Saltburn (2023)

YOUR HOME IS MY CASTLE

7/10


Saltburn© 2023 Amazon Content Services LLC


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: EMERALD FENNELL

CAST: BARRY KEOGHAN, JACOB ELORDI, ROSAMUNDE PIKE, RICHARD E. GRANT, ARCHIE MADEKWE, ALISON OLIVER, CAREY MULLIGAN, PAUL RHYS, EWAN MITCHELL U. A.

LÄNGE: 2 STD 7 MIN


Es gibt Schauspieler, die, egal wie klar definiert ihre zu spielenden Charaktere auch sein mögen, stets einen gewissen Zweifel in Anbetracht ihrer Ambitionen hegen. Weil man Unterschwelliges, Durchtriebenes vermutet. Eine psychopathische Komponente, ein unaufgearbeitetes Trauma – schlicht etwas Verstörendes, das irgendwann ans Licht will. Zu diesen Darstellern zählen durchaus Joaquin Phoenix, ganz besonders Joel Edgerton (zuletzt in Master Gardener) und Barry Keoghan, der für seine Rolle des mit schlichtem Gemüt ausgestatteten Dominic Kearney aus The Banshees of Inisherin für den Oscar nominiert wurde. Diese Ehrung verschaffte dem sonst aus Giorgos Lanthimos Thriller The Killing of A Sacred Deer bekannten Iren auch eine Rolle in Emerald Fennells neuen, längst heiss diskutierten Film, der eben auf der Streaming-Plattform amazon prime seine Premiere erlebt: Saltburn.

Das klingt ein bisschen nach Sommer, Sonne und Salzwasser – ist es aber nicht. Saltburn ist das feudale, gigantische Anwesen der Familie Catton – so residieren müsste man mal! Das sind andere Zustände, die wohl kaum jemand von uns Normalbürgern jemals erlebt hat, außer man bucht eine Führung durch die Gemächer irgendeines der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Schlosses und kann sich an den edel ausgestatteten und mit sündteuren Wandgemälden behangenen Prunkräumen einfach nicht sattsehen. So ein herrschaftliches Paradies steht und fällt mit einer Entourage an Dienern und Lakaien, anders lässt sich Saltburn schließlich nicht erhalten. In diese Blase platzt Barry Keoghan. Diesmal ist er ein schlichter Student aus Oxford, muss auf eine entbehrungsreiche Kindheit zurückblicken und leidet unter dem höchst problematischen, asozialen Lebenswandel seiner Eltern, die nichts auf die Reihe bekommen, außer ihren Sohnemann Oliver auf die Universität zu schicken. Dort ist der junge Mann ein Außenseiter – bis er durch Zufall den allseits beliebten Felix trifft. Was eine Fahrradpanne so alles bewirken kann – man glaubt es kaum. Das Glück des einen scheint auf das des anderen abzufärben. Bald sind beide gute Freunde, Oliver im Kreise der Elite aufgenommen. Und da das Schicksal diesem Oliver nach wie vor eher bescheiden mitspielt, verstirbt auch noch dessen Vater. Um seinen neuen, vielleicht manchmal etwas nervigen Freund zu trösten, lädt er ihn über die Sommerferien auf besagtes Anwesen ein – nach Saltburn. Dort lernt Oliver Felix‘ Familie kennen: die dem Reichtum und der Langeweile unterworfenen, etwas dekadenten Eltern (realitätsverloren: Rosamunde Pike und Richard E. Grant), die promiskuitive Schwester und andere Nutznießern wie Oliver – dem ein Leben in Saus und Braus und im fast schon blaublütigen Wohlstand plötzlich offen steht. Alles ist möglich, alles ist zu haben. Man muss nur wissen, wie.

