The Marksman – Der Scharfschütze

EIN MANN AN DER GRENZE

4/10


marksman© 2021 Leonine


LAND / JAHR: USA 2021

BUCH / REGIE: ROBERT LORENZ

CAST: LIAM NEESON, KATHERYN WINNICK, JACOB PEREZ, JUAN PABLO RABA, TERESA RUIZ U. A. 

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Langsam wird er zu alt für diesen Sch… oder doch nicht? Müsste vorliegender Actionkrimi die eingangs erwähnte Feststellung berichtigen, so hilft alles nichts: Liam Neeson geht die Luft aus. Kann aber auch sein, dass es ganz schlicht und einfach die Rolle erfordert, so dermaßen genug vom Leben zu haben. Oder vom Filmemachen. Die Zeiten von 96 Hours scheinen lange vorbei, auch sein letzter Film – Honest Thief – hat sich da schon etwas eingebremst. Ein Leisertreten also, vor all diesen bösen, nimmermüden Buben, die als stereotype Abziehbilder dem alten Haudegen in der Sonne stehen. Irgendwie hat´s da was. Dabei wäre die Rolle des Marksman – also des Scharfschützen – auch eine dank- und denkbare für den mittlerweile über neunzig Jahre alten Clint Eastwood gewesen. Fragt sich nur, ob er die paar Prügelszenen auch noch so hinbekommen hätte wie Neeson. Wenn’s nämlich drauf ankommt, kann er das noch. Doch danach, wenn der Gegner am Boden liegt, heißt es verschnaufen.

In diesem Verschnaufmodus plätschert auch Robert Lorenz‘ schlichter Flüchtlingskrimi dahin, der nicht rein zufällig so aussieht, als wäre er im Grunde für Clint Eastwood bestimmt. Lorenz ist in erster Linie Produzent, und zwar für niemand geringeren als für den zum Kult gewordenen Dollar-Cowboy, und das schon seit Mitte der Neunziger Jahre. Clint Eastwood hat diese Rolle vermutlich abgelehnt. Morgan Freeman wäre noch in Frage gekommen. Oder Tommy Lee Jones. Hätten diese alternden Charakterköpfe ebenfalls eine ähnlich schleichende Stimmung erzeugt wie Neeson? Dabei ist letzterer nach wie vor gern gesehen, seit Schindlers Liste bleibt der Ire stets der Gutmensch, so widerborstig und eigenbrötlerisch und vielleicht so brutal er auch sein mag.

Als Grenz-Western beschreibt The Marksman – Der Scharfschütze eine Geschichte, die auf ein Post-It passt. Neeson als pensionierter US-Marine Jim Hanson (wie sonst könnte er so kämpfen) beobachtet tagaus, tagein den Grenzzaun zwischen Arizona und Mexiko, bis ihm eines Tages eine Mutter mit ihrem Jungen in die Arme läuft. Hinter den beiden her: austauschbare Handlanger irgendeines x-beliebigen mexikanischen Drogenkartells. Die Mutter stirbt, vorher nimmt sie Jim noch das Versprechen ab, ihren Dreikäsehoch zu seinen Verwandten nach Chicago zu bringen. Das macht er doch glatt, er ist schließlich ein Gutmensch, obwohl er vorgibt, mit dieser Entscheidung zu hadern und lieber seine Ruhe haben möchte. Doch es wäre kein Roadmovie der konventionellen Art, wäre das nicht der Beginn einer väterlichen Freundschaft mit einem durchaus aufgeweckten und souverän aufspielenden Jungdarsteller mit dazwischen platzierten, bleihaltigen Intermezzi.

Man könnte in The Marksman ja zwischendurch mal einnicken, ohne viel zu versäumen, aber bitte nur dann, wenn Neeson ebenfalls die Müdigkeit übermannt. Schwer schleppt sich der kleine Film über die Straßen. Um das Ganze etwas zu verdichten, bemüht sich Vikings-Star Katheryn Winnick völlig leidenschaftslos und formelhaft in einer undankbar rausgekürzten Rolle als Jim Hansons Tochter.

Wenn schon ein später Neeson, dann zumindest lieber Honest Thief. Ich hoffe ja doch, dass im kommenden LKW-Abenteuer The Ice Road der Sympathieträger mit der markanten Nase wiedermal zur Hochform aufläuft. Sonst war´s das vielleicht mal bald.

The Marksman – Der Scharfschütze

Free Guy

EIN CODE MIT CHARAKTER

7/10


freeguy© 2021 The Walt Disney Company


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: SHAWN LEVY

CAST: RYAN REYNOLDS, JODIE COMER, JOE KEERY, TAIKA WAITITI, UTKARSH AMBUDKAR, CHANNING TATUM U. A.

LÄNGE: 1 STD 55 MIN


Er ist zurück, obwohl ich dachte, er käme nicht mehr wieder: Mariah Careys Super-Soft-Pop-Klassiker Fantasy aus den Iden der Neunziger Jahre. Doch nein – an dieser streichelweichen Trällerei kommt, wer Free Guy sichtet, einfach nicht vorbei. Und Ryan Reynolds gefällt‘s. Es gefällt auch Jodie Comer, und der Song ist es auch, der beiden den Kopf verdreht. Das wirklich Fatale an der Sache: er geht mir schon seit Stunden nicht aus dem Kopf. Ein Ohrwurm par excellence. Ein Song-Revival durch die Hintertür. Und ja, im Nachhinein gefällt das nicht nur Reynolds und Comer, sondern auch mir – irgendwie. Weil es zum Film passt. Und dieser sich genauso knallbunt anfühlt wie die vielen hohen Töne Mariah Careys.

