In the Land of Saints and Sinners (2023)

DAS VOLKSLIED VOM GUTEN KILLER

5/10


landofsaintsandsinners© 2023 Samuel Goldwyn Films


LAND / JAHR: IRLAND 2023

REGIE: ROBERT LORENZ

DREHBUCH: MARK MICHAEL MCNALLY & TERRY LOANE

CAST: LIAM NEESON, KERRY CONDON, JACK GLEESON, COLM MEANEY, CIARÁN HINDS, SARAH GREENE, DESMOND EASTWOOD, NIAMH CUSACK, CONOR MACNEILL, SEAMUS O’HARA U. A.

LÄNGE: 1 STD 46 MIN 


Liam Neeson zur Abwechslung mal im Original genießen? Sein Irland-Thriller In the Land of Saints and Sinners, der exklusiv statt im Kino auf Amazon Prime startet, bietet die passende Gelegenheit, auf die originale Tonspur umzustellen, wirkt doch die deutsche Synchronisation so sehr dem dargestellten Szenario, dem Setting und dem Plot entgegengesetzt, dass es kaum aushaltbar scheint, Neeson im gelangweilten, generischen Theaterdeutsch dabei zu begleiten, wie er zum wiederholten Male und diesmal auf heimischem Boden finstere Gesellen auseinandernimmt, um endlich, und das auch zum wiederholten Male, seinen Ruhestand zu genießen. Liam Neeson ist mit seinen über 70 Lenzen vorrangig Action-Opa mit Ermüdungserscheinungen, die seine Filmgegner oft als Schwäche auslegen und damit den Iren mit dem markanten Profil stets unterschätzen. Gerade dieser Drang zur Bequemlichkeit und das Zelebrieren selbiger entfacht in Neeson ungeahnte Aggressivität ohne Kommentarfunktion. Einer wie er muss eben tun, was getan werden muss. Und ein bisschen mehr. Nur nicht so viel, damit Neeson seine Rollenfindung nicht schwieriger gestalten muss als notwendig.

Es ist wie Autofahren: Einsteigen, zünden, losfahren, wenn geht noch mit Automatik. Ungefähr so sind Liam Neesons Rollen angelegt. Und leicht zu stemmen. Zwischendurch gibt es Ausreißer, ganz besondere Rollen, wie jene des Jesuiten in Marton Scorseses Silence – dabei ist der Durchbruch des Schauspielers einer dem derzeitigen Genre-Profil völlig konträr gelegenen Performance zu verdanken – die des Oskar Schindler. Demnächst soll er ja in die Fußstapfen von Leslie Nielsen treten, wenn die Kanone wieder nackt sein darf, und zwar als Frank Drebin. Das könnte gelingen. Und den Mann ins Komödienfach katapultieren, wo er sich selten herumtreibt.

Blacklight, Memory, Marlowe, RetributionIn the Land of Saints and Sinners ist endlich mal ein Filmtitel, der nicht nur mit einem Einzelwort daherkommt. Das lässt sich völlig unreflektiert mit höherem Anspruch konnotieren. Vielleicht auch, weil das übrige Ensemble mit Ciarán Hinds, Colm Meaney und der oscarnominierten Carrie Condon erlesen besetzt ist. Und wenn man genauer hinsieht, lässt sich in einer tragenden Nebenrolle auch Game of Thrones-Ekelkönig Jack Gleeson erkennen, der als zappeliger Killer-Kollege von Neeson durchaus Profil hat.

