Longlegs (2024)

DEN TEUFEL AUF DISTANZ HALTEN

7,5/10


longlegs© 2024 DCM


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE / DREHBUCH: OZ PERKINS

CAST: MAIKA MONROE, NICOLAS CAGE, BLAIR UNDERWOOD, ALICIA WITT, KIERNAN SHIPKA, ERIN BOYES, LISA CHANDLER, SCOTT NICHOLSON, DAKOTA DAULBY U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Wo ist Nicholas Cage? Man erkennt ihn gar nicht hinter dieser seltsamen Maske, die so aussieht, als hätte Mrs. Doubtfire den Nachtdienst in der nächstgelegenen Geisterbahn begonnen. Als hätte Mickey Rourke sein Geschlecht gewechselt. Seltsam feminin, tänzelnd wie der Joker und vom Teufel besessen geistert die Gestalt des Longlegs durch ein düsteres, von allen guten Geistern verlassenes Amerika, wie ein Harlekin des Grauens. Nicht von dieser Welt und dennoch nur ein Mensch. Oder doch nicht?

Wer sich einen Psychothriller biblischen Ausmaßes erwartet, wie ihn David Fincher zu meinem bekennenden Schrecken in den Neunzigern losgelassen hat, darf nur zum Teil darauf hoffen, von einer packenden Tragödie sturzflutartig mitgerissen zu werden. Longlegs geht die Sache nämlich ganz anders an. Ruhiger, stiller, bis zum Äußersten entschleunigt. Und dennoch entwickelt die finstere, metaphysische Mär um das paranormale Treiben eines hässlichen Sonderlings eine intensive Dynamik – viel untergründiger als bei Sieben, viel mehr introvertierter und überhaupt nicht energisch, sondern in den Momenten potenziellen Spuks, der da aufkommen könnte, innehaltend, um dann wieder die Erwartungen des Zusehers zu konterkarieren. Mit dem mysteriösen Song Jewel der Band T. Rex und einem daraus entnommenen Zitat, schwarze Lettern auf Rot, beginnt eine Sinn- und Tätersuche, die sich tief ins Unterbewusstsein von Protagonistin Maika Monroe gräbt, die als FBI-Ermittlerin Lee Harker durch den fundamentalen Wahnsinn eines Satanisten auf ihre eigene verzerrte Biografie zurückgeworfen wird. Diese Reise in die Dunkelheit führt durch ein fahl beleuchtetes Labyrinth aus Fluren, Kellern und weiten Räumen, deren hintergründige Unschärfe dem Auge Streiche spielen, während die Kamera stets Distanz hält zu seinen Figuren, lediglich Monroe rückt näher ins Bild, stets ernst, argwöhnisch und sonderbaren Klängen lauschend, die Psychopathisches auf den Plan rufen könnten.

Akribisch lernt Agentin Harker das krude Alphabet des Spinners, immer rätselhafter wird dieser Fall, der sich nicht auf die zehn Todsünden herunterbrechen lässt, sondern viel komplexer scheint. Schließlich ist es so, als würde Longlegs niemals selbst töten, als wären es die Opfer selbst, die sich und ihre Liebsten richten, angetrieben durch irgendeine obskure Macht, die der Killer entfesseln kann. Ist es Hypnose? Sind es Drogen?

Der Eindruck, dass die Wahrnehmung etwas verzerrt wirkt, liegt auch an den subtilen, ausgefeilten technischen Spielereien, die sich Regisseur Oz Perkins, der älteste Sohn von Schauspiellegende Anthony Perkins (Psycho), da einfallen hat lassen. Auch wenn das ferne Gewitter am dämmrigen Abendhimmel Wetterleuchten verursacht – stets bleibt das Gefühl einer Ruhe vor dem Sturm konsistent. Perkins Welt gerät unter einen Glassturz, in eine windstille Szenerie aus abgestandener Luft und Unbehagen. Die ungesund gelben Lichtkegel billiger Taschenlampen durchdringen die Finsternis, der magere Schein alter Glühbirnen und halogenem, septischem Schwachlicht erhellen das Halbdunkel nur kaum, das besser als alles andere die Metaphysik dieses okkulten Dramas versinnbildlicht. Longlegs Bildsprache folgt einer aufgeräumten Ordnung, einer Hintergrund-Symmetrie, ein erlesenes Setting, die Figuren befinden sich zentral. Vieles lässt sich in diesem Kunstwerk analysieren – am schwierigsten zu handhaben ist da wohl das Herunterschrauben einer Erwartungshaltung, die sich aus den Erfahrungen im Genre speist. Longlegs entwickelt dabei einen eigenwilligen Takt, die Ruhe vor dem Sturm zeigt sich als der Sturm selbst.

Der mit bedächtig gesetzten Gewaltspitzen ausgestattete Horror findet einen neuen Zugang ins Okkulte und vermengte das Reale mit einer fantastischen Komponente, die sich nur so nebenbei ins Geschehen schleicht. Budenzauber und hohlen Schrecken sucht man in Longlegs vergebens. Diese Ermittlungsarbeit ist ein mephistophelisches, künstlerisch versonnenes wie versponnenes Erlebnis, die den Faust’schen „Pudels Kern“ neu interpretiert. Dass Oz Perkins dabei, wieder auf einer eigenen Ebene, garstige Kritik am Katholizismus und der blinden, bigotten Bibel-Frömmelei äußert, wird in dieser Review nur rein zufällig zuletzt erwähnt. Als Wurzel allen Übels liefert dieser schadhafte Eifer überhaupt erst das Fundament für ein verhängnisvolles Spiel.

