Night Always Comes (2025)

BARGELDLOS DURCH DIE NACHT

5/10


© 2025 Netflix Inc.


LAND / JAHR: USA 2025

REGIE: BENJAMIN CARON

DREHBUCH: SARAH CONRADT, NACH DEM ROMAN VON WILLY VLAUTIN

KAMERA: DAMIÁN GARCÍA

CAST: VANESSA KIRBY, JENNIFER JASON LEIGH, ZACK GOTTSAGEN, RANDALL PARK, STEPHAN JAMES, JULIA FOX, MICHAEL KELLY, ELI ROTH U. A.

LÄNGE: 1 STD 48 MIN


Neben dem omnipräsenten Pedro Pascal ist wohl Vanessa Kirby spätestens seit ihrer Oscar-Nominierung für Pieces of a Woman in gefühlt jeder zweiten Filmproduktion dabei. Gerade eben durfte sie als Sue Storm den wasweißichwievielten Versuch, die integren Fantastischen Vier endlich mal erfolgreich auf die Leinwand zu bringen, tatkräftig unterstützen. Zwischendurch widmet sich die gebürtige Londonerin aber nach wie vor dem Arthouse-Film und produziert auch gerne selbst das eine oder andere Projekt – ganz besonders schien ihr die Verfilmung des Romans Night Always Comes von Willy Vlautin am Herzen gelegen zu haben, der eine Frauenfigur in den Fokus rückt, die ambivalent genug ist, um sie schauspielerisch ordentlich auszufüllen. Nichts eindimensionales, sondern facettenreich und mit einer ordentlichen Portion Verzweiflung, denn ohne diese würde Night Always Comes gar nicht erst mal in die Gänge kommen. Prämisse ist also eine ausweglose Situation, und wie in den meisten ausweglosen Situationen, wenn es sich dabei nicht um eine Krankheizt oder einen Survival-Unfall handelt, geht es folglich um den Mammon. Dieses ist nicht da, oder besser gesagt: wäre da, wenn Mutter Jennifer Jason Leigh nicht das notwendige Kleingeld für einen Neuwagen verprassen würde, das eigentlich dafür bestimmt war, die familiäre Immobilie zu sichern. Schließlich ist auch noch der nach besonderen Bedürfnissen verlangende Bruder Kenny mit von der Partie, der rund um die Uhr Betreuung braucht.

Dass die ganze Familie auf der Straße steht, ist ein No-Go. Und Lynette, so die Rolle der verzweifelten jungen Frau, die eine zwielichtige Vergangenheit mit sich herumschleppt, muss binnen einer Nacht ein ganz schönes Sümmchen auftreiben, damit das Undenkbare nicht passiert. Wie sie das macht, hätte ich dieser Person gar nicht zugetraut. Und auch während sie versucht, mit dem Mut der Verzweiflung sogar in die kriminelle Düsternis Portlands einzutauchen und so einige Straftaten zu begehen, natürlich alles für den guten Zweck: Kirby ist all das nicht zu glauben. Vielleicht liegt es an dieser Sanftmütigkeit, mit der sie ihre Rolle untermauert. Die dunklen Jahre minderjähriger Prostitution und Abhängigkeit hinterlassen im Charakterbild Kirbys keine Spuren, letztlich fehlt es an der notwendigen Portion Zynismus, um zu glauben, was man sieht. Ähnlich vage bleibt Jennifer Jason Leigh als dem Schicksal die kalte Schulter zeigende Zynikerin, die keine Vorstellung von einer grimmigen Zukunft hat. Einerseits wirkt sie versoffen, dann wieder völlig resignierend wie jemand, der im White Trash-Milieu nichts mehr zu verlieren hat – was aber nicht den Tatsachen entspricht. Wohin Benjamin Caron (u. a. Sharper mit Julianne Moore) seine Familie positioniert, mag diffuses Terrain sein. Einzig Zach Gottsagen, der Schauspieler mit dem Down-Syndrom, der schon an der Seite von Shia LaBeouf in The Peanut Butter Falcon brilliert hat, wirkt wie ein stoischer Fels in der Brandung, der von allen Beteiligten, obwohl orientierungslos, noch die beste Orientierung hat.

