Warten auf die Barbaren

HARTE KONTRASTE IM WÜSTENSAND

4,5/10


barbaren© 2019 Constantin Film Verleih


LAND: USA, ITALIEN 2019

REGIE: CIRO GUERRA

CAST: MARK RYLANCE, JOHNNY DEPP, ROBERT PATTINSON, GRETA SCACCHI, HARRY MELLING, GANA BAYARSAIKHAN U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Irgendwo im Nirgendwo: eine Festung der Fremdenlegion, thronend wie eine Kreuzritterburg über wüstenhaftem Ödland. Wo genau und wann genau diese Geschichte spielt, bleibt unklar. Womöglich handelt es sich um einen Grenzposten irgendwo in Asien, zumindest das wird bald konkreter, nachdem die sogenannten Barbaren einzeln verortet werden. Und die sind eine Gefahr für das ebenfalls nicht näher genannte Imperium, das aber auf britisch macht, sich Land und Volk mit harter Hand unterwirft und aus einer inneren Unruhe heraus all die Fremden, die das Grenzenziehen der Kolonialherren längst nicht gutheißen, bekämpfen und vernichten wollen. Mittendrin in dieser Kreuzritterburg: der sogenannte Magistrat, der ganz gut mit den Einheimischen zurechtkommt und der wenig erfreut darüber ist, als sein Rayon von einem eiskalten Colonel unter dessen Fittiche genommen wird. Die Methoden des militärisch zugestutzten Dämons stoßen dem Magistraten für alle ersichtlich sauer auf, obwohl er sich im Angesicht der brutalen Exekutive mit seinen humanistischen Anwandlungen noch weniger Freunde macht, als er ohnehin schon hatte.

Der kolumbianische Regisseur Ciro Guerra hat in seiner bisherigen, noch relativ kurzen filmischen Laufbahn zwei beachtliche Filme geschaffen. Zum einen den in Schwarzweiß gehaltenen, durchaus auch streng komponierten Dschungelstreifen Der Schamane und die Schlange, zum anderen – in Co-Regie mit Cristina Gallego – die Anfänge des kolumbianischen Drogenhandels unter dem Titel Birds of Passage. In Warten auf die Barbaren, der Verfilmung eines Romans von J. M. Coetzee, merkt man sofort, dass die Thematik des Filmes vorrangig nicht die ist, die Guerra zumindest geographisch mit seiner eigenen Heimat verbindet. Auch emotional sprühen hier keine Funken. Dieses Warten auf die Barbaren wird zum Warten für alle Anwesenden und womöglich auch am Film Beteiligten, denn Guerra, der weiß nicht so recht, wie er dieses teils abstrakte, mit groben Scherenschnittcharakteren besetzte Sinnspiel auf reibungslose Weise voranbringen soll. Der Film kauert gut die Hälfte seines Films in harrender Hocke, die Sonne brennt vom Himmel, die Mattigkeit der Umgebung sickert in den Durchschuss seiner Drehbuchzeilen. Überall dieser ganze Sand, vielleicht bringt der das Getriebe zum Stocken, jedenfalls entsteht in diesem plakativen Schwarzweißbild in Farbe eine enorm simple Welt, die aus den Guten und den Bösen besteht. Der Kontrast ist hart, schwer verdaulich auch die Methoden der Imperialisten, um die heillos unterlegenen Barbaren zu quälen.

Mark Rylance als Mann des Gewissens, als Höriger seiner eigenen Wertordnung und Opfer seiner Prinzipien, ist ein Don Quichote in einem Land voller Windmühlen, eine clowneske, tragische Gestalt, die man sonst in den Theaterstücken eines Max Frisch wiederfindet. Um ihn herum die flachen Pappkameraden der Unterjochung – Johnny Depp mit Sonnenbrille und steinharter Mine, eine Figur ohne Tiefe und Charakter, ein Jedermann, eine Projektion, stellvertretend für irgendetwas dahinter. Genauso geht es Robert Pattinson. Eine kleine Rolle zwar, doch genauso starr und emotional verkümmert wie alle anderen um Mark Rylance herum. Im Alleingang kann dieser das filmische Gleichnis nicht stemmen, zu viel hängt von seinem Tun fast die gesamte Laufzeit des Films ab. Daher bricht sich lähmendes Verharren Bahn, weil alles darauf wartet, was Rylance als nächstes tut. Das wird träge und dösend, eingeteilt in vier Jahreszeiten. Man hat das Gefühl, man erlebt sie in Echtzeit. Bis Rylances große Stunde schlägt, und die Konzentration auf seine Figur Legitimität erfährt.

