The Long Walk – Todesmarsch (2025)

DER WEG IST DAS ZIEL

6,5/10


© 2025 LEONINE Studios / Constantin Film Österreich


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: FRANCIS LAWRENCE

DREHBUCH: J. T. MOLLNER

KAMERA: JO WILLEMS

CAST: COOPER HOFFMAN, DAVID JONSSON, MARK HAMILL, GARRETT WAREING, TUT NYUOT, CHARLIE PLUMMER, BEN WANG, JORDAN GONZALES, ROMAN GRIFFIN DAVIS, JUDY GREER, HOSH HAMILTON U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Waren Die Tribute von Panem – als Roman in drei Teilen und als Verfilmunge auf vier Teile ausgewalzt – noch dystopisches Spektakel mit allerlei Pomp, wo nichts dem Zufall überlassen wurde und das niemanden dazu bewog, sich selbst seinen Teil dazu zu denken, ist Francis Lawrences asketische Kehrtwende das genaue Gegenteil davon, wenngleich der Spaß an der Freude perfider Machtsysteme so ziemlich ähnlich bleibt. The Long Walk – Todesmarsch, Ende der Siebzigerjahre von Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachmann verfasst, ist zumindest in literarischer Form wohl die Geburtsstunde einer Art von Zukunftsvision, die sich mit der medialen Befriedigung einer Bevölkerung auf Kosten junger Menschen auseinandersetzt – und bereits schon damals die Entertainment-Übersättigung und folglich die Überkompensation gesellschaftlicher Schadenfreude zum Wohle des Selbst ins Hässliche und Bedrohliche verzerrt. Ein paar Jahre später schrieb King dann noch seinen Running Man, verfilmt mit Arnold Schwarzenegger – in Kürze folgt, wie kann es anders sein, die Neuauflage. Panem wiederum orientiert sich wohl mehr am blutrünstigen japanischen Insel-Wettkampf Battle Royale als an diesem von allem Schnickschnack befreiten Schrittedrama, nunmehr wagemutiges Experiment von Film, das sicher und zumindest auf den ersten Blick mehr an Spektakel verspricht als er letztlich bereithält. Das wiederum ist gut so. Den Mut zur Entrümpelung und zur Reduktion hätte ich Francis Lawrence und seinem Studio wohl nicht zugetraut, umso erstaunlicher trottet man, obwohl selbst im Kinositz verharrend, Minute für Minute einen landschaftlich kaum erwähnenswerten, spärlich besiedelten Weg entlang und hört jungen Männern zu, die aus existenzieller Not heraus mit sich selbst russisches Roulette spielen und alles, was sie haben, auf eine einzige Zahl setzen – auf jene, die man ihnen umgehängt, bevor der Todesmarsch begonnen hat.

Fünfzig Burschen wandern also in konstantem Tempo von nicht weniger als drei Kilometer die Stunde, versorgt mit ausreichend Wasser zwar, aber ohne Aussicht auf Pause, dem Ungewissen entgegen. Das Ende bringt die Erschöpfung des Vorletzten. Bleibt noch einer übrig, ist die Show zu Ende. Doch Apropos Show: Hier, in diesem düsteren, lustlosen Amerika, in diesen militärisch regierten Nachkriegsstaaten, die viel verloren haben, nur nicht die Lust am Exempel, das sie statuieren wollen, wird keiner interviewt, getrimmt für den Sieg, hofiert von Fans oder geladen zum opulenten Dinner, bevor der Ernst des Spiels beginnt. Hier moderiert kein Stanley Tucci den medial gepushten Kandidaten oder drängt sich die Presse am Straßenrand zur akkuraten Berichterstattung zusammen: The Long Walk – Todesmarsch ist eine Verhöhnung der Relevanz manipulativer Volksberieselung. Es ist, als würde niemand davon wissen, was die nächsten Tage für Opfer bringen. Und es werden scheußliche sein. Demütigende, blutige, traurige.

