Was ist Liebe wert – Materialists (2025)

SO ROMANTISCH IST DER PARTNERHANDEL

6,5/10


© 2025 Sony Pictures


ORIGINALTITEL: MATERIALISTS

LAND / JAHR: USA 2025

REGIE / DREHBUCH: CELINE SONG

KAMERA: SHABIER KIRCHNER

CAST: DAKOTA JOHNSON, CHRIS EVANS, PEDRO PASCAL, ZOE WINTERS, SAWYER SPIELBERG, DASHA NEKRASOVA, MARIN IRELAND, LOUISA JACOBSON, EDDIE CAHILL U. A.

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Man möchte meinen, man fände sich bei Was ist Liebe wert in einer gediegenen, hipp-biederen Dramödie von Albert Brooks oder Nancy Meyers wieder, wo frisch verliebte Babyboomer und deren Nachkommen in Verstrickungen verwickelt sind, die fast ausschließlich für den Valentinstag geeignet sind – oder dem eigenen Jahrestag, oder passend sind fürs weihnachtliche Abhängen vor dem Fernseher, wenn die Liebe bereits durch den Magen ging. Leicht vergisst man bei diesem Film hier, inszeniert und geschrieben von Celine Song, den eigentlichen Titel: Materialists – Materialisten, Kapitalisten, sehnsüchtige Follower des guten, reichen, bürgerlichen Jetset-Lebens, die gerne Jetset-Partner hätten, die das eitle Selbst servicieren. Wenig überraschend geht es dabei weniger um die inneren Werte. Natürlich, die müssen schließlich auch stimmen, doch wenn man im viktorianischen Zeitalter dem Wissenschaftler Viktor Frankenstein begegnet wäre und gewusst hätte, er könne Menschen basteln, hätten einige den Mann oder die Frau ihrer Träume bestellt. Als wäre es ein Universalversand für Menschen, sitzen bedürftige Singles einer wie aus dem Ei gepellten, bildschönen Businessfrau namens Dakota Johnson gegenüber, die in gelerntem Kundenverständnis den Ansprüchen materialistischer einsamer Seelen lauscht, die sich einerseits weltgewandt und andererseits gar nichts von der Welt verstehen und auch nicht, worauf es ankommt. Es ist, als wäre der Wunschpartner die Farbe in einem Musterkatalog, als wäre Johnson die Spezialistin für Inneneinrichtung, als könnte man in der erwünschten Zweisamkeit jeden Zufall ausschließen, je genauer die Parameter gesetzt werden.

Celine Song, die vor zwei Jahren mit ihrem introvertierten, leise melodisch klingenden Sehnsuchtsdrama Past Lives für Aufsehen gesorgt und damit garantiert hat, dass man die Filmemacherin so schnell nicht wieder vergisst, weiß auch auf indirektem Wege die gesellschaftlichen Irrungen im Zeitalter künstlicher Intelligenz nachzuzitieren. Es scheint, als wäre es möglich, einen Partner mithilfe eines Prompts entstehen zu lassen. Makellos und akkurat, das Mindeste für die Liebe. Derlei Ansprüche hat eben auch Dakota Johnson, die als Lucy Mason den Spuren von Marylin Monroe und Lauren Bacall folgt und sich nur dann Männer angelt, wenn sie Millionäre sind. Da hat ihr Ex John (in erfrischend chaotischer, liebevoller Grunge-Manier: Chris Evans) längst das Nachsehen. Pedro Pascal, Liebkind Hollywoods und womöglich dank seines unkomplizierten Teamspirits gefühlt in jeder Produktion dabei, hat das nicht. Der ist stinkreich, charmant bis in die Zehennägel und fast schon zu glatt, um wirklich authentisch zu sein. Je länger man aber diesem adretten Gentlemen bei der stilvollen Anmache zusieht, umso mehr glaubt man selbst daran, dass dieser Harry Castillo so ist, wie er ist. Eine, wie man später herausfinden wird, durchkomponierte Fassade des Selbstbetrugs.

So, Dakota, wer soll nun dein Herzblatt sein?, tönt Susi es aus dem Off wie damals in Rudi Carrell’s Herzblatt-Show. Inmitten peripheren Erwachens so mancher Partnersuchenden, die feststellen, sich allzu sehr auf die Oberfläche verlassen zu haben, kurven Johnson und ihre beiden Männer in wortgewandten, aber allzu enstressten Gesprächen über Wert und Unmöglichkeit von Zweisamkeit an romantischen Plattitüden vorbei. Die Eloquenz, der geistreiche Exkurs zum Zeitgeist, den sich Celine Song von der Seele geschrieben zu haben scheint, heben die augenscheinlich formelhafte, urbane Lovestory aus dem Morast ausgetretener Klischees, um im Hier und Jetzt anzudocken. Mitunter auch dort, wo toxische Männlichkeit gut getarnt die Partnerlosen beschenkt, wo Selbstinszenierung und Rollenbilder ihr Fett wegbekommen, dabei aber gleichzeitig neu erfunden werden.