Zu sehr gefällt sich Kirby in der Rolle der Verzweifelten, im nachtschwarzen Milieu zwischen Drogen, Geldraub und längst nicht verjährter Traumata. Sie selbst hat sich von Arbeiten wie Good Time der Gebrüder Safdie und dem deutschen One-Shot Victoria inspirieren lassen – beiden Filmen fehlt aber das Gemächliche, die bausteinartige Struktur, die dem Chaos einer Nacht zuwiderläuft. Kirbys Erlebnisse greifen nicht ineinander, sondern folgen nacheinander, Virtuosität weicht gefälligem Existenzialismus, der wohl lieber die Emanzipation aus der Verantwortung probt als sich dem Thrill zu unterwerfen. Der Effekt dabei: Night Always Comes unterhält zwar und hat einige Spitzen auf Lager, die dicht genug sind, um dranzubleiben und nicht wegzudriften. Im Ganzen aber bleibt diese Nacht trotz seiner prekären Abenteuer eine unter vielen.

Night Always Comes (2025)

Borderlands (2024)

WELTRAUM-INDY AUS DEM DISKONTER

4/10


borderlands© 2024 Leonine


LAND / JAHR: USA 2024

REGIE: ELI ROTH

DREHBUCH: ELI ROTH, JOE CROMBIE, NACH DEM GLEICHNAMIGEN COMPUTERSPIEL

CAST: CATE BLANCHETT, ARIANA GREENBLATT, KEVIN HART, JACK BLACK, FLORIAN MUNTEANU, JAMIE LEE CURTIS, ÉDGAR RAMIREZ, GINA GERSHON, JANINA GAVANKAR, HALEY BENNETT, CHEYENNE JACKSON U. A.

LÄNGE: 1 STD 42 MIN


Würden Oliver Kalkofe und Peter Rütten Eli Roths neuen Streifen in ihr mittlerweile legendäres SchleFaZ-Format aufnehmen? Ich bin der Meinung: Das würden sie nicht. Denn Borderlands fehlt die Attitüde, keinen müden Furz darauf zu lassen, ob er nun gefällt oder nicht. Dieser Charme eines Trashfilms, den Spaß an der Freude zu zelebrieren, indem man für nicht mal ein paar Drehtage vielleicht gar, wenn‘s hochkommt, charmant-naiven Müll produziert, lässt sich in Borderlands nicht finden. Denn Borderlands will prinzipiell mal funktionieren, an den Kinokassen klingeln, den Event-Kinosommer vielleicht gar mit ordentlichem Getöse beenden. Das unfreiwillige Scheitern an rudimentären filmischen und zu erfüllenden Parametern ist es dann, was aus einer ernstgemeinten und unbedingt spaßig sein wollenden Videospielverfilmung nicht mal einen kuriosen Mehrwert lukriert, sondern daraus eine über den Kamm geschorene Belanglosigkeit entfesselt, die man normalerweise nur in den Direct to Stream-Formaten eines Riesen wie Netflix findet, der Millionen an Dollar in Filme gepulvert hat, die in der sträflichen Vorhölle der Gleichförmigkeit verschwinden – zu nennen wären da Heart of Stone, Red Notice, The Adam Project oder The Gray Man. Etwas Schlimmeres kann einem Film nicht passieren, nämlich nicht mehr von anderen genreverwandten Formaten unterschieden werden zu können. Borderlands wird es genauso ergehen. Bald wird niemand mehr wissen, ob und wenn ja wodurch dieser Streifen ein Alleinstellungsmerkmal verdient hätte. Sehr bald wird sich niemand mehr daran erinnern, wie nichtssagend dieses Unterhaltungskino gewesen sein mag. Borderlands? Weiß ich nicht mehr. Angriff der Killertomaten? Oh ja, schrecklich schlecht und andererseits in seiner Konsequenz wieder genial. Nichts tut einem Film mehr an als ihn vergessen zu machen.

