The Road (2009)

WAS WERT IST, DAFÜR ZU ÜBERLEBEN

8/10


theroad© 2009 Metropolitan Film Export


LAND / JAHR: USA 2009

REGIE: JOHN HILLCOAT

BUCH: JOE PENHALL, NACH DEM ROMAN VON CORMAC MCCARTHY

CAST: VIGGO MORTENSEN, KODI SMIT-MCPHEE, CHARLIZE THERON, ROBERT DUVALL, GUY PEARCE, MOLLY PARKER, MICHAEL K. WILLIAMS, GARRET DILLAHUNT U. A.

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Einige Jahre bevor die Spiele-Schmiede Naughty Dog den modernen Playstation-Klassiker The Last of Us auf die zockende Menschheit losließ, streiften schon ganz andere Gestalten durch eine zerstörte Erde: Ein namenloser Vater mit seinem Sohn zum Beispiel als universelle Personifikationen zweier Generationen, wovon die eine den Untergang miterlebt und die andere in den Untergang hineingeboren wurde. Sie sind das letzte bisschen Menschlichkeit in einer Welt, die kaum mehr Leben auf sich trägt und unter einer fahlgrauen Wolkendecke dahindämmert, während schneegleiche Asche das Land wie ein Leichentuch bedeckt. Joel und Ellie aus The Last of Us hingegen streifen da noch durch halbwegs intakte Biomasse, während die urbanen Gefilde verrotten oder deren Bewohner in Anarchie versinken. Das Land gehört dort den von Pilzen Infizierten. In The Road aber streunen weder blutdürstende Zombies durch die Gegend, noch klicken Pilzköpfe, noch haben Aliens wie in A Quiet Place die globale Infrastruktur lahmgelegt. Diese Dystopie liefert den rationalen Kahlschlag des Untergangs: Keine Monster, keine Roboter wie in Terminator, rein gar nichts. Die Welt als Friedhof – pur, unmissverständlich und radikal. Michael Haneke hatte mit seinem Endzeitdrama Wolfzeit anno 2003 ein ähnliches Szenario heraufbeschworen, nur ohne Graufilter wie in Hohn Hillcoats Werk, das diesmal nicht oder kaum auf Horror oder Action setzt, dafür aber durch seine Reduktion und die Konzentration auf das Wesentliche zu den sensibelsten oder empfindsamsten Genre-Beiträgen zählt, die mir bekannt sind.   

Was das Wesentliche ist? Das kleinste gemeinsame Menschenmögliche, das Duo aus Fürsorger und zu Beschützenden. Das Einzige, was wir in diesem Film über das Schicksal von Terra heraushören können, ist, dass es sich um die Art der Apokalypse womöglich um einen Asteroiden gehandelt haben könnte. Doch so genau weiß man das nicht, und es interessiert Hillcoat bzw. Autor Cormac McCarthy herzlich wenig, was die Ursache hätte sein können. Worauf es ankommt, ist die bedingungslose Liebe zwischen den beiden, die nach dem Fortgang der Mutter (Charlize Theron) jahrelang durch die Gegend streifen, um Nahrung zu finden. Ziel ist die südliche Küste des Kontinents. Und sie sind nicht die einzigen, die da herumirren. Marodierende Gangs, die sich notgedrungen auf Menschenfleisch spezialisiert haben, machen das Vorwärtskommen unsicher. Immer wieder kommen die beiden in brenzlige Situationen, manchmal ist ihnen das Glück hold, dann wieder folgen Tage der Entbehrung und der Traurigkeit.

Wer will schon leben, in so einer Welt? Doch der Mensch ist auf Survival programmiert, da hilft alles nichts. Es treibt ihn an, weiterzumachen, und die stetige Flamme des Ansporns ist besagte Aufgabe, zu schützen und zuzulassen, beschützt zu werden. Als Roadmovie braucht The Road längst keine komplexe Geschichte zu erzählen, ganz im Gegenteil. Was Hillcoat schildert, sind Stationen eines inneren Kampfes und das Bezwingen eines Weges, an dessen Ende es heller sein könnte als in den Momenten der Hoffnungslosigkeit, die wie Meilensteine die Route säumen. Und derer gibt es viele. Doch sie sind voller Gnade und Respekt vor denen, die alles verloren haben. Viggo Mortensen lässt als Vater, der den radikalen Wandel immer noch nicht hinnehmen kann, tief in seine Psyche blicken. Er trägt Verantwortung, sucht aber selbst nach Geborgenheit. Der junge Kodi Smit-McPhee kennt nur die Postapokalypse – er ist der Träger der Hoffnung, während der Vater an nichts mehr glaubt außer an seinen Sohn.