Sucht man einen Sommerhit, kann man natürlich Godzilla vs. Kong zu Rate ziehen. Es taugt aber auch Free Guy so ziemlich perfekt dafür. Auf den ersten Blick scheint das vielleicht nicht so zu sein. Denn unser Mr. Nice Guy oder nur Guy, der lebt in einer Welt, in der das Faustrecht regiert. Heißt also: Waffen und ihre Wirkung prägen das Stadtbild von Free City, Banküberfälle gehören zur Tagesordnung, Explosionen am Straßenrand ebenso und Guy wird das eine oder andere Mal gut und gerne durch die Luft geschleudert. Gamer wissen: das erinnert stark an Grand Theft Auto, kurz GTA. Ich weiß das nur vom Hörensagen. Womöglich wird´s so sein. Womöglich gibt´s noch jede Menge andere Referenzen, so wie in Ready Player One, die ich dort aber allesamt kannte, da die sich vermehrt auf Filme beziehen. In Free Guy wird also Ryan Reynolds – begnadet komisch – sein routiniertes Leben als Bankangestellter irgendwann zu schal. Da muss es noch mehr geben, denkt er sich. Vor allem eine bessere Hälfte. Und plötzlich wird aus einem NPC-Charakter jemand, der das Open-World-Game gehörig aufmischen wird. Hilfe bekommt er von Echt-Welt-Gamerin Milly, die sich bald mit dem als Blue Shirt Guy bekannten „Störenfried“ auf eine Mission begibt, um das Spiel und seine Bewohner zu retten. Ein Upgrade auf Free City 2 würde alles bisher Dagewesene nämlich auslöschen.

Man kann Ryan Reynolds wirklich nicht mehr ernst nehmen. Und das ist wohlwollend gemeint. Sobald er seine selbstironischen Attitüden ins Feld führt, ist das tatsächlich sehr komisch und obendrein noch wirklich sympathisch. Anders als der später völlig verstörte Jim Carrey in der Truman Show (womit dieser Film hier gern verglichen wird) wohnt in Reynolds Figurenseele eine einnehmend naive Lebensfreude, die alle möglichen Schwierigkeiten schon im Vorfeld abschwächt. Sei‘s drum ob Fake oder nicht, ob künstliche Intelligenz oder echter Mensch – Shawn Levy nimmt den Schrecken möglicher existenzieller Bedeutungslosigkeiten und macht den Moment zum einzig messbaren Faktor für das, was sich lohnt, real zu sein. Er setzt mit Eifer KI und Homo sapiens auf eine Stufe. Wo ein Wille, da Bedeutung. Bis sich diese rosige Philosophie manifestiert, gibt´s allerlei turbulentes Geschehen, und manchmal ist nicht ganz klar, wonach genau gesucht wird, doch es schert weder Reynolds Figur noch uns selbst. Zuzusehen, wie vor dem Bildschirm und dahinter eine Art Zeitenwende passiert, ist pure Unterhaltung (Highlight: das Franchise-Crossover im Showdown), auch wenn das Arsenal an Waffen aller Art keine Grenzen kennt. Aber so ist das in solchen Spielen. Gewaltverherrlichend sind sie, andererseits bieten sie die Möglichkeit, derartige Phantasien, schadlos für andere, auszuleben. Levys Trendist aber letzten Endes eindeutig ein pazifistischer. Der Friede kommt mit der Lebensfreude, und die ist genauso ansteckend wie Mariah Careys Fantasy-Song.

Free Guy

Cash Truck

NUR BARES IST WAHRES

7/10


CashTruck© 2021 Studiocanal GmbH


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE: GUY RITCHIE

CAST: JASON STATHAM, SCOTT EASTWOOD, HOLT MCCALLANY, JEFFREY DONOVAN, JOSH HARTNETT, LAZ ALONSO, RAÚL CASTILLO, NIAMH ALGAR, EDDIE MARSAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 59 MIN


Ein Mann übt Rache. Da schau her, doch so kreativ? Das kann einem im Grunde aber egal sein, denn Rache, die zieht immer. Und lässt sich auch im Bauchladen sämtlicher Billiproduzenten ganz ohne Déjà-vu-Effekt immer wieder auffüllen. Das ist der Stoff, auf dem die B-Movie-Schiene dahinfährt. Das ist auch der Stoff, der bereits im Jahre 2004 im französischen Thriller Cash Truck – der Tod fährt mit Verwendung fand. Müsste man theoretisch keinen Aufguss mehr machen. Aber Hollywood macht das immer. Weil Filme aus Übersee dortzulande einfach nicht funktionieren. Dabei kann der Stoff noch so billig sein, es kommt immer darauf an, was man daraus macht. Kleines Beispiel: Mehrere Künstler treffen sich in einem Atelier und malen eine inmitten des Raumes stehende, simple Vase, dabei dürfen sie ans Werk gehen, wie sie wollen. Bilder von Vasen, in denen Blumen stecken, gibt es viel zu viele, will doch keiner mehr sehen. Am Ende des Tages aber ist die Vase auf jedem Bild eine andere. Und Banales wird zu Besonderem. Dabei muss die narrative Basis nicht schon alle Stückchen spielen.

Dieses „Wie“ hat sich Guy Ritchie zu Herzen genommen. Filmfans kennen seinen persönlichen Stil: Erdig, kantig, lakonisch, hemdsärmelige Action und eine Vorliebe für das Actionkino der Siebzigerjahre, wo vorzugsweise im Tweed oder im grobem Textilsakko um die Ecke geschossen wird. Herumstehende Mannsbilder, mit markigen Textpassagen auf den Lippen. So funktioniert ein guter Ritchie, und trotz dieser banalen Vase als Kernstück seines Projekts hat dieser den plotmäßigen Ramsch so dermaßen gewieft aufpoliert, als hätten wir es mit einer völlig anderen und weitaus komplexeren Geschichte zu tun, als sie tatsächlich ist.

Das liegt auch an Ritchies Vergnügen, die Story nicht geradlinig ablaufen zu lassen, sondern zu zerschnipseln, irgendwo in der Mitte zu beginnen und die rätselhafte Bedeutung von Jason Stathams finsterer Figur langsam zu beleuchten. Keine Ahnung, ob das im Original auch so war. Ich jedenfalls würde vermuten, dass dieser dramaturgische Kniff neu ist. Ähnliches Muster gab es ja auch in seinem Vorgänger The Gentlemen, übrigens „der“ Geniestreich unter Ritchies Arbeiten. In Cash Truck (im Original: Wrath of Man) geht’s klarerweise und trotz des umgearbeiteten Scripts deutlich geradliniger zu. Und einsilbiger. Denn Jason Statham darf wieder mal, völlig spaßbefreit, die knallharte und bierernste Socke sein, die er immer gerne sein will. Das liegt ihm, wenn er nicht mit der Wimper zucken muss. Da weiß man schon: Bruder Mahlzeit, dieser Mann könnte im Alleingang alle Geldtransporer dieser Welt vor kriminellen Übergriffen schützen.

