Deadpool & Wolverine (2024)

MEIN PARTNER MIT DER FRECHEN SCHNAUZE

7/10


DEADPOOL & WOLVERINE© 2024 20th Century Studios / © and ™ 2024 MARVEL.


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: SHAWN LEVY

DREHBUCH: RHETT REESE, PAUL WERNICK, ZEB WELLS, RYAN REYNOLDS, SHAWN LEVY

CAST: RYAN REYNOLDS, HUGH JACKMAN, MATTHEW MACFAYDEN, EMMA CORRIN, AARON STANFORD, MORENA BACCARIN, ROB DELANEY, LESLIE UGGAMS, DAFNE KEEN, JENNIFER GARNER, WESLEY SNIPES, CHANNING TATUM, JON FAVREAU, CHRIS EVANS U. A.

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Wade Wilson, der unkaputtbare Ex-Söldner und Superkiller, hat längst das Nirvana des gesamten filmischen Comic-Kosmos erreicht. Deadpool hat den Überblick, ganz so wie der am Zenit der Erkenntnis angekomme Siddharta, der später als Buddha in die Religionsgeschichte eingegangen sein wird. Denn alles, so weiß Deadpool, ist nur Kino. Alles nur ein Film, er selbst eine erfundene Figur in einem erfundenen Universum. Schließlich ist er der einzige, der begriffen hat, der zu sein, der er ist: Ein von Ryan Reynolds bislang unter Twentieth Century Fox auf die Leinwand gebrachter Charakter, der nun darauf hoffen darf, auf den kunterbunt-süßen Schoß von Disney zu krabbeln. Wenn Deadpool die vierte Wand durchbricht und über sein Dasein in einer völlig zerfahrenen Multiversum-Timeline schwadroniert – wenn er zurückgreift auf andere Filme, in dessen Sets er herumfuhrwerkt (in diesem Fall James Mangold‘s Wolverine-Abgesang Logan), hat uns der rotgekleidete Berserker längst in sein Allerheiligstes eingeladen, um als Teil seines überschaubaren Freundeskreises dem Eskapismus zu frönen, fern jedweder Betroffenheit, jeder noch so unschönen Realität oder ernsten Angelegenheit. Diese Extra-Lizenz, keiner von Marvel sonst wie aufgestellten Benimmregel folgen zu müssen, verleiht dem jovialen Vielredner und Possenreißer den Status eines Hofnarren, der selbst den König einen Dolm nennen darf. Diese lausbübische Freiheit verlangt es, dass Deadpool gar das Problemkind des von Kevin Feige etwas zerfahrenen MCU beim Namen nennt – und die Kurve deswegen kriegt, weil er weniger das Multiversum-Dilemma nochmal aufkochen, sondern viel lieber mit einer stiefkindlich betrachteten Nebenschiene des Marvel-Kosmos kokettieren will: Den X-Men.

Ufert das Ganze dann nicht noch mehr aus, wenn die Avengers und die X-Men synergieren sollen? Jedenfalls ist diese Fusion wohl besser, als sich in multiplen Realitäten noch mehr zu verlieren. So sehr diese Prämisse anfangs auch vielversprechend schien – so wenig ist sie zu gebrauchen. Weil sie sich totläuft. Einmal allerdings noch, lässt sich auch Deadpool den Ritt auf dem Zeitstrahl nicht nehmen, und wer die souveräne Serie Loki gesehen hat, weiß längst Bescheid, was es mit der TVA – der Time Variance Authority – auf sich hat. Auch Wade gerät in die Mühlen dieser Bürokratie, weiß aber, dass er sein eigenes Universum nur dann vor der behördlichen Vernichtung retten kann, wenn er den in seiner Welt verstorbenen Wolverine von woanders klaut. Nach einigen Versuchen findet er ihn: einen in Selbstmitleid, Alkohol und Gram ertrunkenen Superhelden, der alles vermasselt hat. Man kann sich denken, wie sich die beiden wohl vertragen werden. Ob sie gemeinsame Sache machen oder nicht: letztlich landen Sie an einem Ort, den wir ebenfalls aus Loki kennen und an welchem Kooperation besser ist als gegenseitiges Aufschlitzen.

