Raging Fire (2021)

COPS IM WECHSELSTROM

5,5/10


ragingfire© 2022 Plaion Pictures


LAND / JAHR: CHINA 2021

REGIE: BENNY CHAN

DREHBUCH: BENNY CHAN, RYAN LING, TIM TONG

CAST: DONNIE YEN, NICHOLAS TSE, QIN LAN, PATRICK TAM, BEN LAM, DEEP NG, YU KANG, HENRY PRINCE MAK U. A.

LÄNGE: 2 STD 6 MIN


Die Macht ist mit mir und ich bin mit der Macht. Bei dieser Phrase bekommen Star Wars-Fans feuchte Augen, und obendrein verbinden sie diese noch mit Donnie Yens prägender Performance als blinder Wächter der Whills in Rogue One – A Star Wars Story. Der Martial Arts-Star hat sich damit für immer seinen Platz im Kanon des Franchise gesichert. Charisma hat er schließlich, und dieses stellte er im letzten John Wick-Kapitel ebenfalls zur Schau. Als längst müde gewordener Profikiller, der sich eigentlich nur gemeinsam mit seiner Tochter für seinen Lebensabend zurückziehen und dann doch noch gegen den strähnigen Keanu Reeves antreten muss, gibt er einen Konterpart mit Understatement. Und wenn eine Rolle wie diese schon so angegossen sitzt, ist die Mission eines Polizisten, der sich mit seinen eigenen Fehlern von damals auseinandersetzen muss, natürlich nicht fern.

Als selbstredend hartgesottener, aber moralisch höchst integrer Cop Cheung Sung-bong muss sich Donnie Yen vor seiner eigenen Moral verantworten. Eine spannende Idee, da der Protagonist dieses explosiven Katz und Maus-Spiels tatsächlich zwischen zwei Mühlsteine gerät, die beide jeweils ihre Berechtigung haben, sich zu drehen. In einem Rechtssystem allerdings und als Vertreter des Gesetzes ist die Einhaltung dieser wohl oberste Priorität, die über allem stehen soll. Wirklich über allem? Sogar über Freundschaft, Teamgeist und Loyalität? Über Vertrauen, Solidarität und andere ähnliche zwischenmenschliche Wertigkeiten? Cheung muss seine Prioritäten neu sortieren. Sein Schützling Yai Kong-ngo nämlich hat bei einem Einsatz vor langer Zeit Recht mit Rache und Wut verwechselt und so den potenziellen Zeugen eines Verbrechens um die Ecke gebracht. Hätte nicht sein müssen – darf auch nicht sein. Solche Internal Affairs müssen aufgeklärt und Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen werden. Kong-ngo landet im Gefängnis – viele Jahre später, nach dessen Freilassung, hat dieser nun, längst kein Polizist mehr, sondern schwerer Krimineller, die Gelegenheit, die mit falschen Moralvorstellungen durchdrungenen Exekutive ihrem einzigen Richter zuzuführen – den der Vergeltung.

Und dieses Gefühl der Rache, der Genugtuung, am besten von langer Hand geplant, zieht sich durch das südostasiatische Actionkino wie keine andere Grundemotion davor oder danach. Rache dominiert unter anderem die Kult-Trilogie von Pak Chan-wook, während der Westen meist geräderte und trauernde Familienmütter und -väter in salonfähigen Psychosen auf den martialischen Feldzug schickt. In Benny Chans Hongkong-Action gerät das Motiv der Rache in den Sog fieser Copstories, die meist im internen Korruptions- und Verbrechenssumpf wühlen. Raging Fire stülpt aber den faulen Polizeistaat nach außen und lässt den Antagonisten bereits als gefallenen Engel aus der für alle klar ersichtlichen Verbrecherposition agieren. Beantwortet diese Konstellation dem Actioner seine moralischen Fragen?

Das Dilemma, mit welchem Donnie Yen jonglieren muss, bleibt aufrecht. Verrat, Gerechtigkeit und Gehorsam finden sich immer noch auf der psychosozialen Metaebene des Films, die aber, je mehr der Konflikt zwischen den Parteien eskaliert, seine Bedeutung verliert. Schnell wird klar, dass die anfangs ambivalente Figur des Hardboiled-Detective nur richtig gehandelt haben kann, denn der Finsterling verkommt zur unberechenbaren Mördergestalt, die selbst die eigene Crew drangsaliert. Vom Hinterfragen der Moral bleibt nichts mehr und scheint im Nachhinein doch nur als Behauptung auf.

