The Cabin in the Woods

RAUS AUS DER SCHUBLADE

7,5/10


cabin-in-the-woods© 2011 Metropolitan Film Export


LAND / JAHR: USA 2011

REGIE: DREW GODDARD

SCRIPT: DREW GODDARD, JOSS WHEDON

CAST: KRISTEN CONNOLLY, CHRIS HEMSWORTH, ANNA HUTCHISON, FRAN KRANZ, JESSE WILLIAMS, RICHARD JENKINS, BRADLEY WHITFORD, AMY ACKER, SIGOURNEY WEAVER U. A.

LÄNGE: 1 STD 35 MIN


Wandert man in Österreich über Almen und durch Wälder der Region, laden so einige schmuck-rustikale Hütten zum Mieten ein, natürlich Selbstversorger und mit Kaltwasser aus dem Brunnen. Wer hier temporär einzieht, will es aber sowieso nicht anders. Umgeben von dunklem Grün und saftigen Wiesen und vielleicht auch einem kleinen Bergsee, lässt es sich hier gut zur Ruhe kommen. Und manchmal auch ein Ende finden. Denn je abgelegener so ein Holzhäuschen auch liegt, umso bessere Stücke spielt die Fantasie vorwiegend in den Nachtstunden. Kann sein, dass etwas Monströses durch den finsteren Tann streift. Oder die Kühe auf der Heide einem die Tür einrennen wollen. Wenn’s keine Kühe sind, dann vielleicht Zombies? Bei Joss Whedon sind diese allerdings nicht mit der krachledernen ausgestattet, sondern mit allem, was sich zum Foltern gut eignet.

Klingt nach sattelfestem Splatterhorror zwischen The Hills Have Eyes und Tanz der Teufel? Horrorfans fühlen sich bei so einem Setting gut aufgehoben, doch schon nach der ersten Szene könnte gerade dieses Wiegen in Sicherheit zu gravierenden Verwirrungen führen. Ist das überhaupt der richtige Film? Was machen zwei adrett gekleidete Beamte in einem Kontrollzentrum irgendwo im Nirgendwo, die über Alltägliches quatschen und mit Kaffee sowie morgendlichem Arbeitseifer an ihre Monitore gehen? Wie jetzt Splatterhorror? Was ist mit den Untoten? Kommt schon noch. Kenner des Films The Cabin in the Woods werden sich diesen bereits mehrmals zu Gemüte geführt haben, denn jenen Ort, an welchen Drew Goddard mit Mastermind Joss Whedon (der sich ja mittlerweile selbst durch seine angeblich tyrannische Set-Präsenz bei Justice League ins Aus manövriert hat) unterwegs ist, erreichte man bis dato eigentlich nur durch verfilztes Dickicht. So, als gäbe es ihn gar nicht. Der Pfad musste also erst geschlagen werden.

Und auch im Schwingen der dramaturgischen Machete waren Goddard und Whedon wenig zimperlich, ja geradezu avantgardistisch. So einen Genremix wie The Cabin in the Woods muss man erst hinzaubern. Whedon war aber wohl schon gut im Training – sein Buffyverse war seinerzeit auch nicht nur in einschlägigen Stilgewässern unterwegs, hier wechselte das Spiel zwischen Teeniekomödie, trashiger Fantasy und Gothic-Horror. Zeitgleich mit seinem Einstand als Thor durfte Chris Hemsworth in diesem absurden Kosmos aus okkultem Slasher und eines Science-Fiction-Szenarios, das irgendwie an die paranoiden Ideen eines H. P. Lovecraft erinnert, mit Freundin und Freunden besagte Waldhütte belegen, die noch dazu einen Keller hat, in welchem sämtliche Artefakte ruhen, deren Verschacherung auf dem Flohmarkt wohl noch anstehen würde, gäbe es nicht so neugierige Nasen wie unser Endzwanziger-Grüppchen, das Paranormales ob der Coolness nur belächelt, sich daraus aber gleichzeitig das wohlige Kribbeln für einen Abend im Düsterwald lukriert. Natürlich ist das der falsche Weg, begonnen mit dem Vorlesen obskurer Sprüche, die eingangs erwähnte Tunichtgute auf den Plan rufen.