Dabei muss er prinzipiell gar nicht mal so schlecht sein. Borderlands bietet zumindest solide Optik, einen soliden Cast und reichlich Action, die, sitzt man im Kino zu weit vorne, etwas verschwimmt. Es gibt also schlechteres. Zum Beispiel Rebel Moon. Der übereifrige und ehrgeizige Zac Snyder hat sich mit seinem unendlich ambitionierten Science-Fiction-Epos noch viel mehr unfreiwillig lächerlich gemacht als es Borderlands tut. Denn Snyder hat seinem Epos keinerlei Leichtigkeit verpasst, stattdessen eine stirngerunzelte Ernsthaftigkeit mit noch weniger Humor als Eli Roths Versuch, an Größen wie Guardians of the Galaxy oder der leider abgesetzten Weltraumserie Firefly anzudocken. Wer Borderlands im Kino sieht, kann sich nach einem harten heißen Arbeitstag einlullen lassen und nebenbei Popcorn mampfen. Von einem wenig sinnstiftenden Chaos kann allerdings keine Rede sein, da gibt es Chaotischeres wie zum Beispiel den Oscar-Streifen Everything Everywhere all at Once. Mehr Chaos geht nicht. Dafür ist Borderlands erzählerisch viel zu bieder und eingleisig. Und auch gnadenlos gekürzt – das sieht und fühlt man. Sprunghafter Szenenwechsel lässt den Film in seinem Erzählfluss immer wieder stolpern. Eine Einführung der Charaktere fehlt, stattdessen muss sich ein illustres Ensemble eine Spielfilmlänge lang bemühen, sich interessant zu machen. Cate Blanchett hat da keinerlei Berührungsängste – eine der nervigsten Rollen der Geschichte des Eventkinos geht mit der Antagonistin Irina Spalko aus Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels auf ihr Konto. Womöglich tut ihr, so dachte sie sich vielleicht, anspruchsloses Kino wieder mal gut, nach verkopften Schergewichten wie Tár. Und dennoch hat ihre Figur die größte Aura. Der Rest bleibt flach, so flach wie der Cast in Rebel Moon.

Man muss dazusagen, dass Borderlands – im Gegenzug zu The Last of Us oder Fallout (zwei gelungene Videospielverfilmungen, als Serie wohlgemerkt) – als Videospielgrundlage eine zugegeben dürftige Lore bietet. Da gibt es wenig, woran man eine mit Metaebenen angereicherte Story entwickeln kann. Wohin also mit dieser potenziellen eierlegenden Wollmilchsau? Eli Roth und sein Team orientieren sich an Indiana Jones, Dungeons & Dragons, Mad Max – das ganz offensichtlich – und bereits erwähnten Kultserie Firefly. Dieser Mischmasch an Ansätzen macht es zwar nicht besser, bringt aber zumindest eine abgesteckte Geschichte zum Laufen, die sich dank ihrer simpel gestrickten Kapitel leicht verfolgen lässt, die sich am Ende aber heillos verschwurbelt und, versunken in völliger inszenatorischer Ratlosigkeit, lieber mit B-Movie-Effekten herumdonnert als sein Szenario den Witterungen des Planeten Pandora (echt jetzt? Pandora?) zu überlassen. Borderlands ist ideenlos, ganz klar, teuer und ideenlos, doch hätte die ganze Sache eben nicht einer wie Eli Roth zu verantworten, der wahrlich keine Koryphäe ist auf seinem Gebiet, wenn er mal nicht ahnungslose Studenten in slowakischen Kellern verwurstet, wäre zumindest das Skript eleganter ausgefallen. Im Vergleich zu Guardians of the Galaxy von jemandem wie James Gunn wirkt Borderlands wie das Diskonter-Schnäppchen für Möchtegern-Trittbrettfahrer. Zwischen beiden Welten liegt viel leerer Raum, die qualitative Diskrepanz tut fast weh – und dennoch hat Roths Konstrukt immerhin ein paar Schau- und Erquickungswerte, unter anderem die seltsame rote Perücke von Blanchett, das Pipi-Ungeheuer oder einen unkaputtbaren Minion-Roboter, der, wenn der Tag lang ist, alle vollquasselt wir Rocket Rakoon das tut. Jamie Lee Curtis, sonst ein Kapazunder im Komödienfach, scheint diesmal nichts mit ihrer Figur anfangen zu können.

