The Father Who Moves Mountains

DIE GRENZEN DES MÖGLICHEN

8/10


fatherwhomovesmountains© 2021 Netflix


LAND / JAHR: RUMÄNIEN, SCHWEDEN 2021

BUCH / REGIE: DANIEL SANDU

CAST: ADRIAN TITIENI, ELENA PUREA, JUDITH STATE, VALERIU ANDRIUTÃ U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Das menschliche Verhalten ist eine Terra incognita an faszinierenden Eskapaden und bizarren Wendungen, ist beeinflusst durch das soziale Umfeld und vor allem auch durch die Erziehung. Es ist vor allem auch eines: des öfteren absolut unlogisch. So richtig glockenhell und klar werden solche Ausformungen dann, wenn eine wie auch immer geartete Extremsituation in greifbare Nähe rückt. Dann wird zumindest vom schwedischen Regisseur Ruben Östlund seziert, was das Zeug hält. Und aufgedröselt, was als Schmach unter den Teppich gekehrt werden soll. Weil es sich nicht schickt, die eigene Unzulänglichkeit einzugestehen. Höhere Gewalt schildert das Verhalten von Menschen während des Abgangs einer Lawine. The Square geht sogar noch einen Schritt weiter und sucht nach der Motivation für Zivilcourage. Was Östlund auf die Leinwand und somit aufs Tapet bringt, schafft auch der Rumäne Daniel Sandu. In ganz anderem Kontext, in einer ganz anderen Geschichte, doch die Katastrophe ist ähnlich dominant. Hier, im Festivalfilm The Father Who Moves Mountains, lotet ein verzweifelter Vater auf der Suche nach seinem Sohn die Grenzen des Möglichen aus. Das kommt gerade richtig in Zeiten wie diesen, wo Überanstrengung und Burnout die Basis dafür sind, immer besser zu werden. Auch wenn schon das Beste gegeben wird.

Dieser Mann, von dem hier die Rede ist, scheint zu seinen Dienstzeiten im rumänischen Geheimdienst so einige Strippen gezogen zu haben. Entsprechend groß ist auch noch sein Einfluss quer durchs Land. Mircea kennt viele und jeden, weiß alles besser und lässt nicht locker, wenn es darum geht, andere soweit verbal zu zermürben, damit diese das tun, was Mircea für richtig hält. Ein anderes Wort dafür ist grenzenlose Überheblichkeit. Der pensionierte Vater eines Sohnes sieht sich aber bald mit einem unlösbaren Problem konfrontiert: Sein Filius gilt zusammen mit seiner Freundin nach einer winterlichen Bergtour in der montanen Wildnis Rumäniens als verschollen. Sogleich setzt Mircea alle Hebeln in Bewegung, will gar selbst auf den Berg, um auf eigene Faust den Schutzheiligen zu spielen. Das gefällt der örtlichen Bergrettung überhaupt nicht – Zivilisten behindern nur die Suchaktion, was rational betrachtet eigentlich vollkommen klar sein sollte. Doch der Ex-Offizier beharrt auf sein Zutun und lässt ein ganzes Team an Geheimdienstlern anreisen, die ihrerseits dem Berg auf die Pelle rücken.

Der Einfluss eines Einzelnen scheint manchmal grenzenlos. Das Menschenmögliche ist bald erreicht, doch die Schmach vor dem Versagen entbehrt jegliche Vernunft. In einer selbstgefälligen und rechthaberischen Eitelkeit plustert sich Schauspieler Adrian Titieni zu einem Helden auf, der meint,  Berge versetzen zu können. Faszinierend und auch erhellend, was Daniel Sandu aus dem verzweifelten Ringen eines Vaters an Verhaltensparametern ausgraben kann. Am Ort des Geschehens, sowohl am Berg als auch im Tal, entsteht die Oligarchie eines Rettungsstaates, die alle Beteiligten nach der Pfeife eines sturen Patriarchen tanzen lässt, den sein eigener Ehrgeiz wie eine Lawine heimzusuchen droht. So tragisch das Schicksal der verschollene Wanderer auch sein mag, umso mehr gerät der Zweck für diesen aussichtslosen Rundumschlag in den Hintergrund. In diesen Momenten erreicht The Father Who Moves Mountains die garstigen Spitzen eines Ruben Östlund und zeigt auf, wo die Nächstenliebe aufhört und das eigene Ego alles andere verdrängt. Dieses sehenswerte, kluge Charakterstück ist übrigens auf Netflix zu entdecken.

