Dinner für Acht (2022)

ACHTUNG, FEIND HÖRT MIT!

6,5/10


dinnerfueracht© 2022 Amazing Austria Entertainment


LAND / JAHR: ÖSTERREICH 2022

REGIE: BERNHARD RATKA

BUCH: RUTH C. KOPINITSCH

CAST: KATHARINA SCHEUBA, SAMUEL TEHRANI, YLVA MAJ, ANGELO KONZETT, NINA HAFNER, PATRICK LAUB, IGOR KARBUS, TONY MATZL U. A.

LÄNGE: 1 STD 32 MIN


Eine Gruppe Young Adults, die einander kennen und von externen Aggressoren aufgemischt werden – kennen wir. Eine Gruppe Young Adults, die einander kennen und sich selbst aufmischen – das ist fast noch interessanter. Letztes Jahr lief der hochsommerfrische Nobel-Villa-Slasher Bodies Bodies Bodies in unseren Kinos. Besagte Truppe aus attraktiven jungen Frauen und nicht weniger attraktiven jungen Männern feiern eine Poolparty. Je länger der Abend, desto repetitiv die Gestaltung desselbigen. Bei diesem amerikanischen Film hier wählt man zum Ausgleich das titelgebende Gesellschaftsspiel – es gilt herauszufinden, wer der Mörder ist. Klarerweise endet das in einer unglücklichen Verkettung von ungesunden Missverständnissen. Und hebt am Schluss noch ganz keck den moralischen Zeigfinger.

In der österreichischen Version besagten Sommerabends unter Freunden ist ein Gesellschaftsspiel wie dieses vielleicht ein bisschen unterfordernd. In Zeiten devoter KIs, Permanentortung anderer und geschmissenen Haushalten durch verknüpfte Elektronik fällt diesen intellektuellen Kindsköpfen etwas ganz anderes ein, um sich die Zeit zu vertreiben: Sie schalten ihre Handys ein. Nichts neues, könnte man meinen. Wird’s fad, hilft ein Check der Social Media Apps. Doch diese Zerstreuung ist im noblen Zuhause von Sophie und Arian allerdings nicht gemeint. Hier geht die Idee viel tiefer, und zwar noch viel tiefer, als sie bereits ging, als Elyas M’barek, Karoline Herfurth und Florian David Fitz ihre aus dem Smartphone erhaltenen Message-Geheimnisse an die große Glocke hängen mussten. Auch schön grimmig, fast so wie Flaschendrehen. An diesem Dinner made in Austria geht es aber weder um private Geheimnisse noch um Beziehungsstati, sondern um die totale Überwachung: Was also, wenn alle so tun, als plane man einen Terroranschlag – würde jemand mithören? Und wenn ja – würden Antiterroreinheiten bald das Grundstück stürmen? Spannend, das Ganze. Also werden verborgene schauspielerische Talente aus dem Nähkästchen geholt, jeder wettert für sich und so, dass es alle hören können, gegen das korrupte System. Während alle in ihrem Eifer das Experiment des Abends wagen, taucht ein ungebetener, aber nicht unbekannter Gast auf. Seis drum, je später der Abend, desto schöner die Gäste. Dieses Sprichwort muss allerdings erst noch auf Herz und Nieren überprüft werden.

Wer genau mitgezählt hat, wird über die Zahl 7 der anwesenden Gäste nicht hinauskommen. Was hat es also mit den Acht auf sich? Dieser wunderliche Umstand ist nur ein weiterer unter ein paar anderen Rätseln, die in dieser Nacht gelöst werden wollen. Werbefilmer Bernhard Ratka würdigt in seinem ersten Kinofilm die Grundmechanismen des Slasher-Subgenres, ohne dessen Versatzstücke aber weiterzuführen. Der Thriller-Aspekt hängt wie ein Damoklesschwert über alle hier Anwesenden. Das Unbequeme lauert an allen Ecken, der externe Aggressor mag kommen, alle sind bereit. Doch diese Erwartungen erfüllt Ratka nicht. Ein Fehler? Eher ein kluger Schachzug. Statt auf Volldampf das Spannungskino zu zelebrieren, vergnügt sich Dinner für Acht lieber noch ein paar Einstellungen länger, während eines feuchtfröhlichen Tanzabends, bis vielleicht gar die Exekutive auf der Matte steht. Das Risiko ihres Spiels, die potenzielle Straftat für ein mediales Experiment pfeffert den Abend. Die Spannung, bevor sie sich entlädt, das Warten darauf, das etwas geschieht, hält die Gesellschaft alleine schon auf Trab.

Man könnte meinen, dass Dinner für Acht demnach vielleicht zu wenig bietet, und sich auch zu lange ziert, um als kammerspielartiger Thriller durchzugehen. Bodies Bodies Bodies war da schon viel eher am Eingemachten dran. Der Rückzug aber vor dem Plakativen ist eine nette Abwechslung, dank des glücklich gecasteten Ensembles rund um die einnehmende Katharina Scheuba (bitte mehr von ihr!) geht die Rechnung auch auf, wobei die Mystery-Komponente dann doch noch – und fast schon pflichtschuldig – zum Einsatz kommt.

Dinner für Acht (2022)

Der schlimmste Mensch der Welt

DAS LEBEN IM KONJUNKTIV

7/10


schlimmstemenschderwelt© 2022 Filmladen Filmverleih


LAND / JAHR: NORWEGEN, FRANKREICH, SCHWEDEN, DÄNEMARK 2021

REGIE: JOACHIM TRIER

BUCH: JOACHIM TRIER, ESKIL VOGT

CAST: RENATE REINSVE, ANDERS DANIELSEN LIE, HERBERT NORDRUM, MARIA GRAZIA DIE MEO, HANS OLAV BRENNER U. A. 

