Blair Witch Project (1999)

DER HORROR DES VERIRRENS

8/10


the-blair-witch-project©1999 Lionsgate

ORIGINALTITEL: THE BLAIR WITCH PROJECT

LAND / JAHR: USA 1999

REGIE / DREHBUCH: DANIEL MYRICK, EDUARDO SÁNCHEZ

CAST: HEATHER DONAHUE, JOSHUA LEONARD, MICHAEL C. WILLIAMS U. A.

LÄNGE: 1 STD 18 MIN


Zum 25 Jahre-Jubiläum zeigt Markus Keuschnigg im Rahmen seines diesjährigen Slash Filmfestivals abermals die Mutter aller Found Footage Filme auf großer Leinwand. Es wäre die Gelegenheit für jene, die den Hype von damals verpasst haben. Ich selbst kam vor Kurzem erst in den Genuss dieses Kultfilms mit einer der wohl besten Marketingstrategien aller Zeiten. Ist ein Film schließlich Pionier in einem eigens gegründeten Genre, welches es vorher so noch nicht gegeben hat, lässt sich das Publikum auch so behandeln, als setze es ihren Fuß auf eine Terra incognita, die wohl so einige Überraschungen und vor allem das Unerwartete bereithalten kann. Mit Blair Witch Project ließen sich schließlich Millionen an der Nase herumführen. Warum? Weil bis dahin Fake News noch etwas waren, was man maximal in der Zeitung las. Weil Dokumentationen – und nicht Propaganda – einfach nur dazu da waren, das interessierte Volk aufzuklären und nicht für dumm zu verkaufen. Für dumm verkauft wurde es zumindest anfangs doch – nach diesem PR-Gag wurde dann langsam klar: Dieser Film tut nur so als ob. Doch wie er das macht, ist so erschreckend glaubwürdig, dass man beim Zusehen darauf vergisst, sowieso schon längst des Besseren belehrt worden zu sein. Sieht man Blair Witch Project, will man um alles in der Welt daran glauben. Found Footage macht’s möglich.

Dieses Genre rund um random liegengelassene oder aufgefundene Beweismittel von verschollenen Forschern, Wissenschaftlern oder Studenten avancierte zu einer Unmenge an Geld lukrierenden, weil günstig produzierbaren Methode, vorzugsweise den Horrorfilm zu bedienen. Grobkörnige, schlecht gefilmte und verwackelte Videos, die den alten Aufnahmen von Geistern, Ufos und kryptozoologischen Phänomenen wie dem Bigfoot ähneln, wurden auf Spielfilmlänge gestreckt. Blair Witch Project schafft es auf knapp 80 Minuten, einzig und allein bestehend aus den Aufnahmen einer Handkamera, die das Unmögliche festgehalten hat: Die vermeintliche Evidenz einer unerklärlichen, bedrohlichen Macht in Form hexischer Zauberei. Drei Studenten, die den Beweis erbrachten, bleiben verschwunden. Ihre letzten Tage lassen sich einsehen. Und da erblicken wir im Grunde nicht viel außer den tiefen, unendlichen Herbstwald, rasch errichtete Camps, einen Flusslauf, keine geographisch markanten Anhaltspunkte, um wieder den Weg zurückzufinden und des Nächtens die alles verschluckende Finsternis. Als wären Hänsel und Gretel in den Forst unterwegs und hätten darauf vergessen, Brotkrumen zu streuen, setzen Daniel Myrick und Eduardo Sánchez auf den expliziten Horror des Verirrens und der Panik, die dann aufkommt, wenn langsam sickert, inmitten irrlichternder Botanik elendiglich zugrunde gehen zu müssen. Das Spiel mit den Urängsten als Blinde-Kuh-Horror hat begonnen.

