Märzengrund

IN DIE BERG‘ BIN I GERN

7/10


maerzengrund© 2022 Metafilm 


LAND / JAHR: ÖSTERREICH, DEUTSCHLAND 2022

REGIE: ADRIAN GOIGINGER

BUCH: ADRIAN GOIGINGER & FELIX MITTERER, NACH SEINEM THEATERSTÜCK

CAST: JAKOB MADER, JOHANNES KRISCH, GERTI DRASSL, HARALD WINDISCH, VERENA ALTENBERGER, IRIS UNTERBERGER, CARMEN GRATL, PETER MITTERRUTZNER U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Felix Mitterer ist als Bühnen- und Drehbuchautor längst nicht mehr wegzudenken. Dabei war ihm nie genug, nur in der österreichische Seele zu wühlen oder die Blut- und Boden-Heimat eines Karl Schönherr zu zelebrieren. Mitterer geht es in seinen Stücken um elementarere Themen. Um Freiheit, Alter, Tod und Identität. Als Drehbuchautor wird er komödiantisch – Die Piefke-Saga war Anfang der Neunziger eine durchaus aufreibende TV-Sensation, die unsere deutschen Nachbarn wohl etwas vergrämt hat, wobei Mitterer eigentlich auf beiden Seiten seine Ohrfeigen hat fliegen lassen. Mit dem vierten Teil des Fernseherfolges war es dann nicht mehr weit bis zum surrealen Albtraum eines längst ausverkauften und zugrunde gerichteten Urlaubslandes Tirol. Sein düsterstes Werk: Sibirien – der Monolog eines dahinsiechenden, alten Mannes in einem entmenschlichten Altersheim, als Fernsehspiel verfilmt mit Fritz Muliar.

Die Zeit, die an Geist und Körper nagt, ist in Mitterers Aussteigerdrama Märzengrund ebenfalls kein unwesentlicher Motor. Auf der Bühne gut vorstellbar – aber als Film? Die Zahl an Leinwandadaptionen halten sich bei des Künstlers Werken auf einstelligem Niveau – lieber ist das Fernsehen für die mediale Umsetzung seiner Dramen verantwortlich, weniger das Kino. Adrian Goiginger, der mit seinem Erstling Die beste aller Welten eine außergewöhnliche Empathie für sein Ensemble an den Drehtag legte und Skript sowie dessen Umsetzung perfekt in Einklang brachte, scheint mit Märzengrund das als ausgetreten und altmodisch betrachtete Genre des klassischen Heimatfilms wieder aufleben zu lassen. Schicksalskitsch 2.0? Der Förster vom Silberwald oder Geierwally waren gestern, Adrian Hoven oder Rudolf Lenz Lederhosenhelden mit Hirschknöpfen am Revers, die Wilderern das Handwerk legten oder todesmutig das Edelweiß pflückten. Doch was wären Filme wie diese, würden sie in der dritten Dekade des 21. Jahrhunderts plötzlich wieder glückselig auf ihre erfolgreiche Subvention blicken? Prinzipiell nicht viel anders. Vielleicht aber desperater. Peter Brunners Luzifer oder Ronny Trockers Die Einsiedler mit Ingrid Burckhardt. Heimatfilme werden hierzulande zu einer Art Spätwestern. Zum Abgesang von  verstaubten Idealen oder einer nostalgischen Verklärtheit. Das bittere Ende scheint vor allem bei Mitterer stets garantiert, der Kompromiss eine Sache für Luschen.