LÄNGE: 2 STD 8 MIN


Kennt ihr den Begriff Hättiwari? Ist natürlich was typisch Österreichisches. Ein Wort, dass sich zusammensetzt aus „Hätte ich“ und „Wäre ich“. Ein Hättiwari ist jemand, der sichtlich Schwierigkeiten damit hat, sich für die eine oder andere Sache zu entscheiden und entweder gar nichts tut oder das, was er tut, ganz plötzlich abbricht. Auf diese Art kommt man im Leben kaum vorwärts, denn entschließt man sich mal für eines, bleibt das andere auf der Strecke. Was aber, wenn das andere besser gewesen wäre als das eine? So stehen diese Menschen vor geöffneten Türen, die alle recht einladend wirken, die sich jedoch, sobald eine Schwelle übertreten wird, für immer schließen. So ein Mensch ist auch das Fräulein Julie – eine gerade mal 30 Lenze zählende junge Frau, die verschiedene Dinge bereits ausprobiert hat – vom Medizinstudium über Psychologie bis hin zur Fotografie und dazwischen ein bisschen bloggen. Julie steht oft neben sich, crasht mitunter sogar Partys, zu denen sie gar nicht eingeladen wurde und liebt einen Comiczeichner, der es mit der Sprunghaftigkeit seiner Partnerin allerdings gut aushält. Der viel weiß und gerne erklärt. Der irgendwann aber auch nicht mehr tun kann, als zuzusehen, wie Julie den Entschluss fasst, auch in Sachen Beziehung die Schwelle zu wechseln. Kann ja sein, dass Frau etwas versäumt.

Wenn Cannes Preisträgerin Renate Reinsve (Beste Darstellerin 2021) als Julie nach dem Einwerfen von Magic Mushrooms den Boden unter den Füssen verliert, sagt das sehr viel über ihr Leben aus. Warum, fragt sich Joachim Trier, und nimmt seine charmant und gewinnend lächelnde Protagonistin unter die Lupe. Dabei hat seine Julie, anders als Thelma in seinem gleichnamigen, etwas anderen Coming of Age- Mysterydrama, keinerlei anomalen Fähigkeiten, stattdessen aber viele Eigenschaften, die sie fahrig und unentschlossen machen. Eine Figur, wie sie zum Beispiel Greta Gerwig gerne verkörpert hat – als herzensgut, freundlich, unaufdringlich intellektuell und ordentlich verpeilt. Und nicht nur Renate Reinsve erinnert an die US-amerikanische Schauspielerin, die nunmehr lieber Regie führt: Der schlimmste Mensch der Welt entscheidet sich für einen Stil, der sehr an Noah Baumbach erinnert. Es wird viel geredet und diskutiert; die soziale Inkompetenz, die sich aus dem Widerstand gegenüber gesellschaftlichen Trends ergibt, entscheidet über Ende und Anfang von Beziehungen. Zwischen hippen Bobos, die sich im Mansplaining ergehen, und den Selbstverwirklichungen anderer hängt Julie als jemand, der nicht fähig ist, Selbstvertrauen zu entwickeln, in den Seilen. Für dieses Psychogramm nimmt sich Joachim Trier Zeit und entwickelt Geduld, ohne jene des Publikums zu strapazieren. Auch wenn sich in diesem Beziehungsdrama vieles im Kreis bewegt und nicht wirklich im Sinn hat, eine Geschichte vorwärtszubringen, die einen Wandel beschreibt, bleibt Julie als eine kleine Ikone nachstudentischer junger Erwachsener attraktiv und interessant genug, um tatsächlich und wirklich erfahren zu wollen, was genau sie zögern lässt.

Der schlimmste Mensch der Welt ist pointiert geschrieben, unaufgeregt und spontan. Mit kleinen inszenatorischen Spielereien und sanfter Symbolik illustriert er Julies Leben ein bisschen wie eine Graphic Novel. Mit mehr als einer Prise erotischer Freiheit, die wiederum mit dem französischen Erzählkino der Novel Vague kokettiert, beobachtet Triers Portrait eines Lebens im Konjunktiv einen Zustand, aus dem es mit eigener Kraft kein Entkommen gibt. Was bleibt, ist, wie am Ende des Films lakonisch illustriert, die Fähigkeit, sich vorzustellen zu können, was gewesen wäre.

Der schlimmste Mensch der Welt

Palm Springs

SCHATZ, DU WIEDERHOLST DICH

7/10


palmsprings© 2021 LEONINE Distribution GmbH


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: MAX BARBAKOW

CAST: ANDY SAMBERG, CRISTIN MILIOTI, J. K. SIMMONS, PETER GALLAGHER, MEREDITH HAGNER, CAMILA MANDES, TYLER HOECHLIN U. A.

LÄNGE: 1 STD 30 MIN


Immer und immer wieder hat Bill Murray versucht, Andie McDowell für sich zu gewinnen. Anfangs manipulativ, schlußendlich aus tiefstem Herzen. Bis es schließlich wirklich geklappt hat. Denn Murray, der war in seiner Murmeltier-Zeitschleife allein auf weiter Flur. Und niemand da, dem er sich hätte anvertrauen können oder der ihn vielleicht nicht für verrückt erklärt hätte. Dieses Zeitschleifen-Paradoxon ist mittlerweile eine gern verwendete Basis für allerhand Spaß, Spiel und Spannung. Doug Limans Edge of Tomorrow zum Beispiel hat aus der Idee ein futuristisches Actiongewitter extrahiert. Frank Grillo wiederum musste erst kürzlich im B-Movie Boss Level den Killern immer und immer wieder von der Klinge springen. Doch allesamt waren sie Solisten. Mit Palm Springs ändert sich dieses Konzept – und bläst der mittlerweile vielleicht recht verbraucht wirkenden Grundidee frischen Wind ins verschlafene Gesicht. Denn aus Eins mach Zwei.

Und weil es schließlich ein Tag sein muss, der nicht zu denen gehört, die man liebend gerne wiederholen würde (sonst wär’s ja halb so lustig), stehen sich auf einer klassischen Hochzeit gelangweilte Gäste die Knie in den Bauch, um gespreizte Konversationen zu führen. Wie wunderbar, denkt sich Nyles, der des Morgens als ebensolcher in fremden Betten erwacht, vor seinen Augen seine Freundin, die sich die Beine cremt. Ein kurzer Quickie, dann Abhängen im Pool, dann starten die Feierlichkeiten. Nyles, ganz leger in Hawaiihemd und Shorts, schmettert in Vertretung einer ziemlich unpässlichen Trauzeugin eine Rede ins Publikum. So, als hätte er die schon hundertmal geprobt. Hat er auch. Denn Nyles steckt in besagter Zeitschleife fest. Trauzeugin Sarah wird auf den selbstlosen Partycrasher mit Charme natürlich aufmerksam – und ehe sie sich versieht, hat auch sie den Tag gepachtet. Für beide geht das Leben also weiter – für den Rest der Welt nicht. Schräg-romantische Momente mit übernatürlichem Touch sind vorprogrammiert. Und nicht zu vergessen: die Rechnung ohne J. K. Simmons darf auch nicht gemacht werden.

