The Bikeriders (2024)

DES MANNES LETZTE FREIHEIT

6/10


bikeriders©  2024 Universal Pictures

LAND / JAHR: USA 2023

REGIE / DREHBUCH: JEFF NICHOLS

CAST: JODIE COMER, AUSTIN BUTLER, TOM HARDY, MICHAEL SHANNON, MIKE FAIST, BOYD HOLBROOK, DAMON HERRIMAN, BEAU KNAPP, EMORY COHEN, TOBY WALLACE, NORMAN REEDUS U. A.

LÄNGE: 1 STD 57 MIN


„Ich beschließ‘ ich kauf mir wie der Marlin Brando a klasse Maschin…“ – dass ein Film wie Der Wilde seinerzeit die Freiheitsträume ohnehin im Patriarchat befindlicher Männer so sehr triggern hat können – dieses Phänomen wurde selbst vom österreichischen Satiriker Helmut Qualtinger aufs Korn genommen, mit dem Song Der Halbwilde, aus dessen Lyrics obige Zeile stammt.

Nun hat es auch Tom Hardy erwischt. Wir sehen ihn im Film The Bikeriders, wie er entgeistert auf den kleinen hauseigenen Fernseher starrt und Marlon Brando dabei zusieht, wie er in ebenjenem Film neue Begehrlichkeiten weckt. Jene nach einer Lederjacke, nach einer neuen wilden Identität, nach zweirädrigen Boliden und der Missachtung so gut wie aller sozialer Regeln, die für ein Miteinander essenziell sind. Diesem stiernackigen, kernigen, unrasierten Mann namens Johnny folgen alsbald immer mehr und mehr solcher Männer, die, meist als Außenseiter der Gesellschaft, nirgendwo dazugehören dürfen; die in der frühen Midlife-Crisis stecken oder die Wucht ihrer – überspitzt gesagt – maskulinen Identität innerhalb eines geordneten Lebens samt Familie nicht mehr standhalten können. Einer dieser aus der Gesellschaft Verstoßenen ist Benny, gespielt vom zurzeit allseits beliebten Newcomer Austin Butler, der bereits Superstar Elvis Presley Charakter verliehen hat. Die 60er-Jahre Frisur steht ihm prächtig, sein einstudierter verlorener Blick ebenso. Benny hat nirgendwo sozialen Halt, also ist es der Verein der Vandals Chicago, und ganz besonders sein väterlicher Freund Johnny, von dessen Seite er nicht abrückt – bis Kathy (Jodie Comer, The Last Duel) in sein Leben tritt. Mit ihr schließt er gar den Bund der Ehe, bleibt aber dennoch ein schwer zu fassender Charakter. Die Gang der Biker hingegen erfährt im Laufe der Jahre eine Umwälzung und Veränderung nach der anderen. Ganz plötzlich gibt es Ableger, dann wieder andere, die dem Boss der Runde seinen Platz streitig machen wollen. Dann gibt es Neider und die Lust an kriminellen Handlungen, die das Image einer gelebten Anarchie, die mit Bikergangs eben assoziiert wird, bis heute prägen.

Dennis Hoppers Easy Rider hat die Hoffnung auf eine ungestüme Freiheit auf zwei Rädern wohl letztlich ausgeräumt und ausgeträumt. Jeff Nichols hat sich dabei an einem Fotobuch des Journalisten Danny Lyon orientiert und daraus die Chronik von Aufstieg und Fall einer ganzen Subkultur in graubraunen Bildern auf die Straßen des Mittleren Westens gesetzt. Schnell stellt man fest, dass dieses Bild der männlichen Freiheit und der maskulinen Selbstbestimmung nicht mehr sein kann als die Zwangsbeglückung vollkommen Unglücklicher, die überraschend wenig Spaß daran haben, an ihren fahrbaren Untersätzen herumzuschrauben und diese, wäre es denn möglich, gegen Pferde eintauschen würden, gäbe es den Wilden Westen noch. Tom Hardy, Butler und das ganze illustre Ensemble skizzieren die Portraits sehnsüchtig Suchender, die außerhalb dieses Mikrokosmos aus wenigen Regeln und der Lust am Heroismus wohl nirgendwo zur Ruhe kommen würden. Nichols erzählt die Geschichte aber aus dem Blickwinkel von Jodie Comers Figur, die einem fiktiven Reporter das ganze Drama schildert. Dabei braucht es einige Zeit, bis man sich an diesen pragmatischen Charakter gewöhnt. Die zähe Dominanz dieser Figur ist nämlich nicht, was man erwartet hätte.        