Welchen Dingen Benny Chan aber, der kurz nach Fertigstellung seines Films an einer Krebserkrankung verstarb, dennoch sein ganzes Herzblut geschenkt hat, sind die im Hong Kong-Actionfilm obligaten Shootouts, in denen die Kontrahenten ordentlich zur Sache gehen. Das ist perfekt inszeniert und State of the Art – letzten Endes aber mit anderen Genrefilmen austauschbar. Wäre das menschliche Drama mehr im Fokus gewesen; wären die Biografien von Gut und Böse nicht nur mit dem Kompromiss zufrieden gewesen, in ihrer Rahmenhandlung und nicht darüber hinaus zu existieren, hätte Raging Fire das Zeug zu einem rabiaten Klassiker gehabt. So aber verschwindet das Gesehene recht rasch im vollgestellten Fundus ähnlich gelagerter Reißer.

Raging Fire (2021)

City of Lies

RAP AND REVENGE

4,5/10


cityoflies© 2021 Koch Films


LAND / JAHR: USA 2018

REGIE: BRAD FURMAN

CAST: JOHNNY DEPP, FOREST WHITAKER, TOBY HUSS, DAYTON CALLIE, SHEA WIGHAM, LOUIS HERTHUM U. A. 

LÄNGE: 1 STD 52 MIN


Dass man Schauspieler tatsächlich aufgrund ihrer relativ privaten Beziehungsquerelen so dermaßen fallen lässt – ich dachte, über diese Methoden ist das Showbiz längst hinweg. Welch ein Irrtum: Nach dem Schmutzkübel- und Rosenkrieg mit Amber Heard ist einer wie Johnny Depp nicht mehr derselbe. Von der Planke seiner Black Pearl stößt man ihn ebenfalls – der nächste Blockbuster wird wohl noch etwas dauern. Leute wie Bruce Willis und Nicholas Cage haben damit keine Probleme, die beiden genießen ihren Wanderpfad durchs Low Budget-Dickicht. Depp hingegen bemüht sich redlich, seinem Plan B zu entgehen und wird zumindest noch für Filme engagiert, die gewisse inhaltliche Qualitäten aufweisen. The Professor zum Beispiel, oder Warten auf die Barbaren – ein Historienfilm, in welchem der Star so richtig fies sein darf. In City of Lies ist er an der Seite eines auffallend erschlankten Forest Whitaker zu sehen und gibt einen Detektive, der mit den Morden an den Rappern Notorious B.I.G. und Tupac Shakur zu tun hat.

Man muss kein Afficionado in Sachen Rapmusik sein – da reicht das musikalische Allgemeinwissen. Denn Notorious B.I.G. und Tupac Shakur, die waren zwar in ihrem Genre halbgottgleiche Kapazunder, traurigen Weltruhm erlangten sie allerdings erst durch ihren gewaltsamen Tod. Beide starben im selben Jahr fast zur selben Zeit an unterschiedlichen Orten durch mehrere Schüsse. Der oder die Täter wurden nie gefasst. Ein kriminalistisches Mysterium. Und zwar eines, das aufgrund seiner mittlerweile im Schlepptau befindlichen Legenden- und Verschwörungen ähnlich wie beim Kennedy-Attentat allerhand Theorien für möglich hält. Auf Basis eines Tatsachenromans von Randall Sullivan mit dem (von mir verkürzten) Titel LAbyrinth verfilmt Brad Furman (u. a. The Infiltrator, Der Mandant) die Nachforschungen des Ermittlers Russel Poole (Johnny Depp), der gemeinsam mit einem Journalisten den Spuren der Mörder so nahe wie bislang möglich kommt, ohne Beweise allerdings niemanden jemals belangen wird können. Ob das so eine gute Idee war, sich dieser Ansammlung an Fakten zu bedienen, um daraus statt einer Dokumentation einen Spielfilm zu machen, ist eine gute Frage. Denn in die Gänge kommt diese nüchtern dargebotene Kriminalchronik leider wirklich nicht.

In ungesund graugelbem Farbton gehalten, offenbart sich die investigative Arbeit als ein Kommen und Gehen wenig greifbarer Gestalten, und überhaupt scheint Johnny Depp im Gegensatz zu Whitaker, der als einziger ein bisschen aufs Gas steigt, von seiner Rolle und auch vom Filmstoff selbst durchaus gelangweilt. Esprit entwickelt er keinen. Vielleicht erfordert das auch die Rolle des schon ewig auf diesem Fall herumkauenden Ermittlers, der noch dazu in Rückblenden zu sehen ist, die den ganzen Verschwörungskrimi die Attraktivität eines aus Zeitungsschnipseln zusammengetragenen Sammelalbums verleihen. Was überbleibt, ist das ergänzte Allgemeinwissen um die Schicksale zweier Musiker. Mehr aber auch nicht.