Das Turnaround-Ticket gleich für zwei auszustellen, ist wirklich bereichernd. Auch auf diese Weise lässt sich das eigene Leben optimieren. Zumindest hat man so Feedback von außerhalb. Und tatsächlich hebt es das ganze Murmeltier-Chaos auf eine zeitgemäß romantische Ebene. Palm Springs – der wüstenhafte Ort, an welchem das ganze Dilemma stattfindet – ist eine schrullige Liebeskomödie mit einem schlagkräftigen und (selbst)ironisch aufspielenden Paar. Andy Samberg mit Pfeifdrauf-Sarkasmus und hedonistischem Gehabe ist zwar kein Griesgram wie Murray, dafür aber von so schlaksigem Phlegmatismus, dass man gut versteht, dass Cristin Milioti sich zu ihm hingezogen fühlt. Das Gesicht dieser jungen Schauspielerin kommt vielleicht bekannt vor? Kann gut sein – hat sie doch in How I Met your Mother genau die Mutter verkörpert, um die es sich in all den Staffeln eigentlich gedreht. Wir wissen noch: der gelbe Regenschirm! In ihrem so skurrilen wie rotzfrechen Auftreten erinnert sie unweigerlich an Awkwafina.

Zwei Persönlichkeiten, die sich also gefunden haben – und finden mussten. Die mit sich selbst nicht im Reinen sind und nun die Zeit dafür finden, ihre eigene Psycho- und Beziehungshygiene zu betreiben. Das sitzt locker wie ein Sommerkleid, ist eloquent und sympathisch.

Palm Springs

The Rental – Tod im Strandhaus

WOCHENEND‘ UND TOTENSCHEIN

6/10


TheRental© 2021 Pandavision


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: DAVE FRANCO

CAST: DAN STEVENS, ALISON BRIE, SHEILA VAND, JEREMY ALLEN WHITE, TOBY HUSS, ANTHONY MOLINARI

LÄNGE: 1 STD 28 MIN


Das sind Zeiten – so gut waren sie schon lange nicht. Die Arbeitswoche neigt sich dem Ende zu, genussvolle zwei Tage stehen vor der Tür. Man kann auch jetzt wieder problemlos zwei Haushalte unter einem Dach halten – überhaupt kein Problem mehr. In den eigenen vier Wänden muss man auch nicht abhängen, da bieten sich natürlich vermietfreudige Immobilien an, vorzugsweise am Meer. Strandhäuser, die alle Stückchen spielen, und dessen Potenzial man ja für zwei Tage sowieso nie ausschöpfen kann. Aber Luxus ist genau das, und warum sich diesen nicht mal gönnen. Das findet Charlie (Dan Stevens, großartig in Maria Schraders Ich bin dein Mensch), der CEO seiner eigenen, mühsam auf die Beine gestellten Firma, ebenfalls. Und mietet für sich, seine Frau und seinem Bruder samt Anhang eine schmucke Örtlichkeit an der amerikanischen Ostküste, fernab jeglichen Trubels. Das kostet natürlich – aber hey: geschäftlich läuft’s ja prima. Also warum nicht feiern. Diese Einstellung wird durch den Hausvermieter etwas getrübt – der lässt nämlich seltsame rassistische Bemerkungen vom Stapel, worauf ihm die, die es betrifft, ebenfalls blöd kommt. Aber gut – mal davon abgesehen kann das Wochenende mit Alkohol, einer Prise Ecstasy und einem Whirlpool beginnen, indem allerdings zu nachtschlafener Zeit Dinge passieren, für die es eigentlich keine Entschuldigung gibt. Dann ist auch noch der Hund weg und irgendwie beschleicht so manchen das Gefühl, als ob alle beobachtet werden.

In The Rental – Tod im Strandhaus braut sich was zusammen. Und das ist nicht das Wetter, denn das hält. Dave Franco entwirft in seinem Regiedebüt ein Beziehungsdrama mit sehr vielen scheelen Zwischentönen. Ein Konzept, welchem sich zum Beispiel Claude Chabrol immer wieder gern bedient hat. Dessen Filme schleichen förmlich um den als Prophezeiung im Raum stehenden, unheilvollen Höhepunkt herum, doch so richtig fassen lässt sich diese Tendenz trotzdem nicht. Dieses in der Luft hängende, vage Dilemma lässt auch Franco mit sehr viel Laune herumwabern, setzt mitunter falsche Fährten und geizt auch nicht mit dem Verdacht über ein vom Bösen beseeltes Gemäuer, das in maroden Details in eine recht düstere nahe Zukunft blicken lässt. Doch die vier sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt – oder mit den Dingen, die sie aus einer gewissen Kränkung oder Impulsivität heraus anstellen.

Allerdings verlässt sich Franco leider nicht auf sein Gespür für die Eigendynamik menschlichen Fehlverhaltens. Gegen Ende gibt’s die mit dem Vorschlaghammer präsentierte, drastische Wendung – die wenig zimperliche Interaktion von außerhalb, die wohl besser nur als Anstupser für einen Dominoeffekt des Grauens genügt hätte. Doch nein – Franco dürfte von einem Horrorexperten wie John Carpenter Zeit seines Lebens recht beeindruckt gewesen sein, um zumindest als Hommage an das Genrekino den alles erweckenden Paukenschlag für sein sorgfältig eingestimmtes Ensemble zu proben. Ich gebe zu: selbst diese Methode hat was, und beharrlich bleibt sie ja, in ihrer tiefschwarzen, (im wahrsten Sinn des Wortes) hundsgemeinen Konsequenz. Wenn auch nicht so scharfsinnig und lustvoll sezierend wie bis zuletzt noch gedacht.

The Rental – Tod im Strandhaus

A Rainy Day in New York

BIG APPLE PASSIERT EINFACH

7,5/10

 

rainydaynewyork© 2018 Polyfilm Verleih

 

LAND: USA 2018

REGIE: WOODY ALLEN

CAST: THIMOTÉE CHALAMET, ELLE FANNING, LIEV SCHREIBER, SELENA GOMEZ, JUDE LAW, KELLY ROHRBACH, REBECCA HALL, DIEGO LUNA U. A.

