Nouvelle Vague (2025)

SO COOL IST FILMEMACHEN

8/10


© 2025 Viennale / Jean-Louis Fernandez


LAND / JAHR: FRANKREICH 2025

REGIE: RICHARD LINKLATER

DREHBUCH: RICHARD LINKLATER, HOLLY GENT, LAETITIA MASSON, MICHÈLE PÉTIN, VINCENT PALMO JR

KAMERA: DAVID CHAMBILLE

CAST: GUILLAUME MARBECK, ZOEY DEUTCH, AUBRY DULLIN, MATTHIEU PENCHINAT, ADRIEN ROUYARD, BRUNO DREYFÜRST, ANTOINE BESSON, LAURENT MOTHE, BENJAMIN CLÉRY, JADE PHAN-GIA U. A.

LÄNGE: 1 STD 45 MIN


Wer die Eckpfeiler der Filmgeschichte zumindest grob umreißen kann, dem wird der Begriff der Nouvelle Vague bekannt sein. Mit dieser Welle hat sich das Kino emanzipiert und etabliert, hat neue Wege gefunden, das Bewegtbild dazu zu verwenden, völlig andere Geschichten auf völlig andere Weise zu erzählen, die die Sehgewohnheiten des Publikums bewusst unterwandern, diesem aber auch Lust verschaffen, sich an Neuem zu orientieren. Nicht nur eine Welle brandete da an die Gestade der Betrachtenden, sondern mehrere kleine. Die Küste ist lang, es ist Platz für alle, von Jean-Pierre Melville bis hin zu einem wie Jean-Luc Godard, der wohl jenes Paradebeispiel inszenieren wird, das bis heute für den Trend in der Filmgeschichte steht: A Bout de Souffle, übersetzt Außer Atem, später gar in den Achtzigern nachverfilmt mit Richard Gere und Valérie Kaprisky als Atemlos. Von letzterem bleibt nicht ganz so viel in Erinnerung – von Jean Sebergs kurzem, blonden Haar und Jean-Paul Belmondos Vagabunden-Visage mit Krawatte, Hut und klimperndem Kleingeld in der Hand bis auf Ewigkeiten wesentlich mehr. Wie ist dieses Meisterwerk des modernen Films überhaupt entstanden? Und was sind die ungeschriebenen Gesetze dieser New Wave, abgesehen davon, dass es keine gibt, und das Konzeptkino sowieso längst über Bord geworfen wurde?

Die Creme de la Creme der jungen Wilden

Was Young-Adult-Filmvirtuose Richard Linklater wohl für Recherchen betrieben haben muss, um in derart detailversessener Kleinarbeit ein dramatisiertes Making Of zu inszenieren, dass so lebendig wirkt, als wäre man mittendrin statt nur dabei;, als hätte man den Wandel der Jahrzehnte von den 50ern in die 60er leibhaftig miterlebt; als könnte man sich erinnern, wie das damals war, in Frankreich, als vieles nicht mehr so sein wollte wie es bisher? Diese Chronik der Revolution eines Films zaubert Linklater mit einer Leichtigkeit auf die Leinwand, dass man vom Antrieb, etwas zu schaffen, mitgerissen wird. Längst schon genießt man die Vorstellungsrunde dank eingeblendeter Namen, damit man sich als halbwegs versierter Kunstgeschichtekenner in diesem Metier auch orientieren kann. François Truffaut (Sie küssten und sie schlugen ihn, 1959), Claude Chabrol, Roberto Rossellini (der den Neorealismus wie kein anderer geprägt hat), Èric Rohmer, Jean Cocteau (Orpheus), Juliette Greco… sie alle haben ihren sich selbst verewigenden Auftritt, manche nur kurz, manche kurz, aber denkwürdig, letzten Endes scharen sich alle um einen einzigen, nämlich den Mann mit der Sonnenbrille selbst im Kinosaal: Jean-Luc Godard, der unbedingt so bekannt und berühmt sein will wie sein Spezi Truffaut, der aber bei Gott alles selbst in die Hand nehmen und etwas schaffen will, womit niemand rechnen und was auch niemand erwarten würde: Einen Film ohne Regeln.

