The Banshees of Inisherin

FREUNDSCHAFT IST EIN VOGERL

7,5/10


bansheesofinisherin© 2022 20th Century Studios All Rights Reserved.


LAND / JAHR: IRLAND, GROSSBRITANNIEN, USA 2022

BUCH / REGIE: MARTIN MCDONAGH

CAST: COLIN FARRELL, BRENDAN GLEESON, KERRY CONDON, BARRY KEOGHAN, SHEILA FLITTON, PAT SHORTT, JON KENNY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Von Juni 1922 bis in den Mai des Folgejahres tobte auf Irland ein verlustreicher Bürgerkrieg zwischen jenen, die den Irischen Freistaat befürworteten, und jenen, die natürlich dagegen waren. Das hieß auch, dass ein Teil Nordirlands immer noch unter britischer Hoheit blieb. Ein Kompromiss, den viele nicht eingehen wollten. Diesen entbrannten Bruderkrieg konnte man von den vorgelagerten Inseln Irlands manchmal beobachten – und auch hören. Explosionen, donnernde Salven. Auf Inisherin, einer der irischen Küste vorgelagerte, fiktive Insel in der Galwaybucht, hat laut Martin McDonagh (Three Billboards outside Ebbing, Missouri) der Krieg scheinbar wenig Einfluss. Das Leben nimmt dort seinen Lauf, ein Tag folgt dem anderen und endet im Pub an der Steilküste. Es wird musiziert, dann, nächsten Morgen, wird das Nutzvieh versorgt, und pünktlich um 14 Uhr am Nachmittag holt einer wie Padraic seinen besten Freund von zuhause ab, um gemeinsam ein oder mehrere Guinness zu heben. Viel mehr passiert hier nicht. Langweilige Menschen tun langweilige Dinge. Aber das ist schön so. Und vertraut. Und jeden Tag aufs Neue Grund genug, dafür aus den Federn zu kommen. Doch eines Tages, es ist der erste April des Jahres 1923 – der Krieg am Festland liegt in den letzten Zügen – ist alles anders. Padraics Freund Colm kündigt die Freundschaft. Einfach so. Das dumme Gerede des einen, so meint er, stehle ihm viel zu viel Zeit für die wesentlichen Dinge des Lebens. Für Kunst. Und Musik. Padraic versteht das nicht, da er nichts getan hat, was sein Gegenüber so harsch und gemein werden lässt. Doch für Nettigkeit ist noch niemand in die Geschichte eingegangen, so Colm. Padraic lässt jedoch nicht locker. Will wissen, was da vorgeht und kann es nicht akzeptieren, dass der brummige Geigenspieler einfach nur seine Ruhe haben will. Wer nicht locker lässt, provoziert. Und der Krieg jenseits des Meeres scheint auf die Gemüter der beiden Sturköpfe abzufärben.

