Der Schrecken vom Amazonas

ZORES MIT DEM MISSING LINK

7,5/10

 

schreckenvomamazonas

 

LAND: USA 1954

REGIE: JACK ARNOLD

CAST: RICHARD CARLSON, JULIE ADAMS, ANTONIO MORENO, RICHARD DENNING, WHIT BISSEL, NESTOR PAVIA U. A. 

 

Wir haben es ja schon immer gewusst. Diese Missing Links werden uns nochmal zum Verhängnis. Und das Xenophobe an uns Menschen macht es auch nicht leichter. Denn alles, was wir nicht kennen, klassifiziert und untersucht haben – alles, was wir nicht unterwerfen können, ist faktisch mal eine Bedrohung, die wegsoll. So gebrochene Wesen können so viel Antipathie durchaus spitzkriegen – und holen zum Rundumschlag aus. Dabei kann das Fremde sowohl künstlichen Ursprungs sein wie Frankensteins Monster – oder einfach im Dickicht des Amazonas vergnüglich umherplantschen, und das schon seit Millionen von Jahren, als lebendes Fossil wohlgemerkt, so wie der allseits bekannte Quastenflosser.

Unter Guillermo del Toros Regie wurde so ein Wesen tatsächlich eingefangen – und wieder befreit: The Shape of Water, ein wunderbares filmisches Bilderbuch, sehr phantastisch, sehr verträumt. Wo der Spanier mit dem Faible für Kreaturen aller Art seine Inspirationen verankert sieht, wird auch sofort klar, wenn man sich Jack Arnolds fast schon wegweisenden und tatsächlich in 3D gedrehten Klassiker Der Schrecken vom Amazonas hernimmt. Wie jetzt – das ist doch das Wesen aus del Toros Film, oder etwa nicht? Naja – fast – aber ich könnte mir Arnolds Film als Vorgeschichte zum oscarnominierten, ebenfalls in den 50ern spielenden Werk durchaus vorstellen. Irgendwo gefangen muss der Fischmensch schließlich geworden sein. Und auch das Vorbild in Schwarzweiß hat ein gewisses Faible für Damen. Eine davon, also die einzige in diesem Film, geht der Kreatur das eine oder andere Mal durch die Flossen, während diese ihren Loverboy mit auf eine Expedition ins Amazonasbecken begleitet, um einem sensationellen fossilen Fund nachzugehen, der im Grunde nichts anderes erzählt, als von der Tatsache, das humanoide Wasserwesen uns zeitlich weit voraus waren. Was für ein Irrtum – es gibt sie noch! Und die ganze Partie an Wissenschaftlern, Sponsoren und Möchtegern-Monsterjäger sind ganz aus dem Häuschen, als klar wird, dass sich eine dieser Kreaturen noch quicklebendig zeigt. Blöd nur, dass diese eine nicht auf der Nudelsuppe daher geschwommen ist und ihren Tod noch etwas rauszögern möchte – am besten in trauter Zweisamkeit mit einem Landzweibeiner.

Dieser wirklich alte und dabei aber überraschend unverstaubte Klassiker des Monsterfilms hat technisch gesehen auch heute noch nichts zu verbergen. Da das Zuhause des Fischmenschen natürlich die Gewässer der Schwarzen Lagune ist, und Homo sapiens ihm genau dort an die Schuppen will, musste die Filmcrew wohl oder über vermehrt auf Tauchstation gehen. Das Ergebnis: verblüffend noble Unterwasseraufnahmen, insbesondere jene, die den geschmeidig dahingleitenden Fremdling zeigen oder diesen beim sandaufwühlenden Schlagabtausch mit einem Menschen. Immer noch ansehbar, ohne schadenfroh zu grinsen ob der Unzulänglichkeiten der Kostümbildner, ist der Bodysuit des Monsters. Ehrlich, del Toro hätte es nicht besser gekonnt. Das Outfit wirkt nicht wie plumpes Gummi, sondern wirkt tatsächlich wie Haut. Und wenn der Kiemenmann dann nach Sauerstoff ringt, ist die Biologie für diesen Humanoiden längst geschrieben.