Genauso wenig zu Zugeständnissen bereit scheint Elias, ein Jungbauer und zukünftiger Erbe eines stattlichen Hofes im Zillertal mit sehr viel Hektar und noch größerem Viehbestand. Wir schreiben Ende der Sechzigerjahre, der Sohn hat gefälligst das, was der Vater bereits aufgebaut hat, weiterzuführen. Und muss auch bis dahin ordentlich Hand anlegen, nebst vorbildlicher Schulleistung. Als Elias kurz davorsteht, den Hof zu übernehmen, lernt er die deutlich ältere, geschiedene Moid (Verena Altengerger) kennen, die sich genauso wie er fremd in der Welt fühlt und für den jungen Mann durchaus auch Zuneigung empfindet – was der herrischen Bäuerin Mutter (großartig: Gerti Drassl) überhaupt nicht in den Kram passt. Das Verbot dieser unorthodoxen Beziehung stürzt Elias in Depressionen, die er erst wieder überwinden kann, als er einen Sommer lang auf der farmeigenen Alm die Kühe hütet. Von diesem Moment an sieht sich Elias für ein Leben fernab jeglichen gesellschaftlichen Treibens bestimmt, fernab aller Menschen und nur im Einklang mit der Natur. Man kann sich denken, wie die Eltern das finden werden. Doch all die Enttäuschung, Verbitterung und der Gram des verratenen Vaters reichen maximal bis zur Baumgrenze – darüber hinaus macht Elias einen auf Robinson Crusoe, ohne Freitag und ganze vierzig Jahre lang. Bis der Körper nicht mehr so kann, wie er will.

Märzengrund ist längst nicht so dicht und packend erzählt wie Die beste aller Welten. Kein Wunder: Mitterer hat in seinen Stücken längst nicht so eine Wortgewalt wie zum Beispiel ein Thomas Bernhard. Aber gerade die Lakonie seiner Arbeiten entwickelt auf der Bühne eine Sogwirkung. Im Kino kompensiert Goiginger die Tragödie eines Aussteigers mit der wuchtigen Berglandschaft Tirols, die vor lauter greifbarem Naturalismus fast schon die Leinwand sprengt. Dabei orientiert sich Kameramann Clemens Hufnagl an die Bilderstürme eines Terrence Malick. Weitwinkel, unmittelbare Closeups, weg von der Statik eines Stativs. In Ein verborgenes Leben, Malicks Rekonstruktion des Falles Jägerstätter, rückt dieser nah an das Dorfleben des vergangenen Jahrhunderts heran, wirkt gemäldegleich und mit Licht, Bewegung und wanderndem Blickwinkel enorm vital.

Märzengrund bietet ein ähnliches Erlebnis, noch dazu mit Schauspielern, die wohl dank eines von Goiginger geschaffenen vertrauten Umfelds tief in ihre Rollen tauchen. Natürlich ist Johannes Krisch – ein Chamäleon des österreichischen Films ­­– ganz vorne mit dabei. Bruno Ganz hätte diese Rolle wohl nicht besser gelebt, mit all der Verbissenheit, der Verzweiflung und dem gefundenen Frieden in der Einsamkeit. Das alles im Tiroler Dialekt, der das Szenario noch stimmiger werden lässt. 

Das Heimatdrama ist also zurück. In einer Form, wie unsere Eltern es bereits gewohnt waren und das für nostalgischem Realismus, wuchtigem Gipfeldrama und nun auch dank Mitterer’scher Gesellschaftskritik für das fatale Dilemma existenzieller Neu- und Unordnung steht.

Märzengrund

Small Engine Repair

WOZU HAT MAN FREUNDE?

7,5/10


smallenginerepair© 2021 Vertical Entertainment


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: JOHN POLLONO, NACH SEINEM THEATERSTÜCK

CAST: JOHN POLLONO, JON BERNTHAL, SHEA WIGHAM, SPENCER HOUSE, JORDANA SPIRO, CIARA BRAVO, JOSH HELMAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 43 MIN


Nicht alle Bühnenstücke eignen sich zur Verfilmung fürs Kino. Dieses hier schon. Womit also kein Grund besteht, Small Engine Repair unter dem Radar fliegen zu lassen. Das Theaterstück von John Pollono, der in vorliegendem Film auch Regie geführt und die Hauptrolle übernommen hat, entwickelt sich so unerwartet, dass man lange Zeit eigentlich nicht weiß, womit man es zu tun hat. Mit einem gediegenen Melodram rund um Freunde und die Zeit, die an diesem sozialen Gefüge nagt? Oder mit einem sich langsam anbahnenden Thriller, dessen Ursprung lange im Verborgenen liegt und in so manchen Dialogzeilen, ohne dass es so recht bewusst wird, bereits vorweggenommen werden kann. Zu viel über Small Engine Repair zu verraten, kann leicht passieren und wäre auch zu schade. Dieser kleine, hemdsärmelige Film kommt durch die Hintertür an den Schauplatz einer schmucken Werkstatt und füllt die mit dem Duft von Schmieröl und halbdurch gebratenen Steaks durchzogenen vier Wände mit topaktueller Relevanz.