Dass sich die Welt bereits mutwillig auf Borderlands eingeschossen hat, mag verwundern. Da gibt es unzählige andere Gurken, die noch krummer sind. Viele nichtssagende Geldverschlinger, über die sich keiner so lautstark echauffiert. Allerdings: Sich mit einer Videospiel-Fangemeinde anzulegen, ist eine Fifty-Fifty-Chance. Vermutlich wettern deswegen alle so sehr gegen dieses neue Kino-Feindbild. Ungerechtfertigt? Bis zu einem gewissen Grad schon. Ungerecht? Wohl eher. Gesehen und vergessen mag aber bei allen die Devise sein, deren Geldgeber versuchen müssen, angesichts qualitativer Mängel zu retten, was noch zu retten ist. Es wäre wegen dem Kleingeld.

Borderlands (2024)

Das Haus der geheimnisvollen Uhren

WER HAT AN DER UHR GEDREHT?

4/10

 

House With A Clock In Its Walls© 2018 Universal Pictures International Germany GmbH

 

ORIGINAL: THE HOUSE WITH A CLOCK IN ITS WALLS

LAND: USA 2018

REGIE: ELI ROTH

CAST: JACK BLACK, CATE BLANCHETT, KYLE MACLACHLAN, OWEN VACCARO U. A.

 

Jeder, der auch nur irgendwie im Englisch-Unterricht aufgepasst hat, wird um die meisterhafte Erzählung Edgar Allan Poe´s, nämlich The Tell-Tale Heart, nicht herumgekommen sein. In dieser äußerst gruseligen Geschichte, auf Deutsch Das verräterische Herz, treibt das Pochen desselbigen einen Mörder in den Wahnsinn. In einen ähnlichen Geisteszustand soll das Ticken einer verhängnisvollen Uhr die Bewohner einer alten Zauberervilla versetzen. Des Nächtens nämlich treibt das dröhnende, mechanische Pochen den Onkel des Waisenjungen Lewis aus dem Bett und in die weitläufigen, brockatgeschmückten Gänge, um dem Ursprung dieses vermaledeiten Geräuschs auf den Grund zu gehen. Dieser Onkel, gewohnt exaltiert und verschroben verkörpert von Jack Black, muss sich nach dem Tod seiner Schwester des 10jährigen Jungen annehmen. Ihm zur Seite: Cate Blanchett als stets in Zyklamen gekleidete, gutmütige Hexe. Lange können die beiden ihre Ambitionen vor dem hellhörigen Jungen nicht verbergen – und mit der Offenbarung einer bisher unbekannten Welt der Magie und des Phantastischen findet auch allerlei Ungemütliches ihren Einzug in das üppig ausgestattete Gemäuer, das ohne weiteres auch ehemaliger Besitz der Addams Family hätte sein können. Allein es fehlt Butler Lurch, der stets in erschreckend fahler Lethargie auf die Schwelle tritt. Diese Aufgabe übernimmt in Eli Roth´s Fantasygrusel ein altmodischer Fauteuil. Ganz nett, auch das von selbst klimpernde Klavier und die als Generali-Löwe zugeschnittene Hecke, die permanent unter Laubdurchfall leidet. Warum eigentlich nicht, zur Überbrückung bis zum kommenden Grindelwald-Verbrechen ein pittoresker Zeitvertreib. Doch der ehemalige Folterknecht Roth, der gerne ein bisschen das Gespür von Edgar Allan Poe oder R. L. Stine hätte und aus einer guten Laune heraus nur so ansatzweise Harry Potter und Konsorten zeigen will, wo der Zauberstab sonst noch geschwungen werden könnte, scheitert wieder mal ganz besonders an seiner Unfähigkeit, sein ambivalent kinderfreundliches Abenteuer dramaturgisch richtig zu timen.

