Zikaden (2025)

LAUTER ZIRPEN ALS DIE ANDEREN

4,5/10


© 2025 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND, FRANKREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: INA WEISSE

KAMERA: ANNETTE FOCKS

CAST: SASKIA ROSENDAHL, NINA HOSS, VINCENT MACAIGNE, THORSTEN MERTEN, CHRISTINA GROSSE, ALEXANDER HÖRBE, BETTINA LAMPRECHT U. A.

LÄNGE: 1 STD 40 MIN


Bei den Zikaden sind es ausschließlich die Männchen, die mit voller Dröhnung ihr Zirpen durch Wald und Wiese erklingen lassen. Das tun sie, um entweder Weibchen anzulocken oder ihr Revier zu markieren. Interessant, dass Ina Weisse gerade diese Gattung der Insekten zum Titel ihres Films gemacht hat, da doch zwei Frauen im Zentrum des Geschehens agieren. Vielleicht ist es dann doch nur eine Metapher darauf, sich selbst zu behaupten und aus dem Dickicht eines gemeinsam mit anderen Menschen geführten Lebens, in das man mehr oder weniger geworfen wird, hervorzutreten. Sei es nun akustisch oder auf andere Art. Ich nehme mal hin, dass mit diesen Zikaden wohl Nina Hoss und Saskia Rosendahl (u. a. Sterben) gemeint sind, auch wenn sie eben weiblich sind. Ihr Zirpen ist anfangs noch recht verhalten, man hört es vielleicht nur, wenn alles andere um sie herum verstummt. Irgendwann im Laufe des Films, der sich anfühlt, als würde er drei Stunden dauern, bleibt Zeit genug, um den Lautstärkepegel etwas aufzudrehen. Hoss und Rosendahl zirpen also, doch sie zirpen aneinander vorbei und scheinen nur kurze Zeit der falschen Annahme zu erliegen, dass dieses Geräusch der jeweils anderen gilt.

Oder zirpt vielleicht jemand ganz anderer – und die beiden Frauenfiguren in diesem sommerlichen Dilemma aus Schicksalen aller Art dürfen die Allgegenwart der Insekten als akustischen Richtungsweiser in sich aufnehmen? Beide laufen sich nämlich im ländlichen Brandenburg über den Weg, wo es ganz viel Wald und Wiese gibt. Die eine, Isabella, ist gescheiterte Architektin und kümmert sich um das elterliche Landhaus, das der eigene Papa, kein gescheiterter Architekt, damals eigenhändig aufgebaut hat. Jetzt ist der Patriarch ein Pflegefall und andauernd gibt es Zores mit den Heimhilfen. Die andere, Anja, ist überhaupt ein Mysterium. Alleinerziehend, in Untermiete bei anderen wohnend, die ihr die kalte Schulter zeigen. Und noch dazu gerade gekündigt. Mehr scheitern geht wohl kaum, doch da kann Isabella auch nochmal mitziehen, denn ihre Ehe steht kurz vor dem Aus. Beide haben nichts zu lachen, doch lächeln sich an, weil sie irgendetwas aneinander entdecken, das sie Leidensgenossinnen im Geiste werden lässt.

Ich hingegen kann diese Gemeinsamkeiten nicht entdecken. Vielleicht ist das Gemeinsame doch nur das Scheitern am Leben. Vielleicht ist es der Trotz der beiden, das Aufmüpfige, doch auch diese Verhaltensmuster sind nur vage konturiert. Womit Zikaden aber am meisten überfordert zu sein scheint, ist die Ambition, zwei parallele Existenzzustände zu entwerfen, die ihrer eigenen Biografie ausweichen. Ina Weisse, die schon in Das Vorspiel mit Nina Hoss zusammengearbeitet hat, verankert ihre Figuren bewusst nicht. Sie treiben durch ihre Leben ohne viel Bodenhaftung, vor allem Rosendahls Charakter der Anja ist ein einziges Fragezeichen, findet weder Ursachen noch wagt sich Weisse an das Innenleben dieser vielschichtigen, ambivalenten Person, deren Hintergründe wert gewesen wären, sie näher zu betrachten. Es scheint, als wolle dieser Sommer mit seinen Problemen und schicksalhaften Wendungen nicht enden, überall blickt Weisse nur ungenau hin, es fällt kaum möglich, sich zu fokussieren. Das Publikum wird von einer Tristesse in die nächste geschickt, alles Mögliche findet Erwähnung, nur nicht das Wesentliche – die Personen selbst.

In diesem komplexen, aber zunehmend langatmigen Wirrwarr aus aufeinanderfolgenden kurzen Szenen, die von Nina Hoss zu Saskia Rosendahl wechseln und wieder zurück und dabei vieles offen lassen, fragt man sich, warum hier zwei parallele Geschichten erzählt werden, die sich nur manchmal kreuzen, und nicht das Abenteuer einer beginnenden Freundschaft, die letztlich viel zu kurz kommt.