Ja, sie sind das Dreamteam des MCU. Besser noch als der Falcon und der Winter-Soldier. Besser noch als Hulk und Thor. Oder Wanda und Vision. Die beiden sind wie Jack Lemmon und Walter Matthau, wie Bud Spencer und Terence Hill. Wie Shawn Levy (Stranger Things, Free Guy) diese Bromance auf Spur bringt, ist weder konfus noch ausufernd noch an den Haaren herbeigezogen, sondern lebt von dieser auch privaten innigen Freundschaft zwischen Ryan Reynolds und Hugh Jackman. Diese Spielfreude und die Bereitschaft, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen, ist das Fundament für ein heillos überzeichnetes, aber niemals zuviel wollendes Abenteuer, dass zwar nie die groteske Häme der Boys erreicht, dafür aber die blutrünstige, in ihrer Gewaltdarstellung hyperrealistisch karikierte Optik übernimmt. Literweise Kunstblut fließen schon in den ersten Minuten des Films, in welchen Deadpool unter den Klängen der Backstreet Boys die Exekutive der TVA zerschnetzelt. Wenn Wolverine dann auch noch seine Klingen ausfährt, wird es richtig schön deftig. Und fast schon sinnlich.

Angereichert mit Seitenhieben auf Franchises, Medien und längst eingestampften Ex-Superhelden, die ihre Gastauftritte genießen, liefert Deadpool & Wolverine vergnügliche zwei Stunden reinsten Schabernacks. Die mit Ernst angehauchte Realitätskrise Wolverines steht ganz im Gegensatz zu Reynolds permanentem Sarkasmus, zusammen stemmen sie eine gottseidank heruntersimplifizierte Story, deren Antagonistin in ihrer Grimmigkeit zwar fehl am Platz wirkt, von den beiden Kapazundern, die wirklich jeden Quadratzentimeter des Films leidenschaftlich einnehmen, aber mitgerissen wird.

War schon der letzte Deadpool ein Schenkelklopfer schlechthin, entgeht der dritte Teil dank Wolverines brachialer und comicgetreuer Rückkehr einer vielleicht nervtötenden Redundanz. Seine Bühnenpräsenz zu teilen, tut Deadpool äußerst gut. Und auch umgekehrt. Beide gemeinsam haben eine Zukunft, wobei Jackman wohl nicht mehr seinen Adamantium-Arsch vor die Kamera schieben wird. Doch warten wir mal ab. Reynolds ist schließlich beharrlich.

Deadpool & Wolverine (2024)

Der Prinz aus Zamunda 2

DES KÖNIGS NEUER BASTARD

3,5/10


zamunda2© 2021 Amazon Prime Video / Paramount


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: CRAIG BREWER

CAST: EDDIE MURPHY, ARSENIO HALL, SHARI HEADLEY, JERMAINE FOWLER, KIKI LAYNE, LESLIE JONES, TRACY MORGAN, WESLEY SNIPES, JAMES EARL JONES, MORGAN FREEMAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Wie weit liegt wohl das Königreich Wakanda vom Königreich Zamunda auf dem Globus der Popkultur entfernt? Womöglich unendlich weit. Oder aber der afrikanische Grabenbruch ist zur unüberwindbaren Schlucht geworden. Auf der einen Seite High-Tech bis zum Abwinken, auf der anderen Seite der gute alte, konservative Palaststaat, der sich in den letzten 30 Jahren kein bisschen weiterentwickelt hat. Das also ist Zamunda. Ein Ort, reich an rhythmischer Fake-Folklore für die sommerliche Bühnenshow in Hintertupfing, damit die dort auch wissen, was Afrika eigentlich ausmacht. Prächtig, dieser Schmuck. Prächtig sogar der übergeschnappte Diktator aus dem Nachbarstaat mit Sonnenbrille, barockem Ordenswams und tänzelnden Schritten. Mittendrin in diesem Kostümball: Eddie Murphy, der laut einem Interview in cinema wirklich nichts weniger möchte, als mit einem seiner letzten „Gurkenfilme“ (O-Ton Murphy) aus dem Rampenlicht zu verschwinden.