Für dieses besondere Werk konnte Pollono zwei durchaus namhafte Schauspieler verpflichten: Jon Bernthal, der bärig-sympathische Kumpeltyp auch fürs Grobe und vielleicht nicht ganz so Legale – und Shea Wigham, betont abgemagert und blass, stets mit Mütze und nerdigem Knowhow. Beide geben jahrelange Freunde von Frank Romanowksi (John Pollono), der Schwierigkeiten hat, seine Impulse unter Kontrolle zu behalten. Da kann es schon mal passieren, dass die Hand ausrutscht – und sich nicht mehr stoppen lässt. Gewalt ist sein Problem, und das führt dazu, dass der Freundeskreis zerbricht – bis Jahre später all die damals Vergraulten zu einem Grill- und Männerabend in Franks Werkstatt gerufen werden, um Vergangenes auszusprechen und sich wieder zu versöhnen. Das tun sie dann auch, es wird umarmt, gescherzt, Anekdoten aus den letzten Jahren preisgegeben, Bier getrunken und sogar Gras geraucht, das ein Kerl vorbeibringt, der seltsam distanziert, ja gar arrogant wirkt, der sich aber dazu überreden lässt, bei dieser kleinen Party auch sonst so mitzumischen. Mit diesem Kerl hat Frank aber etwas vor. Und genau dafür braucht er seine Freunde.

Es gibt Garagenbands, und es gibt Garagenfilme. Dieser ist einer davon. Ein Film für kleine Bühnen. Doch mehr braucht man oft nicht. Pollono statuiert mit seinem unter Anspannung sozialisierenden Männerdrama ein Exempel für Verantwortung und Achtsamkeit. Wie weit, lässt er auch fragen, geht das Einstehen für den anderen, wenn der andere ein Freund ist, der den Rückhalt entsprechend verdient? Es wird Abend, dann wird es Nacht rund um diese Werkstatt, das Neonlicht taucht den Verschlag in ein graugrünes Versuchslabor aus Wut, Sorge und Vergeltungsdrang. Irgendetwas ist hier im Argen, und wie Pollono dieses Arge aus dem bemüht versöhnlichen Beisammensein herauskitzelt, bleibt unvorhersehbar und nicht minder verblüffend. Die Wendung mag brillant sein, kann aber auch für andere vielleicht ein bisschen zu aufgesetzt wirken, zu gewollt globale Probleme erörternd, die auf diese Art hier vielleicht gar nichts zu suchen hätten, weil es die derbe Schulterklopfromantik gestandener Typen konterkariert. Doch genau das ist das Irre an dieser so schmerzvollen wie improvisierten Geschichte, die so plötzlich über einen lauen Herbstabend hereinbricht wie ein frühes Wintergewitter.

Small Engine Repair

Da scheiden sich die Geister

BUHLSCHAFT AUS DEM JENSEITS

5/10


scheidensichdiegeister© 2021 24 Bilder


LAND / JAHR: AUSTRALIEN, GROSSBRITANNIEN, USA 2020

REGIE: EDWARD HALL

CAST: DAN STEVENS, ISLA FISHER, LESLIE MANN, JUDI DENCH, AIMEE-FFION EDWARDS, DAVE JOHNS, JULIAN RHIND-TUTT, MICHELE DOTRICE U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Wenn sich Judi Dench als aufgedonnertes Medium bei Kerzenschein an einen runden Tisch setzt, will man unbedingt dabei sein. Und zwar nicht aufgrund der eher unwahrscheinlichen Möglichkeit, das Gespräch mit einem Geist anzufangen, sondern weil Judi Dench als eine zwischen den Dimensionen weilende noble Dame einfach eine gute Figur macht. Da kann man noch so schmunzeln, während sich alle die Hände reichen. Der etwas mokierende Zweifel wird bald ausgeräumt werden, wenn dann tatsächlich jemand an den Tisch klopft, der gar nicht mal an selbigem sitzt. Und selbst der Zauberlehrling aus Goethes gleichnamiger Ballade hat es schon immer gewusst: Geister, die man ruft, wird man kaum mehr wieder los. Ein nettes Lehrstück hat da Noël Coward rund um diese Einsicht formuliert. Daraus entstanden ist Blithe Spirit, ein Stück in drei Akten. Allerdings lässt sich die Erkenntnis nicht verdrängen, dass dieses Lustspiel bereits 80 Jahre auf dem Buckel hat. Judi Dench kann da aber nichts dafür.

