Mad God (2021)

DES HANDWERKERS INFERNO

9/10


madgod© 2021 Tippett Sudios Inc.


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE / DREHBUCH / PRODUKTION: PHIL TIPPETT

MUSIK: DAN WOOL

LIVE ACT CAST: ALEX COX, NIKETA ROMAN, SATISH RATAKONDA, HARPER & BRYNN TAYLOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Hier bracht es keinen Ring, um sie zu knechten, um sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Es reicht ein über Leichen gehender Fortschritt, die gnadenlose Industrialisierung und technologische Übermannung arg- und ahnungsloser Seelen, die manipuliert und gehirngewaschen werden für die Gier der Wenigen. In dieser ungebändigten Geister- und Grottenbahnfahrt in die Tiefe des Menschenverstands ist ein sogenannter Sauron – wenn wir schon bei Tolkien bleiben wollen – die Summe vieler Teile, eine intrinsisch entstandene, gestaltlose Aura, die als Deus ex Machina eine Maschinenwelt antreibt, die die Gekechteten vor sich hertreibt. Es wird düster, in Phil Tippetts Opus Magnum, an dem er rund 30 Jahre lang, natürlich mit Pausen, gearbeitet hat. Immer wieder kamen andere Projekte dazwischen, darunter auch Steven Spielbergs Jurassic Park. Doch vor 30 Jahren, da waren die goldenen Jahre für den Gott der Stop-Motion schon vorbei. Vor 30 Jahren, da kam eben genannter Dino-Blockbuster ins Kino und läutete das Zeitalter der computeranimierten Special Effects ein – die größte Niederlage für einen Analogkünstler wie Tippett, einem akribischen und von seiner Leidenschaft fürs Kreative besessenen Meisterklassler, der seine liebevoll geformten Dinosauriermodelle nun anderswo aufstellen durfte, nur nicht vor der Kamera. Phil Tippett – er ist schließlich ein Begriff für all jene, die mit der Originaltrilogie von Star Wars groß geworden sind. Für all jene, die niemals vergessen können, wie es sich angefühlt hat, als Luke Skywalker auf seinem Tauntaun über die Eiswüste von Hoth galoppiert war, die vierbeinigen AT-ATs angegriffen haben oder das Rancor-Monster in Jabbas Grube zum Angriff überging. Tippett und das Team von Industrial Light & Magic waren es auch, welche die Effekte für Polstergeist oder Ghostbusters kreierten – im Grunde so gut wie alles, was damals an Phantastischem auf die Leinwand kommen sollte. Bis heute hat Tippett die Freude am Reiz der Stop-Motion nicht verloren. Aus Liebe zu seiner Arbeit, als devotes Geständnis und hingebungsvolle Verbeugung vor dem, was ohne CGI alles möglich ist; aus Liebe zu allem Monströsen in unseren Köpfen entstand das hier: Mad God – ein elektrisierendes Unikum, ein bizarres Denkmal, ein so wunderschönes wie erschreckendes filmisches Evangelium über den Albtraum der Neuzeit.

Es reicht nicht, Mad God einfach nur zu sehen und dabei vielleicht völlig unsinnigerweise darauf zu achten, Distanz zu wahren. Mad God muss man erfahren, man muss sich ihm hingeben und vor allen Dingen: sich darauf einlassen, ohne groß mitzudenken oder während des Erfahrens herausfinden zu wollen, was uns diese finstere Oper eigentlich sagen will. Dass es etwas zu vermitteln gibt, scheint immer wieder mal klar, doch dann auch wieder nicht. Dann stößt uns Tippett noch viel tiefer in Dantes technologisierte Hölle, es geht nach unten, immer nur nach unten.

Einer, der sich The Assassin nennt – ein Krieger mit Atemmaske, Stahlhelm und einem Koffer – steckt in einer Kapsel, die an den Schichten der Erdzeitalter vorbeikommt, durch eine riesige Kaverne aus allen möglichen, von Menschen erdachten Gottheiten, an gequälten und quälenden Ungeheuern und eigentümlichen Wesen, die, in ihrem Tun gefangen, ihre Ausweglosigkeit grunzend, schreiend oder in unverständlichem Gebrabbel in die Düsternis zetern. Dieser Krieger hat eine Mission. Doch er beobachtet erstmal nur, wartet auf den richtigen Zeitpunkt. Kann vielleicht selbst nicht fassen, was er sieht oder sehen muss. Gigantische Kreaturen unter Strom gebären die Masse, aus der wie von Prometheus aus Lehm geformte Humanoide entstehen, die als schuftende Sklaven meist mit grausamen Toden bestraft werden oder Unfällen zum Opfer fallen, wenn kubrick’sche Monolithen in Kopfhöhe dahinrasen.