Dass während dieses Sommers alles eitel Wonne bleibt und der in den Tag hineinlebenden Gesellschaft bis zum Herbst hin die Sonne aus dem Allerwertesten scheint – davon kann man mal getrost ausgehen, dass dieser Zustand nicht von Dauer sein kann. Schließlich hat Emerald Fennell in Promising Young Woman Carey Mulligan als emanzipatorischen Racheengel auf die Männerwelt losgelassen. Man darf erwarten, dass Saltburn in eine Richtung geht, die in die Dunkelheit führt – in der Intrigen, Manipulation und gute Miene zu bösem Spiel bald zur Tagesordnung gehören. In diesen zwielichtigen Dunstkreis passt Barry Keoghan wie die Made im Speck. Sein Counterpart auf Augenhöhe: Jacob Elordi, der eben als Elvis Presley in Sofia Coppolas Priscilla so richtig brilliert.

Es scheint fast so, als wäre Saltburn die Geschichte einer verbotenen Liebe – in die Richtung gehend, die etwa Guadagninos Call Me By Your Name einschlägt. Weit gefehlt. Fennell zelebriert, obwohl ihr Film in den Nuller Jahren spielt, den modernen Zeitgeist, die perfide Methodik egomanischer Ich-Gesellschaften, die, permanent um sich selbst rotierend, das höchste Gut darin sehen, aller sozialer Interaktion entledigt, das Elysium einzig im erstickenden Reichtum zu erfahren. Materialismus und Soziopathie, obsessive Liebe für den eigenen Zweck. Das gegenseitige Ausspielen aller Figuren in diesem Reigen gibt sich der Zentrifugalkraft einer Eskalationsspirale hin, und je weiter Saltburn voranschreitet, umso mehr lässt der Film eine präzise durchdachte Realität zurück, um sich einer tiefschwarzen, geradezu galligen Groteske hinzugeben, die wir zuletzt ungefähr ähnlich scharf gewetzt in Bong Joon-hos Parasite gesehen haben. Von der Immer-mehr- und Noch-besser-Gesellschaft erzählt Fennell, von den Talenten eines Mr. Ripley, der in Patricia Highsmiths Büchern alle und jeden so weit abrichten konnte, um auf den Schultern jener emporzusteigen. Die Symbolik ist bei Saltburn aber noch intensiver. Das Parasitäre, das In-Sich-Einverleiben der beneideten Elite findet seinen Ausdruck im Vampirismus, im sexuellen Fetisch. Die Blicke Barry Keoghans, meistens wie die eines Unschuldslamms, lassen ganz plötzlich das Blut in den Adern gefrieren. Seine Performance ist so unberechenbar wie subversiv – und doch weiß man bald, sehr bald schon, und zwar ganz genau, wie der Hase wohl weiterlaufen wird.

Vielleicht gerät Saltburn letzten Endes zu plakativ, wird die feine Klinge dann doch noch schartig und arbeitet den humorigen, fiesen Thriller entsprechend ab, ohne sich und andere noch überraschen zu wollen. So homogen alles begonnen hat, so derb endet es. Filme wie diese, die sich immer mehr steigern, müssen mit diesem Manko klarkommen. Saltburn gelingt es trotzdem, als verfluchte Immobilie, als vom Unglück heimgesuchtes Gemäuer, zum verlockenden Verweilen einzuladen. Solange, bis es zu spät ist. Denn den Absprung verpasst man garantiert.

Saltburn (2023)

Brennpunkt Brooklyn

SCHUSS INS KREUZ

7/10


the-french-connection© 1971 20th Century Fox


OT: THE FRENCH CONNECTION

LAND / JAHR: USA 1971

REGIE: WILLIAM FRIEDKIN

CAST: GENE HACKMAN, ROY SCHEIDER, FERNANDO REY, MARCEL BOZZUFFI, TONY LO BIANCO, EDDIE EGAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Die von mir sehr geschätzte Fachzeitschrift cinema liefert mit ihrer Rubrik „Geburt eines Filmklassikers“ monatlich jede Menge Hintergrundinfos zu Werken, die längst Geschichte geschrieben haben. Und die man eigentlich als Filmfan nicht links liegen lassen kann. Inspiriert vom letzten Beitrag, und weil auch derzeit das Filmangebot trotz Netflix weitgehend überschaubar bleibt, habe ich mir William Friedkins Drogenthriller Brennpunkt Brooklyn – im Original The French Connection – oder einfach beides – zur Brust genommen. Und es lohnt sich, das Making-Of im Vorfeld durchzuackern, denn dann ist der Filmgenuss um eine Dimension reicher, wenn all die beschriebenen Szenen nicht mehr aus dem Konzept gerissen, sondern als Teil des Ganzen zu sehen sind und der Zuseher weiß, was da hinter den Kulissen eigentlich alles los war.

