See How They Run

DER KRIMI IM KRIMI

4/10


seehowtheyrun© 2021 20th Century Studios All Rights Reserved


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2022

REGIE: TOM GEORGE

BUCH: MARK CHAPPELL

CAST: SAM ROCKWELL, SAOIRSE RONAN, ADRIEN BRODY, DAVID OYELOWO, RUTH WILSON, HARRIS DICKINSON, SHIRLEY HENDERSON, PEARL CHANDA U. A.

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Schlagen wir mal das Buch der Rekorde auf. Unter der Rubrik Theater und Schauspiel wäre auch in der allerneuesten Guinness-Ausgabe folgender Eintrag zu finden: Agatha Christies Die Mausefalle gilt als das am längsten ununterbrochen laufende Theaterstück der Welt (abgesehen von der überall gesetzten Pause durch Covid-19).

Da kann selbst die Lindenstraße klein beigeben, denn Christies Stück holt sich bereits seit 1952 den Applaus von der Bühne ab, selbstredend in unterschiedlicher Besetzung, wie bei Dr. Who, nur eben als Live-Event. Im Dunstkreis dieser Bühnen-Hommage auf einen klassischen Whodunit bettet Regie-Newcomer Tom George mit der nostalgischen Komödie See How They Run einen Krimi in einen Krimi. Ein bisschen erinnert mich die Sache an den Miss Marple-Klassiker Vier Frauen und ein Mord, einer der vier schwarzweißen Ausflüge von Margaret Rutherford, welche eine Theatertruppe infiltriert, um einem Mörder auf die Schliche zu kommen. Und ja – auch dort segnet so manches Opfer das Zeitliche vorort, auf den Brettern der Welt, jedoch nicht während der Vorstellung wie in diesem nagelneuen Streifen, der aber weniger erfrischend anmutet wie das zum Vergleich von mir herangezogene Samstagnachmittag-Guilty Pleasure von George Pollock aus dem Jahre 1964.

Es passiert also ein Mord. Und der beginnt gar nicht mal aus der Sicht eines wortlosen Beobachters, der quasi das Publikum darstellt, sondern aus der Sicht des Mordopfers. Siehe da, es ist Adrien Brody – zuletzt als Arthur Miller in Blond zu sehen. Dieser spielt hier den Filmemacher Leo Köpernick, der irgendwann in den Fünfzigerjahren und anlässlich der 100. Aufführung von Die Mausefalle den Stoff für einen Film adaptieren soll. Um sein kreatives Know-How einzubringen, fallen ihm einige Adaptionen ein, die das Werk für die Leinwand wohl spannender und griffiger gestalten würden, wofür Produzent John Woolf allerdings keinerlei Interesse zeigt. Der sich selbst überschätzende, zur Gala-Aufführung geladene Köpernick baggert zum Leidwesen des jungen Richard Attenborough noch dazu dessen Ehefrau an, um kurze Zeit später in der Garderobe hinter der Bühne tot aufgefunden zu werden. Wer hat’s getan?, stellt sich der zerknitterte und trinkfreudige Ermittler, Inspektor Stoppard, die Frage. Ihm zur Seite wird ihm – natürlich zu seinem anfänglichen Leidwesen – Constable Stalker gestellt, eine wissbegierige, neugierige und übermotivierte junge Frau, die alles, was ihren Horizont erweitert, in sich aufsaugen möchte – und gar oft voreilige Schlüsse zieht.

Es fällt schwer, die Handlung dieser Krimikomödie länger in Erinnerung zu behalten als bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem ich hier diese Review verfasse. Interessanterweise tummeln sich in diesem Film sämtliche historische Persönlichkeiten der britischen Kulturszene, angefangen eben von Richard Attenborough über besagten Produzent Woolf bis Agatha Christie, die selbst eigentlich noch nie in einem Kinofilm dargestellt wurde, nicht mal in der Ermittlerfarce Ein Leiche zum Dessert, was ich fast vermutet hätte. Diese schillernde Gesellschaft macht Tom Georges Debüt aber auch nicht besser. Einen Whodunit kann man so knackig inszenieren wie Rian Johnson mit Knives Out. Oder aber man inszeniert ihn so völlig ohne Belang wie See How They Run. Sam Rockwell und Saoirse Ronan sind gut, Liv Lisa Fries und Volker Bruch aus Babylon Berlin sind besser. All diesen vielen Figuren mangelt es nicht nur an biografischer Tiefe – auch sind sie nur so weit charakterisiert, soweit ihr Auftritt reicht. Und das, obwohl Rockwells Rolle mehr mit dem Fall verbunden sein will als man vielleicht vermutet hätte. Das macht den Fall aber auch nicht relevanter, sondern noch zerfahrener als er ohnehin schon ist. So schleppt sich das Ensemble durch eine hausbackene Regie, das sich schwertut, selbst die zum Verklären einladenden Fifties entsprechend attraktiv ins Bild zu rücken.