Leicht könnte man sich einen von Pink Floyd ersonnenen Score dazu vorstellen, eingestreut deren Klassiker We don’t need no Education. Symbolsprache und Zitate aus Klassikern fantastischer Literatur häufen sich. Später erinnert so manches ans abgründig Surreale eines Michael Ende (Der Spiegel im Siegel), wenn ein entstellter Zwerg das kreischende Monsterbaby aus David Lynch’s Eraserhead entgegennimmt, um dieses seiner Bestimmung zuzuführen. Nebenher prügeln sich zwei Oger und vernachlässigen dabei ihre Arbeit, denn sie müssen schaufeln, schuften, arbeiten, werden mit Elektroschocks gequält, um dann wieder aufeinander einzudreschen, weil Triebe immer noch stärker sind als der Gehorsam. Michael Ende hätte diese surreale Welt wohl gemocht, er hätte sich und seine Kreaturen darin wiedergefunden. Doch auch das ist nicht alles. Mad God bricht all die verrückten Götter, die der Mensch seit dem Holozän errichtet hat, auf eine entfesselte Phantasmagorie herunter, ausgestattet mit enormem Detailreichtum und einer Soundkulisse, die den Wahnsinn aus unzähligen Miniaturen und Modellen so richtig zum Leben erweckt. Sogar Live-Act als ergänzendes Tool findet in diesem Experimentalfilm seine Notwendigkeit, wenn ein klauenbewährter Magier, erinnernd an Terry Gilliams Visionen, seine Krieger ausschickt, um den Kreislauf der immerwährenden Knechtschaft zu durchbrechen.

Mal ist Mad God psychedelischer Experimentalfilm, mal blutrünstiger Horror aus der Puppenstube, dann wieder Steampunk mit Schlachtenszenarien aus dem ersten Weltkrieg, Schläuchen und Sekreten, Flüssigkeiten und organischem, undefinierbaren Leben, das sich irgendwo und irgendwie räkelt, dabei aus vielerlei Augen beobachtet wird, als Symbole des Erkennens und Wahrnehmens prekärer Umstände. Dann ist Mad God wieder wunderschön und berauschend, und ganz plötzlich nachdenklich, philosophisch, an Terrence Malicks Tree of Life und seinen Darstellungen von den Anfängen des Lebens erinnernd. Tippett taucht dann ein ins Universum, distanziert sich von dem Wahnsinn aus Monstern, Mutanten und grimmigen Gutenachtgeschichten mit Trauma-Garantie. Mad God erklärt mehr, als man vermuten würde. Krallt sich den auseinanderdriftenden roten Faden eines Fiebertraums und biegt ihn, nicht mit Gewalt, aber mit dem Willen, seine Komposition einer Conclusio zuzuführen, zu einer Endfrage über Leben und Sterben, über Anfang, Ende und Bestimmung zusammen.

Phil Tippetts dreißig Jahre Arbeit haben sich ausgezahlt. Sowas entsteht, wenn man machen kann, was man will. Dieses Werk ist ein Erlebnis, ein wilder Ritt für die Mutigen, für alle Freunde des Phantastischen, die überrascht und überwältigt werden wollen. Die Stop-Motion lieben und neben Aardman, Laika und dem tschechischen Trickfilm-Virtuosen Jan Svankmajer (u. a. Little Otik) noch einen anderen Weg out of the box finden wollen. Dieser führt eben durch die Finsternis, womöglich aber ans Licht.

Mad God (2021)

Zeit der Kannibalen (2014)

GEFANGEN IN DAGOBERTS GELDSPEICHER

4/10


zeitderkannibalen© 2014 Farbfilm


LAND / JAHR: DEUTSCHLAND 2014

REGIE: JOHANNES NABER

BUCH: STEFAN WEIGL

CAST: SEBASTIAN BLOMBERG, KATHARINA SCHÜTTLER, DEVID STRIESOW U. A.