Wenn es denn so einfach wäre, die Welt in all diese Schubladen einzuteilen, wie sie Ciro Guerra hier visualisiert, in einem scheinbaren Abenteuer, das schon unter Erschöpfung leidet alleine aufgrund des Betrachtens seiner eigenen Agenda, wäre die Welt vielleichte eine bessere. Coetzees Roman mag die akkurate Machtordnung mit dem geschriebenen Wort wohl überlegter interpretiert haben als in diesem Fall das Medium Film.

Warten auf die Barbaren

The Assistant

MÄDCHEN FÜR ALLES

5/10


theassistant© 2020 Forensic Films


LAND: USA 2020

REGIE: KITTY GREEN

CAST: JULIA GARNER, MATTHEW MACFADYEN, NOAH ROBBINS, KRISTINE FRØSET, DAGMARA DOMINCZYK U. A. 

LÄNGE: 2 STD 27 MIN


Ein ganz normaler Tag im Büro. Möchte man meinen. Zumindest meint man das fast den ganzen Film lang, welcher sich The Assistant nennt und in dem es natürlich um eine Assistentin – oder Sekretärin oder generische Bürokraft geht, deren Tagesablauf Regisseurin Kitty Green penibel verfolgt. Green scheint zu hospitieren, gleicht einer Schülerin, die Arbeitsluft schnuppert. Den Tippenden und Kopierenden und Kaffeemachenden über die Schulter blickt. Und jedesmal, wenn das Personal spontan den gewählten Platz verlässt, erschrocken zurückfährt, um nicht im Weg zu stehen. Sobald es keiner mehr merkt, rückt die Schülerin wieder näher. Schielt um die Ecke, äugt verstohlen ins Chefbüro. Bekommt den Oberboss aber nie zu Gesicht.

Stimmt – der Firmenfürst stolziert kein einziges Mal durchs Bild. Er ist die große Unbekannte, der Kastellan auf Franz Kafkas Schloss, eine metaphysische, gesichtslose Figur des Schreckens und der uneingeschränkten Macht, die mit Zuckerbrot und Peitsche ihren buckelnden Untertanen noch das letzte Bisschen an Selbstachtung nimmt. Warum sich Menschen so etwas antun, nur um irgendwann groß rauszukommen, ist mir schleierhaft. Ein Karrieremensch müsste ich sein, dann würde ich das vielleicht verstehen. Bin ich aber nicht. Und damit hat mein Mitlgefühl ob des öden Jobs von Assistentin Jane (Julia Garner) natürlich seine Grenzen. Jane ist Mädchen für Alles, kommt als erste, geht als letzte, dazwischen widerfährt ihr soziale Kälte, Diskriminierung und Unhöflichkeit. Kein Bitte, kein Danke, kein Lächeln. Diese Filmfirma ist die Antithese von Teamgeist. Ein Ort, der frösteln lässt. Und von welchem ich so schnell wie möglich würde fort wollen. Jane macht das nicht, sie lässt sich erniedrigen und ausnutzen. Aber auch das hat scheinber seine Grenzen, denn als sie merkt, dass der Boss junge Frauen zum intimen Gespräch nicht nur ins Hotelzimmer bestellt, sondern auch nach Büroschluss sexuell belästigt, fasst sie ihren Mut zusammen und wendet sich an die firmeninterne Personalstelle.

Kitty Green lässt sich, wie gesagt, wahnsinnig viel Zeit, um überhaupt eine Geschichte ins Rollen zu bringen. Irgendwann ist man dann froh, dass Green zumindest auf irgend etwas hinauswill, egal was, nur weg von der Sondierung eines Umstands hin zu einer Art Handlung. Doch viel mehr als die No Comment-Analyse eines triesten Bürotages mit auffallend wenig Dialogzeilen wird The Assistant dann trotzdem nicht. Dort, wo thematisch ähnlich gelagerte Filme wie Bombshell erst anfangen, hört dieser Film auch schon wieder auf.

The Assistant

Leviathan

HIOB LÄSST SICH GEHEN

6/10

 

Leviathan© 2015 Wild Bunch Germany

 

LAND: RUSSLAND 2014

REGIE: ANDREY ZVYAGINTSEV

CAST: ALEKSEY SEREBRYAKOV, ELENA LYADOVA, VLADIMIR VDOVICHENKOV, ROMAN MADYANOV, ANNE OUKOLOVA U. A.