Etwas weniger davon hat das akzentschwache Thrillerdrama aber selbst, und da kann auch der ganze schillernde Cast nichts dafür, wenn Rollen zu besetzen sind, die wenig Tiefe besitzen. Die aus dem Kontext ihrer Vita herausgerissen scheinen und leider oft nur Schablonen sind, auch wenn sie so tun, als würden sie an ihre Grenzen gehen. Robert Lorenz tut das nicht. Robert Lorenz ist einer, der erst spät ins Regiefach gewechselt und davor all die Filme unter Clint Eastwoods Regie produziert hat. Da Clint Eastwood altersmäßig nur mehr bedingt mitzieht und als Action-Opa bald auch nicht mehr durchgeht, entspricht Liam Neeson noch am ehesten dem Profil des im Spätsommer des Lebens angekommenen, doch immer noch wehrhaften Selbstjuristen. So wurde dieser bereits in Lorenz‘ The Marksman besetzt, als uramerikanischer Hüter der Grenze zu Mexiko. Ein einschläfernder Film übrigens, und man kann von Glück sagen, dass dieser irische Möchtegern-Abgesang auf hemdsärmelige Männer fürs Grobe diesem Dämmerzustand des Vorgängers nicht ganz so folgt.

Zwar liegen diesem bei den letztjährigen Filmfestspielen von Venedig uraufgeführten Werk fremdenverkehrstaugliche Ambitionen zugrunde, die die grüne Insel von ihrer landschaftlich bemerkenswerten Seite zeigen – sonst jedoch wagt In the Land of Saints and Sinners keinerlei Hürden zu nehmen, die es aus einem Einheitsbrei lokalkolorierter Unterwelt-Dramen hervorheben würden. Martin McDonagh, verantwortlich für das bitterbös-schwarzhumorige Freundschaftsdrama The Banshees of Inisherin, hätte deutlichere Kontraste gesetzt als Robert Lorenz. Dieser fürchtet vielleicht, Liam Neeson in seinem Image zu kompromittieren. Von daher fehlt, ziehe ich das Resümee, reichlich Substanz für einen anfangs zwar geschickt konstruierten, im Laufe seiner Handlung aber sich selbst verwässernden, dank der gern gesehenen Gesichter aber ganz netten Irland-Western ohne nennenswerter Spitzen, die wohl den entsprechenden Eindruck hinterlassen hätten.

In the Land of Saints and Sinners (2023)

The Banshees of Inisherin

FREUNDSCHAFT IST EIN VOGERL

7,5/10


bansheesofinisherin© 2022 20th Century Studios All Rights Reserved.


LAND / JAHR: IRLAND, GROSSBRITANNIEN, USA 2022

BUCH / REGIE: MARTIN MCDONAGH

CAST: COLIN FARRELL, BRENDAN GLEESON, KERRY CONDON, BARRY KEOGHAN, SHEILA FLITTON, PAT SHORTT, JON KENNY U. A. 

LÄNGE: 1 STD 49 MIN


Von Juni 1922 bis in den Mai des Folgejahres tobte auf Irland ein verlustreicher Bürgerkrieg zwischen jenen, die den Irischen Freistaat befürworteten, und jenen, die natürlich dagegen waren. Das hieß auch, dass ein Teil Nordirlands immer noch unter britischer Hoheit blieb. Ein Kompromiss, den viele nicht eingehen wollten. Diesen entbrannten Bruderkrieg konnte man von den vorgelagerten Inseln Irlands manchmal beobachten – und auch hören. Explosionen, donnernde Salven. Auf Inisherin, einer der irischen Küste vorgelagerte, fiktive Insel in der Galwaybucht, hat laut Martin McDonagh (Three Billboards outside Ebbing, Missouri) der Krieg scheinbar wenig Einfluss. Das Leben nimmt dort seinen Lauf, ein Tag folgt dem anderen und endet im Pub an der Steilküste. Es wird musiziert, dann, nächsten Morgen, wird das Nutzvieh versorgt, und pünktlich um 14 Uhr am Nachmittag holt einer wie Padraic seinen besten Freund von zuhause ab, um gemeinsam ein oder mehrere Guinness zu heben. Viel mehr passiert hier nicht. Langweilige Menschen tun langweilige Dinge. Aber das ist schön so. Und vertraut. Und jeden Tag aufs Neue Grund genug, dafür aus den Federn zu kommen. Doch eines Tages, es ist der erste April des Jahres 1923 – der Krieg am Festland liegt in den letzten Zügen – ist alles anders. Padraics Freund Colm kündigt die Freundschaft. Einfach so. Das dumme Gerede des einen, so meint er, stehle ihm viel zu viel Zeit für die wesentlichen Dinge des Lebens. Für Kunst. Und Musik. Padraic versteht das nicht, da er nichts getan hat, was sein Gegenüber so harsch und gemein werden lässt. Doch für Nettigkeit ist noch niemand in die Geschichte eingegangen, so Colm. Padraic lässt jedoch nicht locker. Will wissen, was da vorgeht und kann es nicht akzeptieren, dass der brummige Geigenspieler einfach nur seine Ruhe haben will. Wer nicht locker lässt, provoziert. Und der Krieg jenseits des Meeres scheint auf die Gemüter der beiden Sturköpfe abzufärben.