Worum geht´s also in dieser spirituellen Komödie? Der vielseitige Dan Stevens (zuletzt als allzu menschlicher Android in Maria Schraders Science-Fiction-Drama Ich bin dein Mensch zu sehen) spielt einen weniger vielseitigen Bestseller-Autor, dessen beste Zeiten seit dem Ableben der ersten Ehefrau Elvira schon längst vorbei sind. Folglich leidet dieser an einer entsetzlichen Schreibblockade, und um diese zu lösen, lädt er das Medium Madame Arcati (eben Judi Dench) zu einer Seance ins noble Anwesen. Diese macht tatsächlich auf Twilight Zone und befördert vorhin erwähnte Ex in die Welt der Lebenden zurück – als Gespenst wohlgemerkt. Und auch Gespenster, wie man sehen wird, haben noch sowas wie Gefühle. Denn Elvira will ihren Ehemann zurück. Sehr zum Leidwesen von Isla Fisher, die als lebendige Gattin Ruth ihren Mann anfangs für verrückt hält, später aber das freie Spiel der Kräfte mitmachen muss.

Der Plot klingt ja zugegebenermaßen ganz witzig. Und ist natürlich nicht umsonst einer von Cowards großen Boulevard-Erfolgen. Nur: nicht jedes Theaterstück lässt sich fürs Kino adaptieren. Da scheiden sich die Geister ist bunt, schön ausgestattet und sicherlich nicht schlecht gespielt. Doch es ist und bleibt ein zugeknöpftes, braves Boulevardstück, eine harmlose Komödie mit gefälligem Humor, der die ganze Bandbreite eines Theaterpublikums abdeckt, das während des Krieges sein Heil in wohltuend- harmloser Ablenkung sucht. So viele Jahre später ist der zeitliche Kontext nicht wegzudenken, und es scheint auch fast unmöglich, die angestaubte Komödie mit allen zur Verfügung stehenden Extras des 21. Jahrhunderts so aufzupeppen, dass es vom zeitgenössischem zum zeitlosen Klassiker avancieren könnte. Das funktioniert leider nicht, denn das Stück gibt her, was es hergibt. Es gibt weder Metaebenen noch sonstige gesellschaftliche Seitenhiebe. Hat damals niemand verlangt – verlangt man aber vermehrt heute.

Da scheiden sich die Geister

One Night in Miami…

REFLEXIONEN ZUM FEIERABEND

7,5/10


onenightinmiami© 2020 Amazon Studios


LAND: USA 2020

REGIE: REGINA KING

CAST: ELI GOREE, KINGSLEY BEN-ADIR, LESLIE ODOM JR., ALDIS HODGE, BEAU BRIDGES, LANCE REDDICK U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Gestern, am 22. Jänner, wäre Soul-Legende Sam Cooke 90 Jahre alt geworden. Doch der Mann, der ist schon lange tot. Er wurde erschossen, angeblich in Notwehr, im Alter von gerade mal 33 Jahren. So einen Tod musste Malcolm X ebenfalls erleiden. Am 25. Februar 1964 allerdings wussten beide noch nichts von ihrem tragischen Schicksal, als sie mit Cassius Clay aka Muhammed Ali und dem Football Star Jim Brown auf den Sieg des berühmten Boxers gegen Sonny Liston anstoßen wollen. In einem Hotel in Miami, irgendwann spätnachts. Dieses Treffen hat allerdings nie wirklich stattgefunden, es ist rein fiktiv. Gekannt haben sich die vier Schwarzen aber schon. Vor allem Malcolm X und Ali waren gute Freunde, und ersterer konnte den Boxer letzten Endes auch zum Islam bekehren. Die vier treffen sich also in einem Hotelzimmer, und nicht an einer Bar, um zu feiern. Warum? Weil Malcolm X jede Sekunde fürchten muss, von Rassisten attackiert oder gar ermordet zu werden (was schließlich auch eintrat – aber nicht durch Rassisten, sondern durch Mitglieder der Nation of Islam. Doch das nur am Rande). In diesem Zimmer treffen vier unterschiedliche Lebenskonzepte und Einstellungen aufeinander, es wird gelacht, es wird aus früheren Zeiten erzählt, es wird gestritten, getrotzt und sich wieder versöhnt. Diese Nacht, die ist fast schon zu ideal, um wahr zu sein. Und dennoch wird sie unter der Regie von Schauspielerin Regina King (Oscar für If Beale Street Could Talk) zu einem vor allem textlich beeindruckenden Come Together.

