Flux Gourmet

HEISSER GEKOCHT ALS GEGESSEN

3/10


flux-gourmet© 2022 Bankside Films, IFC Productions


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, USA, UNGARN 2022

BUCH / REGIE: PETER STRICKLAND

CAST: MAKIS PAPADIMITRIOU, FATMA MOHAMED, ARIANE LABED, GWENDOLINE CHRISTIE, ASA BUTTERFIELD, RICHARD BREMMER, LEO BILL U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Was brutzelt, blubbert und zischt denn da? Grillt da der Henssler? Mitnichten. Hier kocht kein Haubenkoch das erlesene Menü für die Elite wie demnächst Ralph Fiennes im gleichnamigen Thriller und auch keine Madam Mim braut hier ihren Zaubertrank. Hier, in Peter Stricklands Künstlersatire, wird das Kochen und Zubereiten diffuser Gerichte, die nicht das Zeug dazu hätten, auf irgendeiner Speisekarte zu landen, zum Klangerlebnis für ein Grüppchen umherstehender Lustgenießer, die den Aktionismus wohl bereits lange vermisst hatten und nun endlich Zeuge davon werden können, wie es ist, nach einer Nacktperfomance in Tomatensoße gleich darauf einer Kolonoskopie beizuwohnen. Ein bisschen wie das Warten auf eine Darmspiegelung kommt mir Flux Gourmet des Autorenfilmers Strickland dann auch vor. Ich habe zwar keine Ahnung, wie stimmungsvoll sowas sein kann, doch die unbequeme Seitenlage und ziehende Schmerzen im Rektalbereich lassen sich angesichts der Fadesse beim Zerpflücken einer Künstlerkommune kaum vermeiden.

Und viel mehr außer exquisit fotografierter, aber viel heißer Luft, die nicht nur aufgrund des Kochdunstes entsteht, lässt sich aus Flux Gourmet auch nicht mit nachhause nehmen. Es ist, als würde man einer intellektuellen Late Night-Talkrunde beiwohnen, die mit umständlichen Satzkonstruktionen und sonderbaren Eitelkeiten jeden Zaungast dastehen lässt wie den reinsten Höhlenmenschen, da er den Mehrwert brodelnden Gepansches nicht erkennt oder das Schneiden einer Zucchini. Doch so sehr Peter Strickland auch das Konzept eines absurden Narrativs auf die begehbare Schaubühne geleiten will – es bleibt bei einer verschwommenen Idee, die sich nicht die Mühe macht, jene Werte, die aus so einer Performance vielleicht tatsächlich lukriert werden könnten, herauszuarbeiten. Wichtig scheint nicht, womit und was diese drei Künstler hier bewerkstelligen, sondern wer diese drei Künstler sind, die hinter ihrem Konzept stehen. Das ist, gelinde gesagt, zu viel Biografie von gänzlich Unbekannten, die es nicht wagen, einen Schritt aus ihrer Blase zu wagen. Und dadurch kaum Stellung zu ihrer Umwelt nehmen.

