Midsommar (2019)

DIE BLUMEN DES BÖSEN

9/10


© 2019 A24


LAND / JAHR: USA, SCHWEDEN 2019

REGIE / DREHBUCH: ARI ASTER

CAST: FLORENCE PUGH, JACK REYNOR, WILL POULTER, WILLIAM JACKSON HARPER, VILHELM BLOMGREN, LIV MJÖNES, BJÖRN ANDRÉSEN, ANNA ÅSTRÖM, LOUISE PETERHOFF, HENRIK NORLÉN, HAMPUS HALLBERG, ISABELLE GRILL U. A.

LÄNGE: 2 STD 28 MIN


Sommer, Sonne, Sonnenschein. Welch ein Graus. Viel zu heiß, viel zu trocken, viel zu viele Leute unterwegs, die alle den Drang verspüren, hinaus zu müssen. Diese strahlend helle Jahreszeit, in der es nie wirklich dunkel wird und der fetzblaue Himmel langweiliger nicht sein kann, sind mir die unliebsten Monate im ganzen Jahr, das muss hier an dieser Stelle und bei keinem anderen Film endlich mal gesagt werden. Dieser Sommer wird sich bis in den September oder gar Oktober hineinhängen, es ist schlichtweg gruselig. Ganz so, wie Ari Aster es gerne hat.

Ich muss zugeben, mit dem Umstand des Gruselns ist man bei Midsommar schon ziemlich früh durch. Was danach folgt, ist ein unbequemer, beklemmender Gesamtzustand, der wie in den Werken von David Lynch nur schwer zu beschreiben ist. Aster dürfte wie nur wenige Horrorfilmer höchst sensitive Antennen dafür haben, um genau zu erkennen, was genau einen Alptraum ausmacht. Es sind nicht Monster, es ist nicht Blut, keine Gedärme oder ratternde Motorsägen. Es sind keine Gespenster und Dämonen, die aus dunklen Fluren daher gekrochen kommen. Das ist es alles nicht. Lynch hat es begriffen, Aster ebenso: Irgendetwas, nur keiner weiß was genau, ist faul an dieser erschaffenen Realität. Irgendwo gibt es eine Bedrohung, etwas unaussprechlich Grausames, es ist in diesem Film irgendwo inhärent, unsichtbar, unterschwellig. Dieser wunderbare und von fast allen geliebte schweißtreibende und dehydrierende Sommer, dieses Paradies aus Blumen, Bäumen, saftigen Wiesen und weißen Gewändern, ist lediglich die Kehrseite einer Dunkelheit, die über den Zuseher herfällt wie ein schleichender Sonnenbrand trotz Schutzfaktor 50. Diese destruktive Einstrahlung in Midsommar ist aber nicht Teil des Wetters, sondern einer isoliert lebenden Kommune, einer radikalen, sektiererischen Gemeinschaft, die archaische Bräuche hochhält und mit der fundamentalen Folklore eines Landes verstörende Methoden zur Preisung einer mythisch aufgeladenen Sonnwende rechtfertigt.

Dieser fremden, mit dem Irrsinn frohlockende Welt darf Florence Pugh beitreten, gemeinsam mit ihrem Freund Jack Reynor, der wiederum wen kennt, der wen kennt, der als Mitglied in diesem sommerhellen Reigen Leute von außerhalb, am besten Ferntouristen, ins schwedische Nirgendwo mitnimmt. Auch, um Dani, so Pughs Figur, von ihrer Trauer abzulenken, die ihre psychisch kranke Schwester in einem erweiterten Suizid verursacht hat. Wir sehen diese erschreckende Tragödie als tief verschneiten Epilog, wir sehen hier diese Dunkelheit, die wir später zu vermissen glauben, doch sie ist da, sie tarnt sich nur, und zwar so geschickt, dass sich niemand ihr entziehen kann. Und so gerät die nichtsahnenden Truppe, genauso wie wir Zuseher, völlig unbedarft und unvorbereitet in einen ausweglosen Zustand, der so seltsam, schockierend und so sehr kaum zu glauben ist, dass alle, die nicht wissen, was als nächstes kommt – und das weiß man nie – mehrmals das Gesehene durchdenken müssen, um es als wahr zu begreifen. Dabei setzt Aster seine verstörenden Schocks so perfide ein, dass sie stets in Wechselwirkung mit dem zauberhaft Schönen stehen, mit einer Welt aus bunten Blüten, fröhlichen Gesängen und gleißendem Licht. Die Sogwirkung ist exzellent, an Midsommar bleibt man hängen wie an einer Naturkatastrophe oder einem durch Menschen verursachten Unfall, an schlechten Nachrichten und plötzlichen Toden. Man kann nicht wegsehen, man fühlt sich bezirzt und man kann sich nicht wehren. Was schließlich noch schlimmer ist als jede Höllenfahrt ist das falsche Gute, das verdorbene Schöne, das wie so manch dralle, saftige Beere oder der rot glänzende Apfel in Schneewittchen andere verlockt, davon zu kosten.