Sowas passiert auch nur, weil One Night in Miami… ein Theaterstück ist. Dramen für die Bühne sind ausgesucht dialogstark, ausgefeilt bis zum letzten Punkt, die Atempausen akkurat gesetzt. Das war auch schon bei Ma Rainey’s Black Bottom so, ein verbal wuchtiger Film. Oder The Boys in the Band – Jim Parsons Einladung zum Geburtstag. Alles Werke, die mit sicherer Hand und geradezu vorbildlich für das Kino adaptiert wurden. Doch leider nur fürs Streamingkino, denn alle drei Werke wären auch visuell erste Sahne. One Night in Miami… punktet daher mit edler Ausstattung und ordentlich 60er-Kolorit. Was das Dialogdrama aber noch mehr zu einer ganz besonderen Gesprächsrunde werden lässt, ist am wenigsten dessen Plot, denn viel passiert hier nicht. Was diese Nacht bietet, ist ein Innehalten und Reflektieren, ein Abwägen des Status Quo und ein Sinnen über die Zukunft. Was den Film also so besonders werden lässt, dass ist das gemeinsame Agieren von vier recht unbekannten Künstlern, die in ihren inszenierten Alter Egos ihren Meister gefunden haben. Kingsley Ben-Adir entwirft einen sowohl scharfsinnigen als auch provokanten, obsessiven Malcolm X. Eli Goree ist als Cassius Clay der resolute Muskelprotz von nebenan, Aldis Hodge der wohl rationalste der vier und Musicalstar Leslie Odom Jr. setzt als leidenschaftlicher Soulsänger Sam Cooke mit einer detailliert manieristischen Performance dem Schauspielabend die Krone auf. Regina King  hat mit dem durchdachten Theaterstück schon vieles auf der Habenseite – mit dem seit langem wohl am besten aufeinander eingestimmten Ensemble in einem Film ist ihr damit ein wortgewandter, sehr empathischer und auch ernstzunehmend gesellschaftskritischer Wurf gelungen, der, ähnlich wie Ma Rainey’s Black Bottom, Kämpfer, Verbündete und Opportunisten im Kampf der Schwarzen um gleiches Recht sichtet und dabei in eine aufwühlende Vergangenheit blickt.

One Night in Miami…

Ma Rainey´s Black Bottom

WEIT MEHR ALS NUR MUSIK

8/10


blackbottom© 2020 David Lee/NETFLIX

LAND: USA 2020

REGIE: GEORGE C. WOLFE

CAST: VIOLA DAVIS, CHADWICK BOSEMAN, COLMAN DOMINGO, GLYNN TURMAN, MICHAEL POTTS, TAYLOUR PAIGE, JEREMY SHAMOS U. A.

LÄNGE: 1 STD 34 MIN


Gut möglich, dass der erschreckend früh verstorbene Chadwick Boseman zu ähnlichen Ehren kommen könnte wie seinerzeit Heath Ledger für seinen Joker. So eine posthume Auszeichnung könnte sein Schaffen gebührend veredeln, und es wäre ja nicht nur eine Anerkennung aus rein respektvollen Gründen. Es wäre auch absolut verdient. Denn Chadwick Boseman, der als Black Panther natürlich schon eine gute Figur gemacht hat, konnte in seiner allerletzten Rolle als Trompetenspieler Levee dann doch noch alle Register seines Könnens ziehen – und eine Performance hinlegen, bei der man, während sie so dynamisch und expressiv abgeht, zweimal hinsehen muss, um den Schauspieler dahinter wiederzuerkennen, obwohl 20er-Jahre-Haircut und Schnauzer eigentlich nicht wirklich viel in die Irre leiten sollten. Nein, es ist ganz einfach sein Spiel, sein knorriges, impulsives, verletzliches Auftreten, dieser naive Idealismus. Eigenschaften, die Bosemans Rolle erfüllen muss und die ihn so anders erscheinen lassen. Der gerade mal 43 Jahre alt gewordene Künstler ist hier nicht allein auf der Bühne – mit donnernden Schritten stakst eine charismatische Erscheinung in dieses kleine Aufnahmestudio, mit schillerndem Kleid, geölter Haut, bis unter den Haaransatz geschminkt – aufgedonnert wie eine stattliche Diva, die keinen Snickers-Riegel abbekommen hat: Viola Davis. Sie verkörpert die authentische Figur der Ma Rainey, die tatsächlich als Mutter des Blues gilt und scheinbar den sentimentalen, aber gleichzeitig aufmüpfigen Rhythmus dieser Musikrichtung in glamourösem Ausmaß interpretiert hat.