 

Woody Allens neuester Film hätte schon längst in die Kino kommen sollen. Keine Ahnung was den Starttermin verzögert hat – womöglich der schon seit Langem geäußerte Verdacht des sexuellen Missbrauchs, welchem sich der Regisseur seit der Verehelichung mit seiner Adoptivtochter niemals so richtig erwehren hat können. Was natürlich die in vielen journalistischen Medien und auf Social Media aktuell geführte Entscheidungsfrage ebenfalls aufgreift, ob man das Werk eines Künstlers von seiner Biografie trennen kann oder nicht. Caravaggio wird da als Extrembeispiel oftmals ins Feld geführt – der war ein Mörder, und dennoch bewundern viele, wenn nicht alle seine Bilder. Zu den Filmemachern non grata zählen natürlich auch Roman Polanski, dessen Filme ich aber sehr schätze. So wie Allens Filme. Seltsam, diese Ambivalenz. Was soll man tun? Nun, ich bin erstmal ins Kino gegangen und habe mir A Rainy Day in New York angesehen. Weil ich mich, müsste ich eine Entscheidung treffen, nur nach den Medien richten kann. Und wir wissen, wie Medien funktionieren. Den Mensch Woody Allen kenne ich jedenfalls nicht, aber was ich kenne, ist das, was er von sich erzählen möchte, und das steckt in seinen Werken. Was darin ebenfalls stets konsistent bleibt, das sind die selbstreflektierenden Alter Egos, die Moderatoren seiner Geschichten. Und manchmal ist es sogar nicht mal nur einer, der so agiert, denkt und spricht wie Woody Allen. Manchmal sind es gar mehrere. So wie in diesem Film hier. Hier steht der gerade sehr angesagte Schauspieler Thimotée Chalamet im Regen und lässt sich durch ein New York scheinbar vergangener Tage treiben. Aber nicht nur Chalamet ist Woody Allen, auch der völlig konsternierte Jude Law als unruhiger Drehbuchautor macht einen auf Allen, und dann gibt es noch einen anderen, auch einen Regisseur, der einen Studentenfilm dreht mit Null Budget, der trägt Brille und Haar wie der Meister selbst. Ein Vexierspiel ist sein neuester Film geworden, eine Suche nach Easter Eggs quer durch ein Manhattan, in dem man die resolute Diane Keaton vermuten würde, in Glockenhosen und mit Stirnfransen.

Stattdessen gerät Jung-Journalistin Elle Fanning in den Schluckauf-Modus, nachdem ihre Odyssee durch den künstlerischen Jahrmarkt der Eitelkeiten beim selbstzweifelnden Filmemacher Liev Schreiber ihren Anfang – und daraufhin scheinbar kein Ende nimmt. Woody Allen macht es richtig, er sondiert die aktuellen Casting-Trends und holt sich die angesagtesten Schauspieler an sein Set. Die lassen sich nicht zweimal bitten, denn mit und für Allen zu drehen ist mittlerweile ein Statussymbol, ein Privileg, das machen diese Künstler alle sehr gern. Wichtig sind Allen auch seine jungen Damen, die er inszeniert. Neben Elle Fanning ist es die zumindest wirklich blutjung aussehende Selena Gomez, die Thimothée Chalamet den Kopf verdrehen darf. In einem New York, das sich durch die ungestüme Liebeserklärung Woody Allens für seine Heimatstadt gar nicht wirklich bedrängt fühlt, nein, sondern dieses Heranwerfen des Anekdotenklopfers mit verklärenden Stimmungen pariert, wie beispielsweise romantischem Regen, rustikalen Gassen, feudalen Hotels und sinnend geklimperter Barmusik. Da kommen natürlich sämtliche Versatzstücke aus Allens Schaffen zusammen, und vor allem in den Szenen konfuser Beziehungs-Stati leben die Bonmots aus Zeiten des Stadtneurotikers wieder auf. Sicher, A Rainy Day in New York ist kein auf Zug inszeniertes Drama mit Knalleffekt – Filme wie Match Point lassen sich schwer wiederholen.

A Rainy Day in New York mäandert durch die geliebte Stadt mit einer gewissen Ziellosigkeit und Sinn für Plaudereien, allerdings aber mit der Bereitschaft, die Gelegenheit, die dieses urbane Paradies bietet, beim Schopf zu packen. Das unterhält prächtig, und jeder des Ensembles findet zielsicher in seine Rolle, mag sie auch noch so klein sein. Den schrägen Vogel schießt aber mit Abstand Elle Fanning ab – als so quirlige wie begeisterungsfähige und von anderen manipulierbare Studentin, die Alkohol sehr schlecht verträgt, hat sie die meisten Lacher, wenn nicht alle, mit Leichtigkeit auf ihrer Seite. Und es tut gut, den Tag in New York zu verbringen, dessen Charme sich erstaunlich greifbar auch auf Nicht-Kenner der Metropole überträgt. So, als wäre man wirklich für einen Augenblick dort gewesen, im „Paris“ der neuen Welt.

A Rainy Day in New York

Der Stadtneurotiker

DIE KATASTROPHE DER ZWEISAMKEIT

7/10

 

stadtneurotiker© 1977 United Artists

 

ORIGINAL: ANNIE HALL

LAND: USA 1977

REGIE: WOODY ALLEN

CAST: WOODY ALLEN, DIANE KEATON, TONY ROBERTS, CAROL KANE, SHELLEY DUVALL, CHRISTOPHER WALKEN U. A.