Mit The Banshees of Inisherin (Banshees sind weibliche Geister aus der irischen Mythologie) hat McDonagh wohl einen der ungewöhnlichsten Filme über Freundschaft geschaffen, die man sich nur vorstellen kann. Und obendrein gleich noch eine Allegorie gesetzt, die das Wesen des Krieges widerspiegeln soll, wie Schatten auf einer Höhlenwand. In Wahrheit gibt es keinen Grund für Konflikte, es sind lediglich die Folgen von Ignoranz, Kränkung und fehlender Weitsicht. Von krankhafter Sturheit und fehlendem Respekt. Dabei wird klar: Die Absenz der Nettigkeit hat vieles verursacht, was sich locker hätte vermeiden lassen. Sowohl im Kleinen als auch in der Weltpolitik. McDonagh sucht die Wurzel des Übels im Kleinen und zaubert daraus einen zutiefst komischen, aber auch so richtig makabren Schwank, der in herzhaften Dialoggefechten und dann wieder lakonischen Szenen seine Vollendung findet. The Banshees of Inisherin ist so urtümlich irisch wie der St. Patricks Day, suhlt sich in grünen Landschaften, irischer Volksmusik und jeder Menge Schwarzbier. Lässt die Brandung an die Felsen brechen und das Vieh ins Haus. Blut wird fließen, grimmige Konsequenzen durchgezogen, als wäre Verbohrtheit ein hehres Ziel. Und bei diesem Duell zwischen dem Harten und dem Zarten laufen nach Brügge sehen… und sterben die beiden Vollblütakteure Brendan Gleeson und Colin Farrell zur Höchstform auf. Bei Gleeson war mir ohnehin längst klar: dieser Mann war nicht nur als Harry Potter-Einauge Mad Eye Moody eine Offenbarung, sondern viele seiner Filme – vorrangig das Priesterdrama Am Sonntag bist du tot – wurden erst durch die Wucht seines Schauspiels nachhaltige Werke. Bei Colin Farrell ist nach dieser Performance nun auch jeder ZWeifel ausgeräumt: der diesjährig bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnete Brite setzt uns seine bislang beste und eingängigste Leistung vor. Der verstörte, ungläubige Blick, als Padraic erfährt, dass ihn Colm nicht mehr mag, zählt jetzt schon für mich zu den stärksten Interpretationen eines emotionalen Zustands. Und dann dreht er nochmals auf – ist wütend, resignierend, in seiner Einfältigkeit liebevoll charmant und dann wieder herausfordernd. Bis alle Stricke reißen. Wenn das passiert, ist der Bürgerkrieg einfach so auch in dieser beschaulichen Idylle angekommen. Und über allen Absurditäten wandelt eine Banshee die Wege und Hügel entlang, wie eine der Hexen aus Shakespeares Macbeth, die in die Zukunft sehen können.

The Banshees of Inisherin ist ein Buddy-Movie der besonderen Art. Nicht nur kauzig, schräg und so schwarz wie der tägliche Ausschank, sondern auch auf mehreren Ebenen eine zu Herzen genommene Zurschaustellung einer Menschenwelt, die ohne Respekt und Achtsamkeit nicht funktioniert.

The Banshees of Inisherin

Three Billboards outside Ebbing, Missouri

DEN TEUFEL AN DIE PLAKATWAND MALEN

7/10

 

threebillboards© 2017 Twentieth Century Fox

 

LAND: USA 2017

BUCH & REGIE: MARTIN MCDONAGH

MIT FRANCES MCDORMAND, SAM ROCKWELL, WOODY HARRELSON, ABBIE CORNISH, PETER DINKLAGE U. A.

 

Das erste Mal, als ich mit dem Dramatiker Martin McDonagh in Berührung kam, war die Aufführung seines Theaterstücks Der Leutnant von Inishmore im Wiener Akademietheater. Raues, blutiges Theater aus der irischen Unterwelt. Kein angenehmes Stück Bühnenspiel. Aber intensiv und einprägsam. Aber das ist schon Jahre her. Dass McDonagh auch auf Kino macht, bewies er dann mit Brügge sehen…und sterben?. Ein schwarzhumoriger Krachten-Thriller vor malerischen Fachwerkbauten. Sehenswert ja, aber nicht weltbewegend. Mit dem im Vorfeld hochgelobten Oscar-Kandidaten Three Billboards outside Ebbing, Missouri hat der Ire wohl sein inhaltlich komplexestes und vielschichtigstes Werk auf die Leinwand gewuchtet. Doch wie viel davon ist wirklich von Martin McDonagh? Viel eher lässt sich dieses Werk als Teil der Arbeiten seines älteren Bruders John Michael McDonagh sehen. Der hat sich im Gegensatz zu Martin immer wieder mal mit weitaus schwierigeren, vor allem ethischen Themen auseinandergesetzt. Ganz besonders in seinem letzten Film Calvary – Am Sonntag bist du tot. Ein Film um Glaube und Kirche, Vergebung und Verantwortung. Beeindruckend, bleischwer und metaphorisch. Three Billboards outside Ebbing, Missouri kippt in ein ähnliches Fahrwasser. Kann sein, dass das Kleinstadtdrama durchaus von John Michael´s Herangehensweise an gesellschaftskritische Stoffe beeinflusst worden ist. Wenn ja, war das mit Sicherheit kein Fehler.