Mit The Banshees of Inisherin (Banshees sind weibliche Geister aus der irischen Mythologie) hat McDonagh wohl einen der ungewöhnlichsten Filme über Freundschaft geschaffen, die man sich nur vorstellen kann. Und obendrein gleich noch eine Allegorie gesetzt, die das Wesen des Krieges widerspiegeln soll, wie Schatten auf einer Höhlenwand. In Wahrheit gibt es keinen Grund für Konflikte, es sind lediglich die Folgen von Ignoranz, Kränkung und fehlender Weitsicht. Von krankhafter Sturheit und fehlendem Respekt. Dabei wird klar: Die Absenz der Nettigkeit hat vieles verursacht, was sich locker hätte vermeiden lassen. Sowohl im Kleinen als auch in der Weltpolitik. McDonagh sucht die Wurzel des Übels im Kleinen und zaubert daraus einen zutiefst komischen, aber auch so richtig makabren Schwank, der in herzhaften Dialoggefechten und dann wieder lakonischen Szenen seine Vollendung findet. The Banshees of Inisherin ist so urtümlich irisch wie der St. Patricks Day, suhlt sich in grünen Landschaften, irischer Volksmusik und jeder Menge Schwarzbier. Lässt die Brandung an die Felsen brechen und das Vieh ins Haus. Blut wird fließen, grimmige Konsequenzen durchgezogen, als wäre Verbohrtheit ein hehres Ziel. Und bei diesem Duell zwischen dem Harten und dem Zarten laufen nach Brügge sehen… und sterben die beiden Vollblütakteure Brendan Gleeson und Colin Farrell zur Höchstform auf. Bei Gleeson war mir ohnehin längst klar: dieser Mann war nicht nur als Harry Potter-Einauge Mad Eye Moody eine Offenbarung, sondern viele seiner Filme – vorrangig das Priesterdrama Am Sonntag bist du tot – wurden erst durch die Wucht seines Schauspiels nachhaltige Werke. Bei Colin Farrell ist nach dieser Performance nun auch jeder ZWeifel ausgeräumt: der diesjährig bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnete Brite setzt uns seine bislang beste und eingängigste Leistung vor. Der verstörte, ungläubige Blick, als Padraic erfährt, dass ihn Colm nicht mehr mag, zählt jetzt schon für mich zu den stärksten Interpretationen eines emotionalen Zustands. Und dann dreht er nochmals auf – ist wütend, resignierend, in seiner Einfältigkeit liebevoll charmant und dann wieder herausfordernd. Bis alle Stricke reißen. Wenn das passiert, ist der Bürgerkrieg einfach so auch in dieser beschaulichen Idylle angekommen. Und über allen Absurditäten wandelt eine Banshee die Wege und Hügel entlang, wie eine der Hexen aus Shakespeares Macbeth, die in die Zukunft sehen können.

The Banshees of Inisherin ist ein Buddy-Movie der besonderen Art. Nicht nur kauzig, schräg und so schwarz wie der tägliche Ausschank, sondern auch auf mehreren Ebenen eine zu Herzen genommene Zurschaustellung einer Menschenwelt, die ohne Respekt und Achtsamkeit nicht funktioniert.

The Banshees of Inisherin

Dreamland

DAS GLÜCK LIEGT IN DER SCHEUNE

5,5/10


dreamland© 2020 Paramount Pictures


LAND / JAHR: USA 2019

REGIE: MILES JORIS-PEYRAFITTE

CAST: MARGOT ROBBIE, FINN COLE, TRAVIS FIMMEL, KERRY CONDON, DARBY CAMP, LOLA KIRKE, GARRETT HEDLUND U. A. 

LÄNGE: 1 STD 38 MIN


Trotzdem sie allesamt Verbrecher sind: Bankräuber haben immer ein bisschen was von Robin Hood. Etwas Charmantes, jovial Gaunerhaftes. Bankräubern kann man nicht wirklich böse sein. Sie tun das ja meist, weil sie entweder nicht anders können oder Vater Staat ihnen das letzte bisschen Geld auch noch genommen hat. Weil sie meistens verzweifelte, arme Würstchen sind. Da lässt sich durchaus über das eine oder andere Posttrauma der am Boden liegenden und um ihr Leben bangenden Opfer hinwegsehen. Zumindest funktioniert dieses Klischee im Kino sehr gut.

Als Bankräuber Allison Wells darf in diesem unter ferner liefen veröffentlichten 30er Jahre-Krimidrama Dreamland niemand geringerer als „Harley Quinn“ Margot Robbie den Revolver ziehen. Dabei gewinnt sie prompt den Faye Dunaway-Lookalike aus Bonnie und Clyde, bevor sie aus Wunden blutend in einer Scheune irgendwo im texanischen Nirgendwo gleich einem verletzten Tier Zuflucht sucht. Wie es der Zufall will entdeckt sie der hauseigene Farmersjunge, noch grün hinter den Ohren, und begegnet ihr mit einer Mischung aus Anhimmelei und Draufgängertum, da der Jungspund sehr gerne schon Mann sein will. Was er weiß oder gar nicht wissen will: die Killer Queen, die angeblich ein Kind auf dem Gewissen haben soll, wird überall gesucht. Und jetzt ist er, Eugene, jemand ganz besonderer, der nun zwischen mehreren Optionen wählen darf. Entweder er liefert Wallis der Polizei aus und kassiert das Kopfgeld. Oder er brennt mit ihr durch und kassiert das von Margot Robbie versprochene Doppelte. Als Mann wie er ist man den Reizen der bildschönen Dame natürlich rein hormonell komplett ausgeliefert.

Es macht Freude, hier mal wieder „Ragnar Lodbrok“ Travis Fimmel zu Gesicht zu bekommen. Der Mann mit dem hypnotischen Blick und seinen ganz speziellen, unverwechselbaren Manierismen hat nun alles Wikingerhafte abgelegt und darf als zugeheirateter Ermittler dem Stiefsohn die sogenannten Ratschläge fürs Leben erteilen. Sympathisch wirkt er nicht. Eher hemdsärmelig, derb. Und das fügt sich wiederum gut in ein auch recht hemdsärmeliges und nicht sehr feingezeichnetes Krimimelodram, das eine offenkundig alternativlose Geschichte erzählt, die vom Grundkonzept her aus Thelma & Louise, eben Bonnie & Clyde oder zum Beispiel aus Wisdom: Kühles Blut und Dynamit bekannt sind. Paare auf der Flucht vor dem Gesetz: kann nie gut gehen. Was also fasziniert an solchen formelhaften Balladen? Die Lust, als Zaungast dem Scheitern von der Idee der anarchischen Freiheit beizuwohnen? Ist es Schadenfreude? Ist es ein „Ich hätte es euch ja gesagt?“. Vielleicht ist es das. Vielleicht aber wundert (und ärgert) man sich gerne über so viel testosterongesteuerte Kurzsichtigkeit, die jemand wie Margot Robbie schamlos ausnutzt. Sie ist wieder mal faszinierend undurchschaubar – im Gegensatz zum Rest des Films.

Dreamland