Ich wusste schon dank freundschaftlicher Fachsimpelei im Vorfeld – hier wird letzten Endes alles anders sein, als man denkt. Durch diese in kindlicher Spielfreude sichtlich aufgeweckte Machart zwischen Entsetzen und baffem Erstaunen ob der ständig wechselnden Parameter ist das Grauen letzten Endes dazu da, der dunklen Seite des phantastischen Films Tribut zu zollen und Fans des Irrealen an die blutigen Wurzeln vieler Übel zu schicken, die Mythen und Legenden erst zu dem gemacht haben, was sie sind.

The Cabin in the Woods

The Last Shift

DER FLOH IM OHR

6,5/10


thelastshift© 2020 Sony Pictures


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: ANDREW COHN

CAST: RICHARD JENKINS, SHANE PAUL MCGHIE, ED O’NEILL, DA’VINE JOY RANDOLPH, ALLISON TOLMAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


In Nightmare Alley von Guillermo del Toro wurde Richard Jenkins eben erst übers Ohr gehauen. Und zwar so richtig. Mit Gefühlen spielt man nämlich nicht, das ist unterste Schublade. Man setzt aber auch niemanden einen Floh ins Ohr, vor allem dann nicht, wenn dieser wieder zurückspringt und Konsequenzen Tür und Tor öffnet, die so nicht beabsichtigt waren. So eine Eigendynamik lässt sich in dem auf Netflix veröffentlichten (aber nicht produzierten) Independentstreifen The Last Shift beobachten. Und ja, mit Richard Jenkins, diesmal alles andere als der reiche Krösus wie in eingangs erwähntem Film, sondern als einer, der nach 38 Jahren des beruflichen Alltags in einer mehr oder weniger heruntergekommenen Fastfood-Filiale die Schirmkappe an den Nagel hängen will. Ab nach Florida, mit der pflegebedürftigen Mama. Zuvor jedoch muss Stanley, so Jenkins‘ naiv-redselige Figur, seinen Nachfolger einschulen. Der wiederum ist ein junger Afroamerikaner, vorbestraft wegen Denkmalschändung und aus dem Gefängnis entlassen. Jevon ist Familienvater und Freigeist, werden will er allerdings Schriftsteller. Er sieht, wie Stanley schuftet. Für nichts und wieder nichts. Weiß dabei einiges zu Arbeitsrecht und Ausbeutung zu sagen. Der alte Burger-Profi erkennt sich langsam als missbrauchtes Rädchen einer Geldmaschine, die den Arbeitswillen nicht schätzt. Ein Floh im Ohr, wie schon gesagt.

Und Jenkins schluckt als astreiner Loser und knapp am Sozialfall vorbeischrammender Fachidiot die bittere Pille. Manch einer wird dann zum Amokläufer wie Michael Douglas in Falling Down. Andere versuchen, sich auf andere Weise schadlos zu halten. In beiden Fällen merken die Gelegenheitsrebellen wohl kaum, dass sie andere unfreiwillig mitziehen – auch wenn der Drang nach sozialer Gerechtigkeit absolut nachvollziehbar scheint. Emmy-Preisträger Andrew Cohn hat die Ironie eines alltäglichen Schicksals zwischen Frittierfett, stinkenden Toiletten und gut gemeinten Ratschlägen wohlmeinender Mitbürger platziert – dabei liegt dem Autor kein aufbrausender Rundumschlag im Sinn wie ihn vielleicht Ken Loach austeilen würde, denn der äugt mit seinen Fallstudien stets den dunklen Abgrund hinab. The Last Shift erspäht diesen zwar, lässt seine vom Schicksal unbeschenkten Gestalten zu ihrem fragwürdigen Glück doch erstmal lieber feststecken. Es geht weder vor, noch zurück, es geht aber auch nicht weiter abwärts. Cohn schöpft Vertrauen in seine verirrten Idealisten. Belehrt sie lieber, und weist sie an, ihr Weltbild auf die jeweils mögliche Weise geradezurücken. Klar ist der Prozess ein düsterer, unbequemer. Bei Andrew Cohn aber auch einer, der mit leisem, subversivem Humor die ungesunden Schräglagen gelebten Sozialrechts ausmisst und mitunter auch die Ursachen bei jenen sucht, die übervorteilt wurden.

The Last Shift

Nightmare Alley

DER MENTALIST UND DAS MONSTER

8/10


nightmarealley© 2022 Twentieth Century Fox / The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

CAST: BRADLEY COOPER, CATE BLANCHETT, ROONEY MARA, WILLEM DAFOE, TONI COLLETTE, RICHARD JENKINS, RON PERLMAN, DAVID STRATHAIRN, MARY STEENBURGEN, HOLT MCCALLANY U. A. 