Vom Charme des Andersmachens

Außer Atem wurde genau das: Ein Lehr- und Studienfilm für progressive Filmemacher, und das bis heute. Es ist verblüffend, was man dabei zu sehen bekommt, denn der wahre Spaß – nach vielem Hin und Her, Türklinkenputzen und kaum kanalisierten inneren Energien – beginnt so richtig mit der ersten Klappe, wenn Jean Seberg noch längst keinen Text hat, denn den gibt es nicht, alles ist Improvisation, nichts geplant, nichts zu lernen, und im ersten Take schlummert sowieso laut dem Meister die unverstellte Authentizität des darstellenden Ensembles. Untermalt mit eingängigen und zum Glück kaum aufdringlichen 60er Jahre-Rhythmen lebt ein fabulöser Guillaume Marbeck den schräg-sympathischen Visionär Godard mit pointierter Mimik, naiver Arroganz und unverstelltem Idealismus. Es geht nicht, ihn nicht zu mögen, alleine durch den Mut, den leeren Raum des ungenutzten Tages zur Inspiration und zum Müßiggang zu nutzen, während die Verzweiflung des Produzenten von Tag zu Tag spürbarer wird, wird Godard zum Pionier der Entschleunigung und des Andersmachens. Mit ihm sitzen Auby Dullin als Belmondos Inkarnation und eine zum Niederknien bezaubernde Zoey Deutch als Jean Seberg (sorry Kristen Stewart, aber gegen dieses Charisma hast du keine Chance) im selben Boot – alle drei erleben ein kreatives Abenteuer der Sonderklasse, in knisterndem Schwarzweiß inklusive den Markierungen zum Filmrollenwechsel. Dieses Retro-Erlebnis ist ein funkensprühendes Must-See für alle, die nicht genug davon bekommen können, hinter die Kulissen der Filmwelt zu blicken.

Nouvelle Vague (2025)

Elvis

DER KÖNIG KOMMT BIS VEGAS

7,5/10


elvis© 2021 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved.


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: BAZ LUHRMANN

CAST: AUSTIN BUTLER, TOM HANKS, HELEN THOMSON, RICHARD ROXBURGH, OLIVIA DEJONGE, LUKE BRACEY, DAVID WENHAM, KELVIN HARRISON JR., KODI SMIT-MCPHEE U. A.

LÄNGE: 2 STD 39 MIN


Der Zeitpunkt scheint gekommen, an dem alle Elvis-Imitatoren rund um den Globus ihre Fake-Koteletten abziehen und ihre Glockenhosenoutfits zusammenpacken können – denn jetzt gibt es einen, der schlägt sie alle. Da gibt es nichts mehr über ihm, außer Elvis selbst, doch der ist leider schon seit 45 Jahren tot, wobei er sein eigenes Alter bereits um 3 Jahre überschritten hat. Elvis ist also länger schon Geschichte, als er überhaupt gelebt hat. Das Gerücht, das Elvis noch lebt, könnte mit Baz Luhrmanns tiefer Verbeugung vor einem Musik- und Showgenie neue Nahrung erhalten.

Denn Austin Butler, bislang vorwiegend in Nebenrollen und in einzelnen Fernsehserien zu sehen, schenkt dem King of Rock ’n‘ Roll ein neues, doch vertrautes Antlitz – er macht ihn nicht nur insofern lebendig, weil er dem Mann aus Memphis, Tennessee, so verblüffend ähnlich sieht. Sondern weil er weiß, wie er geht, steht, sich bewegt und vor allem – wie er lächelt. Sein charmantes Kokettieren mit dem weiblichen Publikum hat nebst den markanten Hüftbewegungen, die später Michael Jackson uminterpretieren wird, die eigentliche Hysterie ausgelöst und eine fast schon beängstigende Fankultur begründet. Austin Butler bekommt das genauso hin – vereint mit Outfit, Frisur und den richtigen Rhythmen wird eine Ikone lebendig, die man maximal in stadthallenfüllenden Tributshows aus sicherer Entfernung bewundern konnte – mit Lookalikes, Evergreens und einer damit einhergehenden Reisebegleitung in die Jugendjahre der Elterngeneration.

In Elvis wird nämliche Person hautnah erlebbar und somit zu einem Erlebnis, das in seiner kultischen Verehrung sogar jene Performance, die Rami Malek als Freddy Mercury hingelegt hat, in den Schatten stellt. Natürlich, auch er hat den Preis für die Rückholung des Queen-Leaders verdient, wenngleich die optischen Anpassungen manchmal etwas überzeichnet wirken. Butler hingegen spielt Elvis so, als wäre er niemals jemand anderer gewesen. Er muss sich mit der Biografie dieses Mannes akribisch auseinandergesetzt haben. Und nicht nur er. Auch Baz Luhrmann, dem der Stoff sicher schon lange in den Fingern gejuckt haben muss, erweist sich als profunder Kenner eines Teils der modernen Musikgeschichte. Natürlich, wie von Luhrmann zu erwarten, errichtet dieser seinen sakralen Triptychon-Altar aus funkelnden Devotionalien, manchmal zu braver biographischer Chronik und dem Blick hinter dem Bühnenvorhang, wo Drogen, Intrigen und Panik herrschen. Luhrmann feiert dabei das Zeitkolorit der Nachkriegsdekaden bis ins kleinste Detail und liebt das Konterfei seines Stars, weil er selbst kaum glauben kann, wen er da gecastet hat. Andererseits aber nimmt dieser seine Aufgabe ernst genug, nicht nur eine Elvis-Tribute-Show zu liefern, sondern auch den Menschen und sein Umfeld ganz ohne Getöse zu analysieren.