Ich kenne leider John Bellair´s literarische Vorlage nicht, doch jene Geschichte, die Roth hier erzählt, bleibt in ihrem vermeintlichen Detailreichtum, der gar keiner ist, weit hinter Rowling´s Magierwelten zurück, mag vielleicht ein bisschen so sein wie Gänsehaut, kommt aber nie richtig in Schwung. Dafür tut der Cast, was er kann, um die holprige Regie auszugleichen. Jack Black und Cate Blanchett sind Professionisten nach Vertrag, Jungschauspieler Owen Vaccaro lässt sein Gefühlsspektrum zwischen Trauer, Furcht und Zuversicht auf Hochtouren laufen. Die Schauspieler sind also nicht das Problem – es ist die Dynamik einer windumtosten Nacht und seiner schlagenden Fensterläden. Mal herrscht Leerlauf, dann heult es wieder in den Ritzen und Sollbruchstellen baufälliger, aber bewohnbarer Denkmäler. Ähnlich verliert Das Haus der geheimnisvollen Uhren immer wieder an Energie, erarbeitet sich mühsam einen neuen Spannungsbogen, der aber nie so wirklich kommen will. Spooky wird es, das schon – jüngeres Publikum könnte versucht sein, bei begleitenden Erwachsenen Zuflucht zu suchen. Älteren wird das teils überzeichnet groteske Szenario, das im Wiederspruch zur oberflächlich auserzählten Story steht, leicht irritieren oder langweilen. Viel ältere werden den augenzwinkernden Retro-Zauber Der Rabe von Roger Corman mit den Horror-Ikonen Vincent Price und Boris Karloff vergeblich erhoffen – so kauzig-verspielt hätte ich mir die Uhren-Odyssee nämlich durchaus erwartet.

Ein Versuch war die Verfilmung des Schauerromans vielleicht aber sicherlich wert, nur Eli Roth scheitert auch wie zuvor bei Death Wish an dem Qualitätsanspruch, potenziell spannende Geschichten aus einem Guss zu erzählen. Das vergeblich ambitionierte Abarbeiten einzelner Szenen ist als wochentagsfüllendes Tageswerk allerdings permanent spürbar. So können Welten wie diese kaum fesseln, trotz Auferstehung der Toten. Kyle MacLachlan als wurmzerfressener Hexer ist wohl bildgewordenes Fazit des ganzen Streifens: irgendwie untot, manchmal sehr lebendig, aber gleichzeitig bar jeglicher Vitalität.

Das Haus der geheimnisvollen Uhren

Death Wish

KEIN KILLER, DER NICHTS BÖSES DABEI DENKT

3/10

 

deathwish© 2018 Universum

 

LAND: USA 2018

REGIE: ELI ROTH

MIT BRUCE WILLIS, VINCENT D´ONOFRIO, ELISABETH SHUE U. A.

 

„Aus dem Weg, ich bin Arzt!“ – So etwas hören Passanten manchmal, wenn das Damoklesschwert schwindender Gesundheit auf offener Straße herniedersaust und Spezialisten auf den Plan ruft, die lebensrettende Maßnahmen einleiten. Bei Bruce Willis ist das etwas anderes. Der ist auch Arzt, aber leitet keine lebensrettenden Maßnahmen ein. Nicht auf offener Straße, und schon gar nicht „in the crowd“. Eher in den dunklen Seitengassen, und dort wird Leben verkürzt, weil die Justiz gelähmt hinter Paragraphen verharrt und die Exekutive machtlos ist. Und eigentlich alles wieder so sein sollte wie im wilden Westen, wo das Faustrecht Recht spricht und der Stärkere keinen tadelnden Fingerzeig dulden muss. Leute wie Bruce Willis haben genug mitgemacht, keine Frage.

