The Meyerowitz Stories (New and Selected)

UND TROTZDEM IST ES FAMILIE

7,5/10


themeyerowitzstory© 2017 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA 2017

BUCH / REGIE: NOAH BAUMBACH

CAST: ADAM SANDLER, DUSTIN HOFFMAN, BEN STILLER, ELIZABETH MARVEL, EMMA THOMPSON, ADAM DRIVER, GRACE VAN PATTEN, DANIEL FLAHERTY, ADAM DAVID THOMPSON U. A. 

LÄNGE: 1 STD 50 MIN


Es stimmt nicht, dass Adam Sandler bis vor nicht allzu langer Zeit nur für seichte Unterhaltung zu haben war, vorzugsweise für infantile Komödien, die keinerlei schauspielerisches Engagement nötig haben. Es stimmt wohl eher, dass Adams Sandler schon seit jeher offen war für richtig gutes, anspruchsvolles Kino. So zum Beispiel spielte dieser in Paul Thomas Andersons Liebesdrama Punch Drunk Love die Hauptrolle – würde Anderson Adam Sandler wohl besetzen, würde er nicht wissen, dass dieser auch wirklich das Zeug für gewichtige Rollen hat? Von irgendwoher wusste er es, und Noah Baumbach wusste es später wohl auch. Oder er hat Andersons Film gesehen. Jedenfalls hat der gerne als naiver Underdog dargestellte Komiker auch andere Seiten. Und schätzt auch Rollen, die Charaktere darstellen, die mit sich selbst nicht im Reinen sind – die sich selbst im Weg stehen oder an Vergangenem nagen müssen. Die vielleicht die Gier übermannt, wie in Der schwarze Diamant. Oder mit dem eitlen Bruder auf die „Blutwiese“ geht, wie in The Meyerowitz Stories (New and Selected).

Der, mit dem sich Sandler auf dem Rasen wälzt, heißt Ben Stiller. Lange schon nichts gehört von ihm. Noch stiller ist’s um Dustin Hoffman geworden. Aber gut, dieser Kapazunder hat seinen Ruhestand längst verdient, seine Karriere hinter sich und bleibt auf ewig nicht nur der Rain Man, sondern vielleicht auch Tootsie, Spielbergs Hook oder der eigenbrötlerische Bildhauer Harold Meyerowitz, der das Leben eines erfolgreichen und hofierten Künstlers gelebt hat, und der für seine drei Kinder kaum jemals mehr übrig gehabt hat als kritikvolles Feedback zu deren Lebenswandel. Gut, entweder man lässt sich mit den Defiziten aus der Kindheit mitreißen – oder man stemmt sich dagegen. Ben Stiller als Matthew Meyerowitz hat sich dagegengestemmt und wurde erfolgreich. Bruder Danny eben weniger, der hat nie wirklich gearbeitet, konnte nie aus sich herauswachsen oder aus dem musikalischen Talent irgendetwas Sinnvolles lukrieren. Die Diskrepanz zwischen den beiden ist gegeben, den Respekt vor dem dominanten Vater aber haben sie alle. Auch Schwester Elizabeth, introvertiert und verschroben bis dorthinaus. Sie alle treffen sich spätestens dann, wenn der Patriarch darniederliegt.

Mit dieser charmanten Dysfunktionalität aus Eitelkeiten, Missgunst und der Suche nach Anerkennung lässt sich arbeiten, lassen sich viele Erkenntnisse schöpfen und schauspielerische Spitzenleistungen einfordern, die Noah Baumbach aus dem fiktiven Portrait einer jüdischen New Yorker Intellektuellenfamilie schält. Dazu gehören nicht nur die drei Geschwister, auch die Next Generation als Dannys Tochter gehört dazu, die sich in obszöner Filmkunst übt, unvergessene Ex-Ehefrauen und Harolds ehemalige Künstlerkollegen. Das klingt vielleicht ein bisschen beliebig, so in das Leben fremder Figuren hineinzuplatzen, um ihnen auf den Zahn zu fühlen. Und das wäre es vielleicht auch, hätte Noah Baumbach nicht verstanden, dass Familienportraits nur dann dramaturgisch spannend bleiben, wenn das Ungleichgewicht zwischen den Figuren durch Geben und Neben stets in Balance gehalten werden muss. Im Mittelpunkt dieses Ringens steht nicht zwingend eine Ich-bezogene autobiographische Figur wie bei Woody Allen, sondern das Gewicht liegt auf allen Beteiligten gleichermaßen. Sandlers larmoyante, aber auch etwas resignierende Art und Weise, mit der er die Ursachen seiner Lebenslage ergründet, ist Schauspielkino, das sich auf Augenhöhe mit jener Dustin Hoffmans begibt, der herrlich selbstgefällig und lustvoll die Attitüden eines vergessenen Künstlers durch den Kakao zieht, ohne aber eine Parodie daraus zu machen. Baumbach hat ein Händchen für verbale Konflikte – bewiesen hat er dies zuletzt in seinem oscarnominierten Ehedrama Marriage Story mit Scarlett Johansson und Adam Driver.

