Blue Beetle (2023)

DIE EHRENRETTUNG DES PILLENDREHERS

4/10


bluebeetle© 2023 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ANGEL MANUEL SOTO

DREHBUCH: GARETH DUNNET-ALCOCER

CAST: XOLO MARIDUEÑA, BRUNA MARQUEZINE, SUSAN SARANDON, RAOUL TRUJILLO, DAMIÁN ALCÁZAR, GEORGE LOPEZ, ELPIDIA CARRILLO, HARVEY GUILLÉN U. A. 

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Zac Snyders großes Superheldenkino ist leider Geschichte. Zugegeben, ich war und bin ein Fan seines Stils. Snyders Zugang zu den Heroen von DC ist nach wie vor und aus meiner Sicht der treffsicherste. Vor allem jener, der den Comics aus vielerlei Hinsicht am gerechtesten wird. Da mag der düstere Batman von Matt Reeves vielleicht gar zu viel in den Abgrund geblickt haben – im Snyder Cut der Justice League oder eben auch im Extended Cut von Dawn of Justice findet das auf die Leinwand gewuchtete Superman-Universum genau die richtige Balance zwischen opernhafter Schicksalssymphonie und Teamgeist.

James Gunn will nun alles anders machen. Es soll bunter, lustiger, schräger werden. Für die Suicide Squad hat das perfekt gepasst. Für andere Superhelden-Genesen womöglich weniger. Wie für Blue Beetle zum Beispiel. Denn bunter, lustiger, schräger ist nicht gleich unverkrampft. Wer auf Teufel komm raus dem Konkurrenten Marvel nacheifern will – auch wenn dieser schon längst in einer Identitätskrise steckt – wird niemals einen eigenen Stil zustandebringen. Snyder hatte ihn. Nach ihm waren DC-Filme, mit wenigen Ausnahmen, nur noch eine Irrfahrt, insbesondere bei Black Adam. Bei Blue Beetle schwebt überdies noch der Anspruch über allem, dem ungeliebten Nachbarn Mexiko einen Comic-Actionfilm zu schenken, der das Temperament der Lateinamerikaner feiern und den Charme typischer Telenovelas versprühen soll. Stellt sich die Frage: Wie geht die Tragikomik einer politkritisch angehauchten Sozialkomödie mit den Prinzipien eines kunterbunten Actionfilms um?

Die Blue Beetle zugrundeliegende Tragik, die von einer lebenslustigen mexikanischen Familie aus der Halbvolles-Glas-Perspektive betrachtet wird, ist jene einer zutiefst verschuldeten und sozial benachteiligten Unterschicht, deren letzte Hoffnung im Studienabschluss des nun erwachsen gewordenen Sohnemanns liegt. Der kehrt vom Auslandsstudium wieder in die heimischen Gefilde zurück, nur um die Hiobsbotschaften seiner Liebsten zu vernehmen, die vom Herzinfarkt des Vaters und vom baldigen Verlust des Hauses erzählen. Die Zukunft von drei Generationen liegt also auf den Schultern von Jaime Reyes, dessen Ausbildung auch nicht dazu beiträgt, einen besseren Job zu ergattern als den einer Haushaltshilfe bei Victoria Kord (Susan Sarandon – nach langer Leinwandabstinenz wieder da und kein bisschen gealtert). Uns sagt der Name wohl nichts – im DC-Universum ist die Dame oberste Chefin eines den Stark Industries verwandten Rüstungskonzerns. Deren Nichte Jenny steht mit ihr auf Kriegsfuß, und als Jaime dann ein paar Tage später in den Heiligen Hallen des Konzerns reinschneit, um seine Karrierechancen zu verbessern, drückt ihm die junge, hübsche Konzernerbin eine Burger-Box in die Hand, mit der Bitte, dessen Inhalt mit dem eigenen Leben zu beschützen. Die Neugier ist zwar ein Hund, aber diesmal ist Bello eher ein Käfer, der sich vor den Augen der ganzen Familie auf Jaimes Rücken schnallt. Bald ist die finstere Victoria nicht nur hinter unserem Helden, sondern auch hinter dessen Familie her. Und Familie ist, wie wir alle wissen, das höchste Gut, dass es zu verteidigen gilt.