City of Lies

A Hard Day

WENN TOTE NICHT ANS HANDY GEHEN

7/10


ahardday© 2021 Busch Media Group

LAND / JAHR: SÜDKOREA 2014

BUCH / REGIE: KIM SEONG-HUN,

CAST: LEE SUN-KYUN, CHO JIN-WOONG, JEONG MAN-SIK, SHIN JUNG-KEUN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Meist lautet die Faustregel so: kennst du einen amerikanischen Thriller, kennst du gleich viele andere. Kennst du aber einen südkoreanischen Thriller, können dich alle anderen noch überraschen. Forrest Gump würde den Umstand mit einer Schachtel Pralinen vergleichen. Wie die das dort machen, ist kein Geheimnis – klarerweise liegt’s am Drehbuch, und klarerweise liegt’s an der Bereitschaft der Produzenten, auch gegen die Norm gebürstete Arbeiten zu verfilmen, die nicht dem lukrativen Schema erfolgreicher Marktforschung unterliegen. Die Südkoreaner, die trauen sich einfach mehr. Fabulieren mehr und denken mehr um die Ecke. Daher sind auch Filme, die sonst kaum das Zeug haben, auf westlichen Leinwänden groß rauszukommen – weil sie vielleicht nicht Bong Joon-Ho oder Park Chan-Wok in den Credits haben – bemerkenswerte Geschichten, die einfach erzählt werden müssen. So auch dieser bereits 2014 abgedrehte Streifen, der allerdings rund sechs Jahre darauf warten hat müssen, um das Licht der Retail-Welt zu erblicken. Doch egal, wann dieser letztendlich auftaucht – es ist schön, ihn zu sehen. Und ein kurioses Vergnügen obendrein. Ich hoffe, nur, dass es den Coen-Brüdern oder sonst wem nicht einfällt, Filme wie diese zu amerikanisieren. Eigene Ideen wären begrüßenswerter.

So ist die Idee vom korrupten Detektiv Ko, der bei einer nächtlichen Autofahrt zum Begräbnis seiner Mutter einen Menschen überfährt und sich damit allerlei Schwierigkeiten aufhalst, eine erfrischend originelle. Denn eine Anklage kann Ko momentan wirklich nicht gebrauchen, also schafft er das Unfallopfer in seinen Kofferraum, um es später spurlos verschwinden zu lassen. Was eignet sich da nicht besser als der Sarg seiner verstorbenen Mutter, die ja ohnehin begraben wird. Doch dieses groteske Vorhaben gestaltet sich äußerst schwierig. Dabei passieren Dinge, die kurioser kaum sein können. Und letzten Endes war der Überfahrene nicht irgendeiner, und auch nicht jemand, dessen Ableben nicht noch von jemand anderem beobachtet wurde.

Schwarzer Humor trifft auf Copthriller, die wiederum treffen auf makabren Suspense. Das muntere Potpourri aus Vertuschung und Erpressung, in dem es keine Guten, sondern nur weniger Böse gibt, steuert mit sehr viel ausgelebter Schadenfreude auf ein Katz- und Mausspiel zu, das vor skurrilen Momenten nicht mehr weiß, wohin damit. Klar kommt einem da wieder das tiefschwarze Meisterwerk Blood Simple von den eingangs erwähnten Coen-Brüdern in den Sinn, es werden Leichen aus- und eingegraben, und das alles in einem lakonischen, fast schon finnischen Gleichmut, der allerdings das Meistern scheinbar auswegloser Situationen in glaubhaftem Licht erscheinen lässt. A Hard Day ist nicht nur ein Tag, A Hard Week trifft es wohl eher, denn der Thriller erstreckt sich über einen längeren Zeitraum. Doch dieser eine Moment der Unachtsamkeit an diesem einen harten Tag ordnet die Parameter neu und zwar so, wie man sie vielleicht nicht erwartet hätte.

A Hard Day

Eine Frau mit berauschenden Talenten

THERE’S A KIND OF HASCH…

5/10


frau_berauschendetalente© 2020 Neue Visionen


LAND / JAHR: FRANKREICH 2018

REGIE: JEAN-PAUL SALOMÉ

CAST: ISABELLE HUPPERT, HIPPOLYTE GIRARDOT, LILIANE ROVÈRE, FARIDA OUCHANI, RACHID GUELLAZ U. A. 

