Kleine schmutzige Briefe (2023)

ANARCHIE IN GESCHWUNGENEN LETTERN

8/10


kleineschmutzigebriefe© 2024 STUDIOCANAL


ORIGINALTITEL: WICKED LITTLE LETTERS

LAND / JAHR: VEREINIGTES KÖNIGREICH 2023

REGIE: THEA SHARROCK

DREHBUCH: JONNY SWEET

CAST: OLIVIA COLMAN, JESSIE BUCKLEY, ANJANA VASAN, TIMOTHY SPALL, HUGH SKINNER, GEMMA JONES, EILEEN ATKINS, JASON WATKINS, ALISHA WEIR, RICHARD GOULDING U. A. 

LÄNGE: 1 STD 41 MIN


Wenn der hauseigene Nachwuchs trotz vehementen Verbotes der Erziehungsberechtigten pausenlos flucht, gibt es praktische pädagogische Tipps: Wie wäre es mit einem Schimpfsack? Damit ist keine Person gemeint, sondern tatsächlich etwas, das man, wie das Speibsackerl im Flugzeug, vor den Mund hält und drauflos keift, was das Zeug hält und die Zensur nicht mehr erwischen kann. Dort, und nur dort, bündelt sich die ganze Wut, die ganze Lust am Ungehorsam, die ganze dunkle Seite – zumindest mal eines Kindes. Erwachsene müssen lernen, sich in Zaum zu halten, alles andere wäre nicht gesellschaftsfähig. Oder sie finden ein anderes Ventil, um genau jenen Druckausgleich herbeizuführen, der sonst zum Durchdrehen führt. Um Dinge loszuwerden, das empfehlen Therapeuten, gibt es die ganz klassische Methode des Niederschreibens. Dumm nur, wenn das, was keiner lesen sollte, plötzlich alle lesen. Oder zumindest Leute, die einfach nicht damit rechnen, beschimpft zu werden, führen diese doch ein beschauliches, allen Ansprüchen der Gesellschaft entsprechendes Leben, devot, nach christlichen Werten und jenseits aller Gleichberechtigung für das weibliche Geschlecht. In diesen Umbruchszeiten um 1920, während die Suffragetten in den Städten Großbritanniens um ihr Wahlrecht demonstrieren, soll sich in der Küstenstadt Littlehampton ein bizarrer Fall von Briefkastenterrorismus ereignet haben: Kleine, schmutzige Briefe sollen die gottergebene Edith Swan (Olivia Colman) um den Verstand bringen. Und nicht nur sie, sondern gleich auch noch ihre Eltern mit dazu und insbesondere den chauvinistischen, vorgestrigen Patriarch namens Vater, der voller Hass und Dünkel gleich noch die nebenan und unkonventionell lebende Rose Gooding (Jessie Buckley) verdächtigt, die in wilder Ehe mit einem Farbigen zusammenlebt, gleichzeitig aber auch als Witwe eines Kriegsgefallenen ihre Tochter aufziehen muss, die gerne mal auf Mamas Gitarre klimpert, was in Nachbarschaft ebenfalls fürs Naserümpfen sorgt.

Doch warum sollte Rose Gooding Briefe obszönen Inhalts verfassen, wenn sie doch ohnehin und immer frei heraus das zu sagen imstande ist, was sie sich gerade denkt? Von distinguierter Art ist die junge Mutter jedenfalls nicht, gerne treibt sie sich in Pubs herum und schimpft wie ein Rohrspatz. Eine Frau, die die Zügeln gerne in der Hand hat und somit der zeitgeistigen Sitte entgegenrudert. Sie wird als Schuldige instrumentalisiert, gerät in Untersuchungshaft und würde womöglich im kommenden Prozess schuldig gesprochen werden, gäbe es da nicht die blitzgescheite, sehr aufgeweckte und sich nur unwillig der Hierarchie der männlichen Polizeibeamten beugenden Polizistin Gladys, welche die Schuld Rose Goodings in vielen Punkten hinterfragt. Frappant ins Auge sticht dabei ihre Handschrift, die nicht mit jener aus ihren angeblich selbst verfassten Briefen übereinstimmt.