Zum Beispiel die ausufernde Verfolgungsjagd mit dem Auto. Das Kuriose dabei: Gene Hackman, der hinterm Steuer sitzt, verfolgt gar nicht mal einen anderen Wagen, sondern hetzt dem Antagonisten hinterher, der in der Schnellbahn über ihm stets eine Nasenlänge voraus ist. Auch nach 50 Jahren – da fällt mir auf: der Film feiert heuer gar ein halbes Jahrhundert Jubiläum, Gratulation! – bietet diese Szene aufgrund seines innovativen Kameraeinsatzes und einem wirklich makellosen Schnitt feinstes Actionkino. Für den Schnitt gabs ja sogar einen von fünf Oscars. Die anderen gingen unter anderem an die Regie und an Gene Hackman. Verdient? Nun, Antihelden wie dieser sind mittlerweile in jeder zweiten Krimiproduktion zu finden. Damals allerdings waren Filmhelden noch Leute mit Ehre und Ethik und salonfähigem Auftreten. Gene Hackman war das, so wie zur selben Zeit Clint Eastwood als Dirty Harry, plötzlich alles nicht mehr. Hackman war gelinde gesagt ein Raubtier mit Polizeimarke und Porkpie-Hut, einer, der nicht anders konnte, als seiner Lust am Auflauern und Jagen einfach nachzugeben. Friedkin zeichnet diese Figur als eine, die sich rein durch dieses Tun definiert. So kommt es mitunter, dass das Sakrileg vom Schuss in den Rücken des Killers in dieses Charakterprofil einfach hineinpasst. Hier geht’s um das Erlegen des kriminellen Freiwilds an sich. Insofern wird Hackman in dieser Rolle richtig groß, und auch am Ende, als er im Halbdunkel einer verfallenen Fabrikhalle den Feind ausmacht, spricht direkt ein bisschen der Wahnsinn.

Brennpunkt Brooklyn ist tatsächlich ein guter Film. Allerdings nichts, das nahe geht, und nichts, das wärmt. Aber etwas, das bestechend akkurat seinen roten Faden verfolgt, ohne sich in Nebenstories zu verlieren. Der winterharte Thriller (da können selbst die paar Szenen in Marseille nichts dran ändern) reduziert seinen Plot aufs Wesentliche, lässt unentwegt bespitzeln und beobachten. Scheider und Hackman sitzen und stehen stets auf Nadeln, da ist nichts, was sie ruhen lässt. Nur die Kälte bremst den Drang, die Dinge am liebsten so zu regeln, als wäre Anarchie die neue Ordnung. Platzhirsche der Gerechtigkeit, wenn man so will. Und selbst die ist nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn – wäre die Biographie von Jimmy „Popeye“ Doyle, so Hackmans Rolle (die auf einer wahren Figur beruh – auch jene von Scheider), etwas anders verlaufen, könnte man ihn gut und gerne auch auf der anderen Seite des Gesetzes sehen.

Brennpunkt Brooklyn

The Kindergarten Teacher

DIE MOZARTS VON HEUTE

7,5/10

 

kindergartenteacher© 2018 Koch Films

 

LAND: USA 2018

REGIE: SARA COLANGELO

CAST: MAGGIE GYLLENHAAL, PARKER SEVAK, GAEL GARCIA BERNAL, ROSA SALAZAR, MICHAEL CHERNUS U. A. 

