Roter Himmel (2023)

DIE PRIORITÄTEN EINES KÜNSTLERS

6,5/10


Roter-Himmel© 2023 Christian Schulz / Schramm Film


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2023

REGIE / DREHBUCH: CHRISTIAN PETZOLD

CAST: THOMAS SCHUBERT, PAULA BEER, LANGSTON UIBEL, ENNO TREBS, MATTHIAS BRANDT U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Selbstzweifel und miese Laune. Fast könnte man meinen, diese beiden Eigenschaften gehören zum Künstlerdasein wie das Amen im Gebet. Fast könnte man meinen, die Selbstzweifel sind nur dazu da, um für Komplimente zu fischen: Dass das neue Werk sowieso gar nicht so schlecht ist, dass die bescheidene Selbstauffassung den Künstler nur sympathischer macht und devot gegenüber seiner gottgegebenen Gabe, Sätze stilvoll auszuformulieren und aneinanderzureihen. Nur keine falsche Bescheidenheit, könnte man meinen, um dann dem gemarterten Denker, der sich in die stille Oase eines Ferienhauses zurückzieht, um seinem Werk den letzten Schliff zu geben, auf die Schulter zu klopfen. Bei Leon, einem innerlich unrunden und von allem genervten Schriftsteller, ist das erhaschte Lob wohl genau der Motor, der ihn auf Vollgas bringt. Doch dieses Lob, das kommt nicht. Denn niemand hat seinen Zweitroman gelesen, abgesehen vom Verleger wohlgemerkt, der in den nächsten Tagen an die Nordseeküste kommen soll, um das Werk durchzugehen. Bis dahin heisst es arbeiten – doch wie soll das gehen, wenn die aus zwei Freunden bestehende Künstlerkommune (der andere, Felix, ist Fotograf und muss ein Portfolio fertigstellen) plötzlich durch eine dritte Person ergänzt wird, noch dazu durch eine attraktive junge Frau, die sich allnächtlich amourösen Vergnügungen hingibt und den armen, wirklich armen Leon um den Schlaf bringt?

Es wäre alles eine fast schon banale, norddeutsche Beziehungsgeschichte im Dunst frühsommerlicher Vorfreuden auf trockenheisse Monate, würde Christian Petzold, der im Rahmen der Viennale womöglich stundenlang über seinen Film hätte referieren können, nicht wieder seine schwergewichtige Metaebene in den Plot geholt hätte. Aus der Konstellation genrebekannter Charaktere, die allesamt nicht überraschen und tun, was von ihnen erwartet wird, entsteht somit ein Schicksalsreigen, der sein Ensemble auf gar keinen Fall in Ruhe tun lassen will, was es tun möchte. Viel zu viel steht auf dem Spiel, viel zu viel ringsherum in dieser Welt, um die sich keiner mehr schert, geht da vor sich. Es lodern Waldbrände, die kaum mehr zu kontrollieren sind, und das im Juni. Der Himmel leuchtet rot in der Nacht, das donnernde Geräusch der Löschhubschrauber lenkt Leon von seiner Arbeit ab, während Felix nur an den Strand will, um dabei Leute zu fotografieren, die aufs Meer schauen. Diese Ursuppe, die könnte bald übergehen, wenn der Klimawandel irgendwann zu seinem Ende kommt. Noch blicken wir erstaunt auf das, was sich auf rätselhafte Weise so anfühlt, als wäre es ein Naturphänomen oder eine Selbstverständlichkeit. Wie die Biolumineszenz des Meeres. Wie unbedeutend erscheint da die Qual des Virtuosen, den nächsten Bestseller zu schreiben? Doch Thomas Schubert, bekannt aus Karl Markovics fulminantem Einstand Atmen, grantelt und zwidert herum wie ein Hans Moser des 21. Jahrhunderts – zynisch, herablassend und wehleidig. Ihm zuzusehen, vertreibt die Zeit in Windeseile, weil er oft sein darf, wie wir selbst oft sein wollen, dabei aber ganz vergessen, dass es noch andere und anderes gibt, wofür es den aufmerksamen Blick braucht. Thomas Schuberts schwarzer Mann im Strom der Begebenheiten ist das von der Seele des Kreativen geredete La Linea-Männchen, dem man den Strich zum Weitergehen wegradiert.