The Father Who Moves Mountains

Fighting with my Family

RINGEN UM ERFOLG

6,5/10

fightingfamily© 2019 Universal Pictures Germany

LAND: GROSSBRITANNIEN, USA 2019

REGIE: STEPHEN MERCHANT

CAST: FLORENCE PUGH, LENA HEADEY, NICK FROST, VINCE VAUGHN, DWAYNE JOHNSON, STEPHEN MERCHANT U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN

Ja, auch ich war mal großer Fan des Showcatchens. Bin unter der physischen Wucht eines Yokozuna in Deckung gegangen, hatte vor dem Undertaker richtig Respekt und konnte vor lauter Genugtuung gar nicht mal mehr richtig stillsitzen, wenn Adam Bomb seine Vergeltungswatschen im Ring verteilt hat: Die WWF lief allabendlich auf einschlägigen Sportkanälen, und das war weit mehr als nur Niederknüppeln im Moment. Das waren richtige Seifenopern. Mit Biographien, Schicksalsschlägen und dem Aufraffen von der Matte. Stets geht’s dabei um 5 Sekunden. Wer 5 Sekunden lang mit beiden Schultern am Boden liegt, kommt nicht mehr hoch. Dann ist der Fight verloren. Also: steh auf, wenn du am Boden bist. Das singen schon die Toten Hosen (klarerweise in anderem Kontext) aber dennoch: dieser Imperativ trifft es so ziemlich. Und den hat der junge Teenager namens Saraya bereits mit der Muttermilch getankt. Denn Sarayas Eltern, die waren mal gehörige Sozialfälle mit illegalem Kontext, und die haben sich dank des Wrestlings wieder aus dem Schlamassel gezogen. Ihrer Tochter sollte es besser gehen – und das geht nur mit der richtigen Dosis Fight. Dabei ist diese ganze Story hier eine, die auf wahren Begebenheiten beruht. Das unterstreicht auch Dwayne „The Rock“ Johnson, der hier als er selbst in Erscheinung tritt und ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudert, was seine Sternstunden im Ring angeht.

In ihrem Gothic Look kaum wiederzuerkennen ist Florence Pugh, die nicht erst seit ihrer oscarnominierten Rolle in Greta Gerwigs Little Women von sich reden machte (u. a. auch in Lady Macbeth oder demnächst zu sehen in Black Widow an der Seite von Scarlett Johansson) und hier den jüngsten Spross einer Familie verkörpert, die im Norden Englands als Wrestling-Familie das Leben schön findet. Alle waren (und sind) in diesem Biz, trainieren die Jugend oder schaffen es ab und an in landesweite Matches. Saraya bekommt allerdings die seltene Chance, bei den ganz Großen mitzumischen – in der WWE-Liga sozusagen. Und muss dafür nach Florida, um zu trainieren, wie sie bislang noch nie trainiert hat. Aber ob es genau das ist, was sie wirklich will? Ist es vielleicht doch nicht nur das Entsprechen des elterlichen Wunsches? Und was ist mit ihrem Bruder, dem Wrestling noch viel wichtiger scheint?