Das denkt sich die Firma, bei der Harry, genannt H, anheuert, bald ebenso. Schweigsam wie Chuck Norris und stoisch wie Statham eben selbst macht sich der Unbekannte in Arbeitskreisen bald einen Namen als Held und vor allem einer, der sich nichts gefallen lässt. Der mit griesgrämiger Miene ein finstere Vergangenheit mit sich herumträgt. Zeitgleich allerdings macht sich eine Bande Ex-Soldaten munter ans Werk: Ihr Plan ist es, nach mehreren Cash-Truck-Überfällen gleich das ganze Depot auszuräumen. Sie werden bald sehen, dass sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Denn H hat eine solche noch offen.

Das ist er, der ganze Plot. Doch schon allein der wummernde Score von Oscarpreisträger Christopher Benstead macht aus dem Actioner ein bisschen was Spezielleres. Die heftigen Töne, das grobkörnige Bild und ikonisch arrangierte Stills verleihen der Rachemär etwas Tragödienhaftes, ansatzweise gar ein Shakespeare’sches Drama, das den Noir-Charakter von Ben Afflecks Räuberballade The Town ebenso in sich trägt. Es wird schmutzig, blutig und pragmatisch. Sympathieträger gibt’s kaum, und wenn, dann nur für kurze Zeit. Etwas zu sagen hat in dieser Welt nur jener am Ende der kriminellen Nahrungskette. Es lässt sich erahnen, wer das ist. Und es überrascht wenig. Erstaunlich aber, wie aus wenig mehr werden kann.

Cash Truck

Sentinelle

DER RAMBO-EFFEKT

6/10


sentinelle© 2021 Netflix


LAND / JAHR: FRANKREICH 2021

REGIE: JULIEN LECLERCQ

CAST: OLGA KURYLENKO, MARILYN LIMA, MICHEL NABOKOV, ANDREY GORLENKO, MARTIN SWABEY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 20 MIN


Gesetzt den Fall, ich wäre ein Soldat im Auslandseinsatz, müsste vor Ort viele schreckliche Dinge mitansehen und würde völlig traumatisiert wieder heimkehren – man würde mich erstens niemals mehr an die Front, sondern zu den Ärzten schicken, die mich versuchen würden zu therapieren. Und zweitens würde ich mich womöglich nach einer brotgebenden Alternative umsehen, denn als Soldat hätte ich ausgedient, da es für mich unmöglich wäre, auch die kleinste Bedrohung, die es abzuwehren gälte, richtig einzustufen.

Olga Kurylenko alias Soldatin Klara, der ist genau das passiert. Traumatische Ereignisse irgendwo im Nahen Osten führen schließlich dazu, dass die junge Frau wieder zu ihrer Familie in Frankreich zurückkehren kann und dort in die Einheit der Sentinelles versetzt wird. Schwerbewaffnete Aufpasser, die am Strandboulevard von Nizza nach dem Rechten sehen – der Feind liegt ja nur jenseits des Mittelmeers. Oder ist vielleicht schon da, beim Terror weiß man nie. Klara selbst ist für diesen Job allerdings nicht (mehr) geeignet. Schwer depressiv, innerlich gebrochen, ein ordentlicher Tremor lässt sie zittern. Was hat so jemand noch im Militärdienst verloren? Julien Leclercq will´s gar nicht so genau wissen und lässt die hagere Russin dennoch hier mitmischen – was in Real Life wohl niemals möglich wäre. Aber gut, wir haben nun mal diese Ausgangssituation, und es wäre ja an sich schon ein recht lakonisches Psychodrama mit Ansätzen, wie wir sie bereits aus Brothers kennen – aber es kommt noch dicker. Und es kommt so, wie es die Regiekollegen Pierre Morel oder Jaume Collet-Serra auch immer gerne haben: Der Actionthriller findet seine Erfüllung im Selbstjustiz-Genre.

Denn Klaras Schwester, die wird eines Morgens, vergewaltigt und wüst zugerichtet, in die Klinik eingeliefert. Die völlig durch den Wind befindliche Sentinelle hat nun etwas gefunden, um ihrer zerrütteten Psyche ein Ventil zu geben: sie macht Jagd auf denjenigen, der ihre Schwester ins Koma geprügelt hat. Und natürlich klar: hat sie diesen jemand gefunden, wird nicht irgendein Gericht, sondern Klara selbst über Leben und Tod entscheiden.

Charles Bronson, Liam Neeson, Jennifer Garner – jetzt auch Olga Kurylenko, die in Sentinelle gar keine schlechte Performance abliefert. Leclercq setzt auf Trübsal, untermalt mit stimmigem Score, und widmet sich die erste Hälfte des Films ganz und gar dem Prozess der Bewältigung einer innerlich Versehrten. Dann aber schaltet der Film um, lässt eine Kämpfernatur gegen alles und jeden antreten und letzten Endes auch zu radikalen Mitteln greifen. Wenig zimperlich ist der auf Netflix frisch eingetroffene Film, er setzt auf den von mir aus dem Stegreif erdachten Rambo-Effekt: Traumatisierte Kriegsheimkehrer sieht sich mit einer ignoranten und boshaften Gesellschaft konfrontiert und glaubt, wieder so richtig kämpfen zu müssen. So pusht sich die Anti-Heldin in dem auf 80 Minuten runtergeschnittenen Drama zur Nemesis, die nichts mehr zu verlieren hat. Und auch nicht mehr gefunden werden will.

Sentinelle

Guns Akimbo

KEINE WAHL DER WAFFEN

4,5/10

 

guns-akimbo© 2020 Leonine Film Distribution

 

LAND: NEUSEELAND 2018

REGIE: JASON LEI HOWDEN

CAST: DANIEL RADCLIFFE, SAMARA WEAVING, NED DENNEHY, NATASHA LIU BORDIZZO U. A. 