Neu ist das Ganze nicht. Die ethnisch diverse Familienbande mit Improvisationstalent – die unterschätzte Oma, die gerne zu Großkalibrigem greift; die schnippische, aber herzensgute Schwester. Und der Auserwählte, der nicht weiß, wie ihm geschieht. Bei Disney+ schildert die Genese von Ms. Marvel genau die gleiche Geschichte. Der einzige Unterschied: Ein raffgieriger Rüstungskonzern mit skrupellosen Schema F-Schreckschrauben, die alle Macht an sich reißen wollen – Gähn. Blue Beetle erzählt hier ein Abenteuer, dass so vorhersehbar ist, dass man sich sehnlichst wünscht, mit seinen Prognosen danebenzuliegen. Wenn dann eintritt, was zu erwarten war, lähmt der mangelnde Unterhaltungswert die bereits ungesunde Haltung im Kinosessel, Augenrollen inklusive.

Was bei Blue Beetle vielleicht funktioniert, ist die liebenswerte, aber schrecklich naive Figur von Xolo Maridueña. Seine anfängliche Verwirrung, wenn sich extraterrestrische Technik, die an Iron Man erinnert, Venom-gleich in den Körper gräbt und die Kontrolle übernimmt, ist das Launigste an einem Film, der seine ernstzunehmenden Ambitionen missachtet und die trivial-kitschige Fernsehkultur eines Landes, ausgerichtet für ein Massenpublikum, als As im Ärmel missversteht. Der 80er-Synthiesound, die Neon-Graffiti-Graphik im Vorspann – eine Liebesmüh, die sich nicht rentiert. Wenn der Held in seiner dunkelsten Stunde ins Jenseits schielt, um Verstorbene zu treffen, dann ist das nicht so reizend und authentisch wie in Coco – Lebendiger als das Leben. Dann ist das so kitschig wie so manche Illustration aus den Lebensratgebern endzeitaffiner Religionsgemeinschaften. Wenn der Held durch Hass und Wut, und durch sonst nichts das Schicksal für sich entscheiden kann, lacht sich anderswo der Imperator ins Fäustchen.

Blue Beetle ist das Schwächste, was DC seit langem produziert hat. Ein zuckersüßer Mischmasch ohne eigene Ideen und einer Sozialkritik, die nur alibihalber ins Skript kam. Wäre die Gewichtung vielleicht eine andere, würde der Film seine Landsleute auch ernst nehmen, hätte der Film gar das Zeug zu einer vielleicht kontroversen, volksnahen Identitätsfindung.

Blue Beetle (2023)

Jolt

SAUER MACHT LUSTIG

3/10


jolt© 2021 amazon prime


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: TANYA WEXLER

CAST: KATE BECKINSALE, BOBBY CANNAVALE, LAVERNE COX, STANLEY TUCCI, JAI COURTNEY, DAVID BRADLEY, SUSAN SARANDON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Grün wird nur, wer zum Hulk mutiert. Kate Beckinsale hält ihren Body-Maß-Index konstant, hat sich aber genauso wenig im Griff wie der Gigant aus dem Marvel-Universum. Denn Kate, die leidet in ihrer Rolle der assozialen Lindy unter einer massiven Störung der Impulskontrolle. Normalerweise ist dieses Verhalten fast ausschließlich ordentlich angetrunkenen Männern vorbehalten, doch diesmal bringt toxische Weiblichkeit den Dunstkreis patriarchaler Dominanz ins Wabern. Gut so, wenn sich der Spieß mal umdreht. Um aber sozial nicht ganz durch den Rost zu fallen, hat sich Lindys Psychiater (routiniert: Stanley Tucci) für seine Patientin etwas ganz Besonderes einfallen lassen: und zwar eine Art Elektroden-Korsett, welches Lindy unter Strom setzt, sollte sie unpässlich werden. Das züchtigt ihr hitziges Temperament. Und auch wenn die Gute fix zu glauben scheint, kein Mann würde sich jemals mit ihr auf etwas mehr als ein Techtelmechtel einlassen, scheint sie sich getäuscht zu haben. Denn Justin (Jai Courtney) gibt ganz den Frauenversteher. Ein One Night stand – schon erhofft sich Lindy etwas Festes. Blöd nur, dass sich ihre Träume in Luft auflösen, denn Justin wird tags darauf ermordet aufgefunden. Endlich ein triftiger Grund, wirklich wütend zu werden.