Diese Dreifaltigkeit gereicht dem Film zum Erfolg. Denn es bleibt nicht nur beim routinierten Abbild der Lebensgeschichte einer Kultfigur. Das mächtige Mittelstück von Luhrmanns Altar ist der Versuch einer Reise in eine gebrochene, gegängelte und verschreckte Seele. In die finsteren Winkel des Showbiz, das den Goldesel so oft bemüht, bis dieser zusammenbricht. Die Gier ist hierbei der Hounddog, die Bereicherung anderer am zum Objekt verkommenen Rampensau erweckt Suspicious Minds. Diese verdächtigen zu Recht einen gewissen Colonel Parker – Elvis Mentor, Mutterersatz und Mädchen für alles. Sein Marketing-Genie, sein Manager. Einer, der mit freier Hand über den „King“ verfügen wird. Plötzlich wird die Bühne zum Thronsaal, und der Monarch zur Marionette, die nach der Pfeife des Kanzlers tanzt. Tom Hanks hat sich hierfür eine Latex-Wamme sowie Wampe anlegen lassen, die ein bisschen aufgesetzt wirkt und den guten Mann von Hollywood in seinen schauspielerischen Möglichkeiten bremst, da man stets darauf konzentriert ist, nicht Hanks selbst, sondern einen alten, geldgeilen „Felix Krull“ darin zu entdecken, der gar nicht ist, wer er zu sein scheint. Diesem Löwen hat sich Elvis zum Fraß vorgeworfen, nichtsahnend und darauf vertrauend, dass es andere gut meinen könnten.

In diesem Gefüge aus Macht und Missbrauch, erinnernd an Pinocchios Schicksal unter den Fängen von Kater und Fuchs, erscheint Elvis‘ Lebens- und Erfolgsgeschichte wie eine Passion, wie ein Lehr- und Mahnbeispiel über Ausbeutung und Manipulation talentierter Geister. Damit verknüpft, überzeugen Butler und Luhrmann auch damit, Elvis als einen ehrgeizigen, wenngleich auch naiven Perfektionisten darzustellen, der außer dem Besten sonst nichts geben will. Am Ende bleiben Wehmut und Mitgefühl für einen Pionier. Erscheinen Bilder vom echten Elvis, die von den inszenierten kaum mehr zu unterscheiden sind. Elvis Erfolgsgeschichte ist eine, die niemand jemals haben will. Und Vegas? Wird zum Vorhof der Hölle, aus dem es kein Entkommen gibt.

Elvis

Eternals

MARVELS JAGD AUF MENSCHHEITSMYTHEN

6,5/10


eternals© 2021 Marvel Studios / The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: CHLOÉ ZHAO

CAST: GEMMA CHAN, RICHARD MADDEN, LIA MCHUGH, SALMA HAYEK, ANGELINA JOLIE, KUMAIL NANJIANI, BARRY KEOGHAN, BRIAN TYREE HENRY, LAUREN RIDLOFF, MA DONG-SEOK, KIT HARINGTON U. A.