 

Harry Potter im Pyjama? Vermutlich nichts Neues, denn in irgendeiner Szene aus dem Magier-Franchise wird er wohl im Nachtgewand durch Hogwarts gewuselt sein. Nun aber ist der Brite um einige Jahre älter geworden, desillusionierter und zynischer. Vor allem was seine Filmwahl betrifft. Er macht´s ungefähr so wie Robert „Glitzervampir“ Patterson, der die Last seines Hypes längst abgelegt hat. Radcliffe nimmt, was er kriegen kann, bürstet sein Image aber nicht zwingend um mehr als 180 Grad, so wie es Elijah Wood manchmal getan hat – vom Hobbit zum fiesen Killer sag ich nur. Ein solcher ist Daniel Radcliffe in Guns Akimbo aber ebenso – allerdings auf völlig unfreiwilliger Basis. Er ist einer, der im Bademantel durch die Gegend hetzt. Nicht zu übersehen: die knuffigen Pfotenpatschen aus Plüsch, die das agile Ego-Shooter-Dasein etwas erschweren. Doch warum tut er das?

Ganz einfach – Daniel Radcliffe spielt den Programmierer Miles, der die Nase voll hat von seinem Job und seinen Frust sehr gerne als anonymer Troll in diversen obskuren Foren auslebt. Darunter auch auf einem recht illegalen Kanal, der seine Kohle damit verdient, zwei Kontrahenten vor der Kamera auf Leben und Tod gegeneinander antreten zu lassen. Der kauzige Troll wird von den Schergen des Spielleiters schnell ausgeforscht. Und ehe sich unser Hanswurst versieht, bekommt er links und rechts zwei Knarren an seine Hände geschraubt – ein Akimbo wider Willen eben. Was das ist? Gamer werden wissen: keine Hand mehr frei, um beim doppelt gemoppelten Ballerspiel zwischenzeitlich in der Nase zu bohren. Schlimmer noch: Radcliffe aka Miles kann nicht mal mehr ordentlich eine Stange Wasser in die Ecke stellen. Im Nacken sitzt ihm Killerin Nix (Samara Weaving aus Ready or Not), die Beste im Darknet und völlig durchgeknallt.

Schön schrilles Brachialkino, ein Guilty Pleasure für Radcliffe- und Shootout-Fans? Leider nur zum Teil. Keine Frage, als völlig aus der Bahn geworfener Nobody hat Radcliffe ins Schwarze getroffen. Diese Duckmäuser-Figuren und schmalschulterigen Nerds stehen ihm ausnehmend gut, siehe die liebenswerte Komödie The F- Word. Ein bisschen vom Big Lebowksy, der die Kontrolle über sein Leben verloren hat, und einem genötigten Michael J. Fox ergeben eine geschmeidige Mischung. Diese lässt Regisseur Jason Lei Howden in der Gosse landen und zeigt sich ziemlich fahrlässig beim Stillen blutender Wunden. Doch hat man sich mal an all diesem persönlichen Chaos sattgesehen, tragen die fix montierten Waffen ihren kollateralen Brutalo-Slapstick längst nicht bis zum Ende des Films. Origineller wird´s kaum mehr, auch wenn die Actiongroteske so manches davon im Vorfeld versprechen will.  Shoot ‚em up hat das besser hinbekommen, da war sogar noch ein Baby mit im Spiel. In Guns Akimbo gibt’s weder krasse Wendungen noch bissfeste Schusswechsel. Der Lebenssaft wirkt wie Fingerfarbe, das Running Man-Konzept unterwirft sich leider immer einer gewissen Vorhersehbarkeit. So ist die Wahl der Waffen nichts zum Aussuchen und Schraubenschlüssel sind gut, aber aus.

Guns Akimbo

The Hunt

BEAT THE RICH

7/10

 

THE HUNT© 2020 UNIVERSAL STUDIOS All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2020

REGIE: CRAIG ZOBEL

CAST: BETTY GILPIN, HILARY SWANK, EMMA ROBERTS, ETHAN SUPLEE, JUSTIN HARTLEY, AMY MADIGAN U. A.

 

Sowas aber auch! Da hat sich Präsident Trump ja dermaßen auf den Schlips getreten gefühlt – und mit ihm die ganzen MAGAs, die so große Stücke auf den ersten Mann im Staate halten, der sich oft wiederholt, vieles vage formuliert und sich kaum auf Expertisen verlässt. Braucht er nicht, er ist ein politisches Wunder und vielem erhaben. Allerdings – kränken lässt er sich trotzdem. Und ein Skandal ist schnell gemacht. Von Obamagate fehlt nicht mehr viel zum Hunt-Gate – oder: Willkommen zur fröhlichen Schubladisierung der eigenen Klientel! Blumhouse hat sich mit seiner Thrillersatire The Hunt keinen Gefallen getan – oder aber auch jeden nur erdenklichen. Denn nichts macht einen Film interessanter als ein Skandal, als die Empörung über ihn. Und das noch dazu im Vorfeld, ähnlich wie bei Terry Georges Armenier-Epos The Promise. Kaum einer dieser Ankläger hat den Film je gesehen, doch wettern lässt sich über Kolportiertes natürlich sehr leicht. Es ist wie stille Post: wenn´s von einem Ohr zum anderen wandert, werden die infamen Frechheiten in solchen Filmen immer dreister. Wobei ich mir ernsthaft die Frage stelle: weswegen?

Weil das Häufchen Menschen, die sich, entführt und geknebelt, in einem Wäldchen wiederfinden, um von Unbekannten wie in die Luft geworfene Tauben abgeknallt zu werden, aus Stereotypen besteht, die dem Spektrum Trump-Wähler zuzuordnen sind? Hut ab vor denen, die das rauslesen konnten. Ich hab´s jedenfalls nicht erkannt, dafür segnen gut zwei Drittel aller Kandidaten viel zu rasch das Zeitliche, um überhaupt sagen zu können, welche politische Gesinnung die hätten. Alles was zählt ist anscheinend die Statistik. Aber gut – immerhin dürften es Leute sein, die dem Establishment auf ihre Art den Rücken kehren und kaum so leben wie die Reichen, Schönen und Vielbeschäftigten. Im Gegenteil – diese Reichen, Schönen und Vielbeschäftigten, diese CEOS und Stakeholders und sonstigen Kapazunder, die standen bei manch einem zum Freiwild erklärten armen Teufel auf dem Kieker. Aus genervtem Augenrollen wird bitterer Ernst. und die Damen und Herren im Anzug, die nicht wissen wohin mit dem ganzen Geld, blasen zum Halali. Die Trefferquote ist hoch – und unschön für die Auserwählten. Das Blut spritzt, eine Prise Gore darf auch noch sein. Nichts für Zartbesaitete, doch längst keine Challenge für Hartgesottene.