Der Schrecken am Amazonas macht Lust auf Retro, macht Lust auf die alten Perlen des phantastischen Kinos, auf Formicula und Tarantula und wie sie sonst noch alle heißen. Dieser hier allerdings ist wohl einer der Besten, obwohl dramaturgisch gesehen sicherlich noch jede Menge Luft nach oben ist. Doch das schert niemanden, im Gegenteil – der naive Charme der 50er inklusive ohnmachtsnaher Scream Queen trägt noch zusätzlich dazu bei, dass Arnolds Pionierarbeit ein Guilty Pleasure für Monsterfans bleibt.

Der Schrecken vom Amazonas

The Shape of Water

FISCH VERLIEBT

8/10

 

shapeofwater© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA, KANADA 2018

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

MIT SALLY HAWKINS, DOUG JONES, MICHAEL SHANNON, RICHARD JENKINS, OCTAVIA SPENCER U. A.

 

Wohl eine der künstlerisch wertvollsten Comicverfilmungen, die jemals das Licht der Kinoleinwand erblickt haben, ist Hellboy von Guillermo del Toro. Beide Episoden sprühen vor Einfallsreichtum und zeigen, mit welcher Stilsicherheit der Mexikaner seine Visionen, Bilder und Kreaturen in bewegtes Drama umsetzen kann. In Hellboy gibt es einen Fischmenschen namens Abe Sapien, der seine Glupschaugen stets mit Fliegerbrille feucht hält und genauso immer mal wieder baden geht wie sein entfernter Verwandter aus dem für 13 Oscars nominierten Academy-Favoriten The Shape of Water. Dass beide Kreaturen einen gemeinsamen Ursprung haben, ist offensichtlich. Sie stammen beide aus del Toro´s unverwechselbarem Universum. Niemand kann dessen Handschrift mit dem Oeuvre anderer Filmemacher verwechseln. Das war bei Pans Labyrinth so, das war bei Crimson Peak so, und das wiederholt sich auf wunderbar variierte Art auch hier, in dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen poetischer Fantasy und einem Abenteuer aus dem Kalten Krieg, in dem die Kleinen ganz groß und die Mächtigen verzweifelt um Anstand bemüht sind.

The Shape of Water – fälschlicherweise übersetzt mit Das Flüstern des Wassers, richtigerweise müsste es aber Die Form des Wassers heißen – ist neben all der romantischen Momente und den Anleihen aus dem Spionagethriller-Genre eine leidenschaftliche Hommage an das Monsterhorror-Genre der 50er-Jahre. Anzunehmen, dass del Toro diese Filme womöglich alle in seinen DVD-Regalen hortet, und Jack Arnolds Phantastereien wie Der Schrecken vom Amazonas den Visionär für seine Arbeiten angeregt haben. Sucht man nach Bildern von Arnolds Wasserwesen, lässt sich der Dschungel Südamerikas als gemeinsame Herkunft nur bestätigen. Del Toro weiß gekonnt, seine Assoziationsquelle liebevoll zu zitieren. Hätte del Toro aber seine Wasseroper in Schwarzweiß gedreht, wie er ursprünglich sogar überlegt hat, hätte mir seine sonst so opulente Farbgebung, die seine Bilder so sehr auszeichnen, ziemlich gefehlt. Das Grün, Petrol und Rot, dieses satte Setting mit all diesen kolorierten Details – von der flirrenden Biolumineszenz des Fischmenschen bis zu den roten Leuchtdioden an den Überwachungskameras der Forschungsstation – setzen dem schwelgerischen Film nämlich gezielt gesetzte Akzente.