 

Anlässlich des neuesten Films von Woody Allen – A Rainy Day in New York – war es mal an der Zeit, einen seiner größten Erfolge unter die Lupe zu nehmen. Seinen Stadtneurotiker, oder im Original Annie Hall, denn den kannte ich bis dato noch nicht. Lücken aus der Filmgeschichte wollen obendrein geschlossen werden, also her mit den Neurosen, die sich der schmächtige Brillenträger so gerne an den Leib schreibt, und die natürlich autobiografisch sind, so wie (fast) alle seine Filme, die er jemals inszeniert hat. Aus seiner Haut kann der mittlerweile 84 Jahre alte Filmer auch nicht, konnte er nie und wird er nie können, also sind seine Alter Egos, seine männlichen Filmfiguren, alle irgendwie er selbst. Sie denken wie er und sie handeln wie er – sie sprechen sogar wie er. Und trotzdem oder gerade deshalb: diese Selbstbetrachtungen, dieses ironisch-selbstironische Herumgezappel, diese Kapitulation vor dem gesellschaftlichen Sumpf aufgedonnerter Egomanen – die sind scheinbar bis in alle Ewigkeit sehens- und hörenswert. Und es wird ordentlich etwas fehlen, wenn Allens Senf, den er der Welt des Films hinzugibt, sich nicht mehr aus der Tube drücken lässt. So richtig angefangen hat nämlich alles mit eben diesem Stadtneurotiker, diesem Alvy Singer, einem Komödianten und Schreiberling (wenig überraschend), der beim Tennis mit einem Freund besagte Annie Hall kennen lernt, gespielt von einer blutjungen Diane Keaton in adrettem Siebziger-Look. Die beiden fühlen sich zueinander hingezogen, auf verkopfte Art, das ist natürlich kein Geheimnis. Und es wäre eine herkömmliche Romanzet, würde der Film genau davon handeln, um dieses Kennen- und Liebenlernen. Dabei ist das hier nur der Anfang. Interessant wird es erst, wenn Alvy Singers Neurosen den Beziehungsalltag dominieren, Annie dabei zwischen den Stühlen sitzt und alsbald ihre eigene Ego-Dominanz ins Feld führt.

Dieses Beziehungs-Auf-und-Ab ist legendär. Mehr ist es nicht, es ist ein Kommen und Gehen, ein Annähern und Entfernen, ein Stolpern über den eigenen Narzissmus, über die eigenen haushohen Bedürfnisse und den eigenen Geltungsdrang. Ein Klassiker, wie er im Drehbuch eines Komikers steht, der über alles und nichts herzieht, alles anzweifelt und im Grunde in feinster intellektueller Manier als zwar berühmter, aber innerlich brotloser Künstler das Lebensglück herbeijammert, um dann wieder in Panik zu geraten. Es ist die Panik vor einem möglichen, ausweglosen Dilemma, das als selbsterfüllende Prophezeiung den kleinen Schreibmaschinenvirtuosen erst dann wieder erden kann, wenn er sich in seinen gefürchteten Katastrophen wieder findet. Beantwortet werden die aber meist mit humorvollen Anekdoten und Witzen, und dieser Humor rettet Woody Allen im übertragenen Sinn fast schon das Leben – nicht aber zwingend die Beziehung. Der Stadtneurotiker ist natürlich auch im Kontext seiner Zeit zu sehen, in den Umbrüchen der Siebziger, dem Veröffentlichen der eigenen dysfunktionalen Zweisamkeit, mit der sich Leute wie Alvy Singer und Annie Hall aber seltsamerweise oder völlig absichtlich wichtig vorkommen wollen. Als etwas Besonderes, weil die Differenzen untereinander das Resultat eines grundehrlichen Umgangs mit den Erwartungen sein kann. Und womöglich auch ist.

Das Hinausposaunen fehlerhafter intimer Harmonie liegt beim Stadtneurotiker im Trend, oder setzt ihn erst, als neue, charmant überhebliche Mode der belesenen Elite. Das macht natürlich Spaß, dem zuzusehen. Doch die Zeit, die hat der Film nicht ganz überdauert. Mittlerweile können Beziehungen im Film schon mal ganz anders sein, sind radikaler und destruktiver. Was Allen noch mit den Handschuhen eines Conferenciers befummelt, landet mittlerweile auf dem Seziertisch. So hat es der New Yorker Klarinettenspieler nicht gewollt, so will er es heute nicht, denn er ist immer noch ein melodiebewusster Erzähler moralischer Boulevardkompositionen, wie ein George Gershwin in Bildern. Und so betrachtet darf Der Stadtneurotiker wie ein Musikstück wahrgenommen werden, als Teil seiner Zeit und als wortgewandte Diagnose eines Beziehungsmusters mit dem vor Alltagspanik wild klopfendem Herzen am rechten Fleck.

Der Stadtneurotiker

Brooklyn

ICH WAR NOCH NIEMALS IN NEW YORK

6,5/10

 

brooklyn© 2016 20th Century Fox Deutschland

 

LAND: IRLAND, GROSSBRITANNIEN, KANADA 2016

REGIE: JOHN CROWLEY

CAST: SAOIRSE RONAN, DOMHNALL GLEESON, EMORY COHEN, JIM BROADBENT, JULIE WALTERS, BRID BRENNAN U. A.

 

Am Schönsten ist es doch zuhause – oder nicht? Ich würde dem zustimmen. Die junge Irin Eilis Lacey, die in den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts aufgewachsen ist, wohl eher weniger. Zuhause ist nämlich nichts los. Nichts, worauf es für eine junge Frau wie Eilis ankommt: Keine Arbeit, kein Entwicklungspotenzial, keine strahlende Zukunft. Stattdessen eine Art Bigotterie, strenge Konventionen und die Augen und Ohren der lästigen Nachbarschaft sozusagen überall. Da will Frau eigentlich nur weg, am besten nach Übersee, wohin sowieso schon halb Irland ausgewandert ist. Wie es der Zufall so will, legt ihr ein ebenfalls ausgewanderter, befreundeter Pastor die notwendigen Schienen, unterstützt sie sogar finanziell. Nur den Abschiedsschmerz kann er ihr nicht nehmen, da muss Eilis ganz alleine durch. Die Familie zu verlassen ist eine Sache, in Übersee Fuß zu fassen eine andere. Und wie sie feststellen wird: Die amerikanische Gesellschaft ist eine ganz andere, da haben die Wände keine Ohren und es kennt nicht jeder jeden. Was für ein Freiheitsgefühl das sein muss, anonym zu sein. Sich für jeden Handgriff nicht rechtfertigen zu müssen. Zu lieben, wenn man will, und nicht, wen die Nachbarn wollen.