In Kleine schmutzige Briefe von Thea Sharrock (Ein ganzes halbes Jahr) wirft sich ein ganzes Ensemble in heller Spielfreude in die Rekonstruktion eines verwunderlichen Falls, der gleichzeitig für vieles, was im Geschlechterkampf schiefläuft, als stellvertretendes Paradebeispiel herangezogen werden kann. Prachtvoll ausgestattet und das bigotte Setting eines in vorsintflutlicher Sozialordnung versteinerten Dunstkreises aus provinzstädtischer Idylle, ist Sharrocks Film eine treffsichere Überraschung vor allem in der Balance zwischen skurriler Komödie, Schimpfwortkaskaden im Schleudergang und feinsinnigem Drama. Kleine schmutzige Briefe liefert weder klamaukige Abziehbilder über den Kamm geschorener sturer toxischer Männlichkeit, die sich in ihrer Überlegenheit gegenüber Frauen suhlen, noch emanzipatorisches Betroffenheitskino mit Pathos. Zu verdanken ist dies zwei Vollblutschauspielerinnen, die in dieser mit Hintergedanken vollgeräumten Komödie so richtig zeigen, was sie können. Olivia Colman ist fast noch besser als Queen Victoria in The Favourite – ihre duldsame Opferrolle aus verklärtem Lächeln und missgünstiger Doppelbödigkeit trägt sie vor allem in kleinen, mimischen Nuancen zur Schau, die emotionale Unruhe dieser Figur überträgt sich elektrisierend aufs Publikum. Ihr gegenüber die begnadete und grundnatürliche Jessie Buckley in donnernder Aufmüpfigkeit und gebrochener Verzweiflung. Charaktere, die gegenseitig und in sich selbst widersprüchlicher nicht sein können und einen Film beleben, der obendrein noch dramaturgisch alles richtig macht.

Natürlich bedient sich ein urbritischer Film wie dieser auch urbritischen Klischees, die aber, um überhaupt existent sein zu können, auf irgendetwas beruhen müssen. Nebst Bibelkreisen und näselnden Verhaltens der Elite bevölkern ganz bewusst auf schräg getrimmte Nebenrollen die Szene, die natürlich ihre Sympathien abholen, dabei aber ein bisschen zu gewollt wirken. Sie mögen als gängige Attribute herhalten, als vertrautes Lokalkolorit, die einen eigentlich hochdramatischen Kern dekorieren, der Selbstbestimmung, Freiheit und den unbändigen Willen der Frauen, aus ihrer Unterdrückung durch Familie und Mann auszubrechen, zum brandheissen Thema hat. Egal wie, und egal mit welchen Worten. Mögen sie auch noch so schmutzig sein. Sie sind ein brillantes Symptom dafür, gesunden Ungehorsam auszuleben.

Kleine schmutzige Briefe (2023)

Bad Santa

DER TIEFE FALL DURCH DEN SCHORNSTEIN

5/10


bad-santa© 2003 Columbia Pictures


LAND / JAHR: USA 2003

REGIE: TERRY ZWIGOFF

CAST: BILLY BOB THORNTON, TONY COX, BERNIE MAC, LAUREN GRAHAM, JOHN RITTER, BRETT KELLY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 31 MIN


Gegen ihn ist der Dude aus The Big Lebowsky ein hochmotivierter Startup-Unternehmer: Säufer und Schwerenöter Willie ist ein Taugenichts und Tunichtgut, jedoch taugt er dafür, Einkaufszentren um eingelagertes Bares zu erleichtern. Diese Coups macht er gemeinsam mit dem Kleinwüchsigen Marcus – und sie funktionieren deshalb so gut, weil sich beide zur schönsten Zeit des Jahres als Kaufhaus-Testimonials in Rotweiß und Grün verdingen: Marcus der Elf, Willie der Weihnachtsmann. Und was für einer. Kids von damals träumen vielleicht heute noch schlecht davon. Doch wie es der Zufall will, setzt sich eine pummelige Rotznase auf Santas Schoß und wünscht sich einen rosa Elefanten. Beide ahnen nicht, welche Schlittenspuren diese Begegnung wohl hinterlassen wird.

Anti-Weihnachtskomödien gibt es so einige. Zuletzt hat mich der brandneue Endzeit-Streifen Silent Night mit Keira Knightley davon überzeugt, dass Weihnachtsfilme sogar so weit kommen, überhaupt keine heilbringende Prämisse mehr zu enthalten. Da bleibt Bad Santa in seinem Grunge-Stil und einigen geschmacklosen Szenen immer noch auf der Seite derer, die dem Urbi et Orbi horchen. Denn Weihnachten scheint tabu, zumindest für Amerikaner. Dort verspricht das Fest der Liebe eine Amnestie für alles Schlechte und Verkommene, mit dem Vertrauensvorschuss, es nächstes Jahr besser zu machen. Der Weg dorthin ist ein schwieriger und von Rückschlägen gesäumt, die Billy Bob Thornton (der mich frappant an den österreichischen Rechtspopulisten Herbert Kickl erinnert) in der Geistesgegenwart abgestandenen Abwaschwassers so richtig auskostet. Alkohol, Urin und freudloser Sex machen die Runde (zum Glück sonst keine Fäkalien), während der blondgelockte Thurman Murman als sich selbst alleinerziehender Alternativ-Kevin das Leben und vor allem die Zeit vor Weihnachten in den Griff bekommen will. Dabei arbeitet Terry Zwigoff mit den als grotesk wahrgenommenen Erscheinungsbildern körperlich auffälliger Außenseiter. Korpulenz und Kleinwüchsigkeit holen sich auf bizarre Weise die Toleranz des Publikums, andere Äußerlichkeiten wiederum sollen den Ekel-Faktor des Films heben, um Weihnachten so richtig eins auszuwischen.