Beide zusammen – Boseman und Davis – sind ein Gespann, dass sich nicht ausstehen kann, weil sie beide für einen Ist-Zustand der schwarzen Bevölkerung stehen, allerdings jeweils auf unterschiedlichen Sprossen der Leiter. Bosemans Levee ist – wie schon gesagt – Trompeter im Ensemble der Ma Rainey, die im Süden längst große Erfolge feiert und nun, weiter im Norden, von ihrem Manager dazu genötigt wird, eine Platte aufzunehmen. Die Musiker treffen natürlich vorher ein, sammeln sich im Keller, um sich einzugrooven. Trompeter Levee zeigt allen sofort, dass er was ganz anderes vorhat. Eigene Kompositionen, eigene Interpretationen. Er will sein eigenes Ding drehen. Die anderen Musiker belächeln ihn, lauschen aber seiner Erzählung einer schrecklichen Vergangenheit, währenddessen, von funkelnden Allüren umgeben, die Diva heranrauscht und ihren Neffen, der stottert, mit auf die Platte bringen will. Das ist Nährboden für Zwistigkeiten, elende Wartezeiten, Missverständnissen und Kränkungen, Ego-Trips und Geldgier. In diesen kleinen, engen Räumen nimmt sich Levee, was er bekommt – während Ma Rainey mehr einfordert als möglich scheint.

Ma Rainey´s Black Bottom stammt aus der Feder des Bühnenautors August Wilson, der auch schon die Vorlage für das großartige Familiendrama Fences lieferte. In ihrem Grundton sind beide Filme ähnlich, in beiden Filmen ist die Zukunft einer aufstrebenden Generation Schwarzer trotz immensem Potenzial eine verlorene. In George C. Wolfes Verfilmung des Musik-Kammerspiels ertönt der Blues dazu, das melodische Sprachrohr einer klagenden und gleichsam sich aufraffenden Gesellschaft im Nachteil. Niemand sonst, kein Weißer, kann den Blues so interpretieren. Das weiß Ma Rainey, das weiß Levee, das weiß Wilson und C. Wolfe. In diesem selbstbewussten Kosmos aus Schweiß, Tränen und Blut – und zwischendurch auch kleine rührende Erfolge – entsteht nach anfänglichen, einleitenden Dialogen des ersten Aktes ein dichtes Kräftemessen zwischen Gegenwart und Zukunft. Denzel Washington, der auch in Fences brillierte, wusste, worauf er sich einließ, als er diesen Film hier produzierte. Könnte gut sein, dass er diesmal auf die Liste der Academy kommt, als Beitrag für den besten Film.

Ma Rainey´s Black Bottom

Fences

ANSICHTEN EINES PATRIARCHS

7/10

 

null© 2016 Paramount Pictures

 

