Ma Rainey´s Black Bottom

WEIT MEHR ALS NUR MUSIK

8/10


blackbottom© 2020 David Lee/NETFLIX

LAND: USA 2020

REGIE: GEORGE C. WOLFE

CAST: VIOLA DAVIS, CHADWICK BOSEMAN, COLMAN DOMINGO, GLYNN TURMAN, MICHAEL POTTS, TAYLOUR PAIGE, JEREMY SHAMOS U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Gut möglich, dass der erschreckend früh verstorbene Chadwick Boseman zu ähnlichen Ehren kommen könnte wie seinerzeit Heath Ledger für seinen Joker. So eine posthume Auszeichnung könnte sein Schaffen gebührend veredeln, und es wäre ja nicht nur eine Anerkennung aus rein respektvollen Gründen. Es wäre auch absolut verdient. Denn Chadwick Boseman, der als Black Panther natürlich schon eine gute Figur gemacht hat, konnte in seiner allerletzten Rolle als Trompetenspieler Levee dann doch noch alle Register seines Könnens ziehen – und eine Performance hinlegen, bei der man, während sie so dynamisch und expressiv abgeht, zweimal hinsehen muss, um den Schauspieler dahinter wiederzuerkennen, obwohl 20er-Jahre-Haircut und Schnauzer eigentlich nicht wirklich viel in die Irre leiten sollten. Nein, es ist ganz einfach sein Spiel, sein knorriges, impulsives, verletzliches Auftreten, dieser naive Idealismus. Eigenschaften, die Bosemans Rolle erfüllen muss und die ihn so anders erscheinen lassen. Der gerade mal 43 Jahre alt gewordene Künstler ist hier nicht allein auf der Bühne – mit donnernden Schritten stakst eine charismatische Erscheinung in dieses kleine Aufnahmestudio, mit schillerndem Kleid, geölter Haut, bis unter den Haaransatz geschminkt – aufgedonnert wie eine stattliche Diva, die keinen Snickers-Riegel abbekommen hat: Viola Davis. Sie verkörpert die authentische Figur der Ma Rainey, die tatsächlich als Mutter des Blues gilt und scheinbar den sentimentalen, aber gleichzeitig aufmüpfigen Rhythmus dieser Musikrichtung in glamourösem Ausmaß interpretiert hat.

Beide zusammen – Boseman und Davis – sind ein Gespann, dass sich nicht ausstehen kann, weil sie beide für einen Ist-Zustand der schwarzen Bevölkerung stehen, allerdings jeweils auf unterschiedlichen Sprossen der Leiter. Bosemans Levee ist – wie schon gesagt – Trompeter im Ensemble der Ma Rainey, die im Süden längst große Erfolge feiert und nun, weiter im Norden, von ihrem Manager dazu genötigt wird, eine Platte aufzunehmen. Die Musiker treffen natürlich vorher ein, sammeln sich im Keller, um sich einzugrooven. Trompeter Levee zeigt allen sofort, dass er was ganz anderes vorhat. Eigene Kompositionen, eigene Interpretationen. Er will sein eigenes Ding drehen. Die anderen Musiker belächeln ihn, lauschen aber seiner Erzählung einer schrecklichen Vergangenheit, währenddessen, von funkelnden Allüren umgeben, die Diva heranrauscht und ihren Neffen, der stottert, mit auf die Platte bringen will. Das ist Nährboden für Zwistigkeiten, elende Wartezeiten, Missverständnissen und Kränkungen, Ego-Trips und Geldgier. In diesen kleinen, engen Räumen nimmt sich Levee, was er bekommt – während Ma Rainey mehr einfordert als möglich scheint.

Ma Rainey´s Black Bottom stammt aus der Feder des Bühnenautors August Wilson, der auch schon die Vorlage für das großartige Familiendrama Fences lieferte. In ihrem Grundton sind beide Filme ähnlich, in beiden Filmen ist die Zukunft einer aufstrebenden Generation Schwarzer trotz immensem Potenzial eine verlorene. In George C. Wolfes Verfilmung des Musik-Kammerspiels ertönt der Blues dazu, das melodische Sprachrohr einer klagenden und gleichsam sich aufraffenden Gesellschaft im Nachteil. Niemand sonst, kein Weißer, kann den Blues so interpretieren. Das weiß Ma Rainey, das weiß Levee, das weiß Wilson und C. Wolfe. In diesem selbstbewussten Kosmos aus Schweiß, Tränen und Blut – und zwischendurch auch kleine rührende Erfolge – entsteht nach anfänglichen, einleitenden Dialogen des ersten Aktes ein dichtes Kräftemessen zwischen Gegenwart und Zukunft. Denzel Washington, der auch in Fences brillierte, wusste, worauf er sich einließ, als er diesen Film hier produzierte. Könnte gut sein, dass er diesmal auf die Liste der Academy kommt, als Beitrag für den besten Film.

