Kandahar (2023)

DER FEIND MEINES FEINDES IST MEIN FEIND

5,5/10


kandahar© 2023 Leonine Distribution


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: RIC ROMAN WAUGH

DREHBUCH: MITCHELL LAFORTUNE

CAST: GERARD BUTLER, NAVID NEGAHBAN, TRAVIS FIMMEL, ALI FAZAL, NINA TOUSSAINT-WHITE, TOM RHYS HARRIES, FARHAD BAGHERI, MITCHELL LAFORTUNE, MARK ARNOLD U. A.

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Egal ob er, getarnt als Cable Guy, nahe eines iranischen Atomkraftwerks so tut, als würde er nur das Internet aufbrezeln, während das staatliche Militär bereits argwöhnt. Egal, ob er, eigentlich ein Leih-Agent vom MI6, mitten in Afghanistan steckt und gerade enttarnt wurde, sodass alle Welt es sehen kann. Es ist auch ganz egal, ob sein Wagen, indem er sitzt, von einer Rakete getroffen oder er, an einer Wand gekettet, gerade von den Taliban aufgeknüpft wird: Dieser Mann hat immer den gleichen Blick. Hat immer die gleiche Regung, eine konstante Halbmotivation und irritierende Gelassenheit, die man bei Jason Statham vielleicht verzeihen würde, weil er Jason Statham ist. Butler hingegen hat schon auch mal, wir erinnern uns anno 2006, lauthals und voller Blutdurst „Wir sind Sparta“ brüllen dürfen, um sich dann den Persern in den Weg zu stellen. In Greenland, als das Leben auf der Erde ungemütlich wurde, sah man in Butlers Antlitz die Kümmernis und Sorge ob seiner Familie. Denn schauspielern, das kann er wohl – wenn er nur will. Auf dem Weg nach Kandahar ist der bärbeißige Brite Opfer seiner Pflicht – seiner Schauspielpflicht. Er tut, was immer Ric Roman Waugh ihm anweist. Nur nicht mehr.

Die Familie daheim, der Schulabschluss seiner einzigen Tochter – nichts davon empfindet er. Gar so abgehärtet, so dermaßen desillusioniert? Vielleicht ja, vielleicht ist Butlers Figur des Tom Harris einfach nur schon müde von all dem Ganzen. Wenn dem so wäre, hätte er den Job von Auftraggeber Roman (endlich mal ein Wiedersehen mit Ragnar Lodbrok Travis Fimmel) schließlich nicht annehmen müssen. Doch er hat es – obwohl sein letzter Einsatz sicherlich so einige Wellen schlagen wird. Denn der iranische Geheimdienst schläft nicht. Auch nicht der I.S.I. – Pakistans Agenten. Da der Flug nachhause in die Staaten ohnehin Verspätung hat, und noch einige Tage hin sind, bis Töchterlein ihre große Party schmeißt, geht sich ein kleiner Einsatz, der obendrein gutes Geld bringt, sicher noch aus. In Herat angekommen, trifft unser Held auf den Übersetzer Mohammed, kurz Mo (Navid Negahban). Mit ihm muss er bald, nach Bekanntwerden seiner Identität, das Weite suchen, und zwar Richtung Kandahar, denn dort wäre vom MI6 der entsprechende Extraktionspunkt – sofern der 400 Meilen-Weg dorthin von beiden überlebt wird.

Und jetzt stelle man sich vor, wie es aussieht, wenn alle möglichen Parteien, die sich in Afghanistan behaupten wollen, zum Halali blasen. Es ist ja nicht so, als würde das in gefühlt tausend Scherben zerbrochene Machtgefüge eines eigentlich von Gott verlassenen Landes an einem Strang ziehen. Jeder will in eine andere Richtung, doch jeder hat das gleiche Ziel. Somit ist der Feind des Feindes des anderen sicher kein Freund. Durch dieses Gewirr an Häschern, Truppen und einsamen Jägern bahnt sich Butler stoisch und gefühlsarm seinen Weg, baut kaum eine tiefergehende Verbindung zu seinem Partner auf, reflektiert selbst nicht mal seine eigene Wahrnehmung der Dinge. Das schafft Distanz zu einem Film, der gewisse Ähnlichkeiten mit Guy Ritchies eben erst auf amazon prime erschienenen Escape-Afghanistan-Thriller Der Pakt aufweist. In diesem allerdings lassen sich Jake Gyllenhaal und Dar Salim aufeinander ein – das hat Wirkung. Kandahar ist dagegen eine Fahr- und Wandergemeinschaft; ein kurzer Streifzug durch diverse militante Interessensgruppen eines Landes, das ich mein Leben lang nie besuchen werde – trotz der gezeigten, atemberaubenden Landschaften, die klarerweise ganz woanders zu besichtigen sind.

Auch in Kandahar wummert und kracht es – ein Gerard Butler-Vehikel wie dieses wirbelt ordentlich Staub auf, es flattern allerlei Fahnen im Fahrtwind der Kleinpanzer, die Kutten und Turbane sitzen tief, und auch der um jeden Preis durchzusetzende Willen, die Balance der Gerechtigkeit zu halten, pflegt so manchen feuchten Wunschtraum westlicher Mächte. Würde der Film hundert Jahre früher spielen, säßen alle auf Pferden und hätte Gerad Butler vielleicht gar in die Rolle des Lawrence von Arabien schlüpfen können – nur Omar Sharif gäbe es dann leider keinen mehr.