Stephen Merchants True Story ist einerseits eine Sozialdramödie aus der Mittel- bis Unterschicht und gleichzeitig tatschlich eine Art Sportfilm, an dem man aber auch als nicht sportaffiner Zuseher ganz gut andocken kann. Warum? Weil die Figuren und deren Besetzungen einfach noch viel interessanter sind als das Know How in Sachen Showfight. Ex-Cersei Lennister Lena Headey gibt die Mama, der wahnsinnig sympathische Nick Frost im Vikings-Look den Papa. Ein sehenswertes Gespann. Was aber ist Fighting with my Family unterm Strich? Ein Lifestyle-Song mit dem Refrain You can get it if you really want. Eine Phrase des unerschütterlichen Willens. Denn wenn man will, kann man alles erreichen. Oder so ähnlich. Merchant hat die True Story, so vermute ich mal, scripttechnisch vereinfacht und von allerlei Grautönen gesäubert. Entsprechend glatt ist die Erfolgsstory auch geworden. Gut, dass das Drehbuch nicht Sarayas Bruder ausgeklammert hat, denn der ist ein Beispiel dafür, dass nur die von Willen und Erfolg gut reden können, die es auch geschafft haben. Die anderen als Dunkelziffer liegen dazwischen. Man kann also doch nicht alles schaffen, wenn man nur will. Und muss sich letzten Endes nach der Decke strecken. Oder: pro Familie schafft es vielleicht eine(r) groß raus.

Fighting with my Family

Das Vorspiel

ÜBUNG HASST DEN MEISTER

5/10

 

vorspiel© Judith Kaufmann

 

LAND: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2019

REGIE: INA WEISSE

CAST: NINA HOSS, ILJA MONTI, SIMON ABKARIAN, SOPHIE ROIS, JENS ALBINUS, SERAFIN GILLES MISHIEF U. A. 

 

Bis das Spiel auf der Geige wirklich gut klingt, braucht es strenge Disziplin beim Üben. Minimum zwei Stunden täglich, zuzüglich der eigentlichen Lehreinheiten an der Schule. Wenn der Nachwuchs da nicht voller Ehrgeiz hinter seinem Instrument steht, wird daraus meist nicht mehr als das Vorführen musikalischer Errungenschaften im Familien- und Freundeskreis. Ergänzendes Allgemeinwissen, schön und gut. Keine Frage, durchaus sinnvoll. Ein Brotverdienst wird das keiner, da braucht es Leidenschaft und kein Gefühl des Verlusts von Freizeit mehr. Alles andere aber scheint Nötigung, vor allem dann, wenn die Eltern wollen, das Kind aber nicht. Das Kind zwar enormes Talent, für das Fideln unterm Kinn aber kaum etwas übrig hat. Das geht einer Mutter, die selbst musiziert, ordentlich ans Gemüt. Nina Hoss spielt so jemanden – eine Musiklehrerin für Geige, die einen verhaltensauffälligen Sohn hat, dessen täglicher Wortschatz in eine Notenzeile auf A4 passt. Warum dieses Separieren in den eigenen vier Wänden? Warum diese Ablehnung der Mutter? Das Problem lässt sich anfangs nur erahnen: Mutter Hoss hat sich im Rahmen einer Audition für neue Talente einen nicht weniger eigenartig schüchternen Burschen geangelt, in dem sie gutes Potenzial entdeckt. Der auch lernfähig ist, annimmt, was die Tutorin ihm sagt und dem Instrument wohlklingende Töne abringt, die Johann Sebastian Bach und Co wohl befriedigende Blicke entlockt hätten. Der lakonische Sohnemann allerdings will nicht so recht, wird von Mama auch öfter korrigiert, obwohl sie ihn gar nicht unterrichtet. Aber so scheint es in Musikerfamilien zuzugehen, wo selbst der Papa als Instrumentenbauer sein Geld verdient. Und wenn einer da andere Saiten aufzieht, wird er zum Außenseiter. Oder doch nicht?