Blair Witch Project ist, so simpel der rote Faden dieser Fake-Doku auch gestrickt scheint, äußerst klug fabriziert. Die Kreativlinge hinter dem Projekt setzen weder auf bekannte Horror-Versatzstücke noch auf Jump Scares noch auf Monster, die sich aus dem Dunkel schälen. Statt Geheimnissen auf den Grund zu gehen, schürt der Footage-Film das Unheimliche durch die Unmöglichkeit, jemals das Paranormale erklären zu können. In präzisen, ich will nicht sagen in homöopathischen, aber punktgenauen Dosen etabliert sich das Mysteriöse in gruseliger Akustik, seltsamen Geräuschen und bizarren Gebilden, die das Territorium als ein Verbotenes ausweisen. Wo Myrick und Sánchez aber in die Vollen gehen, ist, den emotionalen Notstand zu dokumentieren, welchem die Verirrten ausgesetzt sind. In ihrer Verzweiflung spiegelt sich all die Bedrohung von Seiten einer Natur, die so gnadenlos perfide manipuliert zu sein scheint.

Auch nach so vielen Jahren hat Blair Witch Project nichts von seiner Wirkung und seiner kreativen Genialität eingebüßt. Wie man sieht, ist es immer wieder mal möglich, in der Welt des Films weiße Flecken zu erwischen, die das bisher Dagewesene um Inspirierendes ergänzen. Nicht umsonst hält das Genre bis heute, auch nach schwächelnden Phasen. Paranormal Activity, Cloverfield oder André Øvredals Trollhunter sind Beispiele dafür, wie spielerisch sich dieses Konzept variieren lässt.

Blair Witch Project (1999)

Jauja (2014)

VERLOREN IN DER PAMPA

6,5/10


jauja© 2014 Arte


LAND / JAHR: ARGENTINIEN, USA, NIEDERLANDE, FRANKREICH, MEXIKO, USA 2014

REGIE: LISANDRO ALONSO

BUCH: LISANDRO ALONSO, FABIAN CASAS

CAST: VIGGO MORTENSEN, GHITA NØRBY, VIILBJØRK MALLING AGGER, ADRIÁN FONDARI, ESTEBAN BIGLIARDI, BRIAN PATTERSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Ein Ex-Häftling irrt wortlos durch den Dschungel, auf der Suche nach seiner Tochter. Das ist ein Film des Argentiniers Lisandro Alonso aus dem Jahre 2004, mit dem ernüchternden Titel Los Muertos – Die Toten. Zehn Jahre später hat der eigenwillige Filmemacher, dessen Stil ganz sicher nicht den Mainstream bedient, ein Drama ähnlichen Inhalts gedreht. Allerdings prominent besetzt. Viggo Mortensen nämlich spielt Gunnar Dinesen, einen dänischen Ingenieur Ende des 19. Jahrhunderts, der in Argentinien auf Seiten Kolonial-Spaniens gegen die aufständische indigene Bevölkerung kämpft. Mit auf dem fernen Kontinent weilt seine Teenager-Tochter Ingeborg, die den Einheimischen schöne Augen macht und gar vorhat, mit einem der jungen Soldaten durchzubrennen. Vater Mortensen sieht sowas gar nicht gern, er will seine Tochter beschützen – vor ihrem eigenen Willen und vor den lüsternen Augen der anderen. Doch die Jugend hat nun mal ihren eigenen Kopf und so kommt es, dass sich Ingeborg tatsächlich irgendwann des Nächtens aus dem Staub macht. Gunnar Dinesen hinterher, zuerst noch auf dem Pferd, dann nur noch zu Fuß, und irgendwann verschlingt ihn die Pampa, das steppenhafte Hinterland Argentiniens, in dessen Weite man das Gefühl für Zeit und Raum verliert, wo Orientierung nur dem Namen nach existiert und nicht nur Vergangenheit und Zukunft, sondern auch alternative Universen einander überlappen. Aus dem streng komponierten Historiendrama wird ein metaphysisches Vexierspiel rund um Verwirrung und dem Zulassen seltsamer Begebenheiten.