Kandahar (2023)

Der Himmel wird warten

REKRUTEN FÜR DEN GOTTESSTAAT

7/10

 

himmelwirdwarten© 2017 Neue Visionen

 

LAND: FRANKREICH 2016

REGIE: MARIE-CASTILLE MENTION-SCHAAR

MIT NOÉMIE MERLANT, NAOMI AMARGER, SANDRINE BONNAIRE, CLOTILDE COREAU, ZINEDINE SOUALEM U. A.

 

Der IS, die Sekte des Terrors, fehlgeboren aus der Religion des Islam, arbeitet mit den gleichen Mitteln wie alle anderen radikalen Vereine, die so tun, als würden sie eine Religion vermitteln: mit Gehirnwäsche, werbewirksamer Verführungskunst und Lügen, die einzig darauf abzielen, Ängste zu schüren. Im Grunde wirbt der IS wie seinerzeit der Katholizismus mit der Absolution durch den Ablasshandel. Was hätten diese geld- und machtgierigen Bonzen damals nur alles Erdenkliche noch tun können, wären sie durch soziale Medien wie Facebook oder YouTube vertreten gewesen? Die damals relativ leichtgläubige, furchtsame und vor der Obrigkeit devote Welt wäre dem Papst noch mehr zu Füssen gelegen als es tatsächlich der Fall war. Erzählen lässt sich schließlich viel, auch das Blaue vom Himmel mit all seinen Jungfrauen. Und die Hölle, die gibt es immer noch. Aus dem Konzept gerissen erscheinen diese Methoden ziemlich lächerlich – gelingt es aber, den noch formbaren Geist eines jungen Menschen an den Angelhaken perfider Manipulation zu bekommen, wird es erst richtig gefährlich. Genau davon berichtet Mention-Schaar´s Film über die Krümmung des guten Willens und das Brechen junger Seelen.

Dabei erzählt Der Himmel wird warten zwei Geschichten, die erst am Ende das Missing Link zueinander sichtbar machen. Die ineinander verwobenen Episoden schildern detailliert die Radikalisierung eines französischen Teenagers in eine Islamistin, die sich nur zu gerne für einen Einsatz in Syrien rekrutieren lässt. Auf der anderen Seite sehen wir eine Metamorphose in die andere Richtung, von der Resozialisierung in ein normales Leben. Die Mechanismen, die für beide Richtungen jeweils angewandt werden, sind erstaunlich gut extrahiert. Blickt man in die Abgründe sowohl während der Befreiung aus einer verzerrten Realität als auch während der Vergiftung des Geistes durch den Fanatismus islamistischer Rattenfänger, lassen sich für einen Außenstehenden Warnsignale gut erkennen und abgrenzen. Für einen Gefangenen inmitten diffuser Wahrheiten, die nichts als Propaganda sind und als Fake News auf den ersten Blick logisch erscheinen mögen, ist die Abgrenzung vor dem „Bösen“ leichter gesagt als getan.

Der Himmel wird warten basiert lose auf dem Buch der Sozialpsychologin Dounia Bouzar (die auch im Film sich selbst spielt) und ist ein Pflichtprogramm für Schulen rund um den Erdball. Klar auch, dass dieses Lehrstück über Manipulation aus Frankreich kommt, hat dieses Land nicht genug Scherereien mit den scheinbar wahllos wie Metastasen aufpoppenden Terrorismus, der Stadt und Land in Angst und Schrecken versetzt hat. Doch nicht nur Frankreich, auch Österreich hat das eine oder andere Opfer vom Kreuzzug in den Nahen Osten abhalten können – manche wiederum nicht. Der vorliegende Film ist brisanter denn je, und so geradlinig und edukativ in seiner Szenenwahl, dass sich Schülerinnen und Schülern richtigen Alters die faschistoiden Mechanismen nicht nur im Moment, sondern auch merkbar für die Zukunft sonnenklar erschließen. Der Himmel wird Warten ist eine Präventivmaßnahme fürs Kino und für den Fernseher aus dem Lehrerzimmer. Ein Film, der gezeigt werden muss, gefährliches Denken im Ansatz ersticken kann oder gar nicht gleich aufkommen lässt. Anfang der Achtziger war es der semidokumentarische Sekten-Film Ticket to Heaven mit Kim Catrall und Saul Rubinek, der das Leben nach der Gehirnwäsche präzise schildert. Nicht zu vergessen Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Die schonungslose Drogenstory nach Tatsachen war zu meiner Schulzeit das Aufklärungskino schlechthin. Zwar manchmal notwendig reißerisch, dafür aber Mittel zum Zweck. So und nicht anders funktioniert das Medium Film, wenn es einen Bildungsauftrag erfüllen muss. Und dieser Auftrag besteht. Auch dafür muss Kino eine Plattform sein.

Der Himmel wird warten