Insofern wagt Petzold, das Künstlerdasein als mitunter etwas Irrelevantes darzustellen, in Anbetracht höher gesetzter Koinzidenzen und merkwürdiger Konstellationen. Roter Himmel wirkt wie metaphysische Mystery, wie ein Sommernachtstraum zwischen rezitierten Gedichten und Ascheregen. Einerseits ist es das, andererseits auch wieder nicht. Niemandem gelingt dieses zarte Changieren zwischen den Ebenen so beiläufig wie Petzold. Und dennoch ist es diesmal so, als würde der schon seit ewigen Zeiten filmemachende Virtuose ausnahmsweise mal selbst ein bisschen unter Druck geraten sein. So geschmeidig und leichtfüßig sich das Stelldichein am Meer auch anfühlt, so vehement bricht Petzold mit der Entrücktheit seiner Fast-Künstlerkommune. Schicksalsschläge wie bei einer Soap Opera donnern hernieder – das ist fast schon zu direkt und zu rutschfest am Schlafittchen gepackt. Aufgesetzt, will ich fast meinen. Und dann doch wieder nicht, denn das, was kommt, das ist schließlich etwas, dass man fast schon erwarten muss. Natürlich ist Roter Himmel dann nichts mehr Belangloses mehr, kein Künstlerjammern, kein Blickezuwerfen durchs Haus und am Strand. Das ist schön und gut, und auch faszinierend sowie in äußerster (Dis)harmonie dargeboten. Die Notwendigkeit aber, erhellen zu müssen, nimmt dem Drama aufgrund des zu erwarteten Unerwarteten eine gewisse Spontaneität, die sich so gut aus dem sozialen Spannungsfeld entladen ließe.

Roter Himmel (2023)

They Want Me Dead

SO NAH AM FEUER

4/10


theywantmedead© 2021 Warner Bros. Entertainment Germany


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: TAYLOR SHERIDAN

BUCH: TAYLOR SHERIDAN & MICHAEL KORYTA, NACH DESSEN ROMAN

CAST: ANGELINA JOLIE, FINN LITTLE, AIDAN GILLEN, NICHOLAS HOULT, JON BERNTHAL, MEDINA SENGHORE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


They Want Me Dead – Wer genau? Egal, das ist nicht so wichtig. Irgendwelche x-beliebigen politischen Funktionäre, die irgendein x-beliebiges Konto frisiert haben und die eben zwei x-beliebige Killer losschicken, um all jenen, die davon wissen, das Leben zu verkürzen. In dieser Austauschbarkeit scheint sich dieser Thriller nach der Vorlage eines soliden Krimi-Schmökers von Michael Koryta zu gefallen, frisch vom Mängelexemplar-Wühltisch einer Franchise-Buchhandlung. Diesen hatte vielleicht Taylor Sheridan oder gar einer der Produzenten des Filmes auf dem Nachttisch oder als Lektüre im Handgepäck vom letzten Urlaub, ich weiß es nicht – jedenfalls erhärtet sich der Eindruck, dass diese Buchvorlagen für effizient abzudrehendes Spannungskino aus einer Begeisterungslaune herrühren, die gerade mal jemand beim Lesen gehabt haben muss. Und Those Who Want Me Dead (so der Titel des Buches) mag vielleicht ganz kurzweilig geschrieben sein – als Film überzeugt der Stoff relativ wenig. Auch wenn der Wald brennt, und auch wenn Angeline Jolie hier einen traumatischen Einsatz als Feuerwehrfrau verarbeiten muss.