Songs Wege gehen letztlich allesamt Richtung Herz, das hat sich im Genrekino wie diesem seit Jahrzehnten nicht verändert. Den Willen, im Kino zu sehen, wie andere das Richtige tun, können Filmemacher nicht ignorieren, wohl aber die Art und Weise, wie man ihn erfüllt.

Was ist Liebe wert – Materialists (2025)

El Olivo – Der Olivenbaum

EINEN BAUM AUFSTELLEN

8/10

 

olivo

SPANIEN 2015
REGIE: ICÍAR BOLLAÍN
MIT ANNA CASTILLO, JAVIER GUTIÉRREZ, PEP AMBRÒS

 

Ein Jahrtausende alter Olivenbaum, dessen knorriger Stamm an ein schreiendes Gesicht erinnert. Der Ausverkauf beständiger Werte. Und ein alter Mann, der lange schon nicht mehr spricht. Selten hat das europäische Kino in den letzten Jahren so unmissverständliche Akzente gesetzt – in einer berührenden Allegorie über die Globalisierung Europas und den Verrat an der familiären Biografie. Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín, die schon 2010 über den Identitätsverlust der bolivianischen Urbevölkerung in dem beklemmenden Drama Und dann der Regen philosophiert hat, setzt nun alle Hebel ihrer Erzählkunst in ihrem eigenen Land in Bewegung – in Spanien. Ganz im Zentrum steht nicht nur das Objekt der Beständigkeit – der alte Baum – sondern ein junges Mädchen namens Alma. Sie ist die Enkelin des schweigenden alten Mannes, eines ehemaligen Olivenbauern. Beide haben eine innige Bindung zu diesem Baum. Zwei Generationen, Vergangenheit und Zukunft. Die Gegenwart aber, das Hier und Jetzt, sieht in der bizarren Olive lediglich verschenktes, monetäres Potenzial. Der Baum wird verkauft, zum Leidwesen des Vaters, und zum Leidwesen der Tochter. Und wofür? Für ein Restaurant am Strand, das kurze Zeit später bankrottgeht. Manipuliert, ungefragt und hintergangen, kennt der alte Mann seine Familie fortan nicht mehr – mit Ausnahme der rebellischen Alma. Sie ist es auch, die alles daransetzt, den Baum zurückzuholen – der jetzt in der Aula eines Energiekonzerns, inmitten von Glas und Stahl seine kleinen Blätter künstlichem Licht entgegenstreckt. Alma ist im Herzen eine Aktivistin. Das Wohlergehen ihres Großvaters setzt sie über allem. Und wenn es sein muss, werden selbst die besten Freunde mit Halblügen dazu motiviert, die Seele ihrer Kindheit, ihres Lebensmenschen und ihrer ureigenen Welt zurückzuholen.

El Olivo ist ein wunderbarer, charmant erzählter und energischer Appell, sich selbst, seiner Geschichte und seinen Werten treu zu bleiben. Dabei geht es weniger um traditionelle, nationale Werte. So könnte man den Film natürlich auch sehen – als ein Blut und Boden-Gleichnis mit dem Aufruf dazu, nationale Identität zu bewahren und bei Verlust notfalls darum zu kämpfen. Aber ich denke, dieses Nationalbewusstsein ist nicht Basis der Rebellion, die hier beschrieben wird. Es ist der Wert der eigenen Geschichte, der Quell der eigenen Kraft und des eigenen Lebens. Dass die Macht europäischer Konzerne die Bedürfnisse des Einzelnen mit Füßen tritt und dort verlockt, wo das Geld knapp ist, ist das eine Drama des Films. Das andere ist die Bedeutung der Familie. Und zuletzt die Bedeutung natürlicher Ressourcen. Dass gerade einer dieser gesichtslosen Energieriesen diesen alten Baum in sein künstlich geschaffenes Territorium holt, um nachhaltiges Denken zu signalisieren, ist ein trauriger Widerspruch in sich. Doch die Kraft, die ungebrochene Energie und die Beharrlichkeit der jungen Idealistin Alma lassen den Zuseher bis zuletzt hoffen, dass die Sache gut ausgeht.

El Olivo ist kein Märchen, und verspricht auch nicht das Unmögliche. Doch es ist eine Geschichte, die in ihrer Essenz an die metaphorischen Dramen eines Anton Tschechow erinnern. Die in ihrer warmherzigen Offenheit zumindest für kurze Zeit in einem selbst alles möglich erscheinen lässt. Auch die Erfüllung zum Guten, und die Wiederherstellung einer Ordnung, die auf Menschlichkeit setzt.

El Olivo – Der Olivenbaum