Diese drei Künstler ergeben das sogenannte kulinarische Kollektiv. Was sie tun? So dies und das, was mit den Klängen blubbernder Töpfe zu tun hat, mit räkelnden Damen und ärztlichen Untersuchungen. Sie gastieren für vier Wochen in einer Residenz namens Sonic Catering Institute, deren Managerin ist die stets festlich gekleidete und wie ein Fremdkörper wirkende Gwendoline Christie (allseits bekannt geworden als Brienne von Tarth im Knüller Game of Thrones). Diesmal versucht sie mit allen Mitteln, ihre eigenen künstlerischen Visionen ins Programm ihrer Schützlinge zu bringen, was aber auf Ablehnung stößt. Das eigenwillige Treiben beobachtet ein extra dafür angeheuerter griechischer Journalist, der unter Verstopfing und dauernden Blähungen leidet und sich einem bizarren Arzt anvertraut, der aus Jeunets Die Stadt der verlorenen Kinder entsprungen sein könnte, so vertrauenserweckend scheint sein saloppes Weintrinken während der Gastroskopie. Damit nicht genug: Diese schräge Partie ist obendrein noch seltsamen Anschlägen einer verschmähten anderen Künstlergruppe ausgesetzt, die mit Schildkröten um sich wirft. Ob Schildkröten oder Schwäne, die das Schicksal verändern – manchmal scheint es, als wäre man im neuen Werk des Theatermachers Peter Greenaway (A Zed & Two Noughts) angelangt, einem besonderen Mann fürs Opulente, der in den Achtzigern und Neunzigern die Art des Filmemachens auf ein noch nie zuvor dagewesenes, reichhaltiges Level hob: die des modernen, aber barocken Ausstattungskinos in strengen Tableaus, aber mit existenzialistischer Metaebene. Strickland lässt in ähnlicher Weise die Mäzenin in exaltierter Mode aufmarschieren, mit Kajal und süßlichem Gerede. Auch der Rest der Truppe gibt seine Sicht auf die Dinge preis, der Grieche sitzt derweil am Lokus und der Mixer mixt.

Flux Gourmet hat weder großes Interesse an der Kochkunst noch an der Frage, was Kunst noch so alles bedeuten kann. Eine Liebe zum Essen und dessen Zubereitung ist nirgendwo zu sehen. Eine Liebe zur Eitelkeit und zum Narzissmus allerdings schon. Flux Gourmet bewegt sich in diesen eng gezogenen Quadratmetern einer entrückten Welt weder vor noch zurück, das viele Geschwafel gibt nichts Erhellendes preis und Satirisches über Kunst gibt es in Filmen wie The Burnt Orange Heresy hundertmal besser. Die Enttarnung einer hohlen Kunstwelt ohne bekennender Ideale lässt die bemühte Provokation bröckeln, dahinter befindet sich nichts außer dünner Suppe, die, zwar heiß gekocht, letztlich kalt serviert wird.

Flux Gourmet

Den Sternen so nah

RETTET GARDNER ELLIOTT!

7/10

 

THE SPACE BETWEEN US© 2017 Tobis Film GmbH

 

ORIGINAL: THE SPACE BETWEEN US

LAND: USA 2017

REGIE: PETER CHELSOM

CAST: ASA BUTTERFIED, BRITT ROBERTSON, GARY OLDMAN, CARLA GUGINO U. A.

 

Ridley Scotts großangekündigter Marsbesuch ist auch schon wieder eine Weile her. Vier Jahre sind schon ins Land gezogen, da wäre ein bemanntes Raumschiff nach unserem Stand der Technik auch schon einmal hin und retour geflogen. Mark Watney haben wir also schon gerettet, der ist wieder sicher auf Erden gelandet, nachdem man ihn eigentlich mehr oder weniger nach guter alter Kevin-Manier allein zuhause gelassen hat, auf einem Planeten ohne atembarem Luftgemisch und auf dem es saukalt ist. Schön anzusehen ist er ja, der Mars. Und eine Kolonie dort mit Sicherheit zumindest die erste Zeit abenteuerlich genug, um es dort auszuhalten. Natürlich ist das nichts für Kinder. Oder doch? Das Tempelhüpfen würde etwas epischer ausfallen, ungefähr Marke Stabhochsprung, nur ohne Stab. Fußbälle würden weiter gekickt werden als sonst wo und die Sandkiste wäre so groß so weit das Auge in dieser rötlichbraunen Welt reicht. Allerdings – die Zahl an Spielgefährten wäre endenwollend. Das ist ernüchternder als die ewige Warterei unseres Astronauten-Kevin Mark Watney. Doch so ist es mit Gardner Elliott passiert. Der Junge: ein blinder Passagier, heimlich ausgetragen von einer Astronautin, die um alles in der Welt am roten Planeten Pionierarbeit leisten wollte. Schwanger ins Weltall geht natürlich gar nicht, bei all diesen riskanten Variablen, aber irgendwie hat es doch funktioniert. Und jetzt retten wir nicht mehr Mark Watney, sondern Gardner Elliott, der aber Probleme hat, auf der Erde im wahrsten Sinne des Wortes Fuß zu fassen, ist doch seine Physiognomie eher auf die Schwerkraft des Mars ausgerichtet als auf die des blauen Planeten. Was das für physische Komplikationen nach sich ziehen kann, und wie sehr ein Teenager unbedingt altersadäquates soziales Umfeld braucht, davon erzählt Peter Chelsoms leichtfüßiges Abenteuer rund um ein Planetenhopping im Solsystem und um die erste Liebe.