LÄNGE: 1STD 46 MIN


… all over Paris: Schauspiellegende Isabell Huppert gibt in dieser Cannabis-Komödie Patience, eine Sprachexpertin fürs Arabische, die in den Diensten der Polizei steht, wo keiner natürlich Arabisch kann (soviel zu ethnischer Vielfalt). Da eröffnen sich natürlich Tür und Tor, um selbst an mehr Geld zu kommen. Vor allem dann, wenn da gerade eine tonnenschwere Lieferung reinstem Marihuanas per Lieferwagen über die Pyrenäen tuckert und die Exekutive nur darauf wartet, diesen abzufangen. Patience wittert eine einmalige Chance: ganz leicht könnte sie den Wagen verschwinden lassen, denn die Fakten kennt nur sie und wie durch Zufall ist der Fahrer des ominösen Fahrzeugs noch dazu der Sohn jener Pflegehelferin, die sich um ihre Mutter sorgt. Ein Zufall, der so vermutlich niemals wiederkehren wird. Also selbst einen auf Breaking Bad machen und statt Crystal Meth das viel salonfähigere Haschisch verticken. Mit zwei verpeilten Dealern, die sowieso die ganze Zeit schon am Trockenen sitzen.

Isabelle Huppert scheint ewig jung geblieben zu sein. Erstaunlich, was die zierliche Französin, aus der Filmgeschichte Europas längst nicht mehr wegzudenken, immer noch für eine aparte Ausstrahlung hat. Faszinierend, ihr immer wieder zuzusehen. Denn Huppert, die spielt alles, von Komödie bis zum bleischweren Drama und gar bis zum Horror. Es kann aber auch gut sein, dass, wenn man schon so dermaßen lange im Filmbiz weilt, es ab und an zu Ermüdungserscheinungen kommt. Vor allem dann, wenn das gerade abzudrehende Werk so belanglos bleibt wie Eine Frau mit berauschenden Talenten. Da ist man als Filmdiva schnell mal unterfordert – diese Unterforderung sieht man der rothaarigen Dame an. Das ist Business as usual, bietet keine Herausforderung und auch keine besonderen Momente. Jean-Pierre Salomés achtes Werk macht aus dem Verbot für die jointverliebte Pflanzendroge einen teils tragikomischen Schwank, der mit vielen sozialen Klischees arbeitet und versucht, diese mit Sympathie zu überzeichnen oder gar zu rechtfertigen. Der Dealer ist der kauzige Jogginghosenträger mit Goldkette, der die meiste Zeit in der Dönerbude abhängt, das Pflegepersonal im Altersheim hat meist Migrationshintergrund, die Drogen kommen aus Afrika. Nur die hochgebildete (Anti)Heldin des Films vollführt hier einen gewissen Spagat zwischen den geöffneten Schubladen, führt allesamt an der Nase herum und bietet der Konkurrenz spielend Paroli. Eine Persiflage, die das Sub-Business der Drogenwirtschaft auf eine Handvoll Haudrauf-Schlägertypen reduziert.

Eine Frau mit berauschenden Talenten (Im Original La daronne – Die Alte, nach einem Roman von Hannelore Cayre) verbrät also ein längst nicht neues Grundkonzept der reifen, distinguierten und dealenden Dame auf altbackene Art mit ironisch angehauchten Polizeiermittlungen.

Eine Frau mit berauschenden Talenten

Brennpunkt Brooklyn

SCHUSS INS KREUZ

7/10


the-french-connection© 1971 20th Century Fox


OT: THE FRENCH CONNECTION

LAND / JAHR: USA 1971

REGIE: WILLIAM FRIEDKIN

CAST: GENE HACKMAN, ROY SCHEIDER, FERNANDO REY, MARCEL BOZZUFFI, TONY LO BIANCO, EDDIE EGAN U. A.

LÄNGE: 1 STD 44 MIN


Die von mir sehr geschätzte Fachzeitschrift cinema liefert mit ihrer Rubrik „Geburt eines Filmklassikers“ monatlich jede Menge Hintergrundinfos zu Werken, die längst Geschichte geschrieben haben. Und die man eigentlich als Filmfan nicht links liegen lassen kann. Inspiriert vom letzten Beitrag, und weil auch derzeit das Filmangebot trotz Netflix weitgehend überschaubar bleibt, habe ich mir William Friedkins Drogenthriller Brennpunkt Brooklyn – im Original The French Connection – oder einfach beides – zur Brust genommen. Und es lohnt sich, das Making-Of im Vorfeld durchzuackern, denn dann ist der Filmgenuss um eine Dimension reicher, wenn all die beschriebenen Szenen nicht mehr aus dem Konzept gerissen, sondern als Teil des Ganzen zu sehen sind und der Zuseher weiß, was da hinter den Kulissen eigentlich alles los war.