Was sich anfühlt wie ein zynischer Mix aus Surviving the Game und Natural Born Killers, bekommt erst seinen unberechenbaren Topspin mit dem Auftreten einer der wohl coolsten Bräute seit Uma Thurman in Kill Bill: Betty Gilpin. Spätestens dann wird The Hunt zu ihrer ganz eigenen Showbühne. Die Dame weiß, wie Mimik sonst noch geht, wie gegen die Norm gebürstet man in Anbetracht solch verqueren Ereignissen ein gewisses Quantum an Radikalvernunft bewahrt. Und wie ein verkaterter Montag-Morgen, an welchem einem am Besten niemand in die Quere kommen sollte, zur schlafwandlerischen Trotzphase wird. Gilpin checkt sehr bald, was Sache ist – und verbiegt die Regeln des Spiels. Wobei, wie schon die Macher des Films betonten, hier gern gedroschene Phrasen sowohl von der Elite als auch vom nörgelnden Durchschnittsbürger wie Blindgänger durch die Botanik brechen. Ernsthafte Kritik an wen auch immer ist das keine, vielleicht auch, weil Medien kaum eine Rolle spielen, die aber als allseits bekannte vierte Macht noch mehr zu sagen hätten als nur auf Social Media die Kampfarena hochzufahren. Dafür will The Hunt viel zu gerne einfach nur ein Actionthriller sein, der die Verachtung des jeweils anderen schürt.

Ob George Orwells Schweinchen namens Schneeball oder das Gleichnis vom Hasen und der Schildkröte – Regisseur Craig Zobel will einen scheinbar determinierten Algorithmus im Klassenkampf unterwandern: sozialphilosophisch wird The Hunt jedoch nie werden, dafür aber ist er so gut wie das wutschnaubende Kopfschütteln über populistische Aufmacher einer Boulevardzeitung. Betty Gilpin als zynische Aktivistin wieder Willen ist dann jene, die vom Pöbel bis zum arroganten Charakterschwein all die Schmierblätter zerknüllt und in die Tonne kickt. Das wiederum hat Klasse.

The Hunt

Das Letzte, was er wollte

AUS DEM DSCHUNGEL IN DEN DSCHUNGEL

2/10

 

thelastthinghewanted© 2020 Netflix

 

LAND: USA 2020

REGIE: DEE REES

CAST: ANNE HATHAWAY, ROSIE PEREZ, BEN AFFLECK, WILLEM DAFOE, TOBY JONES U. A.

 

Irgendwo in der Provinz Nicaraguas schleicht Anne Hathaway als relativ unerschrockene Reporterin und Teil einer Guerillagruppe durch den Dschungel. Wir befinden uns mitten in den Achtziger-Jahren. In nämlichem mittelamerikanischem Land herrscht Bürgerkrieg. Die Volksfront der Contras gegen die linksorientierten Sandinisten. Anne Hathaway muss Furchtbares mit ansehen. So wie Rosamunde Pike als Marie Colvin in A Private War. Doch sie notiert fleißig alles, was sie sieht. Gerät ins Kreuzfeuer, steht natürlich mit einem Bein im Grab, wie das bei Kriegsreportern nun mal so ist. Mit dieser wuchtigen Intensität beginnt der von Netflix veröffentlichte und vormals beim Sundance Festival vorgestellte Film mit dem recht sonderbaren Titel Das Letzte, was er wollte. Diese Intensität aber will nicht lange halten. Dem, was mit der Verfilmung des gleichnamigen Buches von Joan Didion passiert ist, muss ich für meine Begriffe ein filmisches Armutszeugnis erteilen. Und das aus mehreren Gründen.

Einer dieser Gründe ist nicht Anne Hathaway. Sie hat ihr Drehbuch aufmerksam gelesen, improvisiert auch nicht und gibt sich professionell, soweit es die Charakterzeichnung zulässt. Ein Grund ist genauso wenig Willem Dafoe, denn der ist als etwas geistig verwirrter und egozentrischer Papa stark wie immer. Womöglich könnte einer der Gründe Ben Affleck sein. Wäre die Razzie für dieses Jahr nicht schon vergeben – er wäre ihrer würdig. So ausdruckslos habe ich selten jemanden spielen sehen. Es ist, als wäre Affleck das Gesicht eingeschlafen. Der Mann ist aber ob seiner paar kurzen Auftritte nicht das eigentliche Problem. Viel schlimmer ist die völlige Ratlosigkeit, wovon Das Letzte, was er wollte eigentlich erzählen will. Klar, im Mittelpunkt steht Hathaway – und ja, sie übernimmt den recht undurchsichtigen Auftrag ihres Vaters, eine dubiose Lieferung nach Costa Rica zu bringen, die natürlich vor Ort auch noch bezahlt werden will. Die Währung ist eine andere als gedacht – es sind Drogen. Und ganz plötzlich kommt die Iran-Contra-Affäre ins Spiel, hautnah miterlebt, bis über beide Ohren darin verstrickt. Soweit so spannend. Doch etwas haut nicht hin: Regisseurin Dee Rees, die mit der Südstaatenballade Mudbound zu Recht für Aufsehen gesorgt hat (lief ebenfalls über Netflix und war 2018 gar oscarnominiert), findet keinen Fokus. Für einen Politthriller enthält ihr Film viel zu viel Geschwafel, das die Handlung nicht weiterbringt. Statt prägnanter Schlüsselszenen inszeniert Rees stets am point of interest vorbei, kann ihren filmischen Schwerpunkt nicht finden und verliert immer wieder den roten Faden, sofern es jemals einen gegeben hat. Neben dem politischen Skandal rund um die Reagan-Präsidentschaft will der Film aber auch noch ein fiktiv biographisches Charakterdrama unterbringen und das psychologische Dilemma seiner Hauptprotagonistin relevant erscheinen lassen. Irgendwie hat diese Schiene keinen Platz. Das merkt man daran, dass das persönliche Drama relativ wenig tangiert. Interessanter wäre gewesen, den ganzen Kanälen hinter der Iran-Contra-Affäre mehr auf die Spur zu kommen als die Vater-Tochter-Storyline reinzubringen. Genau dieser unglückliche Mix nimmt dem Film seine Straffheit und Relevanz.

