A Quiet Place: Tag eins (2024)

AUF LEISEN PFOTEN KOMMT DIE KATZE

6/10


aquietplacetageins© 2024 Constantin Film


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: MICHAEL SARNOSKI

CAST: LUPITA NYONG’O, JOSEPH QUINN, ALEX WOLFF, DJIMON HOUNSOU, ALFIE TODD, ELIANE UMUHIRE, ALEXANDER JOHN U. A.

LÄNGE: 1 STD 39 MIN


Die Katze ist das Symbol des erfolgreichen Widerstands. Denn sie gibt keinen Mucks von sich. Sie weiß, dass sie nicht mal schnurren, geschweige denn miauen darf. Keine Schwierigkeit für so einen Stubentiger. Die leisen Pfoten sind dabei angeborene Gadgets, die wir Menschen uns angesichts einer Endzeit wie dieser gerne wünschen würden. Doch leider spielt es das nicht. Des Menschen Schwerfälligkeit und Ungelenkigkeit, die lärmfreudigen Sohlen festen Schuhwerks und das ständige Keuchen, Husten und panische Kreischen angesichts monströser Schreckgestalten macht uns zur leichten Beute, während Katzen bald die Welt regieren. Gemeint sind mit den Aggressoren extraterrestrische Kreaturen, die warum auch immer eines schönen Tages auf die Erde herabregnen und, sobald sie gelandet sind, aus den Kratern kriechen und Jagd auf alles machen, das Lärm verursacht.

Dass da Homo Sapiens in seiner Massenhysterie laut schreiend und völlig orientierungslos den staksigen Lauschern in die Klauen fällt – diese Verhaltensweise wird in John Krasinskis erdachtem Horrorszenario zur frappanten Reduzierung der menschlichen Bevölkerungszahl führen. Die wenigen, die es dennoch schaffen, trotz höllischer Angst ruhig zu bleiben, sind jene, die sich evolutionstechnisch gesehen als jene, die auf tonlose Weise umherschleichen, die Zukunft sichern. Wie das in urbanem Gelände funktioniert, wo ja alles irgendwie Geräusche macht, und sind es nun tapsende Schritte auf von Splittern übersätem Asphalt, zeigt A Quiet Place: Tag eins. In dieser uns mittlerweile vertrauten Apokalypse findet sich die todkranke Sam wieder, gespielt von Lupita Nyong’o, die mit gruseligen Endzeitszenarien längst schon Bekanntschaft gemacht hat – wären es nun Zombies in Little Monsters oder mörderische Klone in Jordan Peeles kreativem Verschwörungsthriller Wir. Nun sind es Wesen, deren Kopf im Grunde aus gewaltigen Hörorganen besteht, die ein bissfestes Kiefer umrahmen. Das scheint Sam, die ja sowieso nicht mehr viel zu verlieren hat, kaum davon abzubringen, ihre Tagesagenda unbeirrt weiterzuverfolgen. Sie will an den Ort Ihrer Kindheit zurück – und nochmal Petsy‘s Pizza probieren. Auf dem beschwerlichen Weg dorthin trifft sie auf Eric (Joseph Quinn), der nicht mehr von ihrer Seite weicht.

Viel mehr erzählt A Quiet Place: Tag eins tatsächlich nicht. Außer, dass wir endlich mal ein Bild davon bekommen, wie alles angefangen hat. Im Grunde hat man dies in Auszügen bereits in Krasinskis Original gesehen. Braucht es da wirklich noch die ausgewalzte Darbietung eines Schreckens, der nicht wie eine klassische, technologisch überlegene Invasion daherkommt, sondern wie das Hereinplatzen einer invasiven Art, die das autochthone Leben eines Ökosystems namens Erde auseinandernimmt? Nyong’o hat sehr viel Angst, Joseph Quinn ebenso. Die Katze nicht. Sie gibt, als symbolisches Best-Case-Testimonial vor, wie man sich zu verhalten hat. Sie zeigt auf erschreckende Weise, wie unzulänglich der Mensch einer natürlichen Katastrophe entgegentreten muss, während Katzen die Skills dafür bereits besitzen, sich aus dem Chaos heraus neu zu ordnen.

Nyong’o und Joseph Quinn entwickeln das leise Szenario einer Zweckgemeinschaft, Regisseur Michael Sarnoski, der zuletzt Nicolas Cage in Pig auf die Suche nach seinem Lieblingsschwein geschickt hat, setzt auch hier den Fokus viel stärker auf die Fähigkeit des Menschen, zu improvisieren. Eine Besonderheit, die aber nur in der Kooperation funktioniert. Dieses emotionale Zusammenspiel lässt den Grund der Katastrophe fast zur Nebensache werden – es ist wie im Genre des Zombiefilms. Auch hier sind die Untoten nur die Variable einer Ursache, eines von vielen Symptomen für den Ausnahmezustand. Ob nun Monster aus A Quiet Place oder die unabbildbare Entität im Bird Box-Franchise, die alle, die sie sehen, in den Selbstmord treibt: Der Kampf ums Überleben ist in A Quiet Place: Tag eins einer von vielen, fast austauschbar präsentiert sich dieses auf leisen Sohlen dahinwandelnde Abenteuer, das von A nach B oder B nach C  balanciert. Das Extra mit der Stille erhält dadurch aber keine neuen Aspekte – die kreativen Ansätze John Krasinskis in den beiden eigentlichen Filmen finden sich alle genau dort – und weniger in diesem Spin Off, das als Kurzfilm vielleicht weniger Längen gehabt hätte – denn sooft die beiden Survivalisten auch durchschnaufen müssen – jedes Mal scheint einmal zu viel.