Zum Beispiel die ausufernde Verfolgungsjagd mit dem Auto. Das Kuriose dabei: Gene Hackman, der hinterm Steuer sitzt, verfolgt gar nicht mal einen anderen Wagen, sondern hetzt dem Antagonisten hinterher, der in der Schnellbahn über ihm stets eine Nasenlänge voraus ist. Auch nach 50 Jahren – da fällt mir auf: der Film feiert heuer gar ein halbes Jahrhundert Jubiläum, Gratulation! – bietet diese Szene aufgrund seines innovativen Kameraeinsatzes und einem wirklich makellosen Schnitt feinstes Actionkino. Für den Schnitt gabs ja sogar einen von fünf Oscars. Die anderen gingen unter anderem an die Regie und an Gene Hackman. Verdient? Nun, Antihelden wie dieser sind mittlerweile in jeder zweiten Krimiproduktion zu finden. Damals allerdings waren Filmhelden noch Leute mit Ehre und Ethik und salonfähigem Auftreten. Gene Hackman war das, so wie zur selben Zeit Clint Eastwood als Dirty Harry, plötzlich alles nicht mehr. Hackman war gelinde gesagt ein Raubtier mit Polizeimarke und Porkpie-Hut, einer, der nicht anders konnte, als seiner Lust am Auflauern und Jagen einfach nachzugeben. Friedkin zeichnet diese Figur als eine, die sich rein durch dieses Tun definiert. So kommt es mitunter, dass das Sakrileg vom Schuss in den Rücken des Killers in dieses Charakterprofil einfach hineinpasst. Hier geht’s um das Erlegen des kriminellen Freiwilds an sich. Insofern wird Hackman in dieser Rolle richtig groß, und auch am Ende, als er im Halbdunkel einer verfallenen Fabrikhalle den Feind ausmacht, spricht direkt ein bisschen der Wahnsinn.

Brennpunkt Brooklyn ist tatsächlich ein guter Film. Allerdings nichts, das nahe geht, und nichts, das wärmt. Aber etwas, das bestechend akkurat seinen roten Faden verfolgt, ohne sich in Nebenstories zu verlieren. Der winterharte Thriller (da können selbst die paar Szenen in Marseille nichts dran ändern) reduziert seinen Plot aufs Wesentliche, lässt unentwegt bespitzeln und beobachten. Scheider und Hackman sitzen und stehen stets auf Nadeln, da ist nichts, was sie ruhen lässt. Nur die Kälte bremst den Drang, die Dinge am liebsten so zu regeln, als wäre Anarchie die neue Ordnung. Platzhirsche der Gerechtigkeit, wenn man so will. Und selbst die ist nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Denn – wäre die Biographie von Jimmy „Popeye“ Doyle, so Hackmans Rolle (die auf einer wahren Figur beruh – auch jene von Scheider), etwas anders verlaufen, könnte man ihn gut und gerne auch auf der anderen Seite des Gesetzes sehen.

Brennpunkt Brooklyn

End of Watch

BLUTSBRÜDER AUF STREIFE

7,5/10


endofwatch© 2012 Tobis Film

LAND: USA 2012

DREHBUCH & REGIE: DAVID AYER

CAST: JAKE GYLLENHAL, MICHAEL PEÑA, ANNA KENDRICK, AMERICA FERRERA, DAVID HARBOUR, FRANK GRILLO, NATALIE MARTINEZ U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Zugegeben: es gibt Filme, für die braucht es einen zweiten Anlauf. Ein solcher war End of Watch. Den hatte ich mal vor Jahren sichten wollen – die vulgäre Sprache und das Gewackel der Handkamera hatten mir damals die Freude verdorben. Dieses vorschnelle Urteil war jedoch nicht fair. End of Watch verdient eine zweite Chance. Ich ergreife sie – und zieh´s natürlich durch bis zum Ende. Und ja: man soll bei Filmen nie zu früh die Flinte ins Korn werfen, denn: David Ayers Buddy-Movie ist wohl einer der besten seinen Genres. Da haben Klassiker mit ähnlichem Aufbau (ich will jetzt keine Namen nennen) deutlich das Nachsehen. Und das liegt an mehreren Punkten.