Ich stelle mir jetzt mal folgendes vor: Ich sitze irgendwo in Los Angeles in einem Café. Hinter mir geht die Tür auf und eine Person kommt herein, welche die Gäste des Lokals ob seiner Ausstrahlung – und wenn auch nur für ein paar Sekunden – verstummen lässt.  Dann wäre das in seinen früheren Jahren sicherlich Jack Nicholson gewesen. Heutzutage bliebe es, wenn sich Denzel Washington in aktuell fortgeschrittenem Alter einen Kaffee genehmigen will, nicht unbemerkt. Washington hat Charisma. Wo er hingeht, ist er nicht zu übersehen. Nicht wegen seiner Größe, sondern wegen seiner einnehmenden Persönlichkeit. Washington ist einer der ganz Großen, nicht unbegründet einer meiner am Liebsten gesehenen Schauspieler auf der Leinwand. Schade nur, dass ich den talentierten Afroamerikaner nicht auch im Theater bewundern kann, denn zumindest der Broadway darf Denzel Washington zu seinem Ensemble zählen. Zum Beispiel in einem modernen Klassiker des amerikanischen Dramas. Dieses mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Bühnenwunder trägt den Titel Fences, verantwortlich dafür zeichnet der Dramatiker August Wilson, der auch seine eigene Drehbuchfassung schrieb. 

Fences lässt die Wucht der Stücke eines Tennessee Williams oder Eugene O´Neill wiederaufleben. Was aussieht wie ein Familiendrama mit ganz viel Zeitkolorit, ist vor allem eines: ein One-Man-Gewaltakt. Das Psychogramm einer Machtfigur, eines Patriarchen, der sich innerhalb seiner mikroskopischen Welt aus Familie und Vertrauten gebärdet wie ein Diktator und Bestimmer, selbst aber die Geschichte eines verpassten Lebens mit sich schleppt. Dieser Umstand einer widrigen Vergangenheit voller Misstrauen, Diskriminierung und menschenunwürdig harter Arbeit lässt den Übervater verbittern. Die Zukunft seiner beiden Söhne solle eine andere sein, als er selbst sie hatte. Eine bessere womöglich? Zumindest eine ohne all die Erniedrigungen, die das Oberhaupt der Familie erleiden musste. Dass sich die Zeiten aber geändert haben, und Hindernisse des Gestern heute keine mehr sind – das wird dem alten Herrn nicht bewusst. So werden die Wünsche und Träume seines Nachwuchses zu einem umkämpften Objekt der Zukunft. Der Krieg im Eigenheim, der findet im Hinterhof statt. Einem Stück Grund und Boden, um welchen Patriarch Troy einen Zaun errichten wird. Ein blickdichtes Stück Wand, welches das Draußen, den Fortschritt, die Zuversicht auf eine bessere Welt ausgrenzt. Vielleicht gerät das mächtige Ego von Müllsammler Troy auch in eine Zwickmühle zwischen Neid, Missgunst und verletztem Stolz – alles seiner eigenen Familie gegenüber. Hinter ihm steht niemand mehr, nicht mal mehr sein bester Freund. 

Fences ist der letzte von mir gesehene Film all jener nominierten Kandidaten, die für den Oscar 2017 als bester Film ins Rennen gegangen sind. Das Theater auch auf der Leinwand funktioniert, zeigt die von Denzel Washington produzierte und inszenierte Verfilmung des Bühnenhits auf zwar routinierte, aber eindringliche Art und Weise. Das Kammerspiel, welches den tiefen Fall des resignierenden Egomanen fast ausschließlich im Hause der Familie und im Hinterhof irgendwo in Pittsburgh beobachten lässt, passt Denzel Washington wie angegossen. Die Rolle ist tatsächlich sein ganz persönliches Projekt, eine Herzensangelegenheit, die er sozusagen im Alleingang zu stemmen versucht. Viola Davis als seine gestrenge bessere Hälfte, die den Tyrannen ertragen und lieben muss, steht Washington mit Leidenschaft zur Seite. Beide meistern das Drama mit Kraft und Würde. Das liegt natürlich daran, dass beide ihre Rollen bereits schon am Theater erproben konnten. 

Und genau das ist Fences. Pures Theater, mit dem Vorteil, den Ausdruck all der Gesichter im Close up betrachten zu können, ohne zum Operngucker greifen zu müssen. Das Kino nutzt durch seine Nähe des Publikums zum Schauspieler die ganze Bandbreite improvisierter Emotionen. Das weiß Washington´s dritte Regiearbeit zu nutzen. Wer sich ein Kinoerlebnis mit dem Medium eigenen Stilinnovationen erwartet, wird womöglich enttäuscht sein. Washingtons ist ein präziser, handwerklich souveräner Hybrid aus Bühne und Leinwand gelungen. Wortgewaltig und maßgeschneidert für einen Schauspieler, der nicht übersehen werden kann.

Fences