Longlegs (2024)

Die wundersame Welt des Louis Wain

KATZEN FÜRS VOLK

7/10


louiswain© 2022 Studiocanal GmbH / Jaap Buitendijk


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2021

BUCH / REGIE: WILL SHARPE

CAST: BENEDICT CUMBERBATCH, CLAIRE FOY, ANDREA RISEBOROUGH, TOBY JONES, SHARON ROONEY, AIMEE LOU WOOD, HAYLEY SQUIRES, STACY MARTIN, PHOEBE NICHOLLS, TAIKA WAITITI, NICK CAVE U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Die Katzen tanzen ließ nicht erst Andrew Lloyd Webber mit seinem erfolgreichen Musical Cats. Da hat schon einer viele Dekaden früher seine Hausaufgaben gemacht, um den Stubentigern jenes Publikum zu gönnen, dass sie anscheinend verdient haben. Denn vor der Schaffenszeit von Louis Wain, einem britischen Zeichner des neunzehnten Jahrhunderts, waren die Samtpfoten allemal dazu da, die hauseigenen Gehöfte vor mäuseartigen Umtrieben zu bewahren.

Damals hieß es: Katzen! Wieso soll man Katzen als Haustiere halten? Hunde: ja. Hunde gingen und gehen immer. Aber Katzen? Die zeigen ja nicht mal im Geringsten Anflüge von devoter Treue. Sie tun das, was sie wollen und gucken halt süß, mit ihren großen runden Augen und den kleinen rosa Näschen, und je jünger sie sind, desto niedlicher scheinen sie. Heutzutage sind Katzenfotos und -videos die ungeschriebene Essenz des Social Media – ihr Tortenboden, wenn man so will. Katzen entstressen, befrieden und bringen soziale Differenzen auf den gleichen Nenner. Einfach, weil man sie zuhause hat und ihnen dabei zusieht, wie sie sich selbst genügen und auf erbarmungswürdige Art ihre Futtergeber um den Finger wickeln. Wie gesagt: Louis Wain hat das überhaupt erst initiiert. Durch ihn wird die Katze zur schrägen, vermenschlichten Figur, als Karikatur oder Comicstrip. Ob gestiefelt oder das Wollknäuel herumstoßend. Plötzlich wollten alle Katzen haben, Katzen sehen und Katzen – moiiii! – einfach niedlich finden.

Wer dieser Louis Wain eigentlich war, und warum er sich dazu hinreißen ließ, die kulleräugige Mimik der kleinen, miauenden Vierbeiner salonfähig zu machen, das zeigt nun im Kino eine Biographie, die viel probiert, Dinge auf unterschiedliche Weise sehen will und einen Benedict Cumberbatch in den Mittelpunkt stellt, der in seiner Eigentümlichkeit und Verschrobenheit Typen wie Newt Scamander aus dem Harry Potter-Universum als biedere Gesellen erscheinen lässt. Doch manchmal ist bei Cumberbatch Vorsicht geboten – er tendiert dazu, das Verhalten seiner Figuren vor allem dann zu überzeichnen, wenn dies längst nicht mehr notwendig scheint. Abgesehen davon weiß er jedoch ganz gut, ohne Marvel-Franchise zurechtzukommen. Charaktere gibt’s für ihn genug, das kann alles sein. Eben auch eine so traurige, verschrobene Gestalt wie Louis Wain, dem aufgrund all der Katzen und den dadurch erzeugten Glückshormonen eigentlich die Sonne aus dem Allerwertesten scheinen sollte. Tut es aber nicht. Schon allein deswegen, weil dieser – so wie fast jede Künstlerin oder Künstler in ihren oder seinen Biografien – mit der Liebe so sein Unglück hat. Bei Wain wars das Ableben seiner großen Liebe, die ihn aus dem Konzept geworfen und jene Veranlagung offenbaren wird, die in der Familie liegt: Schizophrenie.

So ein Leben zu bebildern, scheint ein Fass ohne Boden an Stilmitteln, Farbkästen und experimentierfreudigen Huldigungen an eine mannigfaltige Kunststil-Ära zwischen Bürgerlichem Realismus, Impressionismus und der frechen Form eines britischen Biedermeiers des viktorianischen Zeitalters. Regisseur Will Sharpe wechselt in seiner Bildsprache zwischen kitschigen Gemälden, Kaleidoskop und Guckloch. Überraschenderweise erinnern seine Settings an die enorme Detailverliebtheit eines Wes Anderson, was auch noch durch das 4:3 Bildformat unterstrichen wird. Sharpe gelingt ähnliches, nur bei Anderson sind diese Tableaus statisch, während Louis Wain sich darin weniger formelhaft zu bewegen weiß. In Die wundersame Welt des Louis Wain irrt ein zutiefst trauriger Don Quichote durch einen pittoresken Katzen- und Bilderwahn, durch Alptraumvisionen und enge, dunkel vertäfelte Zimmer, die den Zeichner von jenem Horizont abhalten, den dieser vielleicht gerne gesehen hätte. In diesem filmischen Kokon bleibt der Künstler, dessen Tierportraits später immer abstrakter werden, unentwirrbar hängen. Ihm zuzusehen, wie er die Chance verspielt, mit seinem künstlerischen Erfolg ein existenzielles Fundament zu setzen, entlockt Mitgefühl. Aber auch jede Menge Verständnis für flirrende Geister wie diesem, der in einer akkuraten Weltordnung nur Chaos erkennt.

Die wundersame Welt des Louis Wain