Elterlicher Druck auf den Nachwuchs geht vor allem in Dingen der frei wählbaren Beschäftigung, die Übung erfordert, nach hinten los. Entweder sieht man später als Erwachsener über den damaligen Drill hinweg oder aber man verzeiht das den Eltern nie. Oder man wird zum psychosozialen Sonderling. Die Jungdarsteller in Ina Weisses Talentedrama sind bereits jetzt schon eigenartige Wesen, die kaum Sympathien wecken. Der eine scheinbar ein Soziopath, der nach Anerkennung strebt. Der andere gehemmt bis unter die Zehennägel. Womöglich ein Kind aus strengen autoritären Verhältnissen, obwohl die Mutter gar nicht mal so wirkt. Ein Schüler Gerber könnte aber dennoch nicht weit sein. Ein Satansbraten aber genauso wenig. Wobei – abgesehen von den Kindern, die seltsam verstören, liefert Nina Hoss mit ihrer erratischen Filmfigur ebenfalls ein unterkühltes Psychogramm, das in zähen Gedanken versunken bleibt. Der Vergleich mit Whiplash aber, der geht sich nicht ganz aus. Wo Damien Chazelle den Leistungsdruck konkretisiert, schludert Das Vorspiel gleichsam an den Ansätzen eines Lehrer-Schüler- oder Mutter-Sohn-Konflikts herum. Wobei – spannend wird der familiäre Lokalaugenschein zwischen Ehrgeiz und Eifersucht bis zum Schluss nicht mehr. Auch kommt der Plot nicht wirklich in die Gänge, gerade mal am Ende spitzt sich die Lage zu, was natürlich zu erwarten war. Die Prämisse ist nichts Versöhnliches, hat etwas abstoßend Eigennütziges. Der kühl berechnende Filius hat in dieser unbequemen Studie über Rivalität und Wettstreit alle Karten in der Hand, die der Bessere, der die dunklen Gedanken der Intrige nicht braucht, alle verloren hat. Auch Nina Hoss sucht den Einklang mit ihrem Sohn, die im Eifer einer hanek´schen, ansatzweise gewissenlosen Mutterrolle in dessen perfidem Tun Genugtuung findet.

Das Vorspiel wirft kein behagliches Licht auf die nach Perfektion strebende Welt des Musizierens, wo jeder so sein will wie Mozart. Oder die anderen es für einen wollen.

Das Vorspiel

21 Bridges

LOCKDOWN FÜR EINE NACHT

4/10

 

21Bridges© 2019 Constantin Film

 

LAND: USA 2019

REGIE: BRIAN KIRK

CAST: CHADWICK BOSEMAN, SIENNA MILLER, J.K. SIMMONS, TAYLOR KITSCH, KEITH DAVID U. A. 

 

Was machen all die Schauspieler aus dem MCU, wenn sie darauf warten müssen, endlich wieder in ihre gewinnbringenden Rollen zu schlüpfen? Sie verlassen sich auf ihre Agenten, die einen Plan B haben und ihnen Jobs vermitteln, die die Kaffeekassa zwar klingeln lassen, in den Filmgeschichtsbüchern aber nicht mal eine Fußnote wert sind. Einer dieser Stars, der nun Filme dreht, weil er Schauspieler ist, schlüpft normalerweise in die Rolle des Black Panther und nennt sich Chadwick Boseman. Der hat für einen urbanen Polizeithriller unterschrieben, der sich wiederum 21 Bridges nennt und in welchem Brücken ungefähr so eine große Rolle spielen wie die Freiheitsstatue in der Hudson Bay von New York, die im Film nur aus der Entfernung schemenhaft zu erkennen ist. Die Brücken sind auch mal kurz zu sehen, doch abspielen tut sich dort gar nichts. Tatsächlich geht’s darum, den Stadtteil Manhattan mal für eine Nacht runterzufahren und von der übrigen Metropole abzuschotten, da zwei Verbrecher hier irgendwo in den Straßen ihr Unwesen treiben und die natürlich am besten gestern gefasst werden müssen, da sie sich als Copkiller versündigt haben, nebenbei aber noch Hamsterladungen Rauschgift mit sich herumschleppen. Dann klappen wir mal die Brücken hoch, so die Exekutive. Ein Lockdown bis zum Morgengrauen. Das war’s dann auch schon mit den Brücken. Hätte sich da nicht mehr daraus machen lassen können, also mit den Brücken zumindest? Wäre es nicht naheliegend gewesen, diese 21 Brücken irgendwie einzubinden in die nächtliche Hatz?