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Johannes Nabers sarkastisches Stück deutscher Fremdschäm-Politik konnte mich vor zwei Jahren so ziemlich begeistern: Curveball – Wir machen die Wahrheit. Aufgespielt haben der sensationelle Sebastian Blomberg als einer, der nicht weiß, wie ihm geschieht, weiters Michael Wittenborn und Thorsten Merten. Alle drei wie für Satire gemacht, noch dazu vor dem erschütternden Hintergrund einer Realgroteske, die den Lauf der Geschichte nachhaltig verändert hat. Ich sage nur: Biowaffen im Irak. Und warum die USA letztendlich Saddam Hussein gestürzt und das Land in irreparables Chaos versinken ließ. Von so einer Brisanz ist Nabers zweiter Spielfilm, Zeit der Kannibalen, leider weit entfernt. Doch nichts für ungut, das ist nur meine Meinung, denn wenn man sich so umhört in den Nachrichtenarchiven rund um Kino und Kunst, so kommt Zeit der Kannibalen ziemlich gut weg – als ein auf den Punkt gebrachtes Kammerspiel zu Gier und Moral, Kapitalismus und Ausbeutung.

Der Inhalt liest sich zugegebenermaßen tatsächlich so, als wäre ein spannender Zermürbungskrieg zu erwarten, der die drei global agierenden Investment-Junkies Devid Striesow, Katharina Schüttler und natürlich wieder Sebastian Blomberg gegeneinander so lange aufhetzt, bis sie sich entsprechend zerfleischen. Schadenfreude garantiert, denn bei so viel kapitalistischer Arroganz macht es Spaß, die Verantwortlichen für die klaffende Arm-und-Reich-Schere sich selbst den Garaus machen zu sehen. Vielleicht aber hätte man nicht erwartet, dass Zeit der Kannibalen unbedingt so abstrakt sein will wie das Bühnenstück eines sich selbst überschätzenden Theatermachers. Naber bettet seine zynische Dialogkomödie nicht in eine Realität wie später bei Curveball, sondern lässt seine Protagonisten in generischen Hotelzimmern ihrer Arbeit nachgehen, während draußen vor den Fenstern eine aus Würfeln errichtete Skyline ebenso generischer Dritte-Welt-Städte das Gefühl von Internationalität vermittelt. Wenn schon die Kulisse der Hotels als wohlige Blase für Gier und Missgunst anmutet, ist die künstliche Außenwelt eine zweite, die das ganze Geschehen von der Wahrhaftigkeit abschirmt. Mag sein, dass diese Reduktion den Fokus viel mehr auf das Erstarken und Fallen einer geldmachenden Welt reduziert – die Rechnung geht dennoch nicht auf.

Dabei ließe sich allerhand aus diesen Spinnereien, die in diversen Kämmerleins gesponnen werden, abschöpfen. Der Plot ist nämlich dieser: Striesow und Blomberg geben zwei Wirtschaftsvertreter einer ominösen Company, die für alle Konzerne dieser Welt stehen kann – ins Detail geht Naber dabei nie. Diese erfahren, dass sie statt ihres dritten Kollegen Hillinger, der, wie sich später herausstellen wird, Suizid begangen hat, eine aufstrebende Quereinsteigerin namens Bianca zugeteilt bekommen. Während sie von einem zu schröpfenden Staat in den nächsten reisen, entsteht so das satirische Bild eines Trio Infernal, das sich gegenseitig aufhetzt, erniedrigt oder belehrt. Währenddessen allerdings scheint die Company, für die sie arbeiten, seltsame Entwicklungen zu durchleben, die nicht gerade sinnbildlich sein sollen für das goldene Zeitalter des Kapitalismus.

Naber hätte eher beim Sezieren realer Ereignisse bleiben sollen, anstatt den Zynismus gefühlskalter Globalisierungssöldner in ein ebenso zynisches Lehrstück zu packen. Dabei bringen die verbalen Duelle keine der Figuren weiter, sie sind in ihren Ansichten genauso gefangen wie wir als Zuseher in diesen unleidigen sterilen Räumlichkeiten. Zeit der Kannibalen bleibt viel zu künstlich, kaltschnäuzig und unnahbar. Als die kleine Chronik eines selbstgemachten Untergangs vermag lediglich die am Ende hereinbrechende Anarchie eines Krieges ein bisschen Menschlichkeit in Form von Panik aus den zweidimensionalen Figuren herauszukitzeln.