Um Sponsoren für ein Filmprojekt zu gewinnen, setzt man auf geschickte Produktplatzierung, vorwiegend sündteure Uhren und Elektronik. Sind diese Marken mal nicht am Start, kann’s auch gerne Fashion sein. Schuhmode zum Beispiel. Denn unter den Machern von Jolt dürfte es da den einen oder anderen Afficionado dafür gegeben haben, so oft, wie Kate Beckinsale in Knöchelhöhe abgefilmt wird, während sie in schwarzen Stiefeletten und in hautenger Lederhose über den Asphalt stolziert. Der erblondete Star wirkt wie das Testimonial für einen Werbespot unbestimmten Themas, wäre aber womöglich sehr gerne eine jener knallharten Vamps, die Luc Besson schon des Öfteren in Szene gesetzt hat. Dabei hat bei ihm alles mit Nikita begonnen. Da waren wir bei Lucy schon recht weit davon entfernt, dessen letzter Film Anna allerdings hat sich dem Ursprung wieder etwas angenähert. Das Script zu Jolt wäre auch für Besson etwas gewesen. Der hätte aber die mindestens Hälfte des Drehbuchs gestrichen. Denn das, was Tanya Wexler für amazon prime inszeniert hat, reicht gerade mal als müder Abklatsch bereits etablierter Östrogen-Ikonen.

Es wäre Beckinsale mitunter ja gelungen, ihren frechen Zornbinkel, der sich gern im Griff hätte, glaubhaft zu verkörpern. Doch diese Wut, wie wir sie kennen, und die in Filmen wie Wild Tales so richtig die Grenzen sprengt, scheint ihr fremd zu sein. Darüberhinaus ist das Engagement aller anderen Beteiligten endenwollend. Der übrige Cast, obwohl namhaft besetzt, gönnt sich aufgesetzte Manierismen, und das in einer Produktion, bei der, wie es scheint, vorne und hinten das Geld gefehlt hat. Nicht nur die Action ist stümperhaft choreographiert, vor allem auch der schlampige Schnitt ist eine Katastrophe. Es gibt da Szenen, da spricht Kate Beckinsale, aber ihre Lippen bewegen sich nicht. Des weiteren war für die Continuity wohl aus Kostengründen niemand zuständig. Diese lieblose Arbeit geht spürbar aufs Gemüt, dieses Nachahmen schneidiger Vorbilder, trotz des Versuches, das Ganze in eine Komödie zu konvertieren, scheitert an mehreren Fronten. Jolt weiß, wo sein Platz ist, nämlich auf einer Streaming-Plattform, da kann der Film nicht allzu viel anrichten. Anscheinend verspricht das Ende des Films gar eine Fortsetzung. Wenn’s soweit ist, werde ich den Impuls, hier einzuschalten, wohl unterdrücken müssen.