Die bislang sehr selten gesehene Ex von Brad Pitt, die man eine Zeit lang viel mehr mit Celebrity als mit filmischen Qualitäten verbunden hat, ist als toughe und einzig weibliche Brandbekämpferin unter Männern diejenige, die, nach psychologisch betreuter Auszeit, wieder an die Arbeit gehen darf. Und zwar auf einen Beobachtungsturm irgendwo in den wilden Waldweiten der USA. Sobald es in der Ferne auch nur ansatzweise orange schimmert, gibt’s Alarm. Währenddessen aber sind in der Gegend ein forensischer Buchhalter mit seinem Sohn auf dem Lewis & Clark-Straßentrail unterwegs, auf der Flucht vor eingangs erwähnten Killern, die aber dem verzweifelten Vater bereits eine Nasenlänge voraus sind. Die Folge: ein Crash, der Vater tot, das Kind schlägt sich mit den brisanten Daten durch den Forst. Klar, dass der eingeschüchterte und traumatisierte Knabe auf Heldin Angelina trifft, die sich um den gehetzten Sechstklässler selbstredend kümmert. Und natürlich sind die beiden skrupellosen Mordmaschinen in Menschengestalt nicht nur hinter dem Jungen her, sondern auch hinter seiner Beschützerin. Ein vorsätzlich gelegter Waldbrand soll helfen, damit niemand ihnen in die Quere kommt.

Dass sich so ein Waldbrand einer Monsterwelle gleich rasend schnell ausbreitet, damit haben die beiden Killer wohl nicht gerechnet. Wir, die Zuseher, allerdings schon. Wir haben schließlich Backdraft gesehen, den Klassiker zum Thema Feuerverhalten. Das intensive Tatsachendrama No Way Out – gegen die Flammen, in welchem Josh Brolin und Miles Teller dem wütenden Chaos entgegentreten, bietet hier ebenfalls den besseren Einblick.

Womit wir sonst noch gerechnet haben? Nun, es gibt in They Want Me Dead eigentlich kaum etwas, das nicht vorherzusehen war. Taylor Sheridans Film fühlt sich an, als wäre er ursprünglich viel länger gewesen, als wäre er grob gekürzt worden – entsprechend substanzlos verrichten alle ihren Job, mit Ausnahme des Jungdarstellers Finn Little, der wieder mal ob des intensiven Spiels für Verblüffung sorgt. So richtig enttäuschend aber sind „Kleinfinger“ Aidan Gillen und der völlig verheizte Nicholas Hoult. Normalerweise werden solche Rollen mit weniger renommierten Akteuren besetzt. Hier jedoch markieren beide schauspielerisch den schwarzen Peter.

They Want Me Dead hätte so etwas wie Mörderischer Vorsprung mit Sidney Poitier werden können. Trotz der Feuer-Komponente und den wunderbaren Overviews auf amerikanische Wälder hat Taylor Sheridans Film leider nichts, was ihn aus der Masse routinierter Outdoor-Thriller hervorhebt. Da hilft nicht mal Angelina Jolies Diven-Bonus. Im Gegenteil, der wirkt manchmal fehl am Platz.

They Want Me Dead

Ema

FEUERTAUFE NICHT BESTANDEN

5/10


ema© 2020 Filmladen Filmverleih

LAND / JAHR: CHILE 2020

REGIE: PABLO LARRAIN

CAST: MARIANA DI GIRÓLAMO, GAEL GARCIA BERNAL, PAOLA GIANNINI, SANTIAGO CABRERA U. A.