Das Genre des Politdramas oder –thrillers hat naturgemäß stets den Hang, letztlich viele Mosaiksteine zu einem großen Ganzen zu vereinen und jede Menge Details in den Dialogen zu verstecken, die wichtig sind für das Verständnis eines solchen Films. Da braucht es ein klar strukturiertes Drehbuch, das Aussieben von unnötigem Ballast, der sonst die Geschichte zum Stocken bringt. Ist nicht leicht, so ein Schritt. Ist auch durchaus schwierig, wenn die literarische Vorlage einfach mehr Seiten hat, um alles erzählen zu können als ein Film Minuten und Stunden. Das ist bei Das Letzte, was er wollte scheinbar nicht passiert. Das letzte, was ich wohl gewollt hätte, wäre gewesen, diesen Streifen zu sehen. Aber was weiß man im Vorhinein? Nichts Genaues – so wie der Film nichts Genaues zum Besten gibt.

Das Letzte, was er wollte

Men in Black: International

I WANT TO BELIEVE!

6,5/10

 

1233076 - MEN IN BLACK: INTERNATIONAL© 2019 Columbia Pictures

 

LAND: USA 2019

REGIE: F. GARY GRAY

CAST: CHRIS HEMSWORTH, TESSA THOMPSON, LIAM NEESON, REBECCA FERGUSON, EMMA THOMPSON U. A.

 

Es ist wie es ist und man muss der Wahrheit, die irgendwo da draußen ist, einfach ins Auge sehen: Die Men in Black haben ausgedient. Will Smith und Tommy Lee Jones als Agenten J und K waren immerhin integre Agenten frei von jeglicher Befangenheit anderen extraterrestrischen Rassen gegenüber, aber auch in der streng geheimen Organisation, von der wir alle nichts wissen, geht die Zeit nicht spurlos vorüber. Die Men werden endlich auch zu Women, und dass das dritte Sequel des relativ gelungenen Originals immer noch nicht gegendert wurde, ist der gelernten Marke geschuldet. Sonst aber weiß selbst Emma Thompson keine wirklich schlüssige Antwort darauf. Doch warum sollte sie auch – die ehrgeizige Molly ist ja schließlich noch im Probemonat, sofern das alles klappt, könnte man der Obrigkeit ja nochmal ein Gesuch unter die Nase reiben. Denn die Women, insbesondere Tessa Thompson, retten die routinierten Spezialisten vor einem redundanten Trott, der sich trotz farbenfroher Diversität, die den Völkern diverser Weltraumsagas alle Ehre macht, nicht erst seit dem letzten Teil breitgemacht hat.

Men in Black: International ist – oh Wunder aller Wunder – der wohl letzte Notstopp vor dem unausgeschilderten Dead End einer Straße ohne Überholspur, auf der aber Smith, Jones und Josh Brolin noch ordentlich Gas geben wollten. Selbst überholen geht aber nicht, da muss jemand anderes die älteren Herren aufs Parkett drängen. Die uns Marvel-Nerds längst bekannte Tessa Thompson tigert sich in ihre Rolle als aufgeregt engagierte Bewerberin mit einer Begeisterung hinein, die wahrscheinlich Scully zu Beginn ihrer Laufbahn auch gehabt haben muss. Tessa als spätere Agentin M „wants to believe“, und das glaube ich ihr jede Sekunde. Diese schätzenswerte Spielfreude aber schwappt nur teilweise auf ihren Arbeitskollegen über, nämlich auf Chris Hemsworth, der ja mit seinem weiblichen Buddy schon früher Bekanntschaft gemacht hat. In Takia Waititis Thor: Tag der Entscheidung war das Duo schon so dermaßen eingespielt, als hätte es eine ganze gemeinsame Sitcom hinter sich. Eingespielt sind sie auch in Men in Black: International, nur Hemsworth, der eigentlich einfach nur Thor sein will, weiß nicht so recht wie er seine Rolle anlegen soll. Ist er ein draufgängerischer Bond? Oder nur das Testimonial für einen Herrenduft? Oder beides? Und passt das überhaupt ins Profil eines Alien-Diplomaten mit Zugang zu einem Waffenarsenal, das zu kuriosem Gigantismus neigt? Das ist so eine unentschlossene Sache, währenddessen Thompson bereits alle Sympathien auf sich gezogen hat.

Regisseur F. Gary Gray hat es geschafft, die Essenz dieses freilich anspruchslosen Akte X-Panoptikums neu zu erden, und mit all seinen charmanten Extras auf den Boden der verschleierten Tatsachen zurückzuholen, Zitate aus dem Erstling inklusive. Men in Black: International gleicht dem elegant durchgegliederten Produkt einer Rechnung, wenn Star Wars mit James Bond multipliziert wird. Size does matter, diese Devise gilt zwar bei den Waffen, aber nicht bei der liebevollen Selektion diverser Aliens, die, je kleiner und detaillierter sie sind, dem Geklotze gigantischer Riesen wie unlängst in Godzilla: King of the Monsters um Lichtjahre voraus sind. Das ist einer der Stärken beim Men in Black-Franchise, nämlich Aliens in der uns umgebenden, gewohnten Realität so zu verstecken, als gäbe es sie gar nicht. Da kann es schon sein, dass Rauschebärte und Schachfiguren ganz anders gesehen werden und mit Planen verdeckte Boliden irgendwas im Deflektorschilde führen. Dass nun quer um den Erdball ermittelt wird, tut dem verspielten Konzept ebenfalls ganz gut, da kann es schon sein, dass unsere gendergemixten Agenten demnächst auch mal in Berlin oder Wien einfallen. Unerklärliches gibt’s da nämlich genug 😉 Doch angesichts des traurigen Einspiels steht das wohl noch in den Sternen.