Zeit der Kannibalen (2014)

El Olivo – Der Olivenbaum

EINEN BAUM AUFSTELLEN

8/10

 

olivo

SPANIEN 2015
REGIE: ICÍAR BOLLAÍN
MIT ANNA CASTILLO, JAVIER GUTIÉRREZ, PEP AMBRÒS

 

Ein Jahrtausende alter Olivenbaum, dessen knorriger Stamm an ein schreiendes Gesicht erinnert. Der Ausverkauf beständiger Werte. Und ein alter Mann, der lange schon nicht mehr spricht. Selten hat das europäische Kino in den letzten Jahren so unmissverständliche Akzente gesetzt – in einer berührenden Allegorie über die Globalisierung Europas und den Verrat an der familiären Biografie. Die spanische Regisseurin Icíar Bollaín, die schon 2010 über den Identitätsverlust der bolivianischen Urbevölkerung in dem beklemmenden Drama Und dann der Regen philosophiert hat, setzt nun alle Hebel ihrer Erzählkunst in ihrem eigenen Land in Bewegung – in Spanien. Ganz im Zentrum steht nicht nur das Objekt der Beständigkeit – der alte Baum – sondern ein junges Mädchen namens Alma. Sie ist die Enkelin des schweigenden alten Mannes, eines ehemaligen Olivenbauern. Beide haben eine innige Bindung zu diesem Baum. Zwei Generationen, Vergangenheit und Zukunft. Die Gegenwart aber, das Hier und Jetzt, sieht in der bizarren Olive lediglich verschenktes, monetäres Potenzial. Der Baum wird verkauft, zum Leidwesen des Vaters, und zum Leidwesen der Tochter. Und wofür? Für ein Restaurant am Strand, das kurze Zeit später bankrottgeht. Manipuliert, ungefragt und hintergangen, kennt der alte Mann seine Familie fortan nicht mehr – mit Ausnahme der rebellischen Alma. Sie ist es auch, die alles daransetzt, den Baum zurückzuholen – der jetzt in der Aula eines Energiekonzerns, inmitten von Glas und Stahl seine kleinen Blätter künstlichem Licht entgegenstreckt. Alma ist im Herzen eine Aktivistin. Das Wohlergehen ihres Großvaters setzt sie über allem. Und wenn es sein muss, werden selbst die besten Freunde mit Halblügen dazu motiviert, die Seele ihrer Kindheit, ihres Lebensmenschen und ihrer ureigenen Welt zurückzuholen.

El Olivo ist ein wunderbarer, charmant erzählter und energischer Appell, sich selbst, seiner Geschichte und seinen Werten treu zu bleiben. Dabei geht es weniger um traditionelle, nationale Werte. So könnte man den Film natürlich auch sehen – als ein Blut und Boden-Gleichnis mit dem Aufruf dazu, nationale Identität zu bewahren und bei Verlust notfalls darum zu kämpfen. Aber ich denke, dieses Nationalbewusstsein ist nicht Basis der Rebellion, die hier beschrieben wird. Es ist der Wert der eigenen Geschichte, der Quell der eigenen Kraft und des eigenen Lebens. Dass die Macht europäischer Konzerne die Bedürfnisse des Einzelnen mit Füßen tritt und dort verlockt, wo das Geld knapp ist, ist das eine Drama des Films. Das andere ist die Bedeutung der Familie. Und zuletzt die Bedeutung natürlicher Ressourcen. Dass gerade einer dieser gesichtslosen Energieriesen diesen alten Baum in sein künstlich geschaffenes Territorium holt, um nachhaltiges Denken zu signalisieren, ist ein trauriger Widerspruch in sich. Doch die Kraft, die ungebrochene Energie und die Beharrlichkeit der jungen Idealistin Alma lassen den Zuseher bis zuletzt hoffen, dass die Sache gut ausgeht.

El Olivo ist kein Märchen, und verspricht auch nicht das Unmögliche. Doch es ist eine Geschichte, die in ihrer Essenz an die metaphorischen Dramen eines Anton Tschechow erinnern. Die in ihrer warmherzigen Offenheit zumindest für kurze Zeit in einem selbst alles möglich erscheinen lässt. Auch die Erfüllung zum Guten, und die Wiederherstellung einer Ordnung, die auf Menschlichkeit setzt.

