten Kreaturen erinnert frappant an Del Toro´s Ideenfundus, und die Gefechte auf der Mauer sind bunt, blutig, bis zum Abwinken glorifiziert und mit eleganten Frozen Stills durchsetzt. Das haben wir schon bei Hero mit heruntergeklappter Kinnlade beobachten können, da zeigt uns der Film zwar nichts Neues, aber gern Gesehenes. Weta-Effekte sind es keine, doch die Ausstattung macht es wieder wett. Allerdings – Matt Damon und „Prinz Oberyn“ Pedro Pascal als zottelige Abenteurer, die dann noch auf einen sinisteren Willem Dafoe stoßen, wirken tatsächlich wie schlecht geschminkte Auslandsreisende ohne Ortsplan. Damons unterfordertes Spiel in diesem üppigen Monumental-Trash weicht nur gelegentlich einem Staunen, das der exotischen Extravaganz geschuldet ist. Warum der talentierte Mr. Ripley als Quotenamerikaner das asiatische Kino auch für den Westen zur Salonfähigkeit verhelfen muss, erklärt sich womöglich aus dem Revival der Kaiju-Fantasy und der immer enger werdenden, wirtschaftlichen Zusammenarbeit der amerikanischen mit den asiatischen Produktionsstudios. Geteilte Kosten sind halbe Kosten. Da können sich westliche Schauspieler wie Matt Damon oder Willem Dafoe durchaus erkenntlich zeigen. Was sie auch tun – halbherzig und als launige Groschenroman-Charaktere, eng verwandt mit den Filmfiguren der Karl May-Abenteuer.

Wen das nicht stört, und wer schon immer triviales Retro-Abenteuer im Popcornkino der frühen Sechziger mit einer Monster-Apokalypse kombiniert sehen wollte – der sollte sich The Great Wall nicht entgehen lassen. Dabei ist das Geheimnis um die Tao Ties, wie die Viecher genannt werden, ja gar nicht mal so unoriginell. Und sollte demnächst eine Besichtigung des achten Weltwunders anstehen, wäre der Film während des Fluges nach China nicht nur Zeitvertreib, sondern auch eine passende Einstimmung der pittoresken Art.

The Great Wall