Letzten Endes gelingt das nicht, und so sehr auch Billy Bob Thornton den versifften und aus Kindertagen schwer traumatisierten Loser raushängen lässt, ist von vornherein klar, dass diese mit Weihnachtssongs unterlegte Underdog-Komödie (mit John Ritter in seiner letzten Rolle) als widerborstiges Läuterungskino für schwer erziehbare Erwachsene durchgeht.

Bad Santa

Killer’s Bodyguard 2

DIE UNGEZÄHMTEN WIDERSPENSTIGEN

7,5/10


killersbodyguard2© 2021 Paramount Pictures

LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: PATRICK HUGHES

CAST: RYAN REYNOLDS, SAMUEL L. JACKSON, SALMA HAYEK, ANTONIO BANDERAS, MORGAN FREEMAN, FRANK GRILLO, CAROLINE GOODALL U. A. 

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


Gäb’s für jedes Schimpfwort einen Euro in die Kaffeekassa, hätte sich das Sequel zu Killer’s Bodyguard womöglich selbst finanziert. Hier wird geflucht, was das Zeug hält, vorzugsweise aus dem Mund von Killerqueen Salma Hayek, die als hysterische Schreckschraube allen das Leben schwer macht. Selbst dem bereits sichtlich abgebrühten Samuel L. Jackson, der wirklich schon alles gesehen hat. Und Bodyguard Michael Bryce? Dem geht’s so wie Chefinspektor Dreyfus mit dem irren Clouseau: am Rande des Burnouts, und stets das Konterfei seines Schützlings vor Augen. Also wählt er das Sabbatical, zieht sich auf die italienische Insel Capri zurück und will mal nicht ans Bodyguarden denken. Kaum die erste Seite von Rhonda Byrnes The Secret gelesen, muss er im nächsten Augenblick schon in Deckung gehen. The Hitman’s Wife hat wieder alle Völker narrisch gemacht und braucht Bryces Hilfe, um ihren Gatten aus einer misslichen Lage zu befreien. Beide ahnen nicht, dass dieser Support eine Weltrettung von Bond‘schem Ausmaß nach sich ziehen wird, für welche die drei wohl am Ungeeignetsten scheinen. Oder aber vielleicht ist genau das der richtige Weg zur Lösung aller Probleme?

Nicht jeder Film steht und fällt mit dem Drehbuch. Nicht jeder Film hat ein solches auch nötig. Filme haben unterschiedliche Ambitionen. Manche wollen wirklich nur Geschichten erzählen. Manche das schale Libretto unter sensationellen Schauwerten begraben, hat es doch getan, was notwendig war, nämlich dem Film in eine gewisse Richtung zu lenken. So funktioniert das auch mit Killer‘s Bodyguard 2. Der Plot? Egal. Irgendwas mit einem beleidigten Griechen (Antonio Banderas mit künstlichem Haaransatz) und einem Computervirus, der ganz Europa lahmlegen soll. Prinzipiell würde einem da das Gähnen kommen. Nur nicht mit dem Trio Hajek, Reynolds und Jackson. Auch Teil 2 ist wieder heillos überzeichnet, ordinär, brutal und chaotisch. Allerdings ist sich die im Original erprobte Buddy-Chemie ihrer Qualitäten nun bewusst und legt hier noch einiges drauf. Es bleibt ein großer Spaß, Ryan Reynolds, der ja schon kurz davor in Free Guy wiedermal sein komödiantisches Talent bewiesen hat, dabei zuzusehen, wie er unentwegt den Kürzeren zieht. Wie er – einerseits weinerliches Papasöhnchen und kurz vor dem Nervenzusammenbruch, andererseits als pflichtbewusster Beschützer – eine Show abzieht, da gewinnt man wieder den Glauben an eine Wiederkehr der schnoddrigen Buddy-Komödien aus den 70ern und 80ern, vorzugsweise mit Gerard Depardieu und Pierre Richard. Samuel L. Jackson, immer noch der coolste Motherfucker auf diesem Planeten, tanzt gleich mit auf dem Parkett des Zoten-Humors. Wer führt, ist Nebensache, beide liefern sich gegenseitig die Pointen. Salma Hayek ist da nur das Zünglein an der Waage, denn bei dieser nonverbalen Schiene aus Blicken und Gesten, die Jackson und Reynolds fahren, bleibt die Furie mit Kinderwunsch außen vor. Dafür schimpft und ballert sie sich den Weg frei. Das ist derb, geschmacklos natürlich auch, nichts für Feinschmecker.

Und dennoch: Killer’s Bodyguard 2 ist um einen Tick sogar noch besser als der Vorgänger und man muss tags darauf immer noch schmunzeln, wenn einem Reynolds zerbröselndes Nervenkostüm wieder in den Sinn kommt. Spaß muss sein – und dafür ist der vorliegende Nonsens gerade richtig.

Killer’s Bodyguard 2