Stattdessen ist Brian Kirks erste Spielfilmregie Business as usual. In jedem gefühlt zweiten Polizeifilm, so auch in diesem, sind Polizisten schwächer als ihr Berufscodex, und folglich korrupt – selbige Blase zieht sich meist sehr weit und hat gute Connections zur Unterwelt. Dass die Blauuniformierten hier nicht schon längst auf die Barrikaden gestiegen sind, um sich über deren Darstellung im Kino zu beschweren, wundert mich eigentlich. Oder ist da wirklich so viel Wahres dran, dass sich ein ganzes Berufsfeld gar nicht mal so verunglimpft fühlt? Polizisten sind in solchen Filmen leicht austauschbare Stereotypen geworden. Boseman macht hier auch keine Ausnahme. Ein traumatisierter Ehrgeizler, verkniffen und bis zum Komplex unlocker. Dieser Filmfigur kommt keiner nahe, und das nicht, weil sie so gefährlich aussieht oder entsprechend agieren würde. Man kommt ihr genauso wenig nahe wie einem Magistratsbediensteten kurz vor dem Parteienverkehr an einem Montagmorgen. Boseman steckt sein Terrain ab, und eigentlich lädt er uns nicht ein, ihm zu folgen. Da folgen wir lieber den beiden Killern – einer davon Ex-John Carter on Mars Taylor Kitsch – die ganz von selbst in einen mörderischen Strudel Richtung abwärts kreisen. Ihre Performance ist kein Vergleich zu den ermittelnden Guten, die in ihrer verschlafenen Pflichterfüllung eigentlich nur tun, was sie tun müssen. Bei Sienna Miller suche ich auch vergeblich nach dem Kick-Off für ihre Rolle, so zerstreut und mit undefiniertem Hangover zappelt sie hinter Chefermittler Boseman her, dem der Brückenschlag zu seiner teilnahmslosen Assistentin aus dem Drogendezernat einfach nicht gelingen will.

21 Bridges

Lara

MUTTER EHRGEIZ UND IHR KIND

8,5/10

 

LARA© 2019 Studiocanal

 

LAND: DEUTSCHLAND 2019

REGIE: JAN-OLE GERSTER

CAST: CORINNA HARFOUCH, TOM SCHILLING, RAINER BOCK, ANDRÉ JUNG, VOLKMAR KLEINERT, MALA EMDE, MARIA DRAGUS U. A. 

 

„Du bist nichts. Du kannst nichts. Und aus dir wird nie was werden.“ – Mit solchen Meldungen kann man den Nachwuchs dazu bringen, nicht mehr an sich selbst zu glauben. Die negativ konnotierte Motivation ist das wahre Feuer hinter dem Ehrgeiz, hinter dem Drill bis zur Selbstaufgabe, die noch dazu zweierlei bedeuten kann: entweder man schindet sich im Glauben, dass die Erniedrigung nur durch Fleiß und Schmerz neutralisiert werden kann – oder hängt das Potenzial einfach an den Nagel. Nur die Harten kommen durch, sagt so manche Lehrkraftkoryphäe, und bewundert die, die trotz all des Stichelns aufs Ego durchhalten. Die anderen suchen eine Zukunft mit dem geringsten Widerstand. Weil sie gebrochen sind, weil ihr Selbstwert bereits den Meistern gehört.