See How They Run (die Bedeutung des Titels erschließt sich mir nicht) bemüht sich, ein Gespür für Krimis besitzen zu wollen, wie Agatha Christie eins hatte. Nur leider setzt Tom George selten die richtigen Schwerpunkte, um den Murder Mystery so richtig den Suspense abzuringen.

See How They Run

The Little Stranger

MEIN HAUS IST DEIN HAUS

3/10


the-little-stranger© 2018 Nicolas Dove


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN, FRANKREICH 2018

REGIE: LENNY ABRAHAMSON

CAST: DOMNHALL GLEESON, RUTH WILSON, CHARLOTTE RAMPLING, WILL POULTER U. A.

LÄNGE: 1 STD 51 MIN


Spukhäuser gibt es genug auf dieser Welt. Sei es in Freizeitparks, in der Literatur oder eben im Medium der bewegten Bilder. Von Bis das Blut gefriert (neuerdings als Hill Hose auf Netflix) über Das Haus auf dem Geisterhügel bis zu Poltergeist. In manchen spukt es einmal mehr, dann wieder einmal weniger. Zum Glück entsprechen diese Häuser mit ihrer teils baufälligen Substanz nicht zwingend dem Energieaufgebot ihrer Filme, in denen sie zum Schauplatz werden. Mit wenigen Ausnahmen. Eine davon ist The Little Stranger, nach einem Roman der britischen Schriftstellerin Sarah Waters. Keine Ahnung, wie sich das Buch so anlässt, womöglich liest es sich so wie einer der Schauerromane von Daphne du Maurier. Die Verfilmung jedenfalls ist so angestaubt, morsch und sperrig wie die knarrenden Treppen und rostigen Türangeln in jenem Herrenhaus, mit dem wir es folglich zu tun haben werden.

Dieser Wohnsitz – Hundreds Hall – scheint von einem Fluch befallen. Die Familie Ayres, bestehend aus der von Charlotte Rampling verkörperten Mutter und ihren beiden erwachsenen Kindern, dämmert in seltsamer Phlegmatik vor sich hin. Da erkrankt das Hausmädchen – und der nicht weniger phlegmatische Hausarzt Dr. Faraday wird an ihr Bett gerufen. Dieser wiederum wuchs einst in diesem Anwesen auf, da dessen Mutter selbst Bedienstete bei den Ayres gewesen war. Irgendwie, so scheint es, hegt Faraday eine gewisse Sehnsucht, was dieses Haus betrifft. Ein nie wirklich gewordener Wunschtraum, einmal darin zu wohnen.

Klingt nach einer Story? Mitnichten. Ach ja, bevor ich‘s vergesse – seltsame Vorkommnisse erregen spät, aber dann doch noch, die Aufmerksamkeit des Ensembles. Bis dahin blühen dem Zuseher knochentrockene und schläfrige Minuten des Wartens, bis endlich auch nur irgend etwas geschieht. Vermarktet wurde The Little Stranger tatsächlich als Horrorfilm, doch selbst als Vintage-Grusler eignet sich das schale Werk nur begrenzt. Dumm nur, dass der Fokus auf der Figur des Dr. Faraday liegt, der von Domnhall Gleeson in einer ferngesteuerten Mischung aus stocksteifen Aristokraten und hölzernen Langeweiler angelegt wird. Mag schon sein, dass ihm solche Charakterbilder gut zu Gesicht stehen, doch verliert man an diesem Gehabe sehr schnell das Interesse.

Für eine gewisse Verblüffung sorgt dennoch die Tatsache, dass hinter dieser kraftlosen Verfilmung eines Mysterydramas voller Andeutungen und vagen Vermutungen ein Regisseur namens Lenny Abrahamson steckt. Der konnte sich zwei Jahre zuvor für das packende Missbrauchsdrama Raum rühmen lassen – Brie Larson gewann dafür den Oscar. Was danach geschah, oder wohin ihn sein Können letztlich geführt hat, bleibt genauso rätselhaft wie das seltsame Ende des Films, das auf redeschwere und handlungsarme Hausbesuche zurückblickt.

The Little Stranger