Musketiere im Selbstbetrug

Es wäre ja alles halb so wild, würden jene, die auf der Strecke bleiben, nicht auch noch niedergestreckt werden, auf so demütigend-kalte Weise, dass es wohl nicht die Absicht des Filmes gewesen sein mag, mit diesen Exekutionen seine Höhepunkte zu liefern. The Long Walk – Todesmarsch hat nämlich keine. Als Zuseher folgt man in drängender Erwartungshaltung einem erbarmungswürdigen Schauspiel, strotzend vor erbarmungslosen Regeln, und hofft auf eine Wende. Doch nichts dergleichen passiert. Das große Ideal, die bessere Welt, mag nur in den Köpfen konditionsstarker Männer existieren, die sich entweder selbst überschätzen oder die psychische Resilienz besitzen, am Ende erhobenen Hauptes anzukommen. Von den Musketieren ist die Rede, von Verbrüderung, Akzeptanz, Nächstenliebe. Dabei ist alles nur Konkurrenz, dabei billigt der Siegenwollende den Tod des neuen Freundes. Die Wahrheit will niemand wissen, jeder hofft auf einen anderen Ausgang, auf ein Miteinander danach. Doch Lawrence, der die Vorlage von King zwar adaptiert hat, aber dennoch dem Fatalismus treu bleibt, erklärt mit The Long Walk – Todesmarsch keine mögliche bessere Welt. Man wartet also vergebens auf den Twist, auf das Aufbegehren, während Mark Hamill als entmenschlichtes Abziehbild eines Warlords Phrasen drischt, die wohl die einzige mediale Manipulation darstellen.

Die leeren Kilometer, im wahrsten Sinne des Wortes verstanden, sind scheinbar nicht endenwollend – eine mutige Methode für eine Verfilmung, die lange Zeit als unverfilmbar galt, weil der Stoff nichts Erbauliches bietet, andererseits aber jede Menge existenzialistische Gedankengänge übernimmt, die das Leben an sich betreffen, und dieses laut King und Lawrence schließlich nur im momentanen Selbstbetrug Sinn ergibt.

The Long Walk – Todesmarsch (2025)

Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds & Snakes (2023)

COUNTRYSONGS AUS DER ARENA

6,5/10


panem_songbirds_snakes© 2023 Leonine


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: FRANCIS LAWRENCE

DREHBUCH: MICHAEL ARNDT, MICHAEL LESSLIE, NACH DEM ROMAN VON SUZANNE COLLINS

CAST: TOM BLYTH, RACHEL ZEGLER, VIOLA DAVIS, JOSH ANDRÉS RIVERA, PETER DINKLAGE, JASON SCHWARTZMAN, HUNTER SCHAFER, FIONNULA FLANAGAN, BURN GORMAN U. A.

LÄNGE: 2 STD 37 MIN


Die eingägige Hymne Nothing You Can Take From Me schmettert West Side Story-Goldkehlchen Rachel Zegler schon zu Beginn des Films in souveräner Profi-Stimmlage dem Fußvolk des zwölften Distrikts ebtgegen. Der Song faucht wie eine Windspitze über die Menschenmenge dahin, die wohl heilfroh sein muss, das sonst keiner aus ihrer Runde zu den zehnten alljährlichen Hungerspielen rekrutiert worden ist. Die durchgeknallte Lucy Gray Baird wird wohl kaum jemand vermissen, doch allesamt, sowohl die im Kapitol als auch jene in den Außenbezirken, werden sich noch wundern, wozu diese zarte, charismatische und hübsch anzusehende Person denn fähig sein wird. Rachel Zegler hat nichts von der panischen Hysterie einer Katniss Everdeen, die andauernd um ihre Familie und Freunde bangen und angesichts tragischer Umstände die Nerven schmeißen wird. Ihr Auftritt wird einige Jahrzehnte später kommen, wenn der alte Diktator Snow, gespielt von Donald Sutherland in distinguierter Bösartigkeit, Jennifer Lawrence zum Hassobjekt auserwählt. In diesem Prequel, das in seiner Epilog-Szene mit der großen Dunkelheit beginnt, die diese alternative Realität eines nordamerikanischen Kontinents beherrschen wird, sind die ersten zehn der aus einer Schnapsidee heraus entstandenen Hungerspiele nicht viel mehr als ein Gladiatorengerangel wie im alten Rom. Gekämpft wird bis zur letzten Frau, bis zum letzten Mädchen, Buben oder Mann. Gefangene werden keine gemacht, und auch wenn die Arena nach einem Rebellenanschlag einem Trümmerfeld gleicht, müssen die Tribute antanzen.