LÄNGE: 1 STD 47 MIN


Wieder ein Film aus Chile! Noch dazu einer von Pablo Larrain – einem Mann, mit dem man filmhistorisch schon einiges anfangen kann. Zum Beispiel durfte unter seiner Regie Natalie Portman die traurige Witwe Jackie Kennedy mimen. Kenner und Liebhaber des Films Neruda werden sich ebenso angesprochen fühlen. Und überraschenderweise hat der von mir so sehr gepriesene Nobody Knows I´m Here mit Herrn Larrain auch noch seinen Produzenten gefunden. Ema ermöglicht dem Künstler eine Rückkehr in seine Heimat, genauer gesagt in die Hafenstadt Valparaíso, in welcher dieser doch recht eigenwillige Kunstfilm die chilenische Schauspielerin Martiana Di Girólamo einer Mutter Gottes gleich anzubeten gedenkt wie Klimt seine Muse Zuckerkandl, Henry Miller seine Anaïs Nin oder Franz Werfel seine Alma. Aus Martiana Di Girólamo wird eine Kunstfigur mit streng modelliertem, wasserstoffblondem Haar und lockeren Sporthosen – eine Reggaeton-Tänzerin, die aber ganz etwas anderes zu quälen scheint als die zum Leiden verpflichtende Kunst.

Die titelgebende Ema hat eine Künstlerbeziehung mit Gastón, gespielt von Larrains Haus- und Hofstar Gael Garcia Bernal. Beide haben ob der Unfruchtbarkeit des Mannes ein Kind adoptiert. Bald stellt sich heraus: beiden gelingt es nicht im Geringsten, zu tun, was Eltern für ein Kind eben tun müssen. Der Kleine siebenjährige Pablo bekommt unter anderem beigebracht, wie man Feuer legt. Das macht er dann auch – fackelt die Bude ab und seine Tante gleich dazu. Nach dieser Tragödie fällt der Entschluss, das Kind wieder zurückzugeben. Auch keine noble Tat. Da Ema Gastón die Schuld dafür gibt und umgekehrt, grübelt erstere darüber nach, wie es anzustellen wäre, dem grundsätzlich geliebten Kind nahe zu sein, ohne es wieder adoptieren zu müssen. Ema pirscht sich an die neuen Eltern ran, macht sie von sich abgängig, was eine feuchtfröhliche Menage a Trois zur Folge hat.

Zwischendurch spielt das Feuer keine unwesentliche Rolle. Es ist das, was Ema gut kann – abfackeln. Es brennen Ampeln, Autos oder Spielplätze. Kunst im öffentlichen Raum, wenn man Kunst nicht knebeln will. Zwischendurch wird getanzt und in spärlich beleuchteten Farbräumen Liebe gemacht, egal ob mit Mann oder Frau. Pablo Larrain hält die Zügel sehr locker, es scheint, als lässt er seine Muse einfach machen, kann sich nicht sattsehen an ihrem Gesicht, und ja, es stimmt, Martiana Di Girólamo weiß mit ihrer unnahbar-erotischen Ausstrahlung zu faszinieren. Allerdings scheint es so, als wäre Ema die urbane Installation einer freigeistigen Weiblichkeit, die sich plötzlich ihrer bioethischen Funktion als Mutter entbunden sieht.

Dennoch: Ema spielt zwar viel mit Licht und Farbe, findet surreal anmutende Arrangements und weiß gekonnt, mit seinen Tanz-Choreographien eine gewisse hypnotische Wirkung zu erzielen. Darüber hinaus allerdings bleibt das artifizielle Selbstfindungs- und Erotikdrama viel Kunst um wenig Substanz. Bis die ganze, vage angedeutete Geschichte überhaupt ins Rollen kommt, sorgen entrückte Dialoge und assoziative Szenen, die in ihrer Sinnhaftigkeit vorerst schwer zu verstehen sind, für hinauszögernde Affektiertheit. Viel zu spät wird das skurrile Tête à Tête etwas griffiger und runder, anfangs jedoch hat man das Gefühl, Larrain hätte vor lauter Faszination für seine Protagonistin völlig vergessen, was er hier eigentlich erzählen wollte.