Zikaden (2025)

In My Mother’s Skin (2023)

MARIA DURCH DEN MYTHENWALD GING

7/10


inmymothersskin© 2023 Amazon Studios


LAND / JAHR: PHILIPPINEN, SINGAPUR, TAIWAN 2023

REGIE / DREHBUCH: KENNETH DAGATAN

CAST: FELICITY KYLE NAPULI, JASMINE CURTIS-SMITH, ANNE RAJA, JAMES MAVIE ESTRELLA, ANGELI BAYANI, RONNIE LAZARO, ARNOLD REYES U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Das Jesuskind in prächtigem Ornat hatte Filmemacher Kenneth Dagatan schon in jungen Jahren verstört. Aufgewachsen mit den Dogmen, Verboten und Geboten des erzkonservativen, aber massentauglichsten Zweigs des Christentums, blieb, wenn schon sonst nichts mehr, eine gewisse Ehrfurcht vor fast schon heidnisch anmutenden Götzen und übertrieben prunkvollen Darstellungen der Heiligen Familie. Wir kennen das schließlich selbst: Die heilige Jungfrau Maria im bodenlangen Rock, geschmückt mit allerlei Firlefanz, hinter ihrem Haupt die Corona des Heiligenscheins. Diese Art der Heiligenverehrung verschmilzt nun nahtlos mit der Folklore einer üppigen, tropischen, feuchtheißen Inselwelt: Den Philippinen. Kann so eine Konvergenz aus Glauben, Ahnen und Hoffen denn zu einem synergetischen Zweiklang führen? Kam oder kommt hier jemals etwas Gutes dabei raus? Mancherorts haben Völker den missionierten Katholizismus insofern selbst adaptiert, dass dieser zu ihrer sowieso längst gewohnten und auch weiterhin praktizierten Folklore passt, zum Beispiel auf Madagaskar. Anderswo blieb von den alten Geschichten kaum mehr etwas über. Doch wenn sie hochkommen, wird die gebenedeite Jungfrau zu einer Schreckensgestalt, die so verführerisch scheint wie die dreizehnte Fee aus den Grimm’schen Märchen, in Wahrheit aber den vergifteten Apfel, saftig, drall und rot schimmernd, arglosen Hoffenden entgegenhält. Was soll man schließlich tun, bei so einem verlockenden Angebot, das, zur rechten Zeit und scheinbar ohne Tribut fordern zu wollen, aus allen Wolken bricht und zerfahrene Situationen wieder geradebiegen kann?

In so einem Dilemma der Angst und der Sorge muss das Mädchen Tala rasch entscheiden, wie es mit dem Schicksal ihrer Familie weitergeht. Wir schreiben das Jahr 1945, das Ende des Krieges ist greifbar nah, die Japaner haben den Archipel besetzt und die Amerikaner rufen zur Schlacht. Der Vater, genötigt von den Mächtigen, muss ersteren zur Hand gehen und verschwindet in den Wirren des Krieges. Zurück bleiben eine erkrankte Mutter und zwei Kinder, eben Tala und ihr jüngerer Bruder Bayani, nebst des Hauspersonals, denn die Familie konnte bislang, mehr recht als schlecht, in einem feudalen Kolonialbau residieren, irgendwo fernab der Stadt im Dschungel. Als sich Mamas Gesundheitszustand rapide verschlechtert, muss das Mädchen Hilfe holen – und stößt in einer verwunschenen Kapelle auf eine wohlwollend lächelnde, prunkvoll aufgedonnerte Fee, die zur Lösung des Problems natürlich beitragen kann. Die Medizin, die Tala ihrer Mutter aber verabreichen soll, hat Nebenwirkungen, mit denen keiner rechnen würde – oder rechnen will. Erst langsam fällt es wie Schuppen von den Augen, was das magische Wesen, mehr Hexe als Fee (und so gar nicht die gebenedeite Jungfrau), eigentlich bezwecken will.

Und hier haben wir ihn wieder, den kämpferischen Willen eines Kindes, der gegen die Mächte der Finsternis aufbegehrt und über sich hinauswächst. Ein blutjunges Schneewittchen, die von verlockenden Kostbarkeiten probieren soll, die sich hinreißen lässt, aus Liebe zur Mutter, das Unmögliche zu wagen. Für diesen radikalen Kreuzweg findet Kenneth Dagatan eine ruhige, fast schon unangenehm elegische Bildsprache, die er mit den Geräuschen der Tropen anreichert, insbesondere mit dem Klang der Zikaden, die in dieser Schauergeschichte keine unwesentliche Rolle spielen. Die Wucht der Natur, die sich durch etwas Ungreifbares, das sich in die natürlichen Mechanismen unserer verstandenen Welt drängt, vor den Karren spannen lässt, breitet sich wie Schimmel in den vertrauten Gemäuern aus, als wäre Talas Zuhause das Hill House aus der Sulu-See. Dagatan nähert sich seinem assoziierten Alptraum schleichenden Schrittes, die Kamera mag sein Zeuge sein, doch löst sie sich lange nicht vom verschreckten Antlitz desjenigen, der etwas Fürchterliches zu sehen vermag. Statt schneller Schnitte sucht das Auge des Erzählers in langsamen Schwenks Ort und Stelle des sichtbaren Grauens mit einiger Verzögerung. Dagatan will nicht erschrecken, sondern fast schon auf homöopathische Weise das konsequent ausformulierte Drama seinem Publikum zuführen, ohne ihn auf Distanz zu halten. Dabei liefern Farbgebung und das Komponieren von Licht und Schatten eine phantastische, neoromantische Stimmung, die an Del Toros frühere Werke erinnert (v. a. The Devil’s Backbone). Erstaunt und überrascht könnte man sich trotzdem zeigen, wenn am Höhepunkt des Treibens dunkler Gier die philippinische, natürlich gediegenere Variante von Evil Dead Rise den Horror aus dem Nebenzimmer lockt, der sich mit denen des Krieges und verachtender Menschenseelen bestens versteht. Dann passiert plötzlich vieles auf einmal, und In My Mothers Skin wird zur metaphysischen, beinahe nihilistischen Tragödie, die bis zur letzten Konsequenz tunlichst vermeidet, tröstende Tabus einzuhalten. Der Tod mäht mit breiter Sense und erwischt dabei die Häupter eines aus Gebeten errichteten Katholizismus. Die Finsternis ist stark, aber vielleicht doch nicht unbezwingbar in diesem dunklen Märchen, gnadenlos schön und blutig.

In My Mother’s Skin (2023)