Natürlich ist The Road beklemmend genug und nichts für depressiv verstimmte Gemüter. Doch allein im Handeln der beiden Protagonisten glüht das Feuer eines unerschütterlichen Willens, einer seltsam entrückten Zuversicht und der Möglichkeit, in Erinnerungen Erholung zu finden. Das läuft ganz im Verborgenen ab. Vereint mit der natürlichen Gabe der Verantwortung ist das die Essenz, um aus dem Ende einen Neuanfang zu machen. The Road bringt diese Essenz auf den Punkt und strahlt aufgrund seiner Genügsamkeit eine seltsam düsteres, aber faszinierendes Licht aus.

The Road (2009)

1922 (2017)

AN LANDFLUCHT IST NICHT ZU DENKEN

4/10


1922© 2017 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2017

REGIE: ZAC HILDITCH

BUCH: ZAC HILDITCH, NACH EINER NOVELLE VON STEPHEN KING

CAST: THOMAS JANE, MOLLY PARKER, DYLAN SCHMID, BRIAN D’ARCY JAMES, NEAL MCDONOUGH, KAITLYN BERNARD, TANYA CHAMPOUX U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Wer die neu aufgelegten Planetenabenteuer rund um die Familie Robinson gesehen hat, wird die Protagonistin in diesem Film sofort wiedererkennen. Es ist Molly Parker, in der Serie Lost in Space die toughe und kluge Turbo-Mama mit MacGyver-Überdosis. Hier spielt sie die Frau von Thomas Jane, der nichts prickelnder findet, als in den Äckern vor seinem Haus die Tugenden eines Landwirts auszuspielen. Schön für ihn, weniger schön vielleicht für den Ehepartner, der die Nase voll davon hat, tagein tagaus in der absoluten Einschicht immer auf die gleiche Landschaft zu starren. Landleben mag ja so seine Reize haben, gute Luft gibt’s obendrein, doch wenn gerade gedüngt wird, kann Landluft sehr schnell auch sehr dünn werden. Aber bitte, soll doch ein jeder tun, was er für sein Seelenheil braucht, solange der andere nicht gegen seinen Willen mitziehen muss. Im Falle der adaptierten Kurzgeschichte 1922 von Stephen King sind Molly Parker und Thomas Jane zwei in sich verkeilte Sturköpfe, die vom Traum ihrer eigenen Zukunft nicht abrücken wollen. Arlette James, die das Vermögen, den Grund und das Haus besitzt, will alles verkaufen und in die Stadt ziehen, wo frischer Wind weht. Wilfred James will das nicht, wird jedoch wenig gegen Arlettes Bestimmungen ausrichten können, ist sie doch die Besitzerin der Farm und des ganzen Drumherums. Was bleibt Wilfred also anderes übrig, als, gemeinsam mit seinem Sohn Henry, in letzter Instanz Gewalt anzuwenden, um sein Fleckchen Erde zu retten? Was er damit aber in Gang setzt, sind seltsame Ereignisse, unglückliche Umstände und eine Art Fluch, der den Fortbestand der Familie James gefährden könnte.

Natürlich, Stephen King ist ein Vielschreiber. Und das wirklich Außergewöhnliche dabei ist, dass die meisten seiner Geschichten richtig gut erfunden sind und komplex genug, um sie auch nachhaltig in Erinnerung zu behalten. Allerdings gibt es auch Arbeiten, die, für andere Medien adaptiert, weniger zünden. Wie zum Beispiel 1922, eine Erzählung aus dem Sammelband Zwischen Nacht und Dunkel, die kurz nach seiner Premiere auf dem Fantastic Fest sofort von Netflix abgeholt wurde. Auswertung in den Kinos gab’s keine, obwohl Thomas Jane durchaus solide aufspielt, doch den Wahnsinn, der dieser Figur wohl ins Gesicht geschrieben werden sollte, kann der Schauspieler kaum in darstellerische Energie umwandeln. Grimmig und vielleicht das Gruseligste an diesem ganzen kleinen Psychothriller bleibt indes eher die Verantwortungslosigkeit des Vaters hinsichtlich seines Sohnes, der durch diesen zu einer finsteren Verschwörung getrieben wird. Wie sehr man den Nachwuchs verderben kann, und was für Unglück dieser Umstand nach sich zieht, lässt Regisseur Zac Hilditch sein Publikum durchaus wissen – und auch das schlechte Gewissen jagt Thomas Jane in Gestalt von einer in Mitleidenschaft gezogenen Untoten Molly Parker, die durchs Haus schleicht und keine Ruhe findet. All diese Elemente mögen für sich ihr Potenzial aufweisen – unheilvolle Beklemmung oder gar Gruselstimmung erzeugen sie nicht. Dafür bleibt die Dramaturgie zu hölzern, atmosphärische Zwischentöne, die bei der sehr viel späteren King-Verfilmung Mr. Harrigans Phone so außerordentlich gut zu bemerken waren, lässt 1922 so ziemlich außen vor. Daher begnügt sich die schwarze Farmer-Tragödie mit dem rustikalen Charme erdiger Finger und abgetragener Bauernmöbel, ohne auch nur das Schicksal zu Bösem Getriebener, die es nicht besser wussten, fühlbar zu machen.