LÄNGE: 2 STD 30 MIN


Das würde ich wirklich gerne mal machen, und zwar einen Rundgang in Guillermo del Toros schauriger Bude, auch genannt Bleak House, frei nach Charles Dickens und angesiedelt in den Vororten von Los Angeles. Dort wohnt er zwar nicht, aber er geht dorthin, um Ideen zu finden oder sich inspirieren zu lassen. Ich möchte fast sagen, es ist ein Heimkommen in ein inneres Zuhause aus Phantastereien und Alpträumen; ein Metaversum, wenn man so will. All die Räume sind bis zur Decke randvoll mit Monstern, Kuriositäten und Absonderlichem. Mit allem, was seine und andere Filme, die den Mexikaner faszinieren, jemals bevölkert haben. Da ist so viel Zeug, das hat sogar gereicht für eine ergiebige Wanderausstellung quer durch die USA bis hinauf nach Kanada. Vielleicht schafft sie es ja mal nach Übersee, wer weiß. Bis dahin sind del Toros Filme das, was immerhin auch ganz gut als Gruselkabinett funktioniert, aus welchem man allerdings nicht das Heil in der Flucht sucht, sondern fasziniert und an allen Nischen und Erkern innehält, um die bizarre Welt, getaucht in Rot- und Grüntönen, die in der Dunkelheit miteinander verschmelzen, in sich aufzusaugen.

Für diese Welt braucht es Zeit, da geht nichts zackzack. Del Toro muss man genießen wollen und sich nicht verstören lassen von in Spiritus eingelegten Missgeburten, die wie Exponate aus dem Narrenturm indirekt beleuchtet werden, um das Widernatürliche des Körperlichen zu exponieren. Es mag zwar in Nightmare Alley kein Fischmonster in die Wanne steigen, kein Vampir die Zähne fletschen oder eine gehörnte Teufelsbrut coole Oneliner schieben. Doch die Bestien aus seinen Träumen sind auch hier, in einem stringenten, opulenten Meisterwerk der Schwarzen Serie, omnipräsent.  

Guillermo del Toro hat sich eines Romans angenommen, der bereits 1947 erstmals verfilmt wurde: Der Scharlatan von William Lindsay Gresham, der den Aufstieg und tiefen Falls eines Hochstaplers beobachtet, der vorgibt, Mentalist zu sein. Und was für einer: nicht nur kann er angeblich Gedanken lesen und in die Zukunft blicken, sondern vor allem auch mit den Toten kommunizieren. Dabei sieht anfangs alles danach aus, als würde Stanton Carlisle sein Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen. Das tut er aber doch, und zwar bei Clem und seinem Wanderjahrmarkt aus Schaustellern, Freakshows und Karussellen. Dort macht er sich nützlich, lernt Tricks und das Lesen von Menschen. Sieht, wie Missgestaltete und Saufbolde als Sensationsbestien missbraucht werden, brennt dann bald durch mit seiner Geliebten, dem Jahrmarktmädchen Molly. Stanton will mehr. Mit seiner Gabe und dem perfekten Betrug die Oberschicht für sich gewinnen und reiche Beute machen. Er wird zu weit gehen, das ist klar. Und er wird einbiegen, in die Allee der Alpträume, die kein Ende hat.

Ein klassischer Film Noir, würde man meinen. Und natürlich mit dazugehöriger Femme Fatale, die Cate Blanchett als gnadenlose und maskenhafte Überzeichnung einer Lauren Bacall zum Versatzstück einer Geisterbahn werden lässt, deren Schein trügt. Es wäre aber nicht Guillermo del Toro, wäre der Film nicht genauso ein seltsames Mischwesen wie seine Kreaturen, die ihn umgeben. Das Publikum wird zum Begaffer eines ganz anderen Bestiariums, das sein großes Vorbild, nämlich Tod Brownings Horrorklassiker Freaks, vor allem in seiner parabelhaften Moral präzise zitiert. Es gibt Szenen und Bilder, die erinnern so frappant an das Schreckensdrama von damals, da gibt’s für mich keine Zweifel. Browning hatte damals mit tatsächlich missgestalteten Menschen gearbeitet, die in einer simplen, aber effektiven Rachegeschichte die finsteren Pläne einer bildschönen Trapezkünstlerin sühnen werden. Auch dort ist ein Jahrmarkt Ort des Geschehens, und auch dort sind niedere Triebe wie die Gier nach Mammon und Wohlstand der Grund dafür, die Gutgläubigkeit anderer zu manipulieren und deren Vertrauen zu missbrauchen. Bradley Cooper alias Stanton tut als Blender nichts anderes als das Schändliche und mutiert zur Kreatur der Nacht mit Vaterkomplex und Hang zum Wahnsinn – ein intensives Spiel, so wie das des gesamten Ensembles des Films, die geben, was verlangt wird, und noch ein bisschen mehr an grimmigem Spuk. In malerische Bilder taucht del Toro sein üppiges Opus Magnum, und schließt mit sicherer Hand den Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt.