 

Bist du ein Naturtalent, musst du dieses Können nutzen – und etwas daraus machen. Natürlich, klingt irgendwie logisch. Die Frage ist nur, ob man das, was man gut kann, auch wirklich können will. Das wäre natürlich sinnvoll, denn wenn dir etwas leichtfällt, ist das schon die halbe Miete auf dem Weg zum Ruhm. Blöd wird’s dann, wenn du kein Talent hast für etwas, was du aber gerne machen willst. Du tust es – für dich. Allerdings kräht dann kein Hahn danach. Was macht das mit dem eigenen Ego? Nichts Gutes. Besser man lässt es. Oder konzentriert sich auf die, die´s können, aber vielleicht noch zu klein sind, um den Fuß schon in die Tür des Erfolges zu setzen. Sowas hat man mit Mozart auch getan. Mozart ist auf ewig berühmt. Das Genie schlechthin. Die Kindheit dankt für ihre Auszeit, denn die war nicht vorhanden. Das sind halt die Opfer, die ein Wunderkind bringen muss, mag es auch für die Zukunft schaden. Doch anerkannt zu werden, vor allem in Zeiten der Likes und Reactions und Followers, das ist es einfach wert, ungeachtet der Frage, ob es das eigene Leben wirklich braucht oder nicht.

Wenn ein Pädagoge also ein Kind entdeckt, mit unglaublichem Potenzial, das nach Förderung schreit – was tut man da? Und was tut man, wenn dem Kind genau dort der Meister vom Himmel vor die Füße gefallen ist, wo man selbst versagt? Maggie Gyllenhaal als Kindergartenpädagogin steht vor genau dieser unfassbaren Tatsache, einen sechsjährigen Jungen in ihrer Gruppe zu haben, der aus dem Stegreif die schönsten Gedichte formuliert. Die Pädagogin staunt, ist über alle Maßen begeistert – und weiß: wird das Kind nicht gefördert, dann ist das Verschwendung. Sie schreibt die Gedichte also auf – und trägt sie im eigenen Poesie-Kurs vor. Die Kollegen sowie auch der Lehrer sind nicht weniger sprachlos. Was sie aber verschweigt, das ist deren Herkunft. So genießt sie diese Anerkennung ganz für sich, während sie gleichzeitig versucht, den Knaben für den kommenden Erfolg zu rüsten, der ihm als genialen Poeten in die Wiege gelegt worden sein muss. Das Problem: den Eltern ist das relativ egal. Wichtig ist nur, dem Jungen geht’s gut. Mit Talent aber, so denkt Maggie Gyllenhaal, geht man nicht so um. Sagt eine, die den Neid aufs Kind mit obsessiver Behütung kompensiert.

In ähnlichen Filmen wie Jodie Fosters Wunderkind Tate oder Begabt mit Chris Evans waren die Kids mit ihrer Hochbegabung nicht alleine, zumindest ein Elternteil hatte da ein Auge drauf. In The Kindergarten Teacher, des Remakes eines 2014 erschienen isaraelischen Films, sind es nicht die Eltern, sondern eine Fremde – und das hinterlässt einen bitteren Beigeschmack. Maggie Gyllenhaal agiert als vom eigenen Nachwuchs ignorierte Mutterfigur in der Existenz- und Erziehungskrise mit befremdender Beharrlichkeit und verstörendem Idealismus. Ihre Figur hat Tendenzen zu Robert De Niros verzweifeltem Ringen nach Anerkennung in Martin Scorseses The King of Comedy. Andererseits aber moderiert sie erstaunlich ambivalent die Überlegungen dieses wirklich bemerkenswerten Independentdramas, das über der alltäglichen Selbstbehauptung in einer Leistungsgesellschaft nachdenkt, in dem der Wert eines Menschen lediglich an seinem Können, und nicht an seinem Charakter bemessen wird. Wo Talent alles ist, und ein glückliches, zufriedenes Leben, das für einen selbst genug ist, immer weniger bedeutet.