LÄNGE: 2 STD 37 MIN


Kevin Feige hat mit seiner Marvel-Schmiede deshalb so viel Erfolg, weil er offen dafür ist, Neues auszuprobieren. Damit sind nicht die uns wohlbekannten Geschichten rund um mittlerweile unzählige Superhelden, Gefahren aus dem Weltall und dergleichen gemeint, sondern das Neue hinter der Kamera. Immer wieder lässt Feige Regisseure ran, die man nicht gerade mit fantastischem Mainstreamkino verbindet. Manchmal sind es Neulinge, frischer Wind. Und dann sind es Autorenfilmerinnen und -filmer, die ihr Können längst bewiesen, vielleicht auch noch einen Oscar gewonnen haben – und sich selbst nach Neuem umsehen wollen. Wie zum Beispiel Chloé Zhao. Wir erinnern uns: der Oscar an den besten Film und an die beste Regie ging heuer an den semidokumentarischen Neowestern Nomadland. Zuvor wurde Zhao bekannt für ihren ebenfalls sehr authentischen Streifen The Rider. Beides zeitgenössische Heimatfilme, die das uramerikanische Bewusstsein sorgfältig sezieren. Marvel hat die gebürtige Chinesin mit Sinn für elegische Landschaftsszenarien nun rekrutiert. Entstanden ist der nächste Schritt tief hinein ins neue MCU (Marvel Cinematic Universe). Entstanden ist auch ein neuer Stil, ein neuer Rhythmus. Ganz neue Figuren, ohne Bezug zum bisherigen Kanon. Man fragt sich, ob Zhao die richtige Wahl dafür war. Man fragt sich auch, wie denn Eternals nun in das bisherige Ganze mit all seinen lose herumwirbelnden roten Fäden, die alle noch weiter und zu Ende geführt werden wollen, hineinpassen will. Kein einziger dieser Erzählstränge wird aufgegriffen, stattdessen werden gleich noch eine Handvoll neue geschaffen.

Und doch ist es so, dass Chloé Zhaos womöglich einziger Ausflug in das Superheldenkino mit einer Humanistin wie ihr grundsätzlich gut beraten war. Eternals widmet sich antiker Mythologie und will anhand eines sehr klassisch-abenteuerlichen Ensemblestücks am besten gleich für alle uns umgebenden Legenden aus der Bronzezeit bis ins Mittelalter deren wahren Kerne postulieren. Die Götter der Griechen sind wieder im Spiel, auch Helden aus einer Zeit, in der Babylons blaues Ishtar-Tor der Hingucker schlechthin war. Bei all diesen Mythen standen die Eternals dahinter, über Jahrtausende hinweg. Ikarus, Athena, Gilgamesch… nun gibt’s ein Come Together, nach 7000 Jahren des Zusehens und Raushaltens (es sei denn, man hat es mit den Deviants zu tun gehabt), um ein verheerendes Schicksal Marke Roland Emmerich von unserer lieben runden Erde abzuwenden, für das die ebenfalls aus den Mythen entstiegenen Giganten – die Celestials – verantwortlich wären, würde es soweit kommen. Nicht mit uns, meinen die glorreichen Zehn, da sie die Erde selbst und ihre Bewohner über alles lieben. Das sind zutiefst altruistische Gedanken, und ziemlich selbstlos, wenn so Kolosse wie der Celestial Arishem ob dieses Ungehorsams durchaus genervt sein könnten.

Creature Designer hatten grünes Licht, sich wieder mal vollends auszutoben, denn die bösen, anfangs noch mit tierischen Instinkten ausgestatteten Deviants sind eine Augenweide für Monsterfans mit Sinn für Ästhetik. Auch Chloé Zhao durfte so manche Freiheit genießen – man erkennt klar ihren Stil: Landschaften und Menschen in natürlichem Licht ohne viel üppigem Firlefanz. Wohldosiert fährt Eternals seine Effekte hoch – feine, goldene Linien, die sich an menschlichen Körpern entlangräkeln wie Efeu, hat was von Jugendstil und ist das High Tech in dieser – man möchte fast meinen – alternativen Zeitlinie zum übrigen Marvel-Universum. Aber das ist es nicht, der Infinity War hat stattgefunden. Woran man allerdings erkennt, dass Zhao so, wie sie es hier getan hat, lieber nicht weitermachen sollte, ist der Fokus auf ein Charakterdrama aus pathetischen Dialogen und Liebesbekundungen, die sich andauernd wiederholen und dem ohnehin schon gedehnten Abenteuer immer wieder seinen Schwung nehmen. Verlorene Blicke im Gegenlicht, die hatte schon Francis McDormand ausgiebigst innegehabt. Hier ist dasselbe mal zehn. Obendrein will jeder noch seine Biographie. Da wird das Publikum dann doch, so nach der Halbzeit, immer öfters ungeduldig. Seltsam auch, dass vollkommene Wesen wie die Eternals körperliche Defizite wie Mutismus aufweisen oder einer davon immer ein Kind bleiben muss. Hinterfragen darf man nicht zu viel, und ausgeschlafen sollte man ebenfalls sein, sonst wird der viel zu lange, aber anspruchsvolle und anmutig designte Mythologieparcour zu einer verschwurbelten Meditation des Wegnickens.

Übrigens: Die Post Credit Scenes (derlei zwei) sind womöglich nur für sehr eingefleischte Comicfans zu verstehen, die die ganze Bandbreite der Marvel-Bibliothek kennen. Für Kevin Feige zum Beispiel – für mich leider nicht.

Eternals