Da fragt man sich: Eddie Murphy, was ist passiert? Du hattest bereits so ein tolles Werk in der Tasche, nämlich die Biopic Dolemite is my Name. Mit diesem Film bleibst du schon mal in guter Erinnerung. Der Prinz aus Zamunda 2 kann dann wohl der Qualität letzter Schluss aber nicht gewesen sein. Denn dieses sehr verspätete Sequel, gewidmet all jenen ab 40 aufwärts, posiert als eine Art Appendix des ersten Films aus dem Jahr 1988, ein Prolog sozusagen, der kurz mal Einblick gibt in den zamundanischen Hof, wobei wir beruhigt feststellen können, dass diese Liaison von damals wohl lang genug gehalten und uns auch einige Nachkommen beschert hat, die vielleicht, da weiblicher Natur, das starre Korsett der Traditionen zum Einsturz bringen könnten.

Zuerst mal geht das gar nicht – Frauen als Königinnen. Wo kämen wir denn da hin? Zumindest nicht nach Wakanda. Allerdings gibt’s da einen Bastard aus Queens, einen männlichen wohlgemerkt. Den muss sich Prinz Akeem (mittlerweile König nach einem Begräbnis seines Vaters zu Lebzeiten) unser seine Fittiche nehmen, sonst geht der Ministaat inmitten löwenreicher Savanne baden. Also nochmal nach Amerika, nochmal in den Friseursalon, nochmal kurz Culture Clash. Und keine Furcht vor schlüpfrigen Zoten, die so witzlos sind wie mancher Taxifahrer im Big Apple während der Stoßzeit.

Es ist erstaunlich, wie wenig Herzblut in diesem Film steckt. Ein stattlicher Cast mit so einigen bekannten Gesichtern und Pop-Cameos von Saltn´Peppa bis was weiß ich wohin kann nicht genug sein, vor allem dann nicht, wenn Craig Brewer versucht, mit seiner Sympathie für den schenkelklopfenden Komödienstil der 80er eigentlich das reaktionäre Gegenteil zu erreichen. Überdrehte Ulknudeln, Sauna-Kalauer unter älteren Sportsfreunden und der schläfrige Versuch, das alles mit einer RomCom zu verknüpfen, die gesellschaftspolitisch ausgeschlafen sein will. Eine fragwürdige Komödie, die man nach 10 Minuten gerne sein lassen würde, die aber, so seltsam es klingen mag, dank der vielen Werbung auf amazon prime fast ein schlechtes Gewissen erzeugt, würde man das tun. Also durch bis zum Ende, die vielen Latexgesichter von Murphy und Hall nochmal sehen – und sich wundern über so viel ungenutztes Potenzial. Dafür kann sich Eddie Murphy im Hinblick auf sein Schauspiel wirklich König nennen. Rarer Lichtblick: Filmtochter KiKi Layne, die als einzige begriffen hat, dass wir längst nicht mehr die Achtziger haben.

Der Prinz aus Zamunda 2

Dolemite Is My Name

DRESSED FOR SUCCESS

7,5/10

 

dolemite© 2019 Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: CRAIG BREWER

CAST: EDDIE MURPHY, WESLEY SNIPES, MIKE EPPS, CRAIG ROBINSON, KEEGAN-MICHAEL KEY, SNOOP DOG, CHRIS ROCK, KODI SMIT-MCPHEE U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN

 