The Kindergarten Teacher

So wie du mich willst

DIE GELIEBTE STIMME

6,5/10

 

sowiedumichwillst© 2018 Alamode Film

 

LAND: FRANKREICH, BELGIEN 2018

REGIE: SAFY NEBBOU

CAST: JULIETTE BINOCHE, FRANÇOIS CIVIL, NICOLE GARCIA, GUILLAUME GOIX, CHARLES BERLING U. A.

 

Juliette Binoche ist schon wirklich lange im Filmbiz tätig, und eigentlich immer konstant ausgelastet, scheut auch vor Blockbustern nicht zurück und erprobt die unterschiedlichsten Genres – von der Gameverfilmung bis zur Schnulze. Binoche ist längst nicht nur eine französische Schauspielerin, sie ist eine künstlerische Kosmopolitin, liebt Vielfalt und Abwechslung. Und gerade, weil sie sich, wie es scheint, unkompliziert casten lässt, dürfte sie bei den Filmemachern rund um den Globus allseits beliebt sein. Ungefähr so wie Isabelle Huppert. Was Binoche mit Huppert noch verbindet? Sie werden, je länger sie im Geschäft sind und je älter sie auch werden, immer attraktiver.

Binoches Filmfigur Claire ist sich ihres Charismas nicht bewusst, einfach, weil sie ganz andere Sorgen hat: neben einer traumatischen Trennung von ihrem Lebenspartner und der Erziehung ihrer Tochter vor allem die verfluchte Einsamkeit. Noch dazu ist sie um die 50 Jahre alt, in einem Alter also, in dem sich ein amouröser Neuanfang scheinbar schwierig bewerkstelligen lässt. Verlassen werden ist schmerzhaft, das macht so einiges mit dem Selbstwert. Da kommt Frau sich plötzlich gar nicht mehr begehrenswert vor. Also was tun, im Zeitalter der sozialen Medien, im Zeitalter von Tinder und Facebook? Frau macht sich einfach jünger, oder zumindest modifiziert sie sich so, dass sie jüngeren Männern gefallen könnte. Das kann natürlich nicht ewig gut gehen, so eine Lüge. Ich als Claire würde mich noch minderwertiger fühlen, wenn ich mich so dermaßen selbst verraten muss. Aber ist es wirklich das, was Mann will? Die Schlußfolgerung ist nur logisch, denn verlassen werden für eine Jüngere impliziert relativ unmissverständlich, nicht gut genug zu sein für den, der einem wichtig ist.

So wie du mich willst beklagt den aktuellen Trend, medial für alle gefällig sein zu müssen. Juliette Binoche gibt sich dem Diktat der Nachfrage ans Junge und Schöne in sehnsüchtiger Verzweiflung hin, ohne an die Folgen zu denken. Der Moment des Genusses, begehrt zu werden, der reicht. Auch wenn das Ganze rein platonisch bleiben muss. Und wie in einem Psychothriller um Obesssionen, Abhängigkeiten und Eifersucht zwirbelt sich dieser Film, der aber eigentlich gar kein Thriller ist, in schwer steuerbare Höhen. Binoche lässt sich dabei voll und ganz gehen, weder Sex noch Nacktheit scheinen sie zu stören, sie ist da voll und ganz Profi. Weniger professionell erscheint da schon eher der Plot dieser medienkritischen Romanze – ein interessantes Beispiel dafür, wenn sich Drehbuchautoren nicht entscheiden können, zu welchem Ende sie kommen wollen. Tatsächlich hat So wie du mich willst zwei davon. Wie lässt sich das lösen? Ich will natürlich nicht zu viel verraten, jedoch eines lässt sich sagen: Obesssion hört erst dann auf, wenn gar nichts mehr geht. Wenn entweder der Gierende oder das Objekt der Begierde fort ist. Das wäre eine bittere Konsequenz, und dieser wollte sich Regisseur Safy Nebbou nicht zur Gänze hingeben, wenngleich er in manchen Szenen stark mit Elementen aus Jean Cocteaus fatalem Monodrama Die geliebte Stimme kokettiert. Spätestens dann verliert der Film aber einiges an Bodenhaftung, allerdings könnte es wohl die einzige Lösung sein, wenn es darum geht, keinen Rückzieher machen zu wollen vor dem unvermeidlichen Cocktail aus Scham, Illusion und Erfüllung, der da losgetreten wurde.