Erstens mal an Ayers Originaldrehbuch. Der hat, um diesen Film zu schreiben, nur einige Tage gebraucht. Ein Geschenk des Himmels, wenn einem mal die kreative Arbeit so sehr von der Hand geht, dass sie wie aus einem Guss plötzlich am Papier geschrieben steht. Umso weniger an einem Script herumgezupft wird, umso mehr hat die erste Wahl des dramaturgischen Konzepts das Anrecht, umgesetzt zu werden. End of Watch, das sieht man, kam aus dem Bauch heraus und das in positivem Sinn.

Zweitens das Duo Jake Gyllenhal und Michael Peña. Die müssen sich auch abseits vom Set sagenhaft gut verstanden haben, denn anders lässt sich diese Bruderliebe ja gar nicht darstellen. Beide setzen voll auf Empfindung, wissen wohl selbst, was für ein Gefühl deppensichere Freundschaft auslöst und wie es ist, sich auf jemanden verlassen zu können.

Drittens probiert David Ayer kameratechnisch einiges aus. Er filmt nicht nur mit einer mobilen Kamera, er filmt auch mit dem Handy, mit Überwachungsequipment, Body Cams – im Grunde mit allem, was zur Verfügung steht. Oder mit allem, was gerade in der entsprechenden Situation greifbar scheint. Dabei ist End of Watch kein semidokumentarisches Reality-TV. Ist mal keine, in die Szenerie eingebettetes Medium zur Hand, tut’s dann auch die Profikamera aus dem Off. Was Ayer da aber zusammenmontiert und geschnitten hat, wird zu einem virtuosen Thrillerdrama, das prinzipiell mal nicht viel anderes erzählt als in so manchen Polizistenfilmen bereits erzählt wurde, in denen Buddys auf Verbrecherjagd gehen und für Recht und Ordnung sorgen. Aber wie Ayer das erzählt, und wie lückenlos sein Drehbuch in das ganze Projekt hineinpasst, angefangen vom Abchecken der Lage bis zum tragischen Finale, das hat seine ganz eigene, manchmal auch eben erschreckende, aber vor allem menschliche Faszination. Zwischen all dieser Poilzeiarbeit steckt überdies noch ganz viel ungeschminkter Sozialnotstand, den die beiden Cops Taylor und Zavala tagtäglich verarbeiten müssen. Sie können das nur, weil sie die besten Freunde sind. Das ist so ein gewinnender Zustand, da perlt der Schmutz der Straße ab wie Regen auf einer imprägnierten Oberfläche.

End of Watch

Die Wütenden – Les Misérables

HINTER DEN KULISSEN VON PARIS

7/10

 

diewuetenden© 2019 Wild Bunch

 

LAND: FRANKREICH 2019

REGIE: LADJ LY

CAST: DAMIEN BONNARD, ALEXIS MANENTI, DJIBRIL ZONGA, ISSA PERICA U. A. 

 

Über eine Oscar-Nominierung für den besten fremdsprachigen Film durfte sich dieses Jahr der Filmemacher Ladj Ly freuen, nebst unzähligen weiteren Auszeichnungen, die sein Werk bereits eingeheimst hatte. Die Wütenden – Les Miserables, bezugnehmend auf Victor Hugos legendären Roman, ist ein wahrlich treffender Titel für diesen Schulterblick beim Polizeieinsatz in der Peripherie von Paris, genauer gesagt in der Satellitengemeinde Montfermeil. Was diesen Stadtteil so besonders macht, sind seine Bewohner: armutsgefährdete Menschen aller möglichen Nationen, und vor allem jener Länder, die Frankreich einst kolonisiert hat. Multikulturell ist fast schon ein Hilfsausdruck, auch Religionen treffen aufeinander, es leben auch Ethnien Tür an Tür, die sich nicht ausstehen können. In diesem Schmelztiegel sind Verbrechen an der Tagesordnung, jeder kocht sein Süppchen und die Kids, die loten ihre Grenzen aus, nämlich dort, wo gar keine sind. Dieses Kräftemessen muss in Zaum gehalten werden, sonst drohen wieder bürgerkriegsähnliche Unruhen wie seinerzeit 2005. Die Lunte ist stets kurz. Diese Gewalt braucht Gegengewalt – denkt so manch ein Polizist, sonst ist die Exekutive nur Staffage. In solch ein Grüppchen Ordnungshüter wird der Ex-Streifencop Stephane versetzt, der neben den vernachlässigbaren Schikanen seines Macho-Kollegen wohl den schlimmsten Tag seines Lebens haben wird.

