Stillwater – Gegen jeden Verdacht

DAS RICHTIGE TUN

8,5/10


stillwater© 2021 Focus Features, LLC.


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: TOM MCCARTHY

CAST: MATT DAMON, CAMILLE COTTIN, ABIGAIL BRESLIN, LILOU SIAUVAUD, DEANNA DUNAGAN, ANNE LE NY U. A. 

LÄNGE: 2 STD 20 MIN


Ihr könnt euch sicher alle noch an den aufsehenerregenden Fall Meredith Kärcher erinnern. Wenn da nichts klingelt, dann vermutlich beim Namen Amanda Knox. Jene Studentin, die knapp einer lebenslangen Haftstrafe entging, als sie nach vier Jahren aus dem Gefängnis kam, aufgrund eindeutiger Beweise der Unschuld der Angeklagten. Dennoch: das Image des Engels mit den Eisaugen blieb ihr – Danke den Medien an dieser Stelle, die das Kriminal-Brimborium publikumswirksam ausschlachten konnten. Amanda Knox hat sich im Falle des aktuellen Kinofilmes Stillwater – gegen jeden Verdacht gar zu Wort gemeldet – natürlich mit Plagiatsvorwürfen gegen das Drama von Tom McCarthy (Drehbuch-Oscar für Spotlight), der sich von dieser merkwürdigen Konstellation aus Opfer, Täter und Verdächtige inspirieren hat lassen. Wie gesagt: inspirieren. Nur sehr vage erinnert der Film an die tatsächlichen Ereignisse. Kein Grund, hier irgendwelche Rechte verletzt zu sehen. Und lässt sich der prägnante Lebenswandel einer bekannten Person denn tatsächlich rechtlich schützen? Gibt‘s dafür schon ein Copyright?

Abigail Breslin, die hat ohnedies keine eisblauen Augen, und sitzt außerdem nicht in Italien, sondern in Frankreich als Allison hinter schwedischen Gardinen. Schuldig des Mordes an ihrer Partnerin. Ausgefasst hat sie statt 26 „nur“ neun Jahre, und sie kann froh sein, dass ihr Vater Bill (die Mutter hat Suizid begangen, aber nicht wegen des Schicksals ihrer Tochter) immer wieder mal nach Marseille reist, um nach dem Rechten zu sehen und seiner Tochter die Wäsche zu waschen. Da überreicht sie ihm einen Brief für ihre Anwältin, mit einer wichtigen Information, die sie vielleicht, wenn alles klappt, deutlich früher als geplant entlasten und entlassen könnte. Papa Bill geht der Sache nach. Stößt zwar erst auf taube Ohren und bringt leere Kilometer hinter sich, doch dann öffnen sich ganz andere Chancen, die das Leben des sonst vom Pech verfolgten Amerikaners für immer verändern könnten.

Interessant und ungewöhnlich dabei ist, dass in Stillwater – Gegen jeden Verdacht der Fokus gar nicht mal zwingend auf dem Kriminalfall liegt, sondern sich vielmehr auf das Leben des verarmten, hart arbeitenden und ganz und gar nicht auf die Butterseite des Lebens gefallenen Charakter von Matt Damon konzentriert. Der liefert die beste und intensivste Performance seiner Karriere ab, wofür er, so hoffe ich, bei den nächsten Oscars zumindest nominiert werden sollte. Seine Rolle, die er mit jeder Faser seines schauspielerischen Know-Hows verkörpert, ist die eines schlichten, wortkargen Gemüts, eines bärbeißigen Arbeiters und Vorbestraften, der das Herz allerdings am rechten Fleck hat, sich im Zwischenmenschlichen allerdings ordentlich schwertut. Damon bringt mit wenigen Variationen des Ausdrucks dennoch eine ganze Palette an Gefühlsregungen zustande, von väterlicher Liebe bis zur fahrigen Anspannung. Sein Spiel ist wahrhaftig, seine zum Scheitern verurteilten Versuche, das Richtige zu tun, eine für ihn bewusstseinsverändernde Erfahrung. Tom McCarthy gelingt mit einem komplexen Script, das auf mehreren Ebenen funktioniert und in seiner Tonalität an Ken Loachs Sozialdramen erinnert, der psychosoziale Lebensentwurf einer Familie, die von einem andauernden schlechten Karma verfolgt zu sein scheint. Kurzum: Während die einen im Leben privilegiert sind, haben es andere scheinbar absichtlich schwer. In diesem Dilemma, indem das Richtige niemals richtig sein kann, sucht Matt Damon nach dem einzig richtigen Ausweg. Dieser Prozess ist bewegend, vielschichtig und grandios inszeniert. Trotz seiner Überlänge spart sich der Film unnötig Offensichtliches, behauptet sich sowohl als ruhiges Drama als auch als stimmungsvoller Thriller. Stillwater – Gegen jeden Verdacht zählt schon jetzt für mich zu den außergewöhnlichsten und daher auch besten Filmdramen des Jahres.