Nightmare Alley

Kajillionaire

MEINE RABENELTERN, IHRE TOCHTER UND ICH

8,5/10


kajillionaire© 2020 Universal Pictures International GmbH Germany

LAND: USA 2020

DREHBUCH & REGIE: MIRANDA JULY

CAST: EVAN RACHEL WOOD, DEBRA WINGER, RICHARD JENKINS, GINA RODRIGUEZ, MARK IVANIR U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Miranda July ist eine Allroundkünstlerin. Filmemachen ist da nur ein Teilbereich ihrer Tätigkeit. Zugegeben, bislang hatte ich noch kein einziges ihrer Werke gesichtet, obwohl ich natürlich wusste, dass die US-Multimediakünstlerin, die sich in ihren Filmen auch bislang immer selbst besetzt, ziemlich abgehobene, verschrobene Tagträumereien entworfen hat. Wäre längst einen Blick wert gewesen, wie ich finde. Nun – Kaijillionaire, ihre neueste und auch erstmals recht prominent besetzte Arbeit gilt hier endlich mal als Einstand – und ist, ohne zu übertreiben, eine Entdeckung. Und zwar deshalb, weil July so sehr gegen Konventionen und Schablonen inszeniert und kreiert, wie es normalerweise nur das asiatische Kino zuwege bringt.

Für ihre Außenseiterballade hat sie mit Evan Rachel Wood (u. a. Dreizehn, Westworld) wohl einen Volltreffer gelandet. Interessant und gleichsam verblüffend auch, nach langer Zeit und erst nach mehreren Blicken Debra Winger hinter der Fassade einer streunenden Tagediebin hinter wallender grauer Mähne zu entdecken. Gemeinsam mit Richard Jenkins sind die drei eine sagen wir mal obdachlose Familie, die sich in einem leerstehenden Büroraum neben einer Seifenfabrik eingenistet hat und dort so lange bleiben darf, solange sie den dort austretenden Schaum wegputzt. Eine irre Idee zum einen, surreale Bilder zum anderen, wenn die weißrosa Wolken den reizlosen Raum wie durch ein entrücktes Wunder scheinbar aufrüschen. Die Familie also, die wohnt hier, und schlägt sich tagtäglich mit Diebstählen herum – auf der Post, im Supermarkt, eigentlich überall. Tochter Old Dolio, benannt nach einem Obdachlosen, macht da mit, weil sie nichts anderes kennt. Sie kennt aber auch keine Kindheit, keine Zärtlichkeiten, keine liebevollen Worte und keine Identität. Old Dolio, die ist das Werkzeug ihrer Eltern, soziophob, gehemmt und depressiv. Ihren Eltern ist das egal, sie setzen auf Profit, das Töchterchen ist eben mit dabei. Bis bei einer Betrugsnummer am Flughafen die aufgeweckte Melanie, die ihnen zufällig über den Weg läuft, alles ändert. Zumindest fast alles für Old Dolio.