Three Billboards otside Ebbing, Missouri könnte an einem Ort spielen, den sich Stephen King ausgedacht hat. Dieses fiktive Ebbing ist eine bigotte, spießige Kleinstadt – erzkonservativ und hinterwäldlerisch. Eine Keimzelle für Mord und Totschlag, für Rassenhass und sozialem Mobbing. Nichts für ungut, aber in Ebbing ist so ziemlich alles irgendwie mit Vorsicht zu genießen. Und dann ist da ein Mord passiert, die Vergewaltigung und Verbrennung eines Mädchens, direkt unter den Billboards, welche die Abzweigung nach Ebbing säumen – und zum Streitfall werden. Denn die trauernde Mutter des Teenies, die verschafft sich mit diesen drei Plakatwänden sowohl mediales Gehör als auch genug Feinde. Und entfacht eine Spirale der Gewalt und der Gegengewalt, aus der es kein Entrinnen zu geben scheint.

McDonagh der Jüngere liefert eine fulminante Geschichte, das Zerrbild eines schwelenden Mikrokosmos aus Hass und Wut, aus Genugtuung und Trauer. Und sie klingt so bizarr, dass es tatsächlich so passieren hätte können, was ich anfangs sogar noch gedacht habe. Doch 
Three Billboards otside Ebbing, Missouri ist eine fiktive, rabenschwarze Farce, die vor allem darstellerisch in noch tiefere Schwärze trifft als es die Story ohnehin schon tut. Und damit meine ich in erster Linie nicht mal Frances McDormand, von der man sowieso keine schlechte Arbeit erwartet. Nein – es ist das Schauspiel des Sam Rockwell, die nachhaltig beeindruckt und im Gedächtnis bleibt. Seine Wandlung vom niederträchtigen, hasserfüllten Saulus zum Paulus ist ein grandioser künstlerischer Kraftakt. Die veranschaulichte Kleinkariertheit, Impulshaftigkeit und Verletzlichkeit des latent rassistischen Polizisten Dixon und seine stete Metamorphose erinnert flüchtig an die Paraderolle Harvey Keitel´s in Bad Lieutenant. Ihm zur Seite natürlich der von mir sehr geschätzte Woody Harrelson als Mentor und Dixon´s Vaterersatz. All diese Figuren geben McDonagh´s Parabel der Vergebung eine raue, derbe, knochenharte Intensität, die den Wunsch nach dem inneren Frieden eines jeden einzelnen oder jeder einzelne zu einem zynischen Kreuzweg werden lässt. Das abrupte Ende aber wird den gierenden Gerechtigkeitssinn des Publikums erstmal wenig befriedigen. Später jedoch entfalten die letzten Worte seinen ganzen entlarvenden Zweck. Fast schon als Selbsttest für das Publikum, wie bei Helmut Qualtinger´s Die Hinrichtung.

Die Spirale der Gewalt zu durchbrechen verlangt unendliche, fast schon übermenschliche Größe. Im Angesicht emotionaler Belastung einen Schritt zurück zu treten, damit die Faust ins Leere fährt. Nur, um zu einer für alle erträglichen Ordnung zurückzufinden – das ist die Essenz dieser kraftvollen Ballade, die sich manchmal so traurig anfühlt wie Manchester by the Sea, und manchmal so absichtlich dick aufträgt wie ein Film der Coen´s. Selbstjustiz ist auch keine Lösung, die Hilfe des Feindes vielleicht. Ein Impuls, der neu ist – und Three Billboards outside Ebbing, Missouri zu einer faszinierend trotzigen Odyssee ins Innere verschütterter Menschlichkeit werden lässt.

Three Billboards outside Ebbing, Missouri