Ladj Ly kennt dieses freie Spiel der Kräfte. Ein Kenner der Materie. Ly selbst ist dort aufgewachsen. Geprägt hat ihn dieses Leben mit Sicherheit. Dieses andere Paris, das muss verstörend sein. In die Schranken gewiesen werden die Elenden dort mit demonstrativer Gewalt, die auch so mancher Kamera nicht entgeht. Ly hat 2008 so eine Eskapade gefilmt, woraufhin die Cops vor Gericht gestellt wurden. Nach einer Doku rund um diese Gegend fiel 12 Jahre später die erste Klappe zu Die Wütenden. Auch hier ist das beobachtende Auge das Zentrum des Geschehens, denn der perfekt balancierte Flug einer Drohne ist der ruhende Gegensatz zum baldigen Überkochen der Emotionen, die in einem Alltag zwischen Notstand, Ziellosigkeit und Bandenpolitik mit stiernackigem Stolz die Ansprüche der Einzelnen geltend machen. Gehört werden sie von denen da oben ganz wenig, mit zynischer Geringschätzung aber von der Exekutive gezügelt. Von Anfang an herrscht in Die Wütenden hoher Blutdruck, wie Magma unter der Erdkruste. Lys Film erinnert an die früheren Werke von Spike Lee, ganz besonders an seinen Film Do the Right Thing, der ebenfalls an einem siedend heißen Sommermorgen beginnt und die Gewalt so richtig eskalieren lässt. Nebst diesem fliegenden Auge, das den Missstand dokumentiert, steht der exotische Traum für ein besonderes Leben – ein gestohlenes Löwenbaby. All das verschmilzt weit über dem Siedepunkt mit der wütenden Ohnmacht derer, die nicht gehört werden, und das sind sowohl die, die eingeschüchtert werden als auch die, die einschüchtern. Nur einer hört zu, das ist Cop Stephane, der aber auch sehr bald zur Waffe greifen muss.

Die Wütenden – Les Misérables ist so indiskret wie End of Watch und so beobachtend wie Jacques Audiards Dheepan – Dämonen und Wunder. Die Wucht hat er von beiden zusammen, die meist negative Energie, die hier kein Ventil findet, bekommt auch letzten Endes keine Chance, sich in etwas Konstruktives zu wandeln. Was bleibt, ist ein zum Zerplatzen aufgeblähter Konflikt, in dem keiner den anderen wahrnimmt. Vielleicht reicht es, wenn nur einer damit beginnt?

Diese Hoffnung jedoch schnappt uns Ladj Ly vor der Nase weg.

Die Wütenden – Les Misérables

Nur Gott kann mich richten

DIE WUT DER VERZWEIFLUNG

8,5/10

 

nurgottkannmichrichten© 2018 Constantin Film

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: ÖZGÜR YILDIRIM

CAST: MORITZ BLEIBTREU, BIRGIT MINICHMAYR, KIDA KHODR RAMADAN, EDIN HASANOVIC, PETER SIMONISCHEK U. A.

 

Alles für die Familie, oder nicht? Natürlich lässt sich dieser Leitsatz höchst unterschiedlich auslegen. In erster Linie habe ich hier gleich Marlon Brando vor Augen als Vorsitzender der italo-amerikanischen Mafia. In diesem Fall aber meine ich genau das, was unter Familie im biologisch-gesellschaftlichen Sinn zu verstehen ist: die Vernetzung und ewige Bindung, die das eigen Fleisch und Blut mit sich bringt. Vater, Bruder, Tochter, all das. Wenn alle Stricke im Leben reißen sollten, ist Familie das, was bleibt. Erschütternd für jene, die in dieser sozialen Basiskonstellation keinen Halt finden oder nie gefunden haben. Die stärkste Bindung ist aber die zwischen Mutter und Kind. Das ist natürlich nichts Neues, diese Intensität der Verbundenheit ist eigentlich überall auf der Welt gleich stark und unerschütterlich. Die Verpflichtung der Familie gegenüber, also Familie im weitesten Sinn, die verträgt global gesehen schon einige Diskrepanzen. In dem aufwühlenden Thriller Nur Gott kann mich richten ist die Treue zum nächstgelegenen Blutsverwandten sowohl Antrieb als auch Grund für einen verhängnisvollen Strudel in den Untergang.