Regisseur John Crowley, der aktuell mit seiner Buchverfilmung Der Distelfink in unseren Kinos startet, hat vier Jahre zuvor mit Brooklyn ein ganz anderes, weniger voluminöses Buch verfilmt, nämlich eines des irischen Autors Colm Tóibín – für alle, die ihn kennen. Zugegeben, die Erzählung über einen Neuanfang im Land der unbegrenzten Möglichkeiten (zumindest war das damals vielleicht so) ist wie ein Film aus den Fünfzigern, der über die Fünfzigerjahre erzählt. Schön ausgestattet, Lokalkolorit pur, allerdings wahnsinnig hausbacken. Wäre da nicht die wunderbare, verletzliche Saoirse Ronan, die wiedermal sehr überzeugend und völlig nachvollziehbar die illustre Entwicklung vom duckmäuserischen, sozial gegängelten Mädchens zur selbstbewussten Frau vollzieht. Ronan passt in die damalige Zeit wie der Nierentisch ins trendige Nachkriegswohnzimmer. Es ist, als hätte die junge Schauspielerin zu gar keiner anderen Zeit gelebt als in den 50ern, und das ist schon eine erstaunliche Konsistenz, was die Erarbeitung einer Rolle betrifft. Mit dieser darstellerischen Dichte ist sie aber nicht allein. An ihrer Seite ein völlig unbekanntes Konterfei, nämlich das von Emory Cohen als italoamerikanischer, unsterblich verliebter Klempner, der das Herz der jungen Irin zwar nicht im Sturm, aber in konsequenter, teils liebevoll ungeschickter Romeo-Manier erobert. Allerdings völlig frei von Arroganz, direkt etwas devot, bescheiden und unsicher lächelnd. Ein einnehmender Charakter, der gemeinsam mit Ronan die besten Momente des Filmes für sich verbuchen kann.

Sonst ist Brooklyn arg konventionell und sehr methodisch erzählt, was nicht heisst, dass das Drama die Zerrissenheit von Ronans Figur nicht ordentlich aufs Tablett bringt. Dafür wiederum hat niemand geringerer als Nick Hornby sein vor allem eben für Drehbücher bewährtes Talent bemüht und die Love- and Life-Story elegant und harmonisch in seine Zeit gebettet. Das verlangt keine Neuinterpretationen oder Ansätze aus anderen Richtungen. Tóibíns Roman verlangt genau das, was Brooklyn letzten Endes als Filmprosa auf die Reihe bekommt. Und das kann eben nur in dafür erforderlichem Konservatismus und in nostalgischem Postkarten-Beige erfolgen, wobei der Streifen von der Empathie Crowleys dem historischen Zeitgeist gegenüber am meisten profitiert. Brooklyn ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr sich ein Regiekonzept auf beiden Seiten der Kamera seiner gewählten Epoche unterordnen kann. Und das ist wiederum kein Fehler. Vor allem dann nicht, wenn ein Zeitbild aus vergangenen Tagen über den Um-, Auf- und Abbruch diverser Zelte in einer sich aufraffenden Nachkriegswelt ausnehmend gut Bescheid wissen will, ohne dabei prahlen zu wollen.

Brooklyn

Long Shot – Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich

DU ENTSCHULDIGE, I KENN DI

4,5/10

 

Fred Flarsky (Seth Rogen) and Charlotte Field (Charlize Theron) in FLARSKY.© 2019 Studiocanal

 

LAND: USA 2019

REGIE: JONATHAN LEVINE

CAST: CHARLIZE THERON, SETH ROGEN, BOB ODENKIRK, ANDY SERKIS, O´SHEA JACKSON JR. U. A. 

 

Da hat sich Seth Rogen wieder weit aus dem Fenster gelehnt: Als derber Investigativjournalist hat er so manchen bösen Jungs den Wind aus den Segeln genommen, wenig eloquentes Zeter und Mordio in seine Artikel gepflanzt und sich fast ein Hakenkreuz stechen lassen. Stil dürfte für den Hipsterbärtigen aber auch nur das Ende des Besens sein, denn das tägliche Outfit ist ein Trainings-Blazer aus den Neunzigern, dezent in Ponyfarben. Dass dieser prinzipientreue Eigenbrötler jemanden wie Charlize Theron kennt, die als Außenministerin eine wahnsinnig gute Figur macht, das ist mal unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Wie sich Bekanntschaften aus der Kindheit entwickeln, ist ja kaum absehbar. Und plötzlich haben wir hier zwei, die sich komplett auseinander gelebt – und wieder gefunden haben. Das könnte man doch glatt mit Peter Cornelius „Du entschuldige I kenn di“ untermalen, so passend wäre da der Song. Aber nein, Regisseur Jonathan Levine greift auf die Playlist von Pretty Woman zurück, weil’s eben so schön war. Und was könnte näher liegen, als einen Film mit 90er-Hadern zu verwöhnen, die bereits für ein Glamour-Märchen um Underdog und VIP in Verwendung waren. Ein ähnliches Konzept liefert jene neue Komödie, die wiedermal das etwas abgenutzte Klischee einer aufrichtigen US-Politik mit dem Alles-ist-möglich-Aufstieg eines Nonkonformisten verbindet. Das ist aber durchaus in Ordnung, und das wusste ich ja auch, ich kannte ja die Synopsis des Films, also mal sehen, welche Ansatzpunkte diesmal bereits Bekanntes auf andere Spuren bringen könnte. Und bei Seth Rogen ist so was durchaus im Bereich des Möglichen. Charlize Theron kann eigentlich auch alles spielen, sie bleibt aber stets die aparte, etwas distanzierte Schönheit, die sie ist. Und bei Atomic Blonde zum Beispiel konnte sie die unnahbare Aura des Wertvollen wunderbar für sich nutzen.