The Bikeriders ist zeitgeistiges Genrekino mit vielen leeren Kilometern. So orientierungslos wie seine Protagonisten ist bisweilen auch Nichols Film. Wild wechselt dieser zwischen den Zeitebenen, zu viele Charaktere ähneln sich zu stark, um die Vielfalt einer Gesellschaft abzubilden, die keine wirklichen Identitäten besitzt, sondern nur das Bewusstsein einer Community, die schnell zerbrechen kann. Außen wuchtig, innen geradezu hohl. Comers Figur weiß das. Und am Ehesten entwickelt Austin Butler so etwas wie eine Biografie, die den Ausbruch aus einem Teufelskreis depressiver Leere beschreibt.

The Bikeriders (2024)

Challengers – Rivalen (2024)

DREI FÜR EIN DOPPEL

7/10


challengers© 2023 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.

LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: LUCA GUADAGNINO

DREHBUCH: JUSTIN KURITZKES

CAST: ZENDAYA, JOSH O’CONNOR, MIKE FAIST, DARNELL APPLING, A. J. LISTER, NADA DESPOTOVICH, NAHEEM GARCIA, HAILEY GATES, JAKE JENSEN U. A.

LÄNGE: 2 STD 11 MIN


Tennis? Nein danke. Zumindest nicht im Sportprogramm. Ich weiß zwar, das einer wie Dominik Thiem unlängst seine Karriere beendet hat, dass es Größen wie Steffi Graf, Andre Aggassi und den Österreicher Thomas Muster gegeben hat. Dass es die French- und US Open gibt und Wimbledon oder die Flushing Meadows (oder ist das Golf?). Doch sonst könnte ich, ganz so wie bei Baseball, eigentlich nicht aus dem Stegreif darüber Auskunft geben, nach welchen Regeln der halbharte Filzball über das Netz gedroschen wird. Da werde ich auch bei Sichtung diverser Tennisfilme nicht schlau, die mich aber eher abholen als der Stöhn-Sport an sich. Filme wie Battle of the Sexes oder King Richard sind sehenswert, weil sie vielmehr erörtern, welche sozialen oder gesellschaftlichen Mechanismen dahinter aktiv werden. Um Tennis geht es in den Filmen nur peripher. Genauso wie bei Luca Guadagninos Challengers – Rivalen. Natürlich verortet sich diese Geschichte im Sportfilmgenre, doch abschrecken sollte man sich davon nicht lassen. Da wird Zendaya schon ihr Übriges tun, um auch Tennis-Banausen ins Kino zu bringen. Zendaya ist ja mittlerweile längst nicht nur Schauspielerin, sondern auch Trend-Ikone und Glamour-Girl, aber eine gern gesehene, da sie sich, wie des Öfteren berichtet wird, ganz natürlich gibt, ohne groteske Allüren. Zendaya spielt in Challengers übrigens wirklich groß auf – noch größer als in Villeneuves filminantem Dune-Nachtrag. Sie ist sexy, verführerisch, aber auch selbstbewusst, bisweilen arrogant und egozentrisch. Sie ist sensibel und gleichzeitig toughe Sportlerin, die anderen einheizt. Diese Nuancen bringt Zendaya alle auf den Punkt, ihre Rolle ist also nie langweilig, vorallem deswegn nicht, weil sie weiß, wie sie Emotionen lebt, die sie mit anderen kaschieren muss, weil es die Blase, in der sie existiert, eben verlangt.

