Reflection in a Dead Diamond (2025)

DER MUSTERAGENT UND SEINE NEMESIS

5,5/10


© 2025 Kozak Films


ORIGINALTITEL: REFLET DANS UN DIAMANT MORT

LAND / JAHR: BELGIEN, LUXEMBURG, ITALIEN, FRANKREICH 2025

REGIE / DREHBUCH: HÉLÈNE CATTET, BRUNO FORZANI

CAST: FABIO TESTI, YANNICK RENIER, KOEN DE BOUW, MARIA DE MEDEIROS, THI MAI NGUYEN, CÉLINE CAMARA, KEZIA QUENTAL, SYLVIA CAMARDA U. A.

LÄNGE: 1 STD 27 MIN


Agenten sterben einsam? Letztendlich legen sie sich mit all ihren Widersachern ins Grab, ganz besonders mit jenen, die Zeit ihres Lebens so viel Größenwahn verspürt haben, um sich die ganze Welt unter den Nagel zu reißen, ob mit oder ohne weißer Katze am Schoß, am liebsten aber mit Vorliebe für kuriose Todesarten und völlig unverständlichem Zögern, wenn es darum ging, den Superspion von der Landkarte zu tilgen. Diese Naturgesetze funktionieren nur im Kino, von diesen Naturgesetzen sind die Filmemacher Hélène Cattet und Bruno Forzani so sehr entzückt, dass sie Lust dazu hatten, eine Collage anzufertigen, die all diese Stilmuster miteinander vereinen soll. In homogener Koexistenz lassen sich diese Puzzleteile aber nicht verorten. Vielmehr könnte sich diese Anordnung mit einer prall gefüllten Piñata vergleichen lassen, die auf einer grob skizzierten Storyline ihren Inhalt entlädt. Die zufällige Verteilung der Versatzstücke gibt in Reflection in a Dead Diamond den Rhythmus vor. Als sechster und letzter Beitrag im Rahmen meiner Exkursion in die fantastische Filmwelten des Slash 1/2-Festivals ist dieser experimentelle Avantgardefilm wohl weniger Vorreiter für Neues, sondern wehmütiger Zitatenschatz, der die visuelle und vor allem kinematographische Sprache wie totes Latein neu erlernen und erklingen lassen will.

Zurück sind die Sechzigerjahre, der grobkörnige Analogfilm, die ebenfalls analogen Bildmontagen und psychedelisch irrlichternden Sequenzen surrealer Vorspänne, welche längst ein Markenzeichen sind für das Franchise rund um James Bond, oft unterlegt mit dem Best Of stimmgewaltiger Soul-Diven, während die Schattenrisse nackter Frauenkörper mit den maskulinen Formen diverser Schießgeräte verschmelzen. Der Erfolg rund um James Bond ließ ganze Subgenres aus dem Boden wachsen wie großzügig gedüngter Bambus. Neben dem britischen Serienerfolg Cobra, übernehmen Sie (als Grundlage für den Stunt-Wahnsinn von Tom Cruise) wucherte vor allem im europäischen Festlandkino, vorwiegend Italien und Frankreich, billig produzierte Massenware als glamouröse Eurospy-Agentenfilme in gern besuchte Spätvorstellungen. Aus dem Pulk der Machwerke stechen die familienfreundlichen parodistischen Fantomas-Komödien mit Louis de Funès hervor, die das Geheimagenten-Milieu so weit überhöhten, bis nichts davon noch realitätsbezogen blieb. Und dennoch ist das Ganze nicht dem Genre des Fantastischen zuzuordnen. Agenten und Spione gibt es tatsächlich, interessant wird es aber erst, wenn das Unmögliche als kaum zu bezwingbare Nemesis Masken trägt, an mehreren Orten gleichzeitig auftaucht, Geld wie Heu hat, High-Tech neu erfindet und nebenher die Weltverschwörung hostet. Marvel- und DC-Comics waren dabei seit jeher Inspiration.

Reflection in a Dead Diamond ist fraglos ein bunter, auf das Publikum niederregnender Bilderreigen: erratisch, fragmentarisch, zersplittert. Es gibt Zeit- und Traumdimensionen, Realität und Fiktion, einen dem guten alten 007 nachempfundenen männlichen Stereotyp mit der Lizenz zum Töten, in jungen Jahren ein Schönling, im Alter ein geiler Specht. Es gibt die knallharte Superagentin, die nicht von dieser Welt zu sein scheint, und nie wird ganz klar, ob sie ihrem männlichen, vergleichsweise biederen Kollegen den Rang ablaufen will oder die Gegenseite verkörpert, die der Agent nicht müde wird zu bekämpfen.