Suzanne Collins selbst hat aufgrund des bahnbrechenden Erfolges ihrer Bücher natürlich eine Vorgeschichte verfassen müssen, einen rund 600 Seiten starken Wälzer, der unter der Regie des Panem-geeichten Francis Lawrence auf zweieinhalb Stunden komprimiert wurde. Stoff und Handlung gibt es also in Hülle und Fülle, und wenn schon der Werdegang Anakin Skywalkers, der später zu Darth Vader werden soll, für volle Kinosäle gesorgt hat – warum könnte das nicht auch Coriolanus Snow gelingen, der anfangs noch als rechtschaffener und moralisch gepolter Student, allerdings nicht ohne Eitelkeiten und narzisstischem Ehrgeiz, auf eine politische Karriere spekuliert. Was aus ihm werden wird, ist klar. Wie es dazu kommt – wie sich Gutes in Böses wandeln kann und was für Parameter es dazu braucht – entbehrt nicht ein gewisses Interesses. Somit ist die charakterliche Entwicklung das Um und Auf eines Film, der anfangs jede Menge bekannter Versatzstücke bemühen muss, um seinem Publikum ausreichend Fanservice zu bieten. Längst ist in Panem wieder alles im Argen, und die Spiele mögen beginnen.

Peter „Tyrion Lannister“ Dinklage und Viola Davis als fiese Medienhexe veredeln wie schon seinerzeit Philipp Seymour Hoffman oder Woody Harrelson eine Young Adult-Dystopie, die diesmal dank einer in ihrem Enthusiasmus ordentlich ansteckenden Rachel Zegler fast schon den Touch eines Musicals besitzt. Muffel dieses Genres können sich aber beruhigt zurücklehnen, denn die wenigen Songs gehen ins Ohr und Zeglers Stimme begeistert. Newcomer Tom Blyth, der den jungen Snow verkörpert, muss seine Metamorphose zum Ungeheuer erstmal stemmen – gegen Ende schwindet seine Kraft, so auch die Stringenz einer durchaus packend erzählten Politthriller-Romanze, die nach dem erwarteten Hungerspiele-Showdown in alle Richtungen zerfasert. Zwar sind nach wie vor Snow und Lucy Gray Bird im Spiel, doch wirken so manche Eckpunkte der Handlung aufgesetzt. Das ganze Szenario will kein Ende nehmen, wie gesagt: es sind 600 Seiten Buch, da müssen noch einige Staatsfeinde am Hanging Tree aufgeknüpft und der bereits bekannte Song gleichen Titels spotttölpelgleich von den Dächern gepfiffen werden. Verrat und Intrigen erschüttern das Vertrauen, Blyths Snow setzt Taten, denen der Beweggrund fehlt. Etwas konfus wirkt das Ganze, doch Zegler hält stets ihre Mitte – sie ist das herausragende und sturmfeste Zentrum des Films, der ohne sie wohl besser als Serien-Spinoff geeignet gewesen wäre.

Letzten Endes aber ist Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds & Snakes – eine überraschend grundsolide Antagonisten-Genese. Die Perfidität eines postapokalyptischen Faschismus verträgt sich nach wie vor gut mit dem Narrativ einer unmöglichen Zweisamkeit, solange eine(r) davon moralisch integer bleibt.

Die Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds & Snakes (2023)

RED SPARROW

DEN SPATZ IN DER HAND

5,5/10

 

redsparrow© 2018 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2018

REGIE: FRANCIS LAWRENCE

MIT JENNIFER LAWRENCE, JOEL EDGERTON, MATTHIAS SCHOENAERTS, JEREMY IRONS, CHARLOTTE RAMPLING U. A.

 

Wenn ich als feierabendlicher TV-Channelsurfer an den SWR denke, dann fällt mir erstmal unweigerlich der Südwestrundfunk ein. Dass mit diesem Kürzel aber auch der russische Auslandsnachrichtendienst gemeint ist, erschließt sich mir erst nach Sichtung des neuen Films von Panem-Macher Francis Lawrence. Red Sparrow heißt sein Agententhriller, und natürlich hat Namensvetterin Jennifer womöglich schon vor Vorlage des Drehbuchs zum Film ihre Rolle als fix in ihrer Agenda gehabt. Francis hätte aber auch Charlize Theron besetzen können – die hat aber bereits für Atomic Blonde zugesagt. Mit seiner ehemaligen Darstellerin der Katniss Everdeen ist Francis Lawrence aber sowieso auf der publikumswirksameren Seite. Lawrence zählt zu den bestverdienenden Stars und hat auch weit über ihr schauspielerisches Können hinaus im weltweiten Celebrity-Pool ihre Hände mit im Spiel. Red Sparrow wird also wohl vor allem wegen Jennifer Lawrence sein Geld einspielen, keine Frage. Noch dazu, wenn bei Erwartung einer im Vorfeld angekündigten ungezügelten Nabelschau Erinnerungen an Sharon Stone wach werden. Dass zumindest zeitweilig die Zugriffe auf die unwillkommenen Nacktfotos der jungen Dame weniger werden, kann auf taktisches Kalkül zurückzuführen sein.