Asters Midsommar geht mit dem Alptraumhaften auf eine Weise um, das kann sonst niemand. Zumindest entzieht sich mir Vergleichbares. Sein Werk hebt das Genre auf ein kunstfertiges Arthouse-Level – ähnlichen Filmen wie The Other Lamb gelingt das nicht, obwohl sie gerne hätten, es wäre so. Die Pracht in Midsommar ist betörend, das Böse irritierend, eine heile Welt niemals existent. Asters Meisterwerk hallt lange nach und ist nicht minder so komplex und andersartig wie Shining oder Mulholland Drive. Während die letzten beiden Filme aber die Dimensionen umkrempeln, holt sich Midsommar seinen Schrecken aus nur dieser einen, unseren Dimension, in der selbst nur wenige Worte, Gesten und pervertiere Konnotationen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Für einen heißen Sommer ist das Abkühlung genug.

Midsommar (2019)

Ant-Man and the Wasp: Quantumania (2023)

AVENGERS IM WUNDERLAND

7,5/10


ANT-MAN AND THE WASP: QUANTUMANIA© 2023 Marvel Studios


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: PEYTON REED

BUCH: JEFF LOVENESS

CAST: PAUL RUDD, EVANGELINE LILLY, KATHRYN NEWTON, JONATHAN MAJORS, MICHELLE PFEIFFER, MICHAEL DOUGLAS, BILL MURRAY, KATY O’BRIAN, COREY STOLL, WILLIAM JACKSON HARPER U. A.

LÄNGE: 2 STD 5 MIN


In der Quantenwelt ist alles möglich. Und auch nichts. Aber das wiederum gleichzeitig, weil all das, was dort stattfindet, nicht beobachtet wird, und sich erst durch Messung definiert. Spannend, was dort so abgeht. Nähergebracht erst letztes Jahr durch Österreichs Nobelpreis-Physiker Anton Zeilinger, der diese raffinierten Quanten erst durch die Tatsache der Verschränkung auf frischer Tat ertappen hat können. Näher gehe ich an dieser Stelle aber nicht mehr auf die Materie ein, denn erstens habe ich im Grunde keine Ahnung davon und zweitens beglückt mich einfach diese Tatsache, dass diese mysteriöse Welt wirklich existiert, genauso wie Marvel-Mastermind Kevin Feige, ohne dabei aber den Anspruch wahren zu müssen, akkurates Wissen zu vermitteln.

Zeit, Raum und die Gesetze des Lebens, die das sichtbare Universum prägen, sind dort, im wilden Raum der Wissenschaft, für alles zu haben. Und so kann es passieren, dass sich Anton Zeilinger, Alice-Schöpfer Lewis Carrol und vielleicht auch George Lucas unter der Begleitung von Hieronymus Bosch in dieser Quantenwelt auf ein Bier treffen, um über einen Film zu brainstormen, der genau das beinhalten soll: Phantastische Abenteuer im Nirgendwo und Überall. Was dabei entstehen könnte? Ungefähr so etwas, wie es nun über die Leinwand flimmert. Wie Ant-Man and the Wasp: Quantumania. Verrückt-phantastisch wie Alice im Wunderland, aufregend wie eine Space Opera und hirnakrobatisch wie die Fieberträume eines Physikers. Ergänzt wird das Ganze vom gotischen Meister der Phantasmagorien, eben besagter Bosch, der mit Kreaturen aller Art seine Darstellungen von Himmel und Hölle dicht bevölkert hat. Der Einstand der MCU-Phase 5 ist ein Abenteuer, das die rotzfreche Buntheit der Guardians oder Waikikis Thor-Abenteuer in einem Sinne übertrumpft, der nicht unbedingt witziger sein muss, aber trotz all der Fülle an Schauwerten weniger verpeilt und deutlich stringenter scheint. Sagen wir: ungefähr wie Doctor Strange in the Multiverse of Madness.