El Olivo – Der Olivenbaum

Alles unter Kontrolle

WERNER IN THE MIDDLE

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AllesunterKontrolle

Ihr werdet lachen, oder vielleicht gar mit den Augen rollen, aber tatsächlich habe ich Werner Boothe vor einiger Zeit beobachten können – ohne dass er irgendetwas davon wahrgenommen hätte. Es war im dritten Wiener Gemeindebezirk, Ecke Ungargasse, Neulinggasse. Wahrscheinlich war er gerade aus nahegelegenem BILLA gekommen, oder einfach nur unterwegs gewesen zu einem Termin. Aber da hört mein Wissen auch schon wieder auf. Mit den Überwachungsapparaten der Supermächte kann ich leider gar nicht mithalten. Vielmehr bin auch ich Opfer davon – wie und in welchem Ausmaß, kann ich nicht sagen. Doch solange ich es nicht weiß, macht es mich ehrlich gesagt nicht heiß – denn ändern kann ich daran sowieso nichts. Und die Zeit, die ich dafür aufwenden müsste, um unentdeckt zu bleiben, habe ich beim besten Willen nicht.

Auch ein Mann der Öffentlichkeit wie Werner Boote wird daran nichts ändern – nur die Dinge hinterfragen und den Spuren nachgehen, die zu Big Brother führen. Das ist sehr informativ, neigt aber auch zur abendfüllenden Selbstdarstellung. Ähnlich wie Michael Moore oder Hanno Settele im Österreichischen Rundfunk ist sein erklärendes und interviewendes Konterfei omnipräsent. Im Gegensatz zu Dokumentarfilmern, die alles andere, nur nicht sich selbst, in den Mittelpunkt stellen. Da wäre Nikolaus Geyrhalter, der Spezialist für No Comment-Collagen. Aber auch der leider erst kürzlich verstorbene Michael Glawogger oder Darwins Nightmare-Macher Hubert Sauper. Alle drei sind und waren Aufklärer der Vernunft und des guten Gewissens. Stille Beobachter, Bilderpoeten und unbequeme Erforscher. Was aber nicht heißen soll, das Dokumentarfilmer wie Werner Boote nicht auch zu den wissensdurstigen Aufklärern gehören – nur ihre Art, Fragen beantwortet haben zu wollen, ist weitaus publikumsnäher und gefälliger. Auch eine Methode, keine Frage. Und sogar eine gern gesehene. Werner Boote ist einfach sympathisch, ein Entertainer und Vortragender. Einer, den man ohne Weiteres wochenlang an ausverkauften Abenden im Audimax antrifft. Das würden Sauper, Geyrhalter und Co eigentlich nie tun. Maximal eine Podiumsdiskussion nach der Premiere, denn nicht jeder ist zur Rampensau geeignet. Boote hingegen schon. Und er hat Charme, den er einzusetzen weiß, im Gegensatz zu Michael Moore, der meist mit der Tür ins Haus fällt und erfolgreich so tut, als würde er anderen zuhören. Das ist die Gefahr beim Doku-Entertainment – dass es letzten Endes um den Dokumentierenden geht, mit all seinen Ansichten. Und weniger um die Sache selbst.

Klar, auch Filmjournalisten sollen eine Meinung haben, und diese auch vertreten. Aber die Kunst des sachlichen Filmes liegt darin, das Ergebnis nicht vorzufertigen, sondern für den interessierten Zuseher unbewertet zu lassen. Offen, interpretier- und auswertbar. Gerade das macht Dokus spannend. Und ja, das gelingt auch Alles unter Kontrolle, Bootes dritter filmischer Expedition in den menschlichen Kosmos. Mit Spaß an investigativem Nachwassern und verfolgt von der eigenen Kamera trifft der graumelierte Intellektuelle auf Personen unterschiedlichster Art, spricht mit Opfern und versuchsweise mit „Tätern“. Mit IT-Experten und dem Wachpersonal vor der NSA-Zentrale. Zwischendurch setzt der Film auf augenzwinkernde Showelemente und einem Siri-ähnlichen Dialogpartner aus dem Off. Alles zusammen entschärft die Klaustrophobie des Themas und malt zum Glück den Teufel nicht an die Wand, sondern gefällt mit populärwissenschaftlichem Aufklärungsjournalismus, der den Horizont erweitert und Aufschluss gibt, ohne anstrengen zu müssen. Boote ist der ideale Dokufilmer, der das Zeug dazu hat, den Mainstream dazu animieren, ins Kino zu gehen – auch wenn daheim dok.1 oder Universum läuft.