Ihr gegenüber und sehr schnell ausgeliefert sind Josh O’Connor (zuletzt gesehen in Alice Rohrwachers Schatzsucher-Allegorie La Chimera) und Mike Faist (West Side Stoy), die am Anfang des Films noch grünohrige Teenager sind, die sich von Zendaya um den Finger wickeln lassen und ehe sie sich versehen, von ihr ausgespielt werden. Sie nutzt die Strebsamkeit der beiden im Tennissport, um sie zu manipulieren. Wer gewinnt, bekommt ihre Nummer. So einfach ist das. Und so folgenschwer, betrachtet man die latent homosexuelle Freundschaft der beiden, die sich von der Unterstufe her kennen und im Leben bislang alles gemeinsam machten. Zendayas Figur der Tashi Duncan, längst Juniorprofi im Tennissport und adidas-Testimonial, hat die Zügel fest im Griff, die beiden jungen Männer spielen den Sport nach ihrer Pfeife. Bis – und das kann gar nicht verhindert werden – Neid, Missgunst und Rivalitäten das Leben von allen dreien auf völlig neue Pfade schickt. Vorallem auch, weil Tashi nach einem Unfall auf dem Tenniscourt ihre Karriere wohl ad acta legen muss, stattdessen coacht sie den einen der beiden, Art Davidson, der sich im Laufe der Jahre zum Profi mausert. Natürlich spielt auch der andere, Patrick Zweig, eine Rolle. Denn was mal war, lässt sich nicht auslöschen. Und die Zweifel darüber, was Tashi eigentlich will, hält die Dreiecksbeziehung über einen epischen Zeitraum von rund dreizehn Jahren am Laufen.

Luca Guadagnino war niemals wieder so gut wie damals, als er Call Me by Your Name, das sommerfeuchte Liebesdrama zwischen Armie Hammer und Thimothée Chalamet auf die Leinwand brachte. Grandioses Kunstkino, erotisch und virbierend; ein Werk, dem man sich nur schwer entziehen kann. Diese Intensität erreicht er auch mit Challengers nicht mehr wieder – was das schweißperlende Drama einer Freundschaft aber immer noch sehenswert genug sein lässt. Die Art und Weise, wie er auch diesmal Verlangen, Begehren, Wunsch und Wirklichkeit aufdröselt, ist mit feiner Klinge geführt. Szenen der romantischen Schwere wechseln mit kühlen Konfrontationen, die mit heftigen musikalischen Rhythmen unterlegt sind. Die Erotik am Tennisplatz und im Bett beruht längst nicht nur auf trivialen Nacktszenen. Gesichter, Blicke, Mimiken, nackte Beine und gezeichnete Körper verorten den Leistungssport auch im Zwischenmenschlichen. Dabei wird Challengers nie garstig oder kriminell. Die Spannung des Films liegt naturgemäß in der Rivalität der beiden Männer, der Film ist auch ihre Geschichte, und Zendaya eigentlich nur die treibende Kraft oder der Auslöser hinter einem nie verarbeiteten Konkurrenzkampf, der vielleicht das Zeug dazu hat, irgendwann das Ventil einer nie ausgelebten Sehnsucht zu öffnen. Womit wir wieder bei Call Me by Your Name wären.

Challengers – Rivalen (2024)

West Side Story (2021)

SINGEND UM DIE HÄUSER ZIEHEN

7/10


westsidestory© 2021 Walt Disney Pictures Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: STEVEN SPIELBERG

CAST: ANSEL ELGORT, RACHEL ZEGLER, ARIANA DEBOSE, DAVID ALVAREZ, MIKE FAIST, RITA MORENO, COREY STOLL, BRIAN D’ARCY JAMES U. A.

LÄNGE: 2 STD 37 MIN


Zwischen am Straßenrand geparkten Oldtimern und Backsteinfassaden findet Steven Spielberg erstmals Zugang zu einem bislang umgangenen Genre: den des Filmmusicals. Moderne Konzepte bleiben dabei  unversucht, während der Altmeister lieber in der Filmgeschichte stöbert und dabei ein Museumsstück zum Vorschein bringt, das zwar selbst weitestgehend unangetastet bleiben muss, der Glassturz aber, unter welchem das Werk ruht, durchaus einer Reinigung bedarf. Also macht sich Spielberg daran, die Sicht auf einen Klassiker streifenfrei zu gewährleisten. Was wir sehen, ist das, was Leonard Bernstein, Arthur Laurentis und Steven Sondheim seinerzeit geschaffen haben. Kein bisschen moderner, kein bisschen innovativer, und in keiner Weise anders betrachtet. West Side Story ist die generalüberholte Ur-und einzige Version eines dezenten Singspiels, das glücklicherweise darauf verzichtet, jede noch so erdenkliche Emotion in ein Musikstück zu packen und das wirklich Tragische maximal mit orchestralem Score unterlegt. Was für eine Wohltat, in Anbetracht verkitschter Bühnenshows, die keinerlei Ohrwürmer mehr bereithalten.