Man könnte Adam Sandler und seiner Familie tatsächlich stundenlang zuhören. Man ist als Zuseher in dieser notgedrungenen familiären Gemeinschaft fast wie ein entfernter Verwandter, der doch irgendwie alles weiß über diese verpeilte Sippschaft, die sich einerseits selbst sehr leidtut, andererseits aber mit Mitgefühl geizt. Der Weg zum gegenseitigen besseren Verständnis ist eine filmische Genussmeile, und als eine Komödie zu bewundern, die durch ihre subtile Situationskomik scheinbar ausweglose Lebenssituationen erträglicher macht.

The Meyerowitz Stories (New and Selected)

Locked Down

WAS TUN, WENN SONST NICHTS LOS IST

6,5/10


locked-down© 2020 Warner Bros. Entertainment Inc. All Rights Reserved. / Susan Allnutt


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2020

REGIE: DOUG LIMAN

BUCH: STEVEN KNIGHT

CAST: ANNE HATHAWAY, CHIWETEL EJIOFOR, BEN KINGSLEY, BEN STILLER, STEPHEN MERCHANT, CLAES BANG, MINDY KALING, LUCY BOYNTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 58 MIN


Es war ja nur eine Frage der Zeit, bis sich Film und Fernsehen der seltsamen sozialen Anomalie eines sogenannten Lockdown annehmen würden. Bis vor zwei Jahren hätte wohl keiner daran gedacht, das sowas mal spruchreif wird. Dafür, dass dieses globale Ereignis uns Menschen in unserem Tun und Nicht-Tun so dermaßen beeinflusst hat, bleiben Produktionen, die darüber referieren, bislang ungewöhnlich rar. Es gibt zum Beispiel Songbird – ein direkt auf dem Streamingportal amazon prime veröffentlichter Streifen über ein Worst Case-Szenario in Sachen Covid-19. Kam leider nur zur falschen Zeit, als die reale Angst noch allen in den Knochen steckte und niemand, wirklich niemand, den Teufel an die Wand malen wollte. So gut kam der Film also nicht weg. Vielleicht die Sache lockerer angehen? Mit Publikumsliebling Anne Hathaway zum Beispiel, die sich für scharfzüngige Dialogkomödien eigentlich immer recht gut eignet? Hathaways Mitbewohner ist Chiwetel Ejiofor, groß geworden durch das Sklavendrama 12 Years a Slave. Sie, ganz Geschäftsfrau, ist CEO eines Schmuckriesen, während der Mann, bereits vorbestraft, als Kurier in einem Transportunternehmen schuftet. Linda und Paxton leben zwar noch unter einem Dach, sind aber bereits getrennt. Im Lockdown können beide schließlich nirgendwo hin. Linda macht Home Office, Paxton hingegen gibt sich mitunter die Dröhnung mit garteneigenen Mohnkapseln. Bis sein Chef anruft – Ben Kingsley im Videochat – und Paxton für einige pikante Aufträge engagieren will. Einer davon geht ins Kaufhaus Harrods (erstmals in einem Film!), wo wertvoller Klunker den Schauplatz wechseln soll.

Und wie sich das anbietet, einen Film zu drehen, in welchem die Hälfte des Cast eigentlich nur online zugeschalten wird. Kingsley, Ben Stiller und Co haben ihre kurzen und recht augenzwinkernden Auftritte selbst gedreht, mitunter saß der eine oder die andere tatsächlich im Lockdown fest. Doug Liman konnte sich also, unter Unterschreitung des ihm zur Verfügung gestellten Budgets, voll und ganz auf die Beziehungsgeschichte zwischen Hathaway und Ejiofor konzentrieren. Gekonnt machen beide auf Alltagstrott, fern liegt ihnen allerdings ein gewisser Seelenstriptease wie bei Malcolm & Marie. Hier hat alles eine gewisse resignierende, mit leicht sarkastischem Humor genommene Leichtigkeit, obwohl mitunter auch Aspekte erwähnt werden, die weniger spaßig sind. Drehbuchautor Steven Knight, der mit No Turning Back ja bewiesen hat, wie knackige Dialoge zu setzen sind, hat die ereignislose Zeit der Selbstreflexion mit der verlockenden Möglichkeit einer Gaunerei verknüpft. Da ein Lockdown ja sämtliche Normalzustände aushebelt, könnte es auch für ein Heist-Ding andere Umstände spielen. Und so würzt sich die Dramödie selbst mit einer launigen Robinhoodiade, die aber gar nicht so ins Detail gehen will. Was aber schade ist: A little less conversation, a little more action, wie es Elvis Presley wohl sagen würde, hätte diesem „Oceans Two“ zusätzlich noch gut getan. Natürlich irritiert darüber hinaus die inkonsequente Anwendung des Mund-Nasen-Schutzes, doch wie einen Film drehen, wenn alle verhüllt sind? Darüber hinwegzusehen fällt also nicht schwer, auch wenn man sich bereits schon hierzulande über sogenannte Nasen-Exhibitionisten wundert. Weniger hinwegsehen lässt sich über das schludrige und viel zu beiläufig auserzählte Finale des geplanten Coups. Ist mir das was entgangen? Womöglich, aber wen wunderts – es ist schließlich Lockdown.