Liebe gab es bei Ridley Scotts astrotechnischem Thriller keine, aber Peter Chelsom ist immer schon ein Romantiker gewesen, Gefühle haben da auch jenseits des terrestrischen Orbits ihren Platz. Also verliebt sich Gardner Elliott erstmal in seine Chat-Freundin, der er natürlich verheimlicht hat, dass er nicht gleich um die Ecke wohnt. Das Science-Fiction-Abenteuer für die jüngere Generation, im Original viel trefflicher mit The Space between us tituliert, zeigt auf sympathisch formulierte Art, wie der erste extraterrestrische Erdling gleichzeitig zum ersten Homo marsianus wird. Darwin würde sich im Rahmen seiner Idee zur adaptiven Radiaton mehr als bestätigt fühlen, es würde ihm gefallen zu sehen, wie schnell Anpassungen an extrem unterschiedliche Lebensräume vonstatten gehen können. Doch Daheim ist Daheim, und der Mars trotz aller lebensfeindlichen Abzüge die Heimat von Asa Butterfield, der schon in Enders Game der Auserwählte war – und hier jetzt nochmals. An seiner Seite aber statt Harrison Ford Oscar-Preisträger Gary Oldman als vergrämter Wissenschafter mit langer Mähne. Gut gespielt, aber routiniert. Brit Roberston (u. a. A World Beyond) hingegen als Gardner Elliotts Schwarm weiß da schon etwas mehr die Sehnsucht eines einsamen Teenies zu vermitteln, und die Chemie zwischen den Jungdarstellern stimmt. Das hat schon weitaus mehr greifbare Romantik als all diese Twilight-Originale und -Ableger, weil hier angenehmerweise keine Antagonisten den Frieden stören, sondern nur  der Brückenschlag zwischen zwei Welten zur unüberwindbaren Challenge wird. Es ist, als träfen die Geschichten eines John Green auf den bereits schon zitierten Marsianer – Den Sternen so nah erzählt von Einzelgängern und der Einsamkeit von Pionieren, von junger Liebe und einer Zukunft, in der Mann und Frau sich irgendwann nicht nur entscheiden müssen, welchen Nachnamen sie tragen, sondern auch, zu welchem Planeten sie gehören wollen.

Den Sternen so nah

Die Insel der besonderen Kinder

INSEL DER (UN)SELIGEN

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besonderekinder

Das war doch klar, dass sich Kultregisseur Tim Burton in die Bücher von Ransom Riggs verlieben wird. Womöglich hat er das Buch nach der letzten Seite jauchzend auf seine Couch gepfeffert, zum Mobiltelefon gegriffen und sich bei seinem Management nach den Verfilmungsrechten des literarischen Stoffes erkundigt. Denn selten hat eine Vorlage wie Die Insel der besonderen Kinder in Stil, Inhalt und Aufmachung so sehr dem Themenspektrum Burtons entsprochen.