Am Anfang einer nur grob skizzierten Geschichte gibt Altstar Fabio Testi, der in so pikanten Machwerken wie Sklaven der Hölle und Orgie des Todes mitgewirkt hat und auch in Klassikern wie Nachtblende neben Romy Schneider zu finden ist, den Spion a. D., der seinen einsamen Lebensabend irgendwo an der Cote d‘Azur verbringt und die Zeit damit verbringt, die Zimmernachbarin des Hotels lustvoll zu betrachten. Diese jedoch verschwindet recht bald, und John – so nennt sich Testis Figur – wittert bald schon eine offene Rechnung, die aus seinen vergangenen Dienstzeiten in die Jetztzeit segelt. Mit ihr rückt eine Femme Fatale an die Front, die den Helden über Jahre an seinem Verstand zweifeln hat lassen.

Wirklich spannend ist Reflection in a Dead Diamond nicht. Das ist auch nicht die Absicht des Films, der lieber gerne retrospektive Installation als sonst was wäre. Quentin Tarantino hätte diese in schwarzem Lack und Leder gezwängten Schöne, deren Gesicht niemals das echte ist, wohl gerne in einem seiner Filme wiedergefunden – Katana-schwingend und mit abstrusen Schlitzwerkzeugen ausgestattet, lässt sie ihre Gegner bluten – womit wir beim Giallo wären, den Cattet und Forzani auch noch liebgewonnen haben. Vor lauter Glitzer, Glamour und dem satten, überbelichteten Funkeln titelgebender Diamanten, die nicht alle unbedingt echt sein müssen, lässt sich die schrumpfige Geschichte nur noch schwer ausmachen. Die Attraktion der überhöhten Stilbilder mag als Kuriosität verblüffen, für die Dauer eines Spielfilms aber irgendwann nicht reichen, da das Gefühl, letztlich nur filmischen Tand zu betrachten, einen leeren Magen hinterlässt.

Reflection in a Dead Diamond (2025)

The Dead Don´t Die

NUR NICHT DEN KOPF VERLIEREN

6/10

 

THE DEAD DON'T DIE© 2019 Image Eleven Productions, Inc.

 

LAND: UDA 2019

REGIE: JIM JARMUSCH

CAST: BILL MURRAY, ADAM DRIVER, CHLOË SEVIGNY, STEVE BUSCEMI, SELENA GOMEZ, DANNY GLOVER, TILDA SWINTON, TOM WAITS, IGGY POP U. A.

 

Schon mal was von Sturgill Simpson gehört? Ein Singer und Songwriter relativ späten Baujahres, vorwiegend Country. Gut, das ist ein Genre, mit dem muss man etwas anfangen können. Das muss man wollen, dieses schmerzliche Romantisieren, dieses intonierte Fernweh an Orte ohne Wiederkehr. Das ist ein bisschen wie das Wienerlied, nur amerikanisch. Sturgill Simpson, der klingt, als wäre er ein Zeitgenosse von Johnny Cash gewesen – ist er aber nicht. Der Musiker aus Kentucky, der könnte mit Jim Jarmuschs neuen Film aus eng gezogenen Kennerkreisen zu höherer Bekanntheit aufsteigen – mit seinem Song The Dead Don´t Die. Mit diesen saitenbewegenden Klängen, und mit bunter Retro-Typo vor schwarzem Hintergrund, damit betritt Amerikas kultigster Autorenfilmer abermals ein Terrain, auf dem er sich bereits 2013 erstaunlich gut zuerechtfand. Aufgrund dieser Trittsicherheit macht sich nun nochmal weihnachtliche Vorfreude breit, in Erwartung, etwas ähnlich neu Intepretiertes vorgelegt zu bekommen. Dieses Terrain, das ist jene des mythenbesetzten Grusels, bevölkert von den Kindern der Nacht, den Untoten. In Only Lovers Left Alive durften Tilda Swinton und Tom Hiddleston im Cure-Look die schlechten Zeiten für Vampire beklagen. Traumverloren und scheinbar nicht von dieser Welt, völlig deplaziert in einer Gesellschaft, die des Tages lange Stunden nutzt und mit Ewigkeit nichts anfangen kann. Eine Filmballade, die Jarmusch daraus gemacht hat, durchaus selbstironisch und durchdrungen von einem erlesen sortierten Soundtrack, der das Ensemble erst so richtig in der Schwebe hielt, der das Szenario im Zwielicht den nötigen psychedelischen Drive mit auf dem Weg in die Finsternis mitgegeben hat.