Locked Down

Im Zweifel glücklich

WARS DAS?

7/10

 

BradsStatus#2052.ARW© 2018 Weltkino

 

LAND: USA 2017

REGIE: MIKE WHITE

CAST: BEN STILLER, AUSTIN ABRAMS, JENNA FISCHER, MICHAEL SHEEN, LUKE WILSON U. A.

 

Da bedarf es schon eines ausgeprägten Fokus auf die eigene innere Mitte, wenn es darum geht, sich nicht mit anderen zu vergleichen. Wenn dann noch die eigenen Schulkollegen mit deutlich mehr PS auf der Überholspur gen Erfolgshorizont des Lebens davonbrausen, ist der Selbstwert auf Kleinkindgröße dahingeschmolzen. Der Wettbewerb ist allgegenwärtig, vor allem in so selbstverliebten Zeiten wie diesen, wo Fleiß und Idealismus nur noch bedingt zu wünschenswerten Ergebnissen führen. Allerdings übersehen hierbei die gebeugten Häupter der vermeintlichen Loser sehr gerne, dass der vielfach kolportierte Erfolg der Mitmenschen reichlich Fassade ist, und Vergleiche oft mit zweierlei Maß gemessen werden. Die einen, die haben dann meist das Kapitalglück, dass in ausreichender Werbewirksamkeit die Gesellschaft fasziniert. Und die anderen, die haben das Basisiglück, und können sich, wenn alle Stricke reissen, auf wahre Werte zurückbesinnen, auf die es letzten Endes wirklich ankommt. Die Erfolgsformel ist also eine Unbekannte. Sich daran zu reiben wie Ben Stiller es tut, kann zu einem ernüchternden, aber undurchdachten Status Quo führen, der längst nicht alle Indizien, die für ein besseres Leben sprächen, abgeklopft hat.

Im Zweifel gücklich, im Original schlicht und ergreifend als Brad´s Status betitelt, treibt einen innerlich strauchelnden Ben Stiller vor sich her, der überhaupt nichts mehr mit den klamaukigen Peinlichkeiten aus früheren Filme zu tun hat, der geradezu ernüchternd unmöbliert und verkatert auftritt, als würde er tatsächlich in das tiefe Loch einer sinnlos erscheinenden Existenz geworfen worden sein. Diesen Zustand könnte jetzt ein anderer Filmemacher kabarettistisch ausschlachten, sich darüber lustig machen, die Midlife crisis durch den Kakao ziehen. So wie es der Österreicher Harald Sicheritz Anfang der 90er getan hat. Freispiel mit Alfred Dorfer zählt bis heute zu den besten Kabarettfilmen überhaupt, lässt dabei aber seinen Antihelden Robert Brenneis als ausgebrannten Musiklehrer über das eigene Leben und das der anderen sinnieren, bevorzugt über das seines ehemaligen besten Freundes, des Schlagerstars Pokorny, süffisant verkörpert von Wuchtelgranate Lukas Resetarits. Der Neid könnte einen fressen, angesichts dieses Glamours, den manche umgibt, vor allem jene, die das gleiche Startkapital für die Zukunft hatten, und plötzlich hinten anstehen müssen. Sich klarzuwerden, worauf es im Leben wirklich ankommt, dafür braucht Alfred Dorfer einen ganzen Film voller Zynismus und kluger Kommentare. Ben Stiller tut Ähnliches, wenn auch nicht im Bierzelt schunkeln oder in Italien urlauben. Er begleitet seinen Sohn an die Ostküste Amerikas, um Universitäten abzuklappern und den richtigen Studienplatz zu ergattern. Dabei stößt Brad zwangsläufig auf die Karrieren seiner Kommilitonen von damals, um sich selbst ganz klein vorzukommen. Bis er die Dinge vor seinem geistigen Auge wieder in die richtige Ordnung bringt, auf Reboot Prioritäten setzt und seinem Filius den Rücken freihält.

Dieser Status, den Brad abruft, der könnte der Status von jedem von uns sein, mal mehr mal weniger. Den großen Vogel, den haben die wenigsten abgeschossen, dabei ist die Frage nach einem zweifelhaften Lebensglück gerade bei jenen womöglich ungleich größer als bei den sogenannten Niemanden, die trotz fehlenden Reichtums und Scheinwerfern die Erfüllung in sich selbst und ihrer Familie finden. Regisseur Mark White lässt Ben Stiller tatsächlich immer stiller werden, immer nachdenklicher, und gibt ihm Raum für Gedanken, die aus dem Off auch für das interessierte Publikum zu hören sind. Im Zweifel glücklich ist ein langsames, gedankenverlorenes, aber alltagsrelevantes Drama, leichtfüßig und nicht verkopft. Nachvollziehbar und durchaus bereichernd, wenn mal wieder das eigene Leben unzureichend erscheint.

Im Zweifel glücklich