So wie du mich willst

Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne

DAS TROUBADIX-SYNDROM

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marguerite

„Nein, du wirst nicht singen! Nein du wirst nicht singen!“ Und schon bekommt der Barde des kleinen, uns wohlbekannten gallischen Dorfes mit dem Schmiedehammer einen Scheitel gezogen. Bei der Darstellung eben jener Sachverhältnisse handelt es sich, wie wir alle wissen, um den gänzlich verkannten Barden Troubadix aus den Comics über Asterix und seine Freunde, meisterhaft gezeichnet und ersonnen von Rene Coscinny und Albert Uderzo. Seine Gesangsqualitäten sind für jedermann ein Graus, Troubadix selbst jedoch hat an seinem Talent nichts zu meckern. Viel mehr noch, er hält sich für ein verkanntes Genie.

Ungefähr so oder ähnlich ergeht es Madame Marguerite. Mit dem einzigen Unterschied, dass ihr Publikum keine offenherzig ehrlichen Banausen sind, sondern Lügner und Schwindler. Warum? Nun, weil Madame Marguerite enorm wohlhabend ist, und für wohltätige Zwecke sehr oft und sehr gerne die Spendierhosen an hat. Und eine Kuh, die man melken kann, wird man doch nicht vergrämen?

Lose basierend auf den tatsächlichen Fall der Florence Foster Jenkins, einer amerikanischen Sopranistin, die weder Ton noch Rhythmus traf und mit ihren seltenen, aber skurrilen Konzerten als akustische Freakshow durchaus für volle Hallen sorgte (aktuell im Kino mit Meryl Streep in der Hauptrolle), erzählt die französische Tragikomödie von einem leidenschaftlichen Opernfan, der geradezu obsessiv sein Leben dem Gesang widmet. Und das nicht nur als Zuhörer, sondern auch als Interpret. Das Fatale und Traurige an der eher schwermütigen als leichtfüßigen Geschichte ist der Verrat der Gesellschaft an ihrer Person. Das beginnt beim Butler, der die Verrücktheit der verblendeten Frau fotografisch dokumentiert, um selbst berühmt zu werden. Und endet beim eigenen Ehemann, der sogar noch fremdgeht, da er seine Gemahlin für ein Monster hält. Gerade kommt mir David Lynchs Der Elefantenmensch in den Sinn. Nur Madame Marguerite, souverän und sensibel verkörpert von „Odette Toulemonde“ Catherine Frot, ist alles andere als hässlich. In diesem Fall ist ihr Gesang die abscheuliche Mutation, die alle anderen für sich ausnützen. So bleibt Madame in dem hochgerüsteten Elfenbeinturm gefangen, den ihre Mitmenschen um sie erbaut haben. Und verliert die Fähigkeit der Selbstreflexion.

Irgendwie ist Xavier Giannolis Film eine Parabel auf den Preis, den versponnene, zerbrechliche Seelen zahlen müssen, wenn sie von der Öffentlichkeit hochgeschaukelt werden. Zu welchem Zweck auch immer, doch meistens ist es Geld und die Gier nach eigenem Ruhm. Somit ist das mit expressivem Theaterlicht und üppigem Interieur ausgestattete Drama ein beklemmender Kreuzweg, der radikal endet. Und keine gute Stimmung hinterlässt. Die Welt kann auch auf andere Art eine Illusion sein. Nämlich im falschen Feedback der anderen. So sehr die Aufrichtigkeit unserer Umwelt oftmals wehtun kann, so reinigend wäre sie manchmal. Diesen Gefallen hat man Madame Marguerite leider nicht getan.

 

Madame Marguerite oder die Kunst der schiefen Töne