Wenn man schon einen Filmemacher mit dem unverwechselbaren thailändischen Film-Visionär Apichatpong Weerasethakul (u. a. Memoria) vergleichen könnte, dann nur zu Recht Lisandro Alonso. Wie Weerasethakul Zeit und Raum auf lakonische und geheimnisvolle Weise aushebelt, ohne angestrengtes Effektgewitter zu bemühen, so weiß Alonso ebenso, das Unmögliche in eine nüchterne, völlig pragmatische Realität zu setzen. Wie eine Tatsache, die nicht ergründet werden, sondern nur akzeptiert werden darf. Dabei fordert Jauja – die Bezeichnung für ein Land, in dem Milch und Honig fließt, ähnlich dem Paradies oder einer Art Schlaraffenland – bereits zu Beginn eine gewisse Bereitschaft von seinem Publikum ein, seine unorthodoxe Erzählweise zu akzeptieren. Im Format 4:3 und mit abgerundeten Ecken sehen wir geradezu unbewegliche Landschaftstableaus irgendwo an der Küste Argentiniens. Naturalistische Details rücken in den Fokus, dann wieder uniformierte Männer, deren fixierte Blicke wohl auf das junge Mädchen gerichtet sind, die mit ihrem Vater stoisch verharrt. In der Ruhe findet sich eine gewisse erzählerische Tiefe, die allerdings Geduld erfordert; eine meditative Gelassenheit, wenn sie nicht als sperrig gelten will, was durchaus leicht passieren kann. Mortensen lässt sich fast intuitiv und assoziativ treiben, er scheint zu improvisieren, lässt sich fallen in diese seltsame Odyssee, in die er später verloren geht, auf der Suche nach seinem Kind, jenseits des Rationalen.

Alonso hat seine ganz eigenen Visionen und ist ein Filmemacher, der alle Freiheiten zu genießen scheint. Filmkunst ist hier das höchste Gut, Anbiederung an breit gefächerte Sehgewohnheiten verachtenswert. Wie Weerasethakul lädt er nur jene zu seinem Film ein, die willens sind, sich genauso treiben zu lassen wie Mortensen. Was sie bekommen, ist ein indirekt phantastischer Film im Gewand eines südamerikanischen Westerns, in welchem das Mysterium des Verschwindens in der Weite dieser Welt zur Attraktion wird.

Jauja (2014)

Jungle

MUTTER NATUR IM NACKEN

6,5/10

 

Photo Editor© 2017 Splendid Film GmbH

 

LAND: USA 2017

REGIE: GREG MCLEAN

MIT DANIEL RADCLIFFE, THOMAS KRETSCHMANN, ALEX RUSSEL, YASMIN KASSIM U. A.

 

Welcome to the Jungle ist als Abenteuer-Euphemismus mal prinzipiell völlig falsch. Willkommenskultur kennt der Dschungel nämlich keine. Wer sich da hineinwagt, ist selber schuld. Als Dschungel wird mal über den Kamm geschoren alles bezeichnet, was einem tropischen Regenwald gleichkommt. Unwegsames Gelände, frei von Forstwirtschaft. Wo alles kreuz und quer wächst, was halt eben so wächst. Und wo sich Fuchs und Hase keine Gute Nacht wünschen, sondern auffressen. Klar gibt’s da auch diverse Levels im Ökosystem. Vom Convenience-Tropenwald für Öko-Ausflügler bis zu El Dorado als Stecknadel in einem Heuhaufen, der lebensfeindlicher nicht geht, der aber als Hot Spot der Arten im Grunde alle Stücke spielt – Der Amazonas. Der ist ja an sich „nur“ der Fluss, als Amazonas wird aber mittlerweile die gesamte grüne Lunge Südamerikas bezeichnet. Und die ist seit Menschengedenken ein metaphysisches Mysterium voller Legenden, Gefahren und One-Way-Tickets. Letztes Jahr war ich selbst am Rio Negro. Und ja – der kleine Teaser eines möglichen großen Abenteuers war berauschend genug.