In Long Shot (die deutsche Subline lassen wir mal weg) wagt sie sich nur selten aus ihrer Defensive. Dass sie als Außenministerin der Message Control folgen und ihre Fassade zu welchem politischen Spiel auch immer wahren muss, ist natürlich vollkommen logisch. Den Mut zum Wagnis kitzelt ihr dann Seth Rogen als Fred Flarsky mit nichts außer seiner Verschrobenheit hervor, die Theron relativ anziehend findet, vielleicht weil diese Vibes nicht so auf Massentauglichkeit gestutzt sind. Da stimmt dann auch die Chemie, beide ziehen an einem Strang, die politische Domina mit dem strahlenden Image hat zwar die Hosen an, darf aber von dem Querdenker auch einiges lernen. Das ist natürlich Romanze pur, und wer sich eine haarfeine Politkomödie wie zum Beispiel Dave erwartet, wird aber enttäuscht werden. Dieses Thema scheint Levine eindeutig zu groß, obwohl er hie und da versucht, Seitenhiebe auf aktuelle politische Zustände zu verteilen. Die sind zwar da, man belächelt sie, aber mehr nicht. Das ist viel zu halbherzig, um zu irritieren. Da sind Filme wie Vice ein komplett anderes Kaliber. Doch wie Vice will Long Shot natürlich niemals sein, will auch nicht wirklich anecken. Der Film macht das ganze Spiel hinter den Kulissen einfach nur zum Thema, weil er es benötigt – für eine RomCom, die nichts umformuliert, selten auch nur irgendwelche alternativen Entwicklungen der Handlung andenkt und leider die bemühte Illusion allgemeiner Akzeptanz für Körpersäfte zum Knackpunkt der Geschichte macht. Das entlockt mir weder ein Wow für lässige Indiskretion noch appelliert es an meine sporadisch vorhandene Restprüderie. Zu gewollt wäre das richtige Wort, zu vorhersehbar das andere. Klar, es ist Hollywood, und klar, Filme wie Hallo, Mister Präsident sind schon länger her. Long Shot will aber doch mehr sein, der Streifen will auch austeilen können, er will mit intelligentem Charme punkten, und hätte mit seinem Cast sogar das Potenzial dazu – letzten Endes hält er sich aber zu sehr an die Regeln des gelernten Spiels, als sie mit frechen Kniffen zu unterwandern.

Mit 50/50 hat Levine wohl einer der besten Filme zum Thema Krebs gedreht. Mit Long Shot bleibt ihm ein knackiger Zugang zu anderen bewährten Filmthemen leider verwehrt. Was aber nicht heißen soll, dass die Komödie nicht auch unterhält. Das tut sie, es gibt auch einiges zu lachen, und die Kifferszene mit Theron ist sowieso die Mitternachtseinlage schlechthin. Im Ganzen aber erliegt Long Shot seinem naiven Schöngerede, das so süß, aber auch so wenig haltbar ist wie ein Wahlzuckerl kurz vor dem Urnengang.

Long Shot – Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich

100 Dinge

FKK FÜR EGO-MESSIES

4/10

 

100dinge© 2018 Warner Bros. Deutschland

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: FLORIAN DAVID FITZ

CAST: MATTHIAS SCHWEIGHÖFER, FLORIAN DAVID FITZ, MIRIAM STEIN, MARIA FURTWÄNGLER, HANNELORE ELSNER, KATHARINA THALBACH U. A.

 

Die Filme von Matthias Schweighöfer, die kennen wir. Das heißt: kennen wir einen, keinen wir eigentlich alle. Sie sind gefällig, farbentsättigt wie bei Til, den Geist junger Bobo-Erfolgsmänner bis in jede Pore einmassiert. Die Riege talentierter Jungschauspielerinnen umkreisen den Egomanen in teils angestrengt distanziertem, aber stets anhimmelndem Spiel. Denn in Wahrheit ist Schweighöfer ja unwiderstehlich, auch wenn er sich zwischenmenschliche Eskapaden leistet, die mit einer konventionell schrägen Entschuldigung wieder sofort vergessen sind. Denn ja, Frau liebt ihn. Florian David Fitz, der Vincent, der Meer wollte und als Kehlmann´scher Gauß in der Verfilmung Die Vermessung der Welt beeindruckend spröde großes Schauspieltalent bewies, will diesmal aber auch so sein wie der blonde, sommersprossige Athlet, der stets sich selbst spielt und selbst in der als Thriller angedachten Amazon-Serie You Are Wanted einfach nicht aus seinem Yuppie-Hedonismus hinauskann. Fitz wiederum will da hinein, also einfach mal selbst so einen Film inszenieren, genauso wie sein Buddy. In welchem die beiden Männer ihren nackten Po in die Kamera halten dürfen und eigentlich von allen, vor allem vom weiblichen Geschlecht, geliebt werden dürfen. Ob das in deren echten Leben auch so ist? Keine Ahnung, deutsche Schauspieler halten ihr Privatleben natürlich auch zurecht bedeckt. Nicht bedeckt bleiben wie gesagt die ansehnlichen Körper der beiden. Warum? Weil sie dem Konsumzwang eins auswischen wollen.

Kurz gesagt: es geht um eine Wette. Beide Freunde müssen ihren ganzen Besitz in einen Lagerraum sperren, und für hundert Tage dürfen sie sich täglich ein Ding aus dem ganzen Fundus wieder herausnehmen. Das gilt selbst fürs Untergewand. Im Adamskostüm beginnt also die Challenge für die konsumgeilen Schnösel, die sich dadurch eigentlich auf griffigere Werte besinnen sollen, was aber nicht vorrangig der Fall ist, denn Grund der Wette ist der Aus- und Verkauf ihrer Softwarefirma, die eine App entwickelt hat, die alle haben wollen. Vor allem einer, der so aussieht wie Mark Zuckerberg. Bei diesem Vorhaben der beiden Erfolgsmänner, die gefühlt sowieso immer das Glück auf ihrer Seite haben, kann einer wie Mel Brooks nur lachen. Wieso Mel Brooks? Weil der Ähnliches erlebt hat. Zum Beispiel als reicher, asozialer Millionär, der den Altruismus mit Füßen tritt, in einer Satire, die Das Leben stinkt heißt. Ebenfalls ist eine Wette der Kern des Plots, nur dass Geizkragen Brooks für rund einen Monat auf der Straße leben muss. Der Reiz dieser Satire liegt darin, dass der alte Industrielle tatsächlich auf sich alleine gestellt ist, dass letzten Endes der Verrat der anderen zu einer gewissen Erkenntnis führt, und er sich eigenhändig aus dem Schlamassel ziehen muss. Ein bisschen wie bei Scrooge, ein bisschen wie beim Fischer und seiner Frau, die letztendlich Papst sein wollte. Fitz und Schweighöfer, die sind sowohl vor als auch hinter der Kamera einfach immer Stars und haben auf dem Weg zu ihrer kolportierten Selbsterkenntnis kaum Berührungspunkte mit anderen sozialen Schichten. Eloquente, toughe, charmante Frauenversteher, auf die keiner böse sein kann, die einfach zu gelackt sind, um sich selbst wirklich zu hinterfragen. In 100 Dinge stehen sie zwar kurze Zeit vor dem Nichts, doch in Wahrheit haben sie alles, und zwar zu jederzeit. Die Frage nach der Kunst des Weglassens, des Verzichts und dem „Weniger ist Mehr“-Prinzip ist gar nicht richtig gestellt, das wollen die Firmenchefs längst nicht so genau wissen. So, wie sich die beiden darauf besinnen und die eigenen Schattenseiten des Kapitalismus aufdröseln, bleibt das Ganze ein Lippenbekenntnis ohne tieferen Sinn.