Eltern glauben an ihre Kinder. So wie Mutter Lara Jenkins, die ihren Sohn mit sanftem Druck, wie dieser es formuliert, dazu genötigt hat, einen Meister der Tasten aus sich zu machen. Das Klavierspielen war jedoch auch Laras Leidenschaft. Nur eben nicht gut genug. Diese Schmach klebt wie Pech an einem Menschen, egal, wie lange es auch zurückliegen mag. Was aus so einem Menschen werden kann? Nun, wir sehen ihn in Lara, einer Verfechterin kategorischer Lernphilosophien, die abseits jeglicher Anerkennung nichts als gut genug empfindet. Und da steht sie nun, diese Lara, Jahrzehnte später, mutterseelenallein und eigentlich von allen verlassen. Aus gutem Grund. Doch heute, an diesem trostlosen Tag, an dem morgendliche Resignation den Freitod präferiert, wird Lara 60 Jahre alt. Überdies hat ihr Sohn Viktor ein großes Konzert vor sich. Irgendetwas will sie ihrem Sohn noch sagen – ein paar Worte zum Abschied? Was auch immer, es fühlt sich nicht gut an. Es ist so, als würde Lara ein Resümee des Lebens ziehen, in aller sozialen Isolation ihren eigenen, vielleicht letzten Geburtstag feiern. Mit Leuten, die sie nicht kennt und die nichts von ihr wissen wollen, und einem Sohn, der unter dem drastischen Perfektionismus seiner Mutter nur mehr ein Schatten seines Selbstvertrauens geworden ist.

Wieder hat Regisseur Jan Ole-Gerster seinen Schauspieler aus Oh Boy verpflichtet, nämlich Tom Schilling. Der hat aber diesmal nur eine Nebenrolle, denn dieser Film – Lara – gehört ganz und gar Corinna Harfouch, die hier eine ernüchternd-betörende, geradezu ikonographische Altersrolle hinzaubert und nicht unwesentlich dazu beiträgt, dass nach der versponnenen Berlin-Ballade in Schwarzweiß Jan-Ole Gerster sein Meisterwerk gelungen ist. Wieder ist es eine urbane Ballade, wieder handelt es vom Gerechtwerden der Erwartungen anderer, von der Erwartung an sich, vom Ehrgeiz und vom Leistungsdruck. Diesmal aber ist es Mutter Hopeless, die in der Bitternis ihrer eigenen Unzulänglichkeit gefangen steckt, und zu erkennen lernt, wie sehr ihr eigener Sohn dagegen anzukämpfen weiß. Wie schwach sie selbst ist, und wer sich eigentlich anmaßt, die Leistung und den Traum anderer zu diktieren. Gerster findet in strengen, teils unterkühlten Herbstbildern – darin der rostrote Mantel Harfouchs – und in langen, ruhenden Beobachtungen der Mimik seiner Protagonistin eine komplett neue Hintertür in dieses Dilemma über das fahrlässige Vereiteln eines Lebensplans. Poetisch, wie er auch hier wieder Begegnungen verknüpft und daraus Wahrheiten extrahiert, die in dieser ruhigen, direkt elegischen Komposition von Film sein gebündeltes Echo findet. Thematisch verwandte Erinnerungen an Whiplash werden wach – diesem nicht weniger brillanten Musikfilm über die Brutalität des Ehrgeizes. Oder an den Independent-Streifen The Kindergarten Teacher über das Allgemeingut namens Wunderkind.

Lara ist eine faszinierende, enorm kluge Odyssee durch die Unwägbarkeiten einer Selbstreflexion, die Geschichte eines Neuanfangs oder: ein psychologisch elegant durchdachter, vibrierender Pulsschlag des deutschen Kinos, wie ein wohlgesetztes Forte auf die Tasten eines Konzertflügels.

Lara

Thank you for Bombing

REPORTER DES SATANS

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thankyoubombing

Sorry gleich vorweg – aber die Wahl des einleitenden Titels für meine Rezension zu Barbara Eders eben erst mit Filmpreisen überhäuften Episodenfilm muss auf die schon recht abgedroschene, aber unglaublich passende Floskel aus Billy Wilders Filmklassiker fallen. Nicht anders, und wenn, dann nur mit viel mehr Worten kann der für österreichische Verhältnisse relativ untypische Film beschrieben werden. Dabei ist es nur positiv zu bewerten, dass es FilmemacherInnen gibt, die sich an Genres heranwagen, für die unser kleines Land nicht gerade bekannt ist.