Men in Black: International

John Wick: Kapitel 3 – Parabellum

DIE MEUTE HETZT DEN WOLF

4,5/10

 

johnwick3© 2019 Concorde Filmverleih

 

LAND: USA 2019

REGIE: CHAD STAHELSKI

CAST: KEANU REEVES, HALLE BERRY, LAURENCE FISHBURNE, IAN MCSHANE, ASIA KATE DILLON, JEROME FLYNN, ANJELICA HUSTON U. A.

 

Manchmal, wenn es gerade mal mehr schlecht als recht läuft, gibt es einen Song, bei dem ich die Shuffle-Funktion meiner Playlist abstelle und den tröstenden Ohrwurm direkt anwähle. Es ist dies der Song der Toten Hosen mit dem so bezeichnenden und motivierenden Titel: Steh auf. Und dann grölt Campino ins Mikrofon, dass dies zu tun sei, nämlich aufzustehen, wenn man am Boden ist. Und dann nochmal, wenn man da unten liegt. Die Toten Hosen haben damit einen Song geschrieben, den sollte sich Keanu Reeves unbedingt und am besten gestern und wenn geht noch vor 18 Uhr hinter die Ohren schreiben. Kein anderer Song bringt den dritten Anlauf des wohl tödlichsten Hustenzuckerls der Welt so auf den Punkt wie dieser. Denn so oft wie der strähnig schwarzhaarige Stoiker auch hinfällt, er steht gefühlt öfters wieder auf. Und das macht ihn zu einer Kampfmaschine, wie es sie real gar nicht geben kann. Aber das wissen wir, spätestens seit dem augenzwinkernd zweiten Teil eines erfolgreichen Franchise, der damit endet, dass die Assassinengilde quer über den ganzen Erdball in freudiger Erwartung zum Halali auf den mieselsüchtigen Ernstling bläst. Eine Fortsetzung war da garantiert, denn auch wenn das Original außer einem hohen Bodycount nichts zu bieten hatte, hat Teil 2, der größtenteils in Italien spielt, einen gewissen Sinn fürs comichaft Überzeichnete entwickelt, das geradezu ins Absurde geht – und dem ganze Brimborium gut zu Gesicht steht.

Dieses Konzept will Chad Stahelksi auch im derzeit aktuellen Sequel unter die Killer mischen. Und entwirft eine unter der Fuchtel der ominösen Hohen Kammer stehende dunkle Parallelgesellschaft aus Mördern, Kopfgeldjägern und Auftragskillern, die nur mehr ein Ziel haben, nämlich John Wick zur Strecke zu bringen und das Kopfgeld von 15 Millionen zu kassieren. Das mit Tötungsverbot belegte Continental-Hotel in New York bietet auch keinen Schutz mehr – hat der Schauplatz doch erst den Stein ins Rollen gebracht. Und so hetzt die Meute den Wolf. Und der hechelt im Kleiderbaueranzug, durchnässt, verschwitzt und blutend durch eine verregnete Metropole, die fast schon an ein blaustichiges Sin City erinnert. Diese gehetzte Düsternis, dieses panisch Zufluchtsuchende, das sind die besten Minuten in diesem Film. Vor allem dann noch, wenn die Uhr tickt, bevor zur vollen Stunde der gebürtige Weissrusse zum Freiwild erklärt wird, hat der Thriller doch einiges an dystopischer Suspense zu bieten. Die aber verfliegt, nachdem unser geschundener Held auf einen anderen Kontinent wechselt. Was dann mit John Wick: Chapter 3 – Parabellum passiert, fällt in die Kategorie gepflegte Langeweile für Actionchoreographen, die ihre Schüler rangelassen haben, um mit Messern, Macheten und Schießeisen aller Art eine Art Ausdruckstanz zu veranstalten, der aber Kalibern wie The Raid bei weitem nicht das Pflaster reichen kann. Gareth Evans‘ Immobilien-Gemetzel ist zwar saubrutal, dafür fallen die kampfeswütigen Finsterlinge in so ausgesuchter Akrobatik, das Brutalität plötzlich zur freilich fragwürdigen Kunst wird. Die in diesem Film hier eigentlich alle ziemlich stümperhaften Todesbringer fallen wie schlaftrunkene Fliegen beim Abklatschen über einer Kuhflade, so wirklich Paroli bietet keiner von denen, nicht mal die Endgegner, die so lästig sind wie rollige Karnickel und andauernd um den sowieso schon völlig fertigen John Wick herumscharwenzeln, um ihm da und dort noch eine zu semmeln. Reeves erinnert mich dabei ein bisschen an Peter Sellers in der Eingangsszene zu seinem Slapstickstreifen Der Partyschreck. Da mimt er einen Fremdenlegionär, der bereits schon was weiß ich wie oft von feindlichen Kugeln getroffen wurde, und sich immer wieder und scheinbar endlos aufrafft, um ins Horn zu trompeten. Diese okkulte Widerstandsfähigkeit haben entweder Engel, Dämonen oder eben strähnige, lakonische Wüteriche in Schwarz, die sogar in die Wüste geschickt werden.

John Wick: Chapter 3 – Parabellum bezieht sich auf das lateinische Zitat Si vis pacem para bellum was soviel heisst wie Wenn du (den) Frieden willst, bereite (den) Krieg vor. Klar, der Krieg wird nicht nur vorbereitet, er findet auch statt. Und das ist ungefähr so vorhersehbar und überraschend wie bei den Expendables – und wirklich um einige Viertelstunden zu lange. Wenn man glaubt es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch ein Arschtritt daher. Letzten Endes wünscht man sich nicht nur einmal Time Out. Hätte John Wick doch wenigstens mehr Stil, hätte er einen Killerinstinkt, der andere glauben lässt, es gäbe ihn gar nicht. Szenenweise gelingt ihm das auch, vielleicht auch rein zufällig, wie beim blinden Huhn und dem Korn. Da hat der Film dann wieder seine feinen Actionspitzen doch meist bleibt es bei fuchtelndem Handgemenge, bis einer weint. Das ist redundant, man blickt auf die Uhr, zählt die Toten schon lange nicht mehr, und befindet das schleppende zweite Sequel als wenig originelle Übersprungshandlung, die im bereits zugesichertem Teil 4 noch größere Kreise ziehen wird. Und wir wissen – Quantität ist nicht gleich Qualität, auch nicht beim Bodycount.