In Red Sparrow, nach dem Roman des Ex-CIA-Agenten Jason Matthews, der sicher mit reichlich Erfahrungen aus der Branche authentisches Gebaren hinter den Kulissen illustriert, führt der SWR also so etwas Ähnliches wie ein Bootcamp für reizorientierte Kampfmätressen, genannt die Spatzenschule, unter der Fuchtel einer steingesichtigen Charlotte Rampling, die einen seltsamen Haufen junger Russinnen und Russen zur Schamlosigkeit erzieht. In dieses zweifelhafte Etablissement wird die Ex-Ballerina Dominika Egorova von ihrem zwielichtigen Onkel Wanja – da war wohl Matthews ein Liebhaber Anton Tschechows – gekarrt. Doch wenn ich Dominika Egorova wäre, würde ich, sofern ich die Wahl hätte, absichtlich aus der Schule fliegen wollen. So elitär und effektiv, wie angekündigt, ist diese knochentrockene Erziehungseinrichtung, die irgendwie an das Internat Romy Schneiders aus Mädchen in Uniform erinnert, längst nicht. Zumindest gelingt es Francis Lawrence kaum, die angebliche Relevanz der Vorgeschichte unseres roten Spatzen zu rechtfertigen. Die sogenannten Geheimnisse der Verführung und Manipulation, die dort weit jenseits des Kamasutras beigebracht werden, scheinen auch als Online-Tutorial auf Youporn seinen Zweck erfüllen zu können. Und die Erkenntnis von Jennifer Lawrence, dass sexuelle Nötigung meist mit Machtgehabe zu tun hat – das ist jetzt nicht so die Aha-Erkenntnis, die sie wohl meint erlangt zu haben.

Hat man die zumindest in der Synchronisation im unfreiwillig komischen, russischen Dauerakzent sprechende Meisterin aller Klassen in die freie Wildbahn der Agenten und Spione entlassen, beginnt das Spiel um Information, Täuschung und Taktik überhaupt erst interessant zu werden. Da ist aber schon rund die Hälfte des Filmes um. Sei´s drum, das war bei Atomic Blonde auch so. Da hat das Genre des Agentenfilms generell das Problem, die Gesamtsituation für das Publikum in viel zu langen Erklärungen überhaupt erst erfassbar werden zu lassen. Bei Atomic Blonde und Red Sparrow zeigt das Drehbuch zur ersten Halbzeit deutliche Schwächen – leicht zu dramatisieren ist so eine Romanvorlage sicher nicht. Hut ab, wenn es zumindest halbwegs gelingt. Dann aber wird das Gefühl, schon viel zu viel Zeit in Red Sparrow investiert zu haben, deutlich schwächer. Jennifer „Dominika“ Lawrence, die trotz ihres barbusigen, aber dennoch verhaltenen Teasings wie kaum eine andere junge Filmdiva so sehr ihre Keuschheit an die vorderste Front schickt, hat in Joel Edgerton zumindest einen Filmpartner gefunden, der seine Reize zum Glück nicht vortäuschen muss. Der stets verkniffen dreinblickende, gestandene Charaktermime hat schon Charisma, während Matthias Schoenaerts wie der jüngere Bruder von Vladimir Putin Todesdrohungen wie Tombolapreise verhökert.

Man bemerkt mitleidig, dass der rote Spatz immer noch gerne Ballerina hätte sein wollen. Von Professionalität keine Spur, vielmehr fallen die scheinbar unerwarteten Umstände in der Agentin aufreizenden Schoß. Improvisation ist wohl mehr ihr Ding  – oder ist alles nur Fassade? Spätestens jetzt sollte ich damit das Interesse meiner Leser wecken, denn je näher wir zum Ende kommen, umso mehr schlägt der Thriller seine notwendigen Kaninchenhaken, um als durchaus spannender Geheimtrip – nicht Tipp – zwischen Moskau, Budapest und Wien in Erinnerung zu bleiben. Und der Wiener Michaelaplatz könnte zumindest für Fans, die sich getrost wieder JLa´s Nacktfotos widmen, eine völlig neue Bedeutung erlangen.

RED SPARROW