Ich habe selten einen Film über Einsamkeit und Sehnsucht nach Nähe gesehen, der gleichzeitig so sensibel, humorvoll und bezaubernd sein kann. Julys seltsame Figuren kaspern durch ein wirtschaftsorientiertes Amerika aus Industrie, Geld und Shoppingvergnügen und übersehen das Wesentliche. Eine liebevolle Kindheit ist in Zeiten wie diesen aus Ich-AG, Bequemlichkeit und Lebenstraum um jeden Preis nichts Selbstverständliches mehr – und war es auch nie. Wie sehr man als Elternschaft allerdings versagen kann, das hebt July geradezu auf ein neues Level. Die Konsequenz: eine zomboid vor sich hin trottende Evan Rachel Wood, mit Haarvorhang und Grunge-Klamotten. Ihr Weg zur eigenen Identität und zu einem Ja für Zärtlichkeit wird zur erfrischend anderen, urbanen Therapie zwischen sensorischer Integration und Erwachsenwerden. Wood flößt dabei ihrer psychologisch tiefgründigen Figur soviel Wahrhaftigkeit ein, als würde man die Schauspielerin erst neu entdecken. Diese Kunst der Tarnung eines Stars funktioniert ganz ohne Maske, die Performance ist dabei preisverdächtig, auch dank all den anderen recht hingebungsvollen Charakteren, die entweder nicht aus ihrer Haut können oder jemand anderen dazu motivieren, sich selbst zu motivieren. Vielleicht mit einem Tanz. Oder im Zeitraffer-Recap des eigenen Aufwachsens.

Die psychosozialen Parameter einer Familie scheuen sich nicht davor, in Kaijillionaire genau beobachtet zu werden – und die Motivation zur Veränderung wächst in dem, der sie am dringendsten nötig hat. Dieses Conclusio lässt sich in dieser konsistenten und enorm erfreulichen Filmkunst gerne entdecken.

Kajillionaire

The Shape of Water

FISCH VERLIEBT

8/10

 

shapeofwater© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA, KANADA 2018

REGIE: GUILLERMO DEL TORO

MIT SALLY HAWKINS, DOUG JONES, MICHAEL SHANNON, RICHARD JENKINS, OCTAVIA SPENCER U. A.

 

Wohl eine der künstlerisch wertvollsten Comicverfilmungen, die jemals das Licht der Kinoleinwand erblickt haben, ist Hellboy von Guillermo del Toro. Beide Episoden sprühen vor Einfallsreichtum und zeigen, mit welcher Stilsicherheit der Mexikaner seine Visionen, Bilder und Kreaturen in bewegtes Drama umsetzen kann. In Hellboy gibt es einen Fischmenschen namens Abe Sapien, der seine Glupschaugen stets mit Fliegerbrille feucht hält und genauso immer mal wieder baden geht wie sein entfernter Verwandter aus dem für 13 Oscars nominierten Academy-Favoriten The Shape of Water. Dass beide Kreaturen einen gemeinsamen Ursprung haben, ist offensichtlich. Sie stammen beide aus del Toro´s unverwechselbarem Universum. Niemand kann dessen Handschrift mit dem Oeuvre anderer Filmemacher verwechseln. Das war bei Pans Labyrinth so, das war bei Crimson Peak so, und das wiederholt sich auf wunderbar variierte Art auch hier, in dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte zwischen poetischer Fantasy und einem Abenteuer aus dem Kalten Krieg, in dem die Kleinen ganz groß und die Mächtigen verzweifelt um Anstand bemüht sind.

The Shape of Water – fälschlicherweise übersetzt mit Das Flüstern des Wassers, richtigerweise müsste es aber Die Form des Wassers heißen – ist neben all der romantischen Momente und den Anleihen aus dem Spionagethriller-Genre eine leidenschaftliche Hommage an das Monsterhorror-Genre der 50er-Jahre. Anzunehmen, dass del Toro diese Filme womöglich alle in seinen DVD-Regalen hortet, und Jack Arnolds Phantastereien wie Der Schrecken vom Amazonas den Visionär für seine Arbeiten angeregt haben. Sucht man nach Bildern von Arnolds Wasserwesen, lässt sich der Dschungel Südamerikas als gemeinsame Herkunft nur bestätigen. Del Toro weiß gekonnt, seine Assoziationsquelle liebevoll zu zitieren. Hätte del Toro aber seine Wasseroper in Schwarzweiß gedreht, wie er ursprünglich sogar überlegt hat, hätte mir seine sonst so opulente Farbgebung, die seine Bilder so sehr auszeichnen, ziemlich gefehlt. Das Grün, Petrol und Rot, dieses satte Setting mit all diesen kolorierten Details – von der flirrenden Biolumineszenz des Fischmenschen bis zu den roten Leuchtdioden an den Überwachungskameras der Forschungsstation – setzen dem schwelgerischen Film nämlich gezielt gesetzte Akzente.