John Wick: Kapitel 3 – Parabellum

The Highwaymen

MÄNNER FÜRS GROBE

5/10

 

highwaymen© 2019 Photo by Hilary B Gayle / Courtesy of Netflix

 

LAND: USA 2019

REGIE: JOHN LEE HANCOCK

CAST: KEVIN COSTNER, WOODY HARRELSON, KATHY BATES, JOHN CARROLL LYNCH, WILLIAM SADLER U. A.

 

Schön, Kevin Costner wohlauf zu sehen. Ein bisschen brummiger ist er geworden, im Hüftbereich spannt das Hemd und gesprochen wird nur mehr das Nötigste. Für einen Mittsechziger, der bald in die Rente hechten wird, nichts Ungewöhnliches, sofern er nicht der Filmbranche dient. Kevin Costner, der schnürt sich seine Hose gottseidank noch nicht bis zur Brust, und sein Fedora steht ihm gut, weil er noch dazu das auffällig selbstgefärbte Haupthaar verdeckt, das irgendwie lächerlich wirkt, ungefähr so wie bei Silvio Berlusconi. Natur wäre besser gewesen. Und die soziale Entfremdung? Womöglich seiner strafverfolgenden Laufbahn in vorliegendem Film geschuldet. Dort spielt er Frank Hamer, einen Texas Ranger außer Dienst, der aber wieder reaktiviert werden soll, weil womöglich ein ganz großer Fisch an seiner bald ausgeworfenen Angel baumeln könnte. Was heißt einer – zwei Fische: Nämlich das berüchtigtste Verbrecherpaar der Kriminalgeschichte – Bonny & Clyde.

Da denkt natürlich jeder Filmkenner an Arthur Penns bleihaltige Ballade selbes Titels, mit Warren Beatty und Faye Dunaway aus dem Jahr 1967. Die Bankräuber und mehrfachen Mörder mit einem kolportierten Sinn für Gerechtigkeit Marke Robin Hood waren ja tatsächlich Publikumslieblinge, allerdings der fragwürdigen Sorte. Soziale Gerechtigkeit sieht anders aus, jedenfalls nicht so wie Mord und Totschlag. Dieses Auflehnen gegen ein ungerechtes System heiligte anscheinend die Mittel, über die sich keiner der anfeuernden Normalbürger, die sich über ihre Veranda gelehnt und den beiden Turteltauben zugewunken hatten, den Kopf zerbrach. Oliver Stone hat dann Jahrzehnte später dem Benny & Clyde-Mythos mit Natural Born Killers die rosarote Brille vom Gesicht geschlagen. Bestien waren das, da braucht man gar nicht viel die Perspektiven wechseln. Und Bestien – die müssen gejagt werden. Also zurück zu Frank Hamer, der mit seinem Rentnerbuddie die R.E.D.-Gang um Bruce Willis aussehen lassen will wie ein Kaffeekränzchen. Nun, wenn Costner in den Waffenladen marschiert, um sich ein vom Staat gesponsertes Equipment von Faustfeuerwaffe bis Maschinengewehr zuzulegen, erinnert das ein bisschen an Michael Douglas in Falling Down, oder gar an einen Black Friday für Schwarzeneggers Cyborg-Alter Ego. Diesmal aber sind die beiden Opas aus Fleisch und Blut, und ihre mangelnde Agilität wird das Bleiarsenal schon ordentlich ausgleichen.

An Costners Seite agiert Woody Harrelson in zurücknehmender Haltung. Motivation sieht bei ihm meistens anders aus. Was das vielseitige Talent aus seiner Rolle des raubeinigen Mandy Gault herausholen kann, ist eine routinierte Hommage an Typen wie Clint Eastwood. Diese Interpretation hat aber auch schon Kevin Costner, also sind die beiden gesetzten Haudegen fast schon wie Brüder, obwohl Brüder ja meist grundverschieden sind. In The Highwaymen ergänzt Harrelson den anderen lediglich mit seinem lockereren Mundwerk, während Der mit dem Wolf tanzt in stoischer Nachdenklichkeit den schwer fassbaren, sträflich romantisierten Pistoleros in die Quere kommen will. Dabei stößt Costner relativ früh an seine schauspielerischen Grenzen, und auch John Lee Hancock, der unter anderem für das inhaltlich recht sperrige Hinter-den-Kulissen-Drama Saving Mr. Banks um Walt Disney einen recht geschmeidigen Zugang gefunden hat, verhaspelt sich dabei szenenweise vor allem in Sachen Tempo. Einerseits ist es ja schön und gut, die beiden Männer fürs Grobe näher kennenzulernen – aber ergiebig ist das nicht. Und ändert auch nichts daran, nicht unbedingt mehr von den beiden wissen zu wollen. Dadurch erzählt The Highwaymen relativ wenig und spult in ermüdendem Leerlauf die Chronik der Ereignisse ab. Spannender wäre es gewesen, Bonnie & Clydes Umstände nicht ganz auszusparen und mehr über den medialen Hype zu berichten. Verständnis für die beiden Kultkiller will der Film um nichts in der Welt aufbringen. So aber macht Hancock die „Bösen“ zu etwas unantastbar Besonderem, da das Konzept seines Thrillers es nicht vorsieht, von Costner und Harrelson abzurücken und das bürgernah Revolutionäre der Gesetzlosen zu hinterfragen. Am Ende lässt sich The Highwaymen zu einem Zugeständnis überreden, um nur für wenige Sekunden zum finalen Kugelhagel doch noch einen Seitenblick zu riskieren – auf eine personelle Staffage, die aber niemandem nützt.

Und so zieht sich die Netflix-Produktion in schnurgerader Eintönigkeit wie der Highway selbst durch karges Gelände, den Mördern beharrlich auf der Spur, was ein ganz gutes Bild der Fakten gibt, aber im Ganzen nur als der eine Teil eines komplexen Krimievents taugt, das Geschichte geschrieben hat. Sowohl im Film als auch im echten Leben.

The Highwaymen