Der bittere, enorm zynische Reigen rund um das Geschäft der Kriegsreportage beginnt wie ein Fiebertraum von Friedrich Orter und endet mit konsequenter Radikalität, die an David Fincher´s Fight Club erinnert. Mit Thank you for Bombing ist Barbara Eder tatsächlich etwas Bemerkenswertes gelungen, so verstörend die einzelnen Episoden auch sein mögen. Oder vielleicht sogar deswegen. Wenn Erwin Steinhauer, wohl einer der besten Schauspieler unseres Landes, am Wiener Flughafen am Rande eines Nervenzusammenbruchs wandelt, vermutet der Zuseher bisweilen immer noch gediegenes, aber eher zaghaftes Thrillerkino mit Suspense-Faktor, um schon bei der nächsten Episode, die dann bereits in Afghanistan spielt, den gnadenlosen Sarkasmus Eders auf voller Breitseite abzubekommen. Hier erleben wir den brillanten, wenn auch beklemmend unangenehmen Höhepunkt des Filmes, der an Brutalität und galligem Spott kaum zu überbieten ist. Die Episode über obsessivem Ehrgeiz, Geltungsdrang und Erfolgssucht ist knochenharte Satire und ausgefeiltes dramaturgisches Theater, die den Qualitäten eines Quentin Tarantino um nichts nachsteht. Dicht genug, um zu packen, erstaunlich entlarvend und den Kern der Aussage auf den Punkt gebracht. Allerdings würden jetzt wohl sensiblere Gemüter dann doch lieber den Film wechseln. Doch dranbleiben lohnt sich – das bizarre Finale ist wieder eine Klasse für sich, irgendwo zwischen Breaking Bad und dem südamerikanischen, ebenfalls in Episoden gegliederten Film Wild Tales. Die Groteske spitzt sich zu, verläuft in der Wüste und treibt das Zerrbild des isolierten, mit sich selbst und seinen Albträumen kämpfenden, nach Gefahr lechzenden Medienhelden an die Spitze. Bereit, ihr Leben zu geben. Sich selbst nur in Ausnahmesituationen zu spüren, das eigene Seelenheil im Leiden der anderen zu finden – damit beendet Barbara Eder ihr Requiem auf den inszenierten Krieg im Fernsehen, verstärkt durch einen Knalleffekt, der alle drei Stories letzten Endes doch noch auf einen Nenner bringt. Das Grauen senkt sich über Kabul, und das Fernsehen hat Top-Quoten.

Thank you for Bombing taucht seine Geschichten in scheinbar postapokalyptische, kühle, faszinierende Bilder und findet für seine narzisstischen, paranoiden und obsessiven Protagonisten die ideale Besetzung. Tatsächlich wurde der Film teilweise in Afghanistan gedreht, die Szenen in der Wüste stammen aus Jordanien. Beides gemeinsam verleiht dem ganzen erschreckende Authentizität, in welcher sich die Absurdität der Lust am Krieg umso beklemmender visualisiert.

Das Antikriegs- und Mediendrama ist gleichermaßen ein vernichtendes Pamphlet gegen Sensationsjournalismus, Gier und notwendige Gewalt, der als Zweck die Mittel heiligt. In Thank you for Bombing ist gar nichts mehr heilig. Barbara Eder lädt ein zu einer Radikalkur, die unangenehm nachhallt, aber gezielt ins Schwarze trifft. Wieviel Wahrheitsgehalt hinter ihrer polemischen Reportage steckt, lässt sich nur vermuten – großes, konzentriertes Kino auf internationalem Niveau ist es aber allemal. Spannend, aufrichtig und gemein wie ein böser Scherz.

Thank you for Bombing