Des Kinos Folterknecht Eli Roth hat sich eingebildet, unbedingt dem Selbstjustiz-Klassiker Ein Mann sieht Rot aus den 70ern Erste Hilfe leisten zu müssen. Ein Film, nachdem eigentlich nie jemand gefragt hat. Und der mit Ledergesicht Charles Bronson ohnehin schon top besetzt war. Das ist aber nicht die einzige Frage, die Death Wish – so das neue Original aus 2018 – unfreiwillg aufwirft. Aber womöglich denkt so manch ein Studio in Trump´schem Einmaleins, erfährt, dass das Original in den Kinos der 70er gut besucht war und das ganze proportional in die Jetztzeit hochrechnet. Dabei aber vergisst, einen völlig anderen Zeitgeist miteinzuberechnen, der die Kassen nicht unbedingt wieder laut klingeln lassen muss. Das Thema Rache allerdings ist anscheinend immer en vogue. Ist dem wirklich so? Könnte sein, der Mensch ist ja immer noch so ein impulsives, triebgesteuertes Wesen unter dem Mäntelchen scheinheiliger Kultiviertheit. Einmal nur leicht kratzen, schon fährt der Mensch seine Krallen aus. Wo geliebt und gelitten wird, da darf Gewalt Genugtuung fordern. Und Bruce Willis hat schließlich seine bessere Hälfte zu betrauern, während die Tochter im Koma liegt. Und das alles nur wegen raubmordendem Gesindel auf den Straßen.

Nur der Mann, der rot sieht, tut dies nicht sofort. Da vergeht einige Zeit. Die rentnerschwere Glatze, die wie so viele Schauspieler aus den Achtzigern ihr Ausdrucksrepertoire auf maximal zwei Mimiken eingespart haben, trauert erstmal, bangt natürlich um den Nachwuchs – zeigt aber nie diesen brennenden, wütenden, kaum zu beherrschenden Hass, der einem Menschen innewohnen muss, der dann plötzlich zur Waffe greift und das Böse auf der Welt kaltblütig wegmissioniert. So sehr diese Selbstjustiz-Szenarien auch mit plumpen Pathos und marktschreierischr Plakativität daherkommen – die Wandlung eines liebenden Familienvaters zum rechtschaffenen Killer ist eine durchaus schwierige Rolle. Eine Figur so glaubwürdig hinzubiegen verlangt Fingerspitzengefühl, psychologische Kenntnis und Erkenntnis, eine sich selbst übertreffende Leidensfähigkeit vor der Kamera. Das ist keine Performance auf Knopfdruck, das ist ein ganzes Spektrum an hochkochendem Verhalten. Vielleicht hätte das Bruce Willis früher einmal meistern können – mittlerweile aber ist der hier dargestellten rächenden Vaterfigur keine Sekunde zu glauben, was sie vorgibt, zu empfinden. Fehlt die psychologische Referenz, fehlt auch die Patrone im Magazin. Da mag geballert und seltsamerweise grausam gequält werden wie bei Eli Roth üblich – im Grunde macht der ganze Film nur „buff“ und „peng“, wenns hoch kommt dann vorne noch ein Fähnchen raus, auf dem steht, dass Rache auch keine Lösung ist. Aber das braucht der Film seinem enttäuschten Publikum gar nicht erst unter die Nase zu reiben. Für diese alttestamentarische Interpretation von Gerechtigkeit als Ausgleichssport für überlastete Akademiker gibt´s von meiner Seite keine mildernden Umstände.

Death Wish