1922 (2017)

Pieces of a Woman

NUR EINE MINUTE MUTTERGLÜCK

7/10


piecesofawoman© 2020 Netflix

LAND: KANADA, UNGARN, USA 2020

REGIE: KORNÉL MANDRUCZÓ

CAST: VANESSA KIRBY, SHIA LABEOUF, ELLEN BURSTYN, MOLLY PARKER, BENNIE SAFDIE, SARAH SNOOK U. A. 

LÄNGE: 2 STD 6 MIN


Es mag wohl das eine oder andere Mal tatsächlich vorkommen, und womöglich ist es das Fürchterlichste, was einer Hebamme bei ihrer Arbeit passieren kann: Ein Kind zur Welt bringen, das kurz darauf stirbt. Woran, lässt sich meist nicht sofort bis gar nicht klären. Wie es dabei der Gebärenden geht? Das brauch ich, denke ich, kaum erläutern. Nur so viel: alle Beteiligten werden wohl traumatisiert und verstört aus dieser Situation hervorgehen. Nichts wird wohl so bleiben, wie es war. Am Allerwenigsten die Beziehung der Eltern untereinander. Wie so etwas entzweien kann, und welche Wege es gibt, um individuell mit so einer Tragödie fertig zu werden, das zeigt der ungarische Filmemacher Kornél Mandruczó (Underdog, Jupiter’s Moon) in einem ausgewogen konzipierten, teils expliziten Filmdrama mit Vanessa Kirby in einer Hauptrolle, auf die sie stolz sein kann – und die ihr auch Tür und Tor öffnen wird für Rollen, die vorher vielleicht nicht in greifbare Nähe gerückt sind.

Kirby fiel mir erstmals in einer Nebenrolle im letzten Teil des Mission Impossible-Franchises positiv auf. Hier allerdings ist sie kein geheimnisvoller Vamp, sondern eine junge Frau, die ihr Mädchen in den eigenen vier Wänden zur Welt bringen will. Als die Fruchtblase platzt und die Wehen einsetzen, schickt die eigentliche Hebamme, die hätte kommen sollen, eine Vertretung, die auf den ersten Blick eigentlich alles richtig macht, Martha (so heißt Kirby im Film) intensiv betreut, sie erstmals in die Wanne schickt und dann aufs Ehebett. Alles läuft nach Plan. Auch die Herztöne des Babys scheinen stark zu sein. Bis plötzlich nichts mehr zu hören ist – und das Kind schleunigst auf die Welt kommen muss. Was die Tragödie noch schwerer zu ertragen lässt: das Baby scheint vorerst zu leben… Was danach folgt, ist die Zeit danach, in denen Martha sich von ihrem Ehemann (Shia LaBeouf als gewohntes hemdsärmeliges Raubein) immer mehr distanziert und den Prozess, der von Gatte und Mutter gegen die Hebamme eingeleitet wird, eigentlich gar nicht will.

Pieces of a Woman ist aber kein Justizdrama, sondern die Chronik einer Rückführung in ein mögliches Leben. Mandruczós Film ist auch kein niederschmetterndes Trauerspiel wie man vielleicht vermuten würde. Drehbuchautorin Kata Wéber bettet die in monatlichen Kapiteln erzählte Geschichte in zugängliche Allegorien, wie die von einer Brücke, die beide Ufer miteinander verbindet, so als würde der Bruch durch ein Leben langsam, aber doch, heilen. Die Sache mit den Äpfeln – ebenfalls eine zärtliche Annäherung an eine tröstende Gedankenwelt, die Martha ausprobiert. Der Film atmet viel vom europäischen Kino, spart sich, was nicht erwähnt werden muss, legt aber großen Wert nicht nur auf den Schlüsselmoment, der eine geplante Zukunft verhindert, sondern konzentriert sich auch auf den familiären Aspekt. Ellen Burstyn als wohlhabende wie energische, aber gutmeinende Mutter gibt hier ebenfalls eine beachtliche Performance.

Ein Ensemblefilm also, sehr detailliert, klarerweise emotional und dazwischen von tröstender Wehmut vereinnahmt. Was in Pieces of a Woman passiert, bleibt ein irreversibles Schicksal. Das aber akzeptiert werden kann. Einfach, um neu anfangen zu können.

Pieces of a Woman