A Quiet Place: Tag eins (2024)

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)

UND ALLE SPIELEN BLINDE KUH

6,5/10


birdbox© 2018 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: SUSANNE BIER

DREHBUCH: ERIC HEISSERER

CAST: SANDRA BULLOCK, JOHN MALKOVICH, SARAH PAULSON, TREVANTE RHODES, JACKI WEAVER, MACHINE GUN KELLY, ROSA SALAZAR, DANIELLE MCDONALD, TOM HOLLANDER, VIVIAN LYRA BLAIR, JULIAN EDWARDS U. A.

LÄNGE: 2 STD 4 MIN


Macht man nur das leiseste Geräusch, sind sie da: Die Aliens aus A Quiet Place. Die können zwar nichts sehen, dafür funktioniert ihre Echoortung womöglich perfekt. Der Beweis macht uns sicher: Selten war Homo sapiens in der Bewältigung einer Apokalypse so sehr eingeschränkt wie hier. Schwierig wird’s auch, wenn man erstens kein Geräusch machen sollte, und zweitens nicht hinsehen darf. Am besten Augen zu, oder diese mit Stoffbändern ihrer Zweckmäßigkeit berauben. Es wären auch jene Brillen geeignet, die Thomas Gottschalk in Wetten, dass?… immer so gern verteilt hat, wenn es darum ging, Buntsftiftminen nach ihrer Farbe zu erschmecken. In Bird Box – Schließe deine Augen wäre man froh, wenn man solche Brillen besäße. Oder eben eine Handvoll Sittiche, die es schließlich in ihren Flügelspitzen fühlen, wenn die garstigen Entitäten heranrücken. Es lohnt sich, das Federvieh überallhin mitzunehmen. Kaum fangen diese wild zu flattern an, sollte man räumlichen Schutz suchen.

Eine perfide Filmidee, das muss man schon sagen. Was aber kommt als nächstes? Du darfst nicht riechen? Du darfst nicht schmecken oder hören? Kann sein, den Ideen sind da keine Grenzen gesetzt, wenn sie plausibel genug aufbereitet werden. Drehbuchautor Eric Heisserer kennt sich mit extraterrestrischen oder gar paranormalen Eindringlingen ganz gut aus. Das phänomenal gut durchdachte Skript zu Arrival stammt aus seiner Feder. Des weiteren das Prequel zu The Thing oder der Horrorschicker Lights Out. Das mit dem Schwarzsehen liegt also in seinem Blut, und somit gelingt auch in Bird Box das hysterische Panorama einer beklemmenden Katastrophe, welche die gesamte Menschheit in einen Massensuizid stürzt, weil jene, die nicht rechtzeitig ihre Augen verschließen konnten, Dinge zu Gesicht bekommen, die eine Todessehnsucht auslösen, dass nicht mal die stärksten Antidepressiva etwas dagegen ausrichten könnten. In welcher schleichenden Eskalation sich dieses Szenario Bahn bricht, ist sogar stärker als das in A Quiet Place. Weil niemand sieht, nicht mal der Zuseher, was passiert. Weil niemand greifen, erfassen oder verorten kann, wo die Ursache steckt und was sie ist.

Es könnte passieren, dass fehlende Antworten auf all die Fragen letztlich dazu führen, in resignatives Desinteresse beim Zuseher umzuschlagen. Andererseits: In Hitchcocks Die Vögel ist auch niemals klar, warum Krähen und Spatzen so viel Stunk machen. Doch zumindest konnte man sie sehen. In Bird Box – Schließe deine Augen lässt man das Publikum dumm sterben – aber lieber dumm, als in grenzenloser Traurigkeit. Schließlich lässt sich nicht zeigen, was den Tod bringt. Oder hat irgendjemand schon mal in die lethalen Augen von Nikolai Gogols Erdgeist Wij geblickt und kann darüber berichten? Eben. Und dennoch bleibt die Tatsache eine unbefriedigende.

In diesem Extremszenario gibt Sandra Bullock die Mutter ihres eigenen und eines fremden Kindes, deren leibliche Eltern leider hinsehen mussten. Alle drei sind unterwegs zu einer Zuflucht inmitten der Wildnis, in der es sich, fern jeglicher Aggressoren, leben ließe. Auf einem Boot schippern sie flussabwärts – dazwischen wagt sich Bullock zu erinnern: Was eben war, wie sie mit einer Handvoll fremder Leute in einem Haus Zuflucht gesucht hat, wie sie dort womöglich Jahre ihres Überlebens verbracht hat, und was dazu geführt hat, dass einer nach dem anderen wegsterben musste. Soziale Diskrepanzen, Psychospielchen und seltsame Anomalien bei psychisch gestörten Menschen, die hinsehen können, ohne Schaden zu erleiden, unterbinden jegliche Langeweile.

Und dennoch gerät die Gefahr in Bird Box zu einer ziemlich austauschbaren. Im Grunde ist es ganz egal, was hier die Apokalypse losgetreten hat. Die meiste Zeit des von Susanne Bier (u. a. Zweite Chance) inszenierten Streifens handelt vom Leben im Hausarrest, etwas Lockdown-Feeling kommt auf und kurios dabei ist, dass trotz des Zusammenbruchs jeglicher Infrastruktur der elektrische Strom immer noch funktioniert und das Wasser fließt. Die unter falschen Voraussetzungen geschilderten Notsituationen erschöpfen sich nach einiger Zeit, und andauernd drängt die Frage, ob man den perfiden Entitäten irgendwie auf den Zahn fühlen könnte. Da hier nichts passiert, bleibt ein generischer Endzeithorror über, der mit dem Unerklärlichen so wenig wie möglich interagieren will.

Bird Box – Schließe deine Augen (2018)