Stillwater – Gegen jeden Verdacht

Brennpunkt Brooklyn

SCHUSS INS KREUZ

7/10


the-french-connection© 1971 20th Century Fox


OT: THE FRENCH CONNECTION

LAND / JAHR: USA 1971

REGIE: WILLIAM FRIEDKIN

CAST: GENE HACKMAN, ROY SCHEIDER, FERNANDO REY, MARCEL BOZZUFFI, TONY LO BIANCO, EDDIE EGAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Die von mir sehr geschätzte Fachzeitschrift cinema liefert mit ihrer Rubrik „Geburt eines Filmklassikers“ monatlich jede Menge Hintergrundinfos zu Werken, die längst Geschichte geschrieben haben. Und die man eigentlich als Filmfan nicht links liegen lassen kann. Inspiriert vom letzten Beitrag, und weil auch derzeit das Filmangebot trotz Netflix weitgehend überschaubar bleibt, habe ich mir William Friedkins Drogenthriller Brennpunkt Brooklyn – im Original The French Connection – oder einfach beides – zur Brust genommen. Und es lohnt sich, das Making-Of im Vorfeld durchzuackern, denn dann ist der Filmgenuss um eine Dimension reicher, wenn all die beschriebenen Szenen nicht mehr aus dem Konzept gerissen, sondern als Teil des Ganzen zu sehen sind und der Zuseher weiß, was da hinter den Kulissen eigentlich alles los war.

Zum Beispiel die ausufernde Verfolgungsjagd mit dem Auto. Das Kuriose dabei: Gene Hackman, der hinterm Steuer sitzt, verfolgt gar nicht mal einen anderen Wagen, sondern hetzt dem Antagonisten hinterher, der in der Schnellbahn über ihm stets eine Nasenlänge voraus ist. Auch nach 50 Jahren – da fällt mir auf: der Film feiert heuer gar ein halbes Jahrhundert Jubiläum, Gratulation! – bietet diese Szene aufgrund seines innovativen Kameraeinsatzes und einem wirklich makellosen Schnitt feinstes Actionkino. Für den Schnitt gabs ja sogar einen von fünf Oscars. Die anderen gingen unter anderem an die Regie und an Gene Hackman. Verdient? Nun, Antihelden wie dieser sind mittlerweile in jeder zweiten Krimiproduktion zu finden. Damals allerdings waren Filmhelden noch Leute mit Ehre und Ethik und salonfähigem Auftreten. Gene Hackman war das, so wie zur selben Zeit Clint Eastwood als Dirty Harry, plötzlich alles nicht mehr. Hackman war gelinde gesagt ein Raubtier mit Polizeimarke und Porkpie-Hut, einer, der nicht anders konnte, als seiner Lust am Auflauern und Jagen einfach nachzugeben. Friedkin zeichnet diese Figur als eine, die sich rein durch dieses Tun definiert. So kommt es mitunter, dass das Sakrileg vom Schuss in den Rücken des Killers in dieses Charakterprofil einfach hineinpasst. Hier geht’s um das Erlegen des kriminellen Freiwilds an sich. Insofern wird Hackman in dieser Rolle richtig groß, und auch am Ende, als er im Halbdunkel einer verfallenen Fabrikhalle den Feind ausmacht, spricht direkt ein bisschen der Wahnsinn.

Brennpunkt Brooklyn ist tatsächlich ein guter Film. Allerdings nichts, das nahe geht, und nichts, das wärmt. Aber etwas, das bestechend akkurat seinen roten Faden verfolgt, ohne sich in Nebenstories zu verlieren. Der winterharte Thriller (da können selbst die paar Szenen in Marseille nichts dran ändern) reduziert seinen Plot aufs Wesentliche, lässt unentwegt bespitzeln und beobachten. Scheider und Hackman sitzen und stehen stets auf Nadeln, da ist nichts, was sie ruhen lässt. Nur die Kälte bremst den Drang, die Dinge am liebsten so zu regeln, als wäre Anarchie die neue Ordnung. Platzhirsche der Gerechtigkeit, wenn man so will. Und selbst die ist nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn – wäre die Biographie von Jimmy „Popeye“ Doyle, so Hackmans Rolle (die auf einer wahren Figur beruh – auch jene von Scheider), etwas anders verlaufen, könnte man ihn gut und gerne auch auf der anderen Seite des Gesetzes sehen.

Brennpunkt Brooklyn