Schauplatz ist ein düsteres Frankfurt am Main abseits aller Glasfassaden und Hochhäuser der Wirtschafts- und Handelsmetropole. Hier sind es dunkle Seitengassen, Lagerhallen und periphere Industrieviertel inmitten verwahrloster urbaner Ödnis. Spielhallen, Shisha-Bars und die Reviere türkischstämmiger Gangs. Da gibt es den Kriminellen Ricky, der mit seinem Bruder ein Ding dreht, dieses versemmelt und gleich zu Beginn in den Knast wandert. Womit wir die erste starke Bindung haben, nämlich die zwischen Brüdern. Moritz Bleibtreu als der Ältere, Edin Hasanovic als das Liebkind eines dementen, in schleichender Armut dahinsiechenden Übervaters, gespielt von Peter Simonischek in gewohntem Theaterdeutsch. Dieser Vater, der kann nur fordern, niemals danken. Die Pflicht des Sohnes den Altvorderen gegenüber, die hält den Tyrannen schadlos. Von einem ganz anderen Erzählstrang ausgehend bringt Regisseur Özgür Yildirim die alleinerziehende Mutter Diana ins Spiel, die eine Tochter hat, die an Herzinsuffizienz leidet. Dringend muss ein Spenderorgan her, doch das kann dauern. Es sei denn, Mama begibt sich auf illegalen Pfaden in den Sumpf des osteuropäischen Organhandels. Doch das wiederum kostet Geld. Geld, dass Diana, die gleichzeitig auch Polizisten ist, nicht hat. In Anbetracht dessen, dass das eigene Kind locker über allem, und eben auch über dem Gesetz steht, bleibt nichts unversucht, um für das Wohl des Nachwuchses zu sorgen. Als Cop in Uniform darf die von mir sehr geschätzte und stets famose Burgtheaterschauspielerin Birgit Minichmayr eine Rolle bekleiden, die sie meines Wissens so noch nie probiert hat. Mit diesem Genre des Film Noir betritt die Linzerin so gut wie Neuland. Und nicht anders zu erwarten meistert sie auch Genre des anspruchsvollen Actionkinos souverän. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass Minichmayr und Moritz Bleibtreu gemeinsam vor der Kamera stehen. (Taking Sides – Der Fall Furtwängler, an der Seite von Harvey Keitel).

Beide Handlungsstränge also, die des Gangsters Ricky und der Polizistin Diana, winden sich durch den anonymen Moloch der deutschen Stadt, um wie vom Schicksal geprüft scheinbar rein zufällig aufeinanderzutreffen. Dieser Aufprall, diese Verstrickung, die sich daraufhin Bahn bricht, verselbstständigt sich auch relativ bald und erhält eine Dynamik, die ihre Protagonisten nur hilflos mit den Armen rudern lässt. Dabei entsteht das virtuose Erlebnis eines nihilistischen Thrillerdramas, das nicht weniger fesselt als die episodenhaften urbanen Kunststücke eines Paul Haggis und so dicht und konsequent die Fatalität kausaler Zusammenhänge zelebriert wie eben Breaking Bad oder Ben Affleck´s Kriminaldrama The Town. Dem deutsch-türkischen Tatort-Regisseur Yildirim ist ein Film gelungen, der mich richtig überrascht hat und den ich voller Überzeugung nicht nur als ein Meisterwerk des Neo-Noir-Genres bezeichne, sondern auch als einen der besten Thriller, die vor allem in den letzten Jahren in Deutschland entstanden sind. Beachtlich, wie Yildirim, der eben auch das Drehbuch schrieb, seine Tragödie verdichtet und die so verirrten wie irrenden Seelen aneinandergeraten lässt. Eine dramaturgische Komposition von immensem Spürsinn, was die Fliehkraft eines sich immer schneller rotierenden Malstroms betrifft, der einer Physik aus Rache, Gerechtigkeit und höheren Mächten folgt. Mit dabei ein Soundtrack aus wütenden Rap-Songs.

Bei Nur Gott kann mich richten scheint Gott tatsächlich eine Auszeit zu nehmen, denn die, die richten, sind jene, bei denen Blut dicker als Wasser ist, und sich opfern für das, was die Bande der Familie an Tribut fordert. Der nachtschwarze Thriller ist so tollwütig, rabiat und impulsiv wie ein emotionales Blackout oder wie ein Mord im Affekt. Zwischen all dem Toben ist es das Streben nach der Geborgenheit einer vertrauensvollen Zuflucht, einer ruhenden Konstanten, die jeder hier erlangen will und ohne die sonst alles im Chaos versinkt.

Nur Gott kann mich richten