Ema

Skyscraper

ALLES SENKRECHT

7/10

 

skyscraper© 2018 Universal Pictures International Germany GmbH

 

LAND: USA 2018

REGIE: RAWSON MARSHALL THURBER

CAST: DWAYNE JOHNSON, NEVE CAMPBELL, PABLO SCHREIBER, ADRIAN HOLMES, ROLAND MØLLER U. A.

 

Vergesst den 138 Stockwerke hohen Wolkenkratzer der Duncan Enterprises aus dem Film Flammendes Inferno, vergesst das Nakatomi-Gebäude aus Stirb Langsam – und überhaupt auch gleich den Burj Khalifa in Dubai, das zurzeit höchste Gebäude der Welt: Jetzt – oder zumindest in vorliegendem Actionfilm Skyscraper gibt es The Pearl, errichtet im Zentrum von Hongkong, senkrechte Science-Fiction aus Glas und Stahl, 240 Etagen hoch, also mehr als 100 Etagen mehr als noch zu Zeiten von Steve McQueen. Ein wahrer Hingucker, vor allem die gigantische Kugel ganz oben, wie die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Allerdings drängt sich in diesem Film nicht nur einmal die Frage auf, ob die wahren Schauwerte auf Kosten des Wolkenkratzers gehen – oder auf Dwayne Johnson. Ein Mann gegen ein Haus, das ist die Quintessenz des Films. Letzterem wird so richtig eingeheizt, die Flammen lodern, und Sicherheitsexperte Sawyer aka The Rock hat alle Muskeln voll zu tun, seine Frau und seine beiden Kinder aus dem eben erst von ihm inspektierten Gebäude herauszuholen, bevor alles zusammenkracht. Geschehen hätte diese Katastrophe gar nicht dürfen, doch ähnlich wie John McClane im Actionklassiker des Jahrhunderst hat es Dwayne Johnson zusätzlich noch mit Handlangerns diverser Syndikate zu tun, die die enorm hohe Nadel im Heuhaufen Hongkongs gerne umgeknickt sehen, aus Wut, Rache oder aufgrund der Gier nach geschäftsschädigenden Informationen. Geht natürlich nicht, da heisst es: kaputtmachen, was kaputtbar ist. Doch etwas, das scheint scheinbar unzerstörbar: wir wissen, es ist der stiernackige Riese mit diesem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, der liebende Familienvater und Pax-Schrank von einem Mann, so stark wie Obelix und ein Musterbeispiel von einem Gutmenschen, dem man wirklich alles anvertrauen würde, sogar die eigenen Kinder.