LÄNGE: 2 STD 21 MIN

 

Du bist der Fels, auf dem ich meine Kirche baue. Das soll damals, wenn man den Überlieferungen glaubt, Jesus zu Petrus gesagt haben. Petrus hat diese Bürde dankend angenommen. Anderen gefällt dieses Gleichnis weniger. Zum Beispiel Kolia, dem Vater eines Sohnes und Erbe eines stattlichen Holzhauses an der Küste der Barentssee. Ein herrliches Fleckchen Erde mit Rundblick bis hinaus auf den fernen Horizont, umgeben von Felsen und Wellen, hinter einer Brücke geht die Kleinstadt erst weiter. Das Häuschen selbst bietet angenehm rustikalen Komfort, hat große Fenster – moderner Landstil, wenn man so will. Da lässt sichs leben. Das weiß auch der Bürgermeister der Gemeinde, und das weiß auch die russisch-orthodoxe Kirche, die dort, an diesem exponierten Plätzchen, eine Kirche bauen will. Der richtige Fels also. Nur blöd, dass Kolia dort lebt. Der Bürgermeister wird’s hoffentlich richten, oder? Damit es den Mächtigen schmeckt. Fällt sicher was für den feisten Herren etwas ab. Kolia muss also seinen Besitz veräußern, ob er will oder nicht. Doch der hat zufällig einen Freund in Moskau, der Anwalt ist. Mit ihm zieht er vor Gericht, bringt ans Licht, was der Machtmensch des Ortes sonst noch für Dreck am Stecken hat. Doch der liebe Gott meint es nicht gut mit Kolia, der den dem Wodka zugeneigten Mechaniker so dermaßen auf die Probe stellt, dass man als Mensch eigentlich nur verlieren kann. Wenn man nicht ein Machtmonster wie der Bürgermeister ist.

Leviathan, das ist doch ein Seeungeheuer aus der christlich-jüdischen Mythologie? In einer Szene des Films zitiert ein Geistlicher im Gespräch mit Kolia aus dem Buch Hiob, um klarzumachen, dass sich ein Kampf mit dem Monster bei Weitem nicht lohnt. Das Monster, das sind die Mächtigen, ein ungreifbares und unangreifbares Ungetüm, bestückt mit zahlreichen Gliedmaßen, fast schon einer Hydra gleich. Bezwingen lässt sich das nicht. Der kleine Mann kann hierbei nur verlieren, es sei denn, er findet Halt im Glauben. Doch letzten Endes ist es die Institution des Glaubens, die den armen Trinker verrät – und ihm alles nimmt. Erbauliches Kino ist das keines, viel eher bitterer Filmrealismus, in welcher sich das Tragische zuspitzt wie sonst nur in klassischen Tragödien. Jim Sheridans themenverwandtes Enteignungsdrama Das Feld ist von ähnlich epischer Tragweite, auch Das Haus aus Sand und Nebel mit Ben Kingsley und Jennifer Connelly kennt die destruktive Dynamik von Existenzverlust und freiem sozialem Fall.

Der Wodka, der fließt dabei in Strömen und feiert den heulenden Niedergang. Wenn die monströsen Zähne der Baggerschaufel in die häusliche Geborgenheit der heiligen vier Wände einschlagen und diese niederreißen, dann sind das die schmerzlichsten, wie auch stärksten Szenen des Films. Andrey Zvyagintsev entzieht der Kirche und den Mitmenschen das Vertrauen. Der Politik sowieso. Nur der Glaube könnte ihn noch retten, doch anders als bei Hiob ist dieser bei Kolia nur peripher bis gar nichtvorhanden. Der einzige Freund, der noch bleibt, das ist der Kartoffelschnaps. Worauf also will Zyvagintsev hinaus? Was für mich übrig bleibt, ist ein Klagelied auf alles Mögliche (sogar auf den Alkohol), was, so lässt es sich vermuten, in Russland im Argen liegt. Wie kann es anders sein, in einem Land, in dem die Mächtigen gefühlt auf ewig mächtig bleiben wollen? Das ganze Land scheint wie ein diffuser Leviathan zu sein, so zumindest illustriert es dieser Film, dessen prädestinierter Abwärtstrend nicht aufwühlt, aber in seltsam phlegmatischer Resignation zurücklässt.

Leviathan