Wobei wir es bei diesem bemerkenswerten Genre-Mix mit etwas viel Abgründigerem zu tun haben als bei Burtons anderen Filmen. Die Geisterbahn-Version der X-Men ist verspielter Fantasygrusel im Stile gestriger, aber atmosphärischer Steampunk– und Gothic-Novels. Angefangen bei den bizarren Charakteren über die etwas konstruiert wirkende, aber in ihren Details originellen Idee der Zeitschleife bis hin zu augenlosen, grotesken Ungeheuern, die mit Vorliebe und am liebsten täglich die Augen begabter Kinder verzehren. Man sieht – Tim Burton darf sich wieder einmal austoben und aus seiner kreativen Quelle schöpfen. Die Insel der besonderen Kinder erinnert an vieles, was bereits die Filmwelt bereichern durfte. Die Hollows genannten Monster sind ein Crossover aus del Toro´s Pans Labyrinth und Marvel´s Spider-Man, hier kommt mir ganz besonders das zähnefletschende Monster Venom in den Sinn. Die bizarren Charaktere scheinen allesamt verwandt zu sein mit den Freaks aus Tod Brownings gleichnamigem Film, allerdings gesegnet mit weiterführenden Fähigkeiten, die sie das eine oder andere Mal, wenn auch eher ungeübt, einsetzen dürfen.

Wäre nicht Tim Burton am Werk, würde die Verfilmung von Ransom Riggs erstem von insgesamt 4 Romanen der phantastischen Gänsehautreihe nur Patchwork bleiben. Doch dank seiner Visionen hat alles, was auf dem Bildschirm auftaucht, eine eigene Handschrift. Ein bisschen Nightmare before Christmas, ein bisschen Dark Shadows, da Eva Green auch diesmal wieder die Hauptrolle verkörpern darf. Und natürlich auch ein bisschen Beetlejuice, da sich Stop-Motion-Fetischist Burton es sich nicht nehmen lassen wollte, auch hier wieder Handgetrickstes präsentieren zu dürfen. Natürlich nichts Gefälliges, sondern düsteren Budenzauber. Und dazwischen augenlose Opfer, die in ihrer Agonie vor sich hin brabbeln. Diese Fantasy kann bei jüngerem Publikum Albträume verursachen. Zwar hat zu Beginn alles den Anschein, als wären wir in einem Jugendroman a la Spiderwicks oder Narnia gelandet – doch spätestens, wenn Asa Butterfield – leider als Hauptrolle etwas sehr blass und mit der ganzen Szenerie sichtlich überfordert – die Zeitschleife betritt, wird das Ganze zum gespenstischen Marionettentheater für morbide Gemüter. Liebevoll gestaltet und märchenhaft, eine Welt, die Jack Skellington zu schätzen wüsste. Und wenn gegen Ende eine ganze Armee bewaffneter Skelette den Großangriff auf die stelzenartigen Augenfresser wagen, hat der Trash aus Mars Attacks und Armee der Finsternis Einzug gehalten. Stimmt, viele Querverweise und Vergleiche, die sich da aufdrängen und die ich da heranziehe. Aber dieses teils erzählerische, teils wüste, dunkle Kasperltheater lässt sich tatsächlich schwer irgendwo einordnen, und wirkt wie eine Hommage an die abgehobene Welt des schrägen Erfinders von Edward mit den Scherenhänden. Dabei ist es nicht sein bester Film, ganz und gar nicht. Eher wie eine rückblickende Werkschau, in der er alles zitiert, worauf er selber stolz zu sein scheint. Und ja, man sieht sowas gerne, vorausgesetzt, man kann – so wie ich – seinen Stil zu schätzen wissen. Schauspielerisch tritt die Besetzung deutlich hinter dem mehr oder weniger gewollt konstruierten Szenario zurück. Einzig Samuel L. Jackson als entstellter Freak genießt sichtlich sein sekkant-bösartiges Spiel.

Unterm Strich ist Die Insel eine wild zusammengewürfelte Mottenkiste voller alter, merkwürdiger Fotografien und allerhand kuriosem Getöse. Wie ein Flohmarkt in einer Familiengruft – neugierig machend, erlebenswert und erschreckend, aber vernäht und zum großen Ganzen zusammengeflickt wie Frankensteins Monster. Interessant und nicht übel, aber aufs Augenscheinliche reduziert, ohne zu berühren. Immerhin – X-Men ohne Bumm und Krach, dafür aber mit nostalgischem Steampunk-Grusel.

 

 

Die Insel der besonderen Kinder