Alles unter Kontrolle ist wiedermal ein Film, der zeigt, dass das Genre der bewegten Sachkunde längst nicht trocken sein muss, um die Zustände auf unserem Planeten besser zu veranschaulichen. Zwar nicht künstlerisch hochwertig und was weiß ich wie innovativ, aber mindestens so unterhaltsam wie ein ausverkaufter kabarettistischer Vortrag an der Uni, allerdings mit fachlichen Untertönen.

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Alles unter Kontrolle

Ein Hologramm für den König

IN DIE WÜSTE GESCHICKT

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hologramm

Deal geplatzt, Firma insolvent, und die Globalisierung schlägt unbarmherzig zu. Darüber hinaus ist die Ehe im Eimer und die einzige Tochter Spielball des Streits zwischen Mama und Papa. Zusammenfassend liegt die Welt des gescheiterten Handelsreisenden Alan Clay ziemlich im Argen, als er losgeschickt wird, um in der Wüste Saudi-Arabiens König Abdullah ein holografisches Telefonkonferenzsystem zu verkaufen. Nur – dieser König lässt sich bitten, über Tage, wenn sogar über Wochen. Es ist ein ewiges, die Geduld strapazierendes Warten in der Wüste, zwischen Altertum und Fortschritt, zwischen Islam und westlichen Werten, zwischen kühler Glasarchitektur und windverwehten Zelten. Und wenn der Handlungsreisende Clay jeden Abend im Hotel Sand aus seinen Schuhen lehrt, scheint ihn die Vergänglichkeit seines Lebens mehr als deutlich bewusst zu werden.

Diese endlose, leere, dialoglose Wüste ist der ideale Ort, um den gescheiterten Ist-Zustand des Lebens nochmal zu durchdenken. Und aus neuer Perspektive wahrzunehmen. Sinnbild für diesen Status Quo ist ein Geschwür am Rücken von Clay, das ihn hinunterzuziehen scheint und unbeweglich werden lässt. Und der König kommt nicht. Auch die Vertretung lässt sich entschuldigen. Doch was während einer Zeit des Stagnierens und des Stillstands passieren kann, davon kann man sich in Tom Tykwers neuem Film überraschen lassen. Für die Verfilmung des Romans von Dave Eggers hat Tykwer niemand geringeren verpflichten können als den sympathischen Tom Hanks, der selten in solch kleineren Produktionen zu sehen ist und gerade in solchen Filmen sein wahres Potenzial entfalten kann. Sein Handlungsreisender ist eine tragikomische Figur, ein Stehaufmännchen, das mit verzweifeltem Pragmatismus gegen die Windmühlen des wirtschaftlichen Wettbewerbs kämpft und gleichzeitig die Flucht nach vorne sucht. Ein unkaputtbarer Neuzeitmensch, der seinen Werten treu zu folgen versucht und um Anpassung ringt in einer schnelllebigen, übervorteilenden Menschenwelt. Tom Tykwers eigenwillige Erzählweise trifft in diesem feinen, filmischen Kosmos ins Schwarze. Das tragikomische Gesellschaftsmärchen kann gar nicht anders erzählt werden außer in dieser gelungenen Komposition aus assoziativen Traumbildern und amerikanischem Theater im Stile Arthur Millers. Nur hat Dave Eggers Geschichte viel mehr Zuversicht, die man angesichts der trostlosen Ausgangssituation nicht für möglich gehalten hätte.

Ein Hologramm für den König ist bei weitem kein Mainstream, es ist erbauliches, symbolistisches Kunstfilmkino ohne Bedeutungsschwere und Kopflastigkeit. Es ist das kleine Kunststück einer Ich-Odyssee und eine sympathische Hommage auf das gesunde Selbstbewusstsein. Hanks war in letzter Zeit selten besser, ja, er durchbricht tatsächlich die Routine seines gewohnten Rollenprofils und begegnet ohne sichtlicher Mühsal seinen internationalen Schauspielpartnern auf Augenhöhe. Ein sehenswertes Filmkonstrukt, dass sich erst in seiner Gesamtheit als besonderer Kinogenuss zu erkennen gibt.

 

Ein Hologramm für den König