Und das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Das MCU ist seit jeher darum bemüht, im Grunde eine einzige, riesengroße, zusammenhängende Geschichte zu erzählen. Diese temporären, losen Enden, die dabei entstehen, wedeln aber viel zu lange sehnsüchtig nach Anschluss, daher gibt es seit WandaVision auf Kino-Niveau ausgearbeitete Serien, die all die Standalone-Kinoevents besser miteinander verknüpfen sollen. Wie schon beim letzten Doctor Strange-Abenteuer erhält dieser Film viel mehr Bedeutung und Tiefe, wenn man das vorhin erwähnte Serienschicksal von „Scarlett Witch“ Wanda Maximoff kennt. Sie sind der Unterbau für Benedicts Cumberbatchs Expeditionen ins Multiversum. Für Ant-Man and the Wasp: Quantumania wäre es dienlich, die erste Staffel von Loki zu kennen – um überhaupt zu verstehen, was es mit Kang dem Eroberer, der als neuer Erz-Nemesis die neue Phase dominieren soll, auf sich hat.

Für jene, die sich die Serie ersparen wollen, hol ich hier mal etwas aus. Alle anderen bitte am Spoiler vorbeilesen, der – Achtung – jetzt beginnt: Am Ende des Show-Formats mit Tom Hiddleston gelangt Thors missratener, aber superwiffer Bruder, nachdem er nach seinem Timeline-Fluchtversuch in Avengers: Endgame von der TWA – der Time Variance Authority – in Gewahrsam genommen wurde, nach langem Hin und Her ans Ende aller Zeiten, wo er auf Jenen, der bleibt trifft. Eine Version des späteren Kang, den wir nun in diesem neuen Film hier sehen, der es aber geschafft hat, die Multiversen unberührt voneinander in Griff zu behalten. Dummerweise und trotz aller Vorwarnungen tötet Loki diesen Mann, was ordentlich Chaos anrichtet und die vielen Parallelwelten aufeinander einstürzen lässt. Nur dadurch ist es überhaupt erst dazu gekommen, dass Ant-Man and the Wasp: Quantumania seine Geschichte erzählen kann. Spoiler Ende.

Und nun passiert das: Die ganze Familie Pym inklusive Scott Lang alias Ant-Man und dessen Tochter Cassie werden in die Quantenwelt gesaugt, als würden sie dem weißen Kaninchen folgen. Dort angekommen, sieht es aus, als wären wir in Strange World gelandet, aber dann doch auch wieder nicht, denn diese Welt jenseits des Erfassbaren ist wiederum ein Universum für sich, bevölkert von mindestens so vielen unterschiedlichen Spezies, wie sie im Star Wars-Universum versammelt sind. Da wir Marvel-Kenner wissen, dass Hope van Dynes Mutter Janet (Michelle Pfeiffer, äußerst gut in Form) 30 Jahre an diesem Ort gefangen war, ist sie dort auch keine Unbekannte mehr. Und rückt so nach und nach mit der Wahrheit raus, was es mit der Gefährlichkeit dieser Welt eigentlich auf sich hat. Epizentrum des Übels ist dieser Kang, der die Völker der Quantenwelt unterjocht und auf die Rückkehr der Ant-Man-Dynastie wartet, um seine eigene auf die gesamte Existenz loszulassen.

Verdammt noch eins! Dieses dritte, wieder von Payton Reed inszenierte Fantasy-Spektakel lässt in Sachen Bildgewalt nichts anbrennen, dabei ist diese Flut an absurden Ideen (u. a. ein Wesen, dass aussieht wie Brokkoli oder einem Blubber ohne Löcher) niemals Selbstzweck, sondern teil eines großen, ganzen, irren Universums, die locker Verwendung finden, ohne vor den Latz geknallt zu wirken wie unlängst in Thor: Love and Thunder. Für manche mag das sicher zu viel sein und daher flach wirken. Was viele aber überraschen wird: Marvel Comics, die Vorlage all dieser Superheldenfilme, sind so. Überbordend, knallbunt, hemmungslos und vor allem eins: selbstironisch.

Geht man auf die Machart des Films ein, so sind die CGI-Welten absolut geglückt, und die agierenden Stars davor scheinen auch nicht so, als wären sie ihr eigener Layer. In dieser Quantenwelt verschmilzt alles irgendwie miteinander, und wie schon erwähnt, sind hier unterschiedlichste Ansätze am Werk – von enthusiastischer Experimentierfreude aus der Wissenschaft bis zum mittelalterlichen Inferno. Die ehrwürdigen Altstars Michelle Pfeiffer und Michael Douglas haben auffallend viel Spielzeit und bleiben genauso ihren augenzwinkernd-lakonischen Charakterbildern treu wie Paul Rudd oder Evangeline Lilly als die beiden Avengers, die dieser Wunderwelt mit der nötigen ausgleichenden Portion an Pragmatismus begegnen. Jonathan Majors wiederum wirkt umso bedrohlicher, je ruhiger er spricht.

Dabei schießt den schrägen Vogel die wohl absurdeste Figur aus dem ganzen Marvel-Kosmos ab, deren Aha-Identität ich hier aber nicht preisgeben möchte. In welchem anderen Film als in diesem wäre dieser Fan-Liebling wohl besser aufgehoben als in einem so packenden wie quirligen Event, in welchem sich der rote Faden der Storyline endlich wieder ein gehöriges Stück weiterbewegt.