Zwischen all der nostalgischen Lobeshymnen an das gute alte Kino der Träume, dass sich warnend als barocker, leerer Kinosaal präsentiert, in welchen sich das Wesen als einziger Gast hineinverirrt, ereifert sich ein famoses Ensemble in heller Spielfreude zur Rettung des Unbekannten. Wer würde in diesem Kontext nicht über seinen Schauspielerischen Schatten springen wollen? Für ein Wesen dieser Art einzustehen, das hat wohl zuletzt der kleine Elliott aus E.T. – Der Außerirdische vollbracht. Auch der pummelige Gnom aus Spielbergs Klassiker hatte so seine Fähigkeiten, und das Zeug dazu, mit der Angst vor dem Fremdartigen und Unverstandenen, die unserem menschlichen Verhalten inhärent ist, aufzuräumen. Der namenlose Amphibienmann tut dies genauso – auf seine eigene, passive, kryptische Art. Und gewinnt die Liebe und Zuneigung von Eliza, die des Nächtens im Forschungslabor sauber macht. Sally Hawkins ist eine ganz große Performance gelungen. Selbst stumm wie ein Fisch, einsam und sich nach Nähe sehnend, findet sie in dem anmutigen, faszinierenden Geschöpf mit dem Schuppen- und Flossenkleid ihren „Lebensmenschen“. Hawkins spielt genauso wie in Maudie mit jener zerbrechliche wirkenden Zurückhaltung und einer von jedermann unterschätzten Stärke, dass man einfach auf ihrer Seite sein muss. In Momenten erinnert ihre Eliza an Jean-Pierre Jeunet´s Amelie, gespielt von Audrey Tautou. Dazu trägt womöglich auch das Setting bei, dass mit jeder Menge skurrilem Interieur aufwartet und das Abgewohnte wohnenswert macht. Nicht weniger beeindruckend zeigt sich Richard Jenkins als liebenswerter Grafiker, der noch mit Pinsel und doppelter Brille malt und im Grunde die scheinbar heile 50er-Jahre-Welt des Spezialagenten Michael Shannon aufs Papier bringt. Dass diese hinter den Kulissen ziemlich krankt, wird bald klar – den bonbonlutschenden Sadisten, der unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, seine Untergebenen belästigt und in herablassender Arroganz bibelzitierend Gott spielt, gibt Shannon mit Hingabe und hätte zumindest gleichwertig mit Jenkins für den Oscar nominiert werden sollen.

The Shape of Water ist ganz großes Kino des Fremdartigen. Ein visionäres Gleichnis von Liebe und Wasser, die sich beide, so del Toro in einem Interview – zuerst formlos und chaotisch, erst durch einen Körper, ein Gefäß, eine feste Hülle, artikulieren können. So gesehen steht das Wasser in diesem Film für das metaphysische Element der Liebe. Überall dort, wo es fließt, rinnt, verschüttet wird, übergeht – erlangt die lyrischste Kraft des Universums ihre größtmögliche Intensität oder wird im Keim erstickt. Das Element des Wassers als formbares Empfinden beginnt als alles durchdringende, amorphe Materie, um sich im Laufe des Filmes auf unterschiedlichste Art zu vermitteln, sei es im Wasserkocher, in der Badewanne oder an der Fensterscheibe. Selbst Blut fließt jede Menge, ein Quantum Ekel ist auch dabei – das mag angesichts dieses poetisch-phantastischen Kinokunststücks kontraindiziert sein, verleiht dieser eigentlich schmerzvollen Leidens- und Überlebensgeschichte aber ein zusätzlich expressives Vokabular. Und die Bezeichnung „schlimmer Finger“ bekommt auch hier eine gänzlich neue, darauf bezugnehmende Interpretation.

Aus dem Schrecken des Amazonas wird ein begnadetes Wesen, dass die Terra Incognitas dieser Welt sowie das Geheimnisvolle in sich trägt. Die Magie des Anderssein wird zum Glücksmoment für jene, die in einer hierarchisch strukturierten Machtgesellschaft nichts zu sagen haben. Für die Fische ist diese herzblutende, tropfnasse Bilderflut jedenfalls nicht. Oder zumindest nicht in seiner gewohnten Bedeutung. Sie ist ein Filmgenuss, der betört, erfrischt und auf die große Leinwand gehört – wo man ihn auch sehen sollte.

The Shape of Water