Ma Rainey´s Black Bottom

Das Vorspiel

ÜBUNG HASST DEN MEISTER

5/10

 

vorspiel© Judith Kaufmann

 

LAND: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2019

REGIE: INA WEISSE

CAST: NINA HOSS, ILJA MONTI, SIMON ABKARIAN, SOPHIE ROIS, JENS ALBINUS, SERAFIN GILLES MISHIEF U. A. 

 

Bis das Spiel auf der Geige wirklich gut klingt, braucht es strenge Disziplin beim Üben. Minimum zwei Stunden täglich, zuzüglich der eigentlichen Lehreinheiten an der Schule. Wenn der Nachwuchs da nicht voller Ehrgeiz hinter seinem Instrument steht, wird daraus meist nicht mehr als das Vorführen musikalischer Errungenschaften im Familien- und Freundeskreis. Ergänzendes Allgemeinwissen, schön und gut. Keine Frage, durchaus sinnvoll. Ein Brotverdienst wird das keiner, da braucht es Leidenschaft und kein Gefühl des Verlusts von Freizeit mehr. Alles andere aber scheint Nötigung, vor allem dann, wenn die Eltern wollen, das Kind aber nicht. Das Kind zwar enormes Talent, für das Fideln unterm Kinn aber kaum etwas übrig hat. Das geht einer Mutter, die selbst musiziert, ordentlich ans Gemüt. Nina Hoss spielt so jemanden – eine Musiklehrerin für Geige, die einen verhaltensauffälligen Sohn hat, dessen täglicher Wortschatz in eine Notenzeile auf A4 passt. Warum dieses Separieren in den eigenen vier Wänden? Warum diese Ablehnung der Mutter? Das Problem lässt sich anfangs nur erahnen: Mutter Hoss hat sich im Rahmen einer Audition für neue Talente einen nicht weniger eigenartig schüchternen Burschen geangelt, in dem sie gutes Potenzial entdeckt. Der auch lernfähig ist, annimmt, was die Tutorin ihm sagt und dem Instrument wohlklingende Töne abringt, die Johann Sebastian Bach und Co wohl befriedigende Blicke entlockt hätten. Der lakonische Sohnemann allerdings will nicht so recht, wird von Mama auch öfter korrigiert, obwohl sie ihn gar nicht unterrichtet. Aber so scheint es in Musikerfamilien zuzugehen, wo selbst der Papa als Instrumentenbauer sein Geld verdient. Und wenn einer da andere Saiten aufzieht, wird er zum Außenseiter. Oder doch nicht?

Elterlicher Druck auf den Nachwuchs geht vor allem in Dingen der frei wählbaren Beschäftigung, die Übung erfordert, nach hinten los. Entweder sieht man später als Erwachsener über den damaligen Drill hinweg oder aber man verzeiht das den Eltern nie. Oder man wird zum psychosozialen Sonderling. Die Jungdarsteller in Ina Weisses Talentedrama sind bereits jetzt schon eigenartige Wesen, die kaum Sympathien wecken. Der eine scheinbar ein Soziopath, der nach Anerkennung strebt. Der andere gehemmt bis unter die Zehennägel. Womöglich ein Kind aus strengen autoritären Verhältnissen, obwohl die Mutter gar nicht mal so wirkt. Ein Schüler Gerber könnte aber dennoch nicht weit sein. Ein Satansbraten aber genauso wenig. Wobei – abgesehen von den Kindern, die seltsam verstören, liefert Nina Hoss mit ihrer erratischen Filmfigur ebenfalls ein unterkühltes Psychogramm, das in zähen Gedanken versunken bleibt. Der Vergleich mit Whiplash aber, der geht sich nicht ganz aus. Wo Damien Chazelle den Leistungsdruck konkretisiert, schludert Das Vorspiel gleichsam an den Ansätzen eines Lehrer-Schüler- oder Mutter-Sohn-Konflikts herum. Wobei – spannend wird der familiäre Lokalaugenschein zwischen Ehrgeiz und Eifersucht bis zum Schluss nicht mehr. Auch kommt der Plot nicht wirklich in die Gänge, gerade mal am Ende spitzt sich die Lage zu, was natürlich zu erwarten war. Die Prämisse ist nichts Versöhnliches, hat etwas abstoßend Eigennütziges. Der kühl berechnende Filius hat in dieser unbequemen Studie über Rivalität und Wettstreit alle Karten in der Hand, die der Bessere, der die dunklen Gedanken der Intrige nicht braucht, alle verloren hat. Auch Nina Hoss sucht den Einklang mit ihrem Sohn, die im Eifer einer hanek´schen, ansatzweise gewissenlosen Mutterrolle in dessen perfidem Tun Genugtuung findet.

Das Vorspiel wirft kein behagliches Licht auf die nach Perfektion strebende Welt des Musizierens, wo jeder so sein will wie Mozart. Oder die anderen es für einen wollen.

Das Vorspiel