Yossi Ghinsbergh war anfangs einer, der mit beiden Tickets in den Dschungel ging. Als Weltenbummler Anfang der Achtziger hat der Israeli schon so einiges von der Welt gesehen. Aber noch niemals so wirklich einen Dschungel. Welch ein Glück, dass ihm ein gewisser Karl begegnet – ein windiger Typ, ein Lonesome Cowboy, ein Aussteiger par excellence, so geheimnisvoll wie unberechenbar. Gemeinsam mit zwei anderen Reisegefährten macht sich Yossi auf ins neue Abenteuer – auf der Suche nach einem verborgenen indigenen Stamm mitten im Nirgendwo. Klar kommen die drei Reisenden in Anbetracht der fehlenden Erfahrung im Dschungel aller Dschungel wie die Jungfrau zum Kind. Wer die grüne Hölle nicht irgendwie einzuschätzen weiß, ist gefundenes Fressen. Also müssen die Burschen in jeder Hinsicht an ihre Grenzen gehen, bis sie sich trennen und der dubiose Karl mit einem der drei den Rückweg antritt – während Yossi und sein Compagnon auf einem Floß flussabwärts weiter ihr Glück probieren. Natürlich geht auch das schief. Der Worst Case tritt ein und die beiden verlieren und verirren sich. Wobei die True Story aus Sicht des Israelis erzählt wird. Und der ist fortan auf sich allein gestellt, irgendwo im Grünen, verloren und verdammt, im Kreis zu gehen, zu hungern und zu dürsten, sich von Ameisen beißen zu lassen oder als Wirt für Parasiten herzuhalten. Vom Jaguar verfolgt oder vom Regen durchnässt zu werden. Jungle ist ein Abenteuerdrama, das zeigt, wie sehr man die Natur nicht unterschätzen darf.

Für diesen Brutal-Exkurs nach Tatsachen, die auch in dem von National Geographic verlegten Bericht Dem Dschungel entkommen nachzulesen sind, hat sich niemand anderer als der erwachsen gewordene Harry Potter verpflichtet. Daniel Radcliffe, der immer noch verzweifelt versucht, das Brandmal des Zauberkünstlers von seiner Stirn zu wischen, glänzt in herausfordernden Rollen, die nicht jeder bereit wäre zu spielen. Wie Robert Pattinson dürfte Radcliffe seine kommende Schauspielkarriere im gehobeneren Independent-Sektor gut aufgehoben wissen. Schauspielern kann er ja, und ich persönlich folge Radcliffe – ob als furzenden Halbzombie oder ausgemergelten Überlebenskünstler – bei seinen filmischen Challenges wirklich gerne. Für Jungle hat sich Radcliffe Christian Bale´s Entbehrungsbereitschaft bei Werner Herzog´s Rescue Dawn abgeguckt – am Ende des Survivalthrillers ist der junge Brite kaum mehr zu erkennen, so lehmverkrustet und abgemagert stolpert er durch die prachtvolle Naturkulisse – die nur zum Schein das Paradies bereithält.

Der australische Filmemacher Greg McLean (Das Belko Experiment, Wolf Creek) bringt mit seiner zumindest teilweise als One Man Tor-Tour zu verstehende Blätterodyssee entwurzelten Alpha-Städtern, die die Welt, auf der wir leben, fahrlässig vergraulen, ordentlich Respekt bei. Wie klein Homo sapiens wird, wenn er auf einem Planeten ums Überleben kämpft, den er gewissermaßen als unterworfen sieht, lässt sich in Jungle treffsicher beobachten. Was ich für meinen Teil tun werde, ist, Yossi Ghinsbergh´s Bericht auf alle Fälle nachzulesen. Alle Details werden filmisch sicher nicht verarbeitet worden sein – und für all jene, die das Verhältnis Mensch-Natur genauso fasziniert wie mich, sei dieser spannende Bericht einer Entführung durch Mutter Natur entweder als Buch oder als Film gleichermaßen empfohlen.

Jungle