Spielberg ist immer noch einer, der filmische Dramen jenen mit Gesang vorzieht. Eine Gesinnung, die er deutlich macht. Dabei ist die persönliche Beziehung zu einer in den Jugendjahren zurückliegenden filmischen Erfahrung im Kino oder vor dem Fernseher, die Spielberg gehabt haben muss, nicht unwesentlich daran beteiligt, West Side Story als etwas Unantastbares zu betrachten. Für mich persönlich macht das keinen Unterschied – ich kenne Robert Wise’s mit zehn Oscars gekröntes Filmwerk aus den frühen Sechzigern nur bruchstückhaft und auszugsweise und eben immer dann, wenn der zweieinhalb Stunden lange Streifen gerade im Fernsehen lief. Woran ich mich aber noch erinnern kann, das ist die urbane Feuertreppenromantik der New Yorker Vororte. Die ist nun auch in der brandneuen Version dominant genug, um gern mit dem Original verwechselt zu werden. Was sich vielleicht deutlich von damals unterscheidet, geht auf die Kappe von Spielbergs Haus- und Hofkameramann Janusz Kaminski, der wie immer alles Menschenmögliche an Licht-Schatten-Spielereien umsetzt. Seinen Höhepunkt findet das Bemühen im zweiten Akt, wenn die beiden rivalisierenden Gangs – eben die Jets und die Sharks – in einer Salzlagerhalle aufeinandertreffen. Das Licht fällt horizontal und wirft lange Schatten. Als wären die Aliens aus Unheimliche Begegnung der dritten Art neu gelandet. Sphärisch, das Ganze. Und sehr emotional.

Die Jets und die Sharks – das sind einerseits die weißen Jungs des Viertels, das ohnehin einer neuen Wohnhausanlage weichen muss, und andererseits die temperamentvollen Puerto-Ricaner. Eine Minderheit, deren halbstarke Fraktion aus scheinbar lauter Fadesse ihren Hass auf anders Gesinnte zelebriert. Die grundlose Ablehnung beruht natürlich auf Gegenseitigkeit, wie bei Romeo und Julia. Die beiden aus Shakespeares Werk zum Unglück Bestimmten sind in diesem Fall Maria und Tony. Von Maria wissen wir, dass Tony schon im ersten Drittel den Ohrwurm unter den Wäscheleinen der Anrainer singen wird – als Antwort gibt’s das begnadete Tonight, und irgendwann später der von Anita (im Original von Rita Moreno) geschmetterte, feurige Klassiker America. Da weiß man: man sitzt im richtigen Musical. Geschmackvolle Kompositionen aus Jazz und Gesang unterfüttern eine Uminterpretation der Liebestragödie schlechthin, für die Neuentdeckung Rachel Zegler und Ansel Elgort stimmlich in luftige Höhen aufsteigen und den Straßendunst der Stadt hinter sich lassen. Beide sind gesanglich eine Überraschung – zumindest meiner Wahrnehmung nach misstönt nicht mal das hohe C. Schade nur, dass die kleine, aber feine Nummer Somewhere nicht ebenfalls von Zegler selbst interpretiert wird – stattdessen bekommt eine stimmlich halbwegs solide Rita Moreno hierfür, nach sechzig Jahren, ihre zweite Chance.

Spielberg ist ein Filmemacher alter Schule. Und er beherrscht sein Handwerk perfekt. Zu perfekt, könnte man sagen. Zu hemdsärmelig, mittlerweile. Zu wenig berührt von neuem Esprit. Nun, dieser gehört anderen Künstlern seiner Art. Spielberg selbst will mit West Side Story etwas Traditionelles, Bewährtes, dass sich kaum von seinem Vorbild unterscheidet, neu positionieren. Musical-Muffel wie mir bietet der Film eine konsensbereite Erlebniswelt, die das prosaische Drama mit punktgenauen musikalischen Genussminuten verbindet.

West Side Story (2021)