Ant-Man and the Wasp: Quantumania (2023)

Vergiftete Wahrheit

IM MORDOR DES KONZERNS

7,5/10


vergiftetewahrheit© 2020 Tobis 

 


LAND: USA 2019

REGIE: TODD HAYNES

CAST: MARK RUFFALO, ANNE HATHAWAY, TIM ROBBINS, BILL PULLMAN, VICTOR GARBER, BILL CAMP, MARE WINNINGHAM, WILLIAM JACKSON HARPER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 8 MIN



Das erste, was man nach diesem Kinobesuch womöglich tun wird, ist, in der hauseigenen Küche nach den Pfannen zu sehen. Womöglich wird man nach dieser kleinen Inventur in der Teflonfrage zumindest mit einem der Utensilien auf der Habenseite stehen. Solche Teflon-Pfannen hat fast noch ein jeder. Dabei ist dieses Wundermaterial scheinbar überall zu finden, vor allem dort, wo Flüssigkeiten abperlen sollen. Regenjacken zum Beispiel. Dieses Teflon, das gibt´s ja scheinbar schon ewig, wie Todd Haynes Streifen uns verrät. Doch erst Anfang der 2000er Jahre kam eine Wahrheit ans Licht, die eigentlich niemand so genau wissen wollte. Und das erst, nachdem der Chemiekonzern DuPont bereits massenhaft irreversiblen Schaden angerichtet hatte.

Die Wiedergutmachung, auf welche der Megakonzern verklagt werden soll, den zahlt doch der Riese aus der Portokassa. Solche Machtzentren der Wirtschaft sind unbezwingbar. Ein Thanos der Gier, ein Sauron der Vertuschung und der Zermürbungstaktik. In diesen Hexenkessel gerät der rechtschaffene Anwalt Robert Bilott, der im Begriff ist, nach kurzem Kratzen an der Oberfläche einen Umweltskandal von ungeahnten Ausmaßen aufzudecken. Bilott muss die Seiten wechseln, hat er doch bislang Chemiekonzerne wie DuPont nur vertreten. Jetzt aber muss er einen verklagen. Den größten nämlich. Und ahnt nicht mal ansatzweise, womit er es zu tun haben wird. Das organisierte Verbrechen wirkt in seiner brutalen Problemlösung dagegen wie ein Kindergeburtstag, während Konzerne wie DuPont ihre Gegner auf ganz anderem Level mundtot machen. Mark Ruffalo alias Anwalt Rob ackert bis zum Nervenzusammenbruch, um den Riesen zum Wanken zu bringen. Der Hulk-Schauspieler verleiht dem integren Menschen mit Hang zur Verbissenheit zutiefst menschliche Züge, seine Figur ist eine zum Anfassen, zum Ausweinen, das Gewissen in Person, das in ruhigem Ton den Bonzen von ganz oben die Fakten auf den Tisch legt. Seine Waffe ist die genaue Recherche. Und das ist auch die Stärke von Todd Haynes bewegender Zeitgeschichte.

Der Regisseur von Velvet Goldmine oder Carol hat – so wie Anwalt Robert Bilott – all seine Hausaufgaben gemacht. Sein Film ist ein ruhig erzähltes, klar strukturiertes und sehr konzentriertes Tatsachendrama, dessen tosender Schrecken in den unerhörten Fakten ruht, die fast zu absurd sind, um nicht erfunden zu sein. Doch alles ist wahr. Vergiftete Wahrheit hütet sich davor, angesichts dieses ausufernden Stoffs nicht die Fassung zu verlieren oder abzuschweifen. Er bleibt am Punkt, setzt seine Justiztragödie in wintergraue Landschaften und kalte Büroarchitektur. Kameramann Edward Lachmann hat schon bei Carol bewiesen, dass er passend zur Geschichte die richtige visuelle Tonart finden kann. Vergiftete Wahrheit ist ein Film, der trotz all seiner nüchternen Justizfilm-Parameter den menschlichen Faktor im Auge behält. Berührend dabei: einige der Beteiligten dieser Katastrophe spielen sich selbst. Das gibt dem Werk ungemeine Authentizität. Nichts ist überzeichnet, alles ruht auf einer Wahrheit, die man nicht sofort sieht, die aber womöglich schon längst ganze Generationen um ihre Gesundheit gebracht hat. Vergiftete Wahrheit sollte man gesehen haben – weil man darin gut erkennen kann, wie viel Platz der Mensch als solcher im globalen Milliardenmanagement eigentlich hat.

Vergiftete Wahrheit