Jim Jarmuschs Filme sind ohne ihre groovigen Sampler völlig undenkbar. Man nehme nur Broken Flowers. Da sucht Bill Murray die Mutter seines Sohnes. Wenn The Greenhornes den Song There is an End über die Szene schmettert, während Murray, längst kein oberflächlicher Spaßvogel mehr, mit einem Strauß Blumen in der Hand völlig orientierungslos in der Landschaft steht, dann ist das im Ganzen lakonisches Kino vom Feinsten, für Aug und Ohr gleichermaßen. Ähnlich verläuft es mit seinem neuen Streifen, der wieder mal die Skills der Untoten zelebriert, sich diesmal aber deutlich mehr schmutzig macht, mit Friedhofserde unter den Fingernägeln. Die Zombies brechen aus, und sie tun es endlich wieder wie zu Zeiten von Michael Jackson, als das Video zum Disco-Meilenstein Thriller die Ghule aus den Gräbern geholt hat. Von dort sollen sie auch kommen, meiner Meinung nach. Das sind wiedermal Zombies, die sich ihren ursprünglichen Pflichten besinnen, nämlich als Tote wieder aufzuerstehen, und nicht durch einen fragwürdigen, x-beliebigen Virus erst zu solche gemacht zu werden. In The Dead Don´t Die überfallen sie allesamt eine Kleinstadt namens Centerville, fressen natürlich auch Menschenfleisch, zeigen aber deutlich mehr Vorliebe für die Dinge, die sie Zeit ihres Lebens verehrt haben. Kaffee zum Beispiel, Smartphones oder Süßes, vor allem bei Zombie-Kindern. Das ist ein erfrischend origineller Ansatz, der sein Potenzial aber leider nicht allzu bewusst ausspielt.

Die hirnlose Sucht nach Dingen und Gewohnheiten, nach Konsum und sozialen Mustern hat John Carpenter damals bei Sie leben viel präziser kritisiert. Dass das Zombie-Genre gerne als gesellschaftskritischer Zerrspiegel angesehen wird, kann man so annehmen, oder aber auch nicht. Dafür sind die mit der Tür ins Haus fallende Bedrohung und die Gier nach Blut vorwiegend zu plakativ und effektorientiert, um eine tiefsinnigere Metaebene deutlich auszumachen. Ausnahmen gibt es natürlich genug, allen voran sicherlich auch George A. Romeros Klassiker in Schwarzweiß – The Night of the Living Dead. Obwohl ich den Film nicht kenne, könnte es gut sein, dass Jarmusch den Horrorstreifen bewusst und von Herzen zitiert hat. Die Szenen einer Welt wie wir sie kennen, in der latent und undefinierbar Bedrohliches aufkommt, die Ruhe vor einem unausweichlichen Sturm, erinnern an Twin Peaks, haben aber einen ganz anderen Rhythmus. Einen, den Jim Jarmusch stets zelebriert – die Langsamkeit, das Entschleunigte. Unterlegt mit den bedrohlich-melodischen Klängen der Postrock-Band Mogwai, ebenfalls in genüsslich zurückgeschraubtem Tempo, entfaltet der eigenwillige Künstler durch eben diesen rätselhaften Chill einen fast schon zeitlosen, beklemmenden Ist-Zustand, wie die windstille Schwüle vor einem Gewitter. Mittendrin ein Cast, der wahrlich ungern Macheten und Katanas schwingt, um die faulenden Rüben der Untoten zu kappen, auf lakonische Komik der Rat- und Kopflosigkeit ausweicht, und der wohl gerne zugibt, mit dieser Art Endzeit nichts mehr anstellen zu können.

The Dead Don´t Die ist längst nicht so parodierend wie Shaun of the Dead zum Beispiel, auch nicht so abenteuerlich wie Zombieland oder so hitzig wie Train to Busan. Jarmuschs Antwort auf den Zombie-Hype ist kein innovativer, aber bewusst träger Zitatenschatz, in versonnenen Alltagsfloskeln verloren und voller verpeilter Sprüche, die dem Unausweichlichen höhnen. Da stellt Jarmusch die richtigen Figuren auf, lässt sie scheinbar unentwegt Sturgill Simpson hören und in aus schierer Überforderung entsprungenem Stoizismus eins und eins zusammenzählen. Das wiederum geht sehr langsam. Aber langsam ist hier gut, fast wie neu entdeckt.

The Dead Don´t Die