Dwayne Johnson ist natürlich nicht dafür bekannt, ein großes Repertoire unterschiedlicher Charakterrollen vorzuweisen. Das muss er aber auch nicht. Seine Rollen in San Andreas, Jumanji und Rampage waren kaum voneinander zu unterscheiden (man könnte auch hier ein Actionhelnden-Franchise aufbauen, wenn man aus all den Rollen ein und dieselbe Person macht), seine Rolle in Skyscraper zeigt aber verdächtig mehr Herzblut, als ich vermutet hätte. Und genauso wenig hätte ich vermutet, dass hinter dem scheinbar banal konzipierten, austauschbaren Sommerkino ein wunderbar geradliniger, grundanständiger Actionkracher verborgen liegt, der wieder Erwarten richtig fetzt. Auch wenn der Ausgang der simplen Story keinem Spoileralarm unterliegt und das Publikum weiß, dass Dwayne Johnson von geradezu halbgottgleicher Unsterblichkeit gesegnet ist, weiß Skyscraper das Spannungslevel in einigen Szenen bis in die oberste Etage zu steuern. Das liegt vor allem an den schwindelerregenden Blicken, die Papa Johnson in den Abgrund wirft, und sich zeitweise einhändig oder mit Prothese an irgendetwas festkrallt, um nicht kilometertief zu fallen. Leute mit Höhenangst sollten lieber nicht die 3D-Aufführung des Filmes besuchen, doch auch ohne Effektoptimierung will man am Liebsten gar nicht hinsehen. Da bleibt Regisseur Rawson Marshall Thurber gemeinsam mit Kameramann Robert Elswit hautnah am Geschehen, blickt dem hängenden Koloss über die Schulter in die Tiefe. Doch wer so stark ist wie Dwayne Johnson, wächst in Extremsituationen, die sich in knackigem Timing zügig abwechseln, noch zusätzlich über sich hinaus – und es gelingen akrobatische Manöver, die wir als weichgespülte Alltagshelden bereits im Ansatz alle versemmelt hätten. Dass die Ressourcen an Energie und Muskelkraft stets die volle Ladung liefern, ist natürlich realistisch betrachtet völlig unmöglich, doch das Gelingen des Selbstmordkommandos ist zu einem guten Zweck, und Johnson sichtlich angestrengt genug, um mit ihm mitzufiebern. Egal, ob unser Held an der Hausmauer baumelt oder in die rotierenden Windenergie-Rotoren springen muss, ob der Sprung vom Kran oder der immense Kraftaufwand als menschliche Hängebrücke – Skyscraper ist virtuoser Actionzirkus mit verblüffenden Stunts und scheinbar ohne doppelten Boden. Das flammende Inferno, das die elegante Architektur des Wolkenkratzers emporzüngelt, in bedrohliche Hochglanzbilder gerahmt.

Der beglückend geradlinige Reißer spart sich peripheres Beiwerk und macht Vieles richtig, was anderen Filmen dieser Machart oftmals misslingt. Natürlich fehlt der rotzfreche Zynismus eines John McClane, doch der einnehmend sympathische Riese ist kein Antiheld im Unterhemd, sondern im Hemd mit Kragen, dass aber am Ende nicht weniger dringend einen Waschgang benötigt wie das Feinripp von Bruce Willis.

Skyscraper

No Way Out

HELDEN WIE IKARUS

7,5/10

 

NO WAY OUT - GEGEN DIE FLAMMEN© 2018 Studiocanal

 

ORIGINALTITEL: ONLY THE BRAVE

LAND: USA 2018

REGIE: JOSEPH KOSINSKI

MIT JOSH BROLIN, MILES TELLER, JENNIFER CONNELLY, TAYLOR KITSCH, JEFF BRIDGES, ANDIE MCDOWELL U. A.

 

Grisu liegt mir in den Ohren. „Ich will Feuerwehrmann werden, ich will Feuerwehrmann werden!“ Kann sein, dass der kultige Drache aus dem Kinderprogramm spätestens nach Sichtung des vorliegenden Films seinen Berufswunsch neu evaluiert. Der Faszination für die Missionen eines Flammenbändigers, welcher bevorzugt die ganz Kleinen erliegen, tut das allerdings keinen Abbruch. Die Macht des Feuers lässt sich bequem mit dem bedrohlichen Gigantismus von Dinosauriern gleichsetzen. Bedrohungen also, deren Bezwingung vor allem Jungs in ihren Bann zieht. Der freiwilligen Feuerwehr anzugehören, ist etwas, dass ein bisschen nach stolzem Heldenmut schmeckt. Keine Frage, Feuerwehrmann macht was her. Für ausreichend Aufmerksamkeit in den Kinos schafft es der Reiz der Brandbekämpfung erst so richtig in den 90ern. Ron Howard erklärte uns den Backdraft – die Sogwirkung des Feuers in geschlossenen Räumen mit Zugluft. Durchs Feuer gingen damals die Creme de la creme Hollywoods wie Kurt Russel und William Baldwin. Eine Herzensangelegenheit für den Pyrotechniker in uns. Satt in Szene gesetzt – ein Heldenepos, natürlich verlustbehaftet.