Zwischen all der nostalgischen Lobeshymnen an das gute alte Kino der Träume, dass sich warnend als barocker, leerer Kinosaal präsentiert, in welchen sich das Wesen als einziger Gast hineinverirrt, ereifert sich ein famoses Ensemble in heller Spielfreude zur Rettung des Unbekannten. Wer würde in diesem Kontext nicht über seinen Schauspielerischen Schatten springen wollen? Für ein Wesen dieser Art einzustehen, das hat wohl zuletzt der kleine Elliott aus E.T. – Der Außerirdische vollbracht. Auch der pummelige Gnom aus Spielbergs Klassiker hatte so seine Fähigkeiten, und das Zeug dazu, mit der Angst vor dem Fremdartigen und Unverstandenen, die unserem menschlichen Verhalten inhärent ist, aufzuräumen. Der namenlose Amphibienmann tut dies genauso – auf seine eigene, passive, kryptische Art. Und gewinnt die Liebe und Zuneigung von Eliza, die des Nächtens im Forschungslabor sauber macht. Sally Hawkins ist eine ganz große Performance gelungen. Selbst stumm wie ein Fisch, einsam und sich nach Nähe sehnend, findet sie in dem anmutigen, faszinierenden Geschöpf mit dem Schuppen- und Flossenkleid ihren „Lebensmenschen“. Hawkins spielt genauso wie in Maudie mit jener zerbrechliche wirkenden Zurückhaltung und einer von jedermann unterschätzten Stärke, dass man einfach auf ihrer Seite sein muss. In Momenten erinnert ihre Eliza an Jean-Pierre Jeunet´s Amelie, gespielt von Audrey Tautou. Dazu trägt womöglich auch das Setting bei, dass mit jeder Menge skurrilem Interieur aufwartet und das Abgewohnte wohnenswert macht. Nicht weniger beeindruckend zeigt sich Richard Jenkins als liebenswerter Grafiker, der noch mit Pinsel und doppelter Brille malt und im Grunde die scheinbar heile 50er-Jahre-Welt des Spezialagenten Michael Shannon aufs Papier bringt. Dass diese hinter den Kulissen ziemlich krankt, wird bald klar – den bonbonlutschenden Sadisten, der unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, seine Untergebenen belästigt und in herablassender Arroganz bibelzitierend Gott spielt, gibt Shannon mit Hingabe und hätte zumindest gleichwertig mit Jenkins für den Oscar nominiert werden sollen.

The Shape of Water ist ganz großes Kino des Fremdartigen. Ein visionäres Gleichnis von Liebe und Wasser, die sich beide, so del Toro in einem Interview – zuerst formlos und chaotisch, erst durch einen Körper, ein Gefäß, eine feste Hülle, artikulieren können. So gesehen steht das Wasser in diesem Film für das metaphysische Element der Liebe. Überall dort, wo es fließt, rinnt, verschüttet wird, übergeht – erlangt die lyrischste Kraft des Universums ihre größtmögliche Intensität oder wird im Keim erstickt. Das Element des Wassers als formbares Empfinden beginnt als alles durchdringende, amorphe Materie, um sich im Laufe des Filmes auf unterschiedlichste Art zu vermitteln, sei es im Wasserkocher, in der Badewanne oder an der Fensterscheibe. Selbst Blut fließt jede Menge, ein Quantum Ekel ist auch dabei – das mag angesichts dieses poetisch-phantastischen Kinokunststücks kontraindiziert sein, verleiht dieser eigentlich schmerzvollen Leidens- und Überlebensgeschichte aber ein zusätzlich expressives Vokabular. Und die Bezeichnung „schlimmer Finger“ bekommt auch hier eine gänzlich neue, darauf bezugnehmende Interpretation.

Aus dem Schrecken des Amazonas wird ein begnadetes Wesen, dass die Terra Incognitas dieser Welt sowie das Geheimnisvolle in sich trägt. Die Magie des Anderssein wird zum Glücksmoment für jene, die in einer hierarchisch strukturierten Machtgesellschaft nichts zu sagen haben. Für die Fische ist diese herzblutende, tropfnasse Bilderflut jedenfalls nicht. Oder zumindest nicht in seiner gewohnten Bedeutung. Sie ist ein Filmgenuss, der betört, erfrischt und auf die große Leinwand gehört – wo man ihn auch sehen sollte.

The Shape of Water