Schweigen ist Gold – das war für Quasselstrippe Eddie Murphy niemals die Devise. Untermalt von Harold Faltermeyers kultigen 80er-Klängen konnte der Beverly Hills Cop so richtig zum Filmstar avancieren, bevor Klamotten wie The Nutty Professor ihn irgendwie auf das zweifelhafte Niveau eines Adam Sandler brachten. Der hat sich wiederum endlich aufgerafft und im auf Netflix erschienenen Krimidrama Der schwarze Diamant gezeigt, was eigentlich in ihm steckt. Murphy hat es nach langer Auszeit und vernachlässigbaren Releases endlich auch geschafft, und ebenfalls dank Netflix. Der Streamingriese, der autark denkenden Filmemachern und risikobereiten Leinwandkünstlern immer mehr eine Plattform bietet, die große Studios aus Angst vor Geldeinbußen nicht mehr zur Verfügung stellen, hat Craig Brewers Künstlerbiographie ohne viel Federlesens ins Programm aufgenommen – zum Glück all seiner Abonnenten. Dolemite Is My Name ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert, und abgesehen davon, dass sie Eddie Murphy eine Golden Globe-Nominierung eingebracht hat, funktioniert dieses wunderschön ausgestattete Underdog-Epos als detailliert erzählte Zeitgeschichte, Charakterstudie und Feel Good-Movie, was man angesichts der Lebensgeschichte eines Künstlers ja fast gar nicht vermuten würde. Wo bitte bleibt der Absturz, die verbitterte Erkenntnis, den Zenit des Erfolges überholt zu haben? Bei Rudy Ray Moore gab´s das anscheinend alles nicht. Und wenn, dann ist das nicht Thema des Films. Denn dieser offenbart das Geheimnis eines Erfolges einer für die Bühne geborenen Rampensau, die alles, nur nicht im stillen Kämmerlein vor sich hinleben will.

Anfänglich allerdings bescheren ihm seine stümperhaften Zoten kaum Aufmerksamkeit. Niemand will Rudy Ray Moore hören, der als Conférencier in einem Club die Konkurrenz ankündigt. Doch dann schnappt er bei einem Obdachlosen einige ziemlich schlüpfrige Altherrenwitze auf, die er allesamt aufschreibt und so in diesem Stil weitermacht. Aus Zoten werden obszöne Reime mit allerlei schmutzigen Wörtern. Auf einmal findet er Anklang, füllt die Hallen, bringt Schallplatten heraus. Erfindet seine Kunstfigur: Dolemite. Ein Dandy in knallbunter, überstilisierter Gewandung und ohne jegliche Furcht vor Farb- und Musterkombinationen. Alles war das aber dennoch nicht. Dolemite will einen Film drehen. Und setzt dafür alles ihm Menschenmögliche in Bewegung. Was dabei entsteht, sind zeitgeistige Blaxploitation-Eskapaden und die bis heutig gültige Bedeutung Moores als Urvater aller Reimrapper.

Dolemite Is My Name feiert sich selbst als exaltierte Kultur- und Gesellschaftsgeschichte. Eddie Murphy, stets in feuchte Träume schreiender Textilkunst gekleidet, findet für die Interpretation des umtriebigen Checkers und Machers einen angenehm ausgewogenen Zugang, ohne jemals zu dick aufzutragen oder seinen gewohnten Redeschwall loszulassen. Eddie Murphy ist nicht Eddie Murphy, sondern Dolemite. Ähnlich großartig gibt sich Wesley Snipes in der Rolle eines völlig von sich selbst überbewerteten Allürenkaisers und Regisseurs, der dem obskuren Filmprojekt zur Hand geht. Brewers opulentes Making-of-Success lässt sich mit Filmen wie Ed Wood oder The Disaster Artist vergleichen, deren Story hinter den ambivalenten Werken ungleich interessanter sind. Rudy Ray Moore allerdings ist der am meisten geerdete unter den genannten Größen, seine Motivation, wofür sie auch stehen mag, ist auf sympathische Art ansteckend.

Klar, Dolemite Is My Name ist ein spezieller Film, eine Sitten- und Verhaltensstudie, aber darüber hinaus immer noch ein großes Vergnügen, wenn es darum geht, neue Wege zum Ruhm zu gehen, die nur mit Beharrlichkeit und Idealismus begehbar sind. Kurzum: der Weg ins Kino als großes Kino.

Dolemite Is My Name