Ähnlich geht es in Joseph Kosinski´s brandneuem Filmdrama zu. Aber bis auf das Feuer, den Rauch und die Gefahr ist in No Way Out – Gegen die Flammen alles ganz anders. Der Regisseur des Science-Fiction-Thrillers Oblivion mit Tom Cruise hat sich einer wahren Geschichte angenommen, die sich in Arizona vor rund 5 Jahren zugetragen hat. Anders als in Backdraft, wo der Feuerteufel in urbanem Gelände wütet, sind in Now Way Out (im original Only the Brave) Trockenheit, Hitze und Wind die todbringenden Eigenschaften, die ganze Landstriche einäschern. Die brennenden Wälder im amerikanischen Westen, vor allem in Kalifornien, haben es sogar in die österreichischen Schlagzeilen geschafft, von den Bränden Portugals mal abgesehen. Wie nun die Brandbekämpfer im offenen Gelände vorgehen, um den tobenden Inferni Herr zu werden, ist etwas, was mich fast dazu bewogen hätte, meinen zwölfjährigen Neffen in den Film mitzunehmen, der selbst bei der freiwilligen Feuerwehr anlernt. Interessiert hätte es ihn allemal. Nur gut, dass ich es letzten Endes nicht getan habe. Denn No Way Out ist alles andere oder weit mehr als ein zumutbares semidokmentarisches Abenteuer, das den Einsatz todesmutiger Männer ehrt oder gar Lust darauf macht, dem feuer die behelmte Stirn zu bieten.

Kosinski´s Film ist einer der traurigsten und bestürzendsten Filme der letzten Zeit. Sofern man die Fakten zu den Geschehnissen rund um die Yarnell Hill Fire nicht im Vorfeld nachliest, kann es gut und gerne passieren, dass No Way Out den Zuschauer bis ins Mark berührt. Jene, die nachgelesen haben, können sich zumindest auf das, was da kommen mag, schon irgendwie einstellen. Dafür haben diese es dann deutlich schwerer, die Vorgeschichte zu ertragen. Egal wie man es angehen würde – die bildgewaltige und hochkarätig besetzte Katastrophe wird ihren Eigenschaften als solche gerecht. Dabei lässt anfangs nichts davon erahnen, wo genau Kosinski und Drehbuchautor Eric Singer (American Hustle) eigentlich hin wollen. Alles spricht vorerst für relativ routiniertes Starkino mit einzelnen biographischen Skizzen, die leicht als dramaturgisches Beiwerk missverstanden werden können. Gediegene Seriendramatik wird spürbar, die Storylines eines Miles Teller oder Josh Brolin, beide schauspielerisch top, fordern die Geduld. Dazwischen die Arbeit der Hot Shots – Gräben ziehen, Feuer mit Feuer bekämpfen, Notfallübungen unter der Rettungsdecke. Interessant, routiniert, vielleicht zu nebensächlich – bis im letzten Kapitel alles seinen verdienten Sinn bekommt – und dem Team der Granite Mountain Hot Shots ein feuerfestes Denkmal gesetzt wird, dass sich ihren Leistungen und Entbehrungen mehr als würdig erweist.

Wer also Flammenaction erwartet, wird größtenteils enttäuscht werden. Wer Schauspielkino sucht, kann sich an jeder Menge Stars erfreuen. Und wer wirklich erfahren will, was die Extreme dieser Welt im Stande sind, einzufordern, wie Verlust sich anfühlt und Neuanfang funktioniert, wird bei No Way Out – Gegen die Flammen emotional überrascht werden.

No Way Out

Die Croods

ICE AGE WAR GESTERN

8/10

 

croods@ 2013 Dreamworks / Quelle: indiwire.com

 

LAND: USA 2013

REGIE: Chris Sanders, Kirk De Micco

MIT DEN STIMMEN VON Nicolas Cage, Ryan Reynolds, Emma Stone (original) U. A.

 

Von wegen früher war alles besser. Gar nicht wahr. Die humanoiden Wesen der präzivilisatorischen Frühgeschichte hatten überhaupt nichts zu lachen. Das Leben war hart, es gab anfangs nicht mal Feuer, und geschlafen wurde auf Stein in Höhlen, die nur bedingt vor gefräßigen Räubern bewacht wurden. Das Leben der Steinzeit, das war kein Honiglecken. Sondern ein permanentes Zittern. Und auch im Familienverband wurde es nicht besser, ganz im Gegenteil. Da hatte Mann auch noch Verantwortung zu übernehmen für den neugierigen Nachwuchs, der jeden Sonnenuntergang die letzten Strahlen der Sonne einfangen will. So eine Familie sind Die Croods. Eine fünfköpfige, stets hungrige Familie inklusive Oma, die die Nacht im Schlafhaufen verbringt und für das Frühstück noch schnell einem Elefantenvögel das Nest ausräumen muss, um satt zu werden. Gar nicht leicht. Nein. Wenn da nicht plötzlich ein Jüngling Marke Homo sapiens auftauchen würde, der die Familie Croods ins gelobte Land führen will – jenseits vulkanischen Sperrgebiets. Denn die Tektonik feiert fröhliche Urständ und ruckelt und zuckelt, was das Zeug hält. Eruptionen und Pyroklastische Ströme inklusive. Die muss keiner von den Croods live erleben.

Was folgt, kennen wir aus Ice Age. Ein Roadmovie ohne fahrbaren Untersatz, quer durchs Gelände. Aber obwohl uns die Geschichte in Ansätzen bekannt vorkommt, ist sie in Chris Sander´s Animationskomödie unvergleichlich besser erzählt. Die Steinzeit von Dreamworks Pictures ist eine fabelhafte, bunte Welt, die sich aber so was von überhaupt nichts auf prähistorische Authentizität gibt. Die Steinzeit des Cartoon-Kinos, die ist so zauberhaft, surreal und abgehoben, als hätte Kinderbuchautor Erwin Moser, leider erst kürzlich verstorben, einen Schwank aus der Frühzeit des Menschen erzählt. Auch bei Erwin Moser ist die Welt, die er beschreibt, bei Weitem nicht die unsere, sondern eine phantastische Verschmelzung aus Erdachtem und Bekanntem. Was in der Welt der Croods so kreucht, fleucht und den Boden erzittern lässt, sprüht vor Einfallsreichtum und ist obendrein noch unglaublich schön anzusehen. Inmitten dieses kreativen Szenarios frei nach naturhistorischen Fakten stolpert und bricht die eigenwillige Familie durchs Unterholz. Die Flintstones wären nicht so weit gekommen, trotz fahrbaren Untersatzes. Auch bei Fred Feuerstein und Co spielt Geschichtsbezug keine Rolle. Da leben Dinos mit Menschen unter einem Dach. Dinos gibt’s bei den Croods aber nicht. Das geht dort noch besser. Über Land schreitende Wale, Piranhavögel und bunt befellte Säbelzahntiger.

Schnappschüsse vor Erfindung der Fotografie? Klar geht das. Wer nach all dem märchenhaften Zoobesuch langsam müde wird, darf sich an einer für Animationsfilme ungewohnt niveauvollen wie selbstironischen Situationskomik erfreuen. An überraschend gelungenen Slapstick, der brüllen lässt vor Lachen. Und auch skeptische Familienfilm-Muffel vom Zwerchfell-Bann befreit. Ice Age war gestern, und obwohl The Croods bereits schon vier Jahre auf dem Buckel haben, lässt die zwar inhaltlich nicht sehr originelle, aber in den Details wunderbar erdachte andere Familien-Comedy Scrat, Sid und Co etwas alt aussehen. Und ja, den kuschelweichen, bunten Tiger würde ich lieber kraulen als Diego.

Die Croods