100 Dinge handelt von einer Freundschaft, von beruflicher Partnerschaft und Beziehungen. Wie so viele Filme Schweigers und Schweighöfers. Und jetzt auch von Fitz. Es ist eine gehetzte, viel zu schnelle Komödie zweier elitärer Helden um die Vierzig, die alles können, aber nicht alles können müssen. Die alles haben, aber nicht alles haben müssen. Das macht den Film so schlaksig, als würde man beim Fangenspielen mit einem Bein andauernd im Leo stehen. Das geht so nicht, nicht wirklich. Das kaufe ich den beiden nicht ab. Und wenn doch, dann will ich es geschenkt. Blöd nur, dass sie nichts davon hergeben werden.

100 Dinge

Juliet, Naked

DER FAN IN MEINEM BETT

7,5/10

 

julietnaked© 2018 Thimfilm

 

LAND: USA 2018

REGIE: JESSE PERETZ

CAST: ROSE BYRNE, ETHAN HAWKE, CHRIS O’DOWD U. A.

 

Nerds können manchmal anstrengend sein. Über nichts lässt sich plaudern, außer über das Objekt der Begierde, der Lebenszeit verschlingenden Leidenschaft. Nerds können aber auch witzig sein, viel mehr belächelnd witzig, sodass der Lachende froh ist, nicht ganz so zu sein wie der, über den sich andere gerade amüsieren. Dieses Konzept hat bei The Bing Bang Theory eine Zeit lang gut funktioniert – und den Experten mit Tunnelblick für das Nicht-Wesentliche salonfähig gemacht. Nick Hornby hat sich auch damit beschäftigt. Also mit den Eigenheiten eines Fans. Noch dazu eines Fans, der in einer Beziehung lebt. Der hat in dessen komödiantischer Romanze ein unergründliches Faible für einen ganz gewissen Musiker, der irgendwie zum Mythos wurde, nachdem er nach wenigen Jahren des Ruhms plötzlich in der Versenkung verschwand. Einziger Hinweis über dessen Verbleib sind unscharfe Schnappschüsse, die ungefähr so aussagekräftig sind wie das Waldfoto von Bigfoot.

Tucker Crowe hieß also dieser geheimnisvolle Songwriter, und Lebensgefährte Duncan hat sich vor lauter Hingabe im häuslichen Keller eine Art Schrein errichtet, in welchem er den erdigen Balladen des Verschwundenen mit Hingabe lauscht und einen Fanblog unterhält, der gerade mal eine Handvoll Follower hat. Auch Freundin Annie liest mit, wagt leise Kritik an einem bisher unveröffentlichten Unplugged-Tape des Künstlers – und setzt damit eine ungewöhnliche Verkettung von Ereignissen in Gang, die Tucker Crowe auf der Bildfläche erscheinen lassen. Und zwar deutlicher, als manch einem lieb sein kann. Mitunter auch dem Fan selbst.

Wer sich an den literarischen Vorlagen von Nick Hornby vergreift, braucht sich um den Plot keine Sorgen mehr machen. Diese Bücher (die ich leider selbst noch nie gelesen habe) leben, wie es den Verfilmungen nach scheint, von recht unaufgeregt skurrilen, alltäglichen Verstrickungen und von kuriosen romantischen Konstellationen, vor allem Ausgangssituationen, die recht schnell und wortgewandt in die Substanz des Erzählten finden, ohne um den heißen Brei herumzustromern. Das war bei High Fidelity oder About a Boy schon der Fall, und das ist bei Juliet, Naked genauso. Wieder ist die Musik etwas, ohne der es sich nicht gut leben lässt, ist die nerdige Verspieltheit und ein irgendwie nicht ganz ernstzunehmender Ernst diversen geschmacksorientierten Schräglagen gegenüber Fokus dieser intellektuell angehauchten Boulevardkomödien. Schauspielerisch bietet sich hier einiges an Möglichkeiten, damit sich längst etablierte Stars nochmal fast intuitiv entfalten und auf komödiantisch tun können, ohne sich lächerlich zu machen. Denn Hornbys Komödien, die haben Niveau, Geschmack und Stil. Sind nicht hemdsärmelig, sondern gesprächsverliebt. Niemals mieselsüchtig, und wenn, dann höchstens trotzig, aber immer zuversichtlich. Genauso reagiert Rose Byrne auf den kuriosen Wink des Schicksals, der ihr Ethan Hawke nach Hause lotst – als Ex-Musiker im Gammel-Look, der in der Garage wohnt, nebenan die Exfrau, doch was tun bei einem gemeinsamen Kind? Irgendwas will der ehemalige Schwerenöter und Dauerbekiffte doch noch auf die Reihe bekommen. Und neben dem Filius könnte auch noch aus Anne ein neuer Lebensmensch werden. Dieser Versuch hat nun einige spaßige Situationskomik in petto, der souverän ergraute Ethan Hawke ist großartig, wie er versucht, sich händeringend all der Familie zu erwehren, die da die seine ist. Und spätestens wenn der Lieblingsschauspieler eines Richard Linklater zwischen Sonnenaufgang und -untergang eine rauchig-melancholische Version von Waterloo Sunset unter Keyboardbegleitung in die Runde schmettert, gehört Juliet, Naked ganz sicher zu meinen liebsten Komödien der letzten Zeit. Weil all die schmeichelnde Ironie dieses Films beweist, dass es auch ohne Slapstick und tiefer Kalauer gehen kann. Dass man einfach eine gute, kluge Geschichte braucht, um zu begeistern. Da muss man gar kein Fan sein, von irgendetwas. Und wenn doch, dann wäre es wohl besser, wenn die Person des öffentlichen Interesses weit genug wegbleibt, um die Wolke 7 aus Sehnsucht und Anbetung nicht abregnen zu lassen.

Juliet, Naked