Jolt

Jesus Rolls

NEBENROLLEN, DIE WAS KÖNNEN SOLLEN

5,5/10


the-jesus-rolls© 2021 EuroVideo Medien GmbH


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: JOHN TURTURRO

CAST: JOHN TURTURRO, BOBBY CANNAVALE, AUDREY TAUTOU, SONJA BRAGA, CHRISTOPHER WALKEN, JON HAMM, SUSAN SARANDON, PETE DAVIDSON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 25 MIN


Ob der Dude nach 23 Jahren immer noch in ausgewaschenen Boxershorts in den Bowlinghallen abhängt? Ober immer noch gegen den Wind steht, vorzugsweise beim Verstreuen kremierter Verblichener? Der Dude wird wohl in diesem Leben auch nichts mehr Neues dazulernen. Und womöglich nicht nur er, sondern auch all die anderen schrägen Figuren, die anno 1998 in des Coen-Brüders Meisterwerk The Big Lebowski auf folgenschwere Art ihre Ansprüche geltend gemacht hatten. Eine dieser Figuren war Jesus Quintana. Ein mit der sakralen Farbe Lila liebäugelnder Bowling-Nerd, der (in heutigen Hygiene-Maßstäben undenkbar) gerne mal vor seinem Auftritt die Kugel leckt. John Turturro dürfte sich in diesen seinen extraordinären Auftritt nachhaltig verliebt haben. Und ja, der Begriff Nachhaltigkeit lässt sich im Zuge dessen auch neu definieren, denn: 23 Jahre später war’s dann soweit. Aber womit?

Um es klarzustellen: das hier ist kein Sequel von The Big Lebowski. Das hätten die Coens wohl selber gemacht. Dann lieber ein Spin Off. Auch dafür ist die querverweisende Ausbeute zum Original viel zu überschaubar. Jesus Rolls, wie Turturro sein Herzensprojekt nennt (mit dem recht kümmerlichen deutschen Subtitel Niemand verarscht Jesus) ist ein Herumexperimentieren mit einer kultisch verehrten, sich ebenfalls kaum veränderten Kunstfigur, die sich von grundsätzlich allem, was ihren Kultstatus erst ermöglichen konnte, emanzipiert hat. Was bleibt, ist ein schlaksiger Mittsechziger mit geflochtenen Strähnen, Haarnetz und lila Bowlingschuhen. Einfach, um die Wiedererkennung zu gewährleisten. Sonst aber ist dieses Roadmovie eine solitäre Liebhaberei, die sich der filmhistorischen Vorlage von Bertrand Bliers Ausgebufften-Konzept bedient. In welchem aber eigentlich nicht viel los ist, außer, dass alles passieren könnte, worauf die dem Hedonismus feuchtfröhlich zugewandten Tagediebe, die vorzugsweise mit gestohlenen Autos unterwegs sind, keinen Anspruch stellen. In den Siebzigern kamen Die Ausgebufften gerade zur rechten Zeit. Die Darstellung einer bedingungslos liberalen Sex-Gesellschaft war damals ein recht brauchbarer Nachklang zu den Jugendrevolten Ende der 60er und Deep Throat. Sex als gesellschaftsfähige Form des Müßigganges.

Heute sieht das natürlich anders aus. Und heute, da wirkt Bliers Konzept der bespaßenden Sex-Therapeuten wider Willen auch in John Turturros Überarbeitung wie ein retrospektives Überbleibsel des Glockenhosen-Kinos der naiven Alles-ist-möglich-Siebziger. Nur ohne Glockenhosen, dafür aber mit teilweise denselben Outfits, wie sie damals Depardieu und Patrick Dewaere getragen hatten. Diese Naivität aber scheint Jesus Rolls teilweise gar nicht so schlecht zu bekommen. Interessanterweise trägt dazu „Amelie“ Audrey Tautou (im Original war’s Miou-Miou) einiges bei, welche die klassisch französische Exaltiertheit frivoler Lustkomödien aus Westeuropa mit sich bringt. Ihre Rolle ist dringend notwendig, um hinderliche amerikanische Vibes zu unterbinden, die sonst der mit zahlreichen Star-Cameos gespickten Komödie ihren gewissen windigen Charakter nehmen.

Jesus Rolls ist als eine in den Tag hineingelebte Klamotte besser als ihr Ruf. Vielleicht auch, weil dieses völlig reuelose Nichtstun der leicht überheblichen Gauner-Clique keine Ausgangssperren genießt.

Jesus Rolls