The Flash (2023)

DEM SCHICKSAL DAVONLAUFEN

7/10


theflash© 2023 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved.  TM & © DC 


LAND / JAHR: USA 2023

REGIE: ANDY MUSCHIETTI

DREHBUCH: CHRISTINA HODSON

CAST: EZRA MILLER, MICHAEL KEATON, SASHA CALLE, BEN AFFLECK, MICHAEL SHANNON, RON LIVINGSTON, MARIBEL VERDÚ, KIERSEY CLEMONS, JEREMY IRONS, ANTJE TRAUE, GAL GADOT U. A.

LÄNGE: 2 STD 24 MIN


Es ist selten empfehlenswert, seinen eigenen Problemen davonzulaufen. Immer weiter weg. Barry Allen tut das. Er läuft weg vom Schicksal seiner Familie, von der Tragödie eines Todesfalls, der so leicht hätte verhindert werden können, hätte Mum im Supermarkt nur nichts vergessen. In Wahrheit aber will Barry durch sein Davonlaufen die Vergangenheit wieder einholen, fast so, als würde man so schnell vor jemandem herlaufen, dass man, einmal die Erde umrundet, ihm letzten Endes nachläuft. Genauso – oder ungefähr so – funktioniert das. Und The Flash wird zum Herrn der Zeit, ohne dafür jemals irgendwelche Workshops dafür besucht zu haben, denn man weiß ja seit Marty McFly, wie heikel es ist, damit herumzuspielen. Die Manipulation am Zeitstrahl löscht entweder alles aus, verändert ihn – oder ein ganz neuer entsteht, inklusive frisch gezapfter  Vergangenheit.

Das DC-Multiversum wäre somit geboren, und Barry Allen fungiert als dessen Hebamme. Wie es der Zufall will, trifft Allen nicht nur auf glückliche Eltern, sondern auch auf sein Alter Ego ohne Kräfte. Ein völlig durch den Wind befindlicher Taugenichts, der sich von den Eltern aushalten lässt, aber selbst nichts auf die Reihe bekommt. Es wird schwierig werden, all das Leben wieder in den Normalzustand zu versetzen, denn in dieser neuen Welt gibt es keine Metawesen, die dem plötzlichen Auftauchen von Kryptonier Zod etwas entgegenhalten könnten. Wir wissen: Zod, gespielt von Michael Shannon (und diesmal eher farblos, wenn man Man of Steel nicht kennt) wollte schon anno 2013 die Erde unter Zac Snyders Regie niederbügeln – und nebenbei des Superman habhaft werden. Nun aber ist alles anders. Und zum Glück finden wir uns an jenem Tag ein, an welchem Allen seine Speed Force bekommen soll. Einer von beiden muss dann also schließlich The Flash werden. Wer, wird sich zeigen. Und Batman? Lustigerweise gibt‘s den. Doch der ist nicht Ben Affleck. Schließlich ist es jener aus den Filmen von Tim Burton, mit selbem Outfit und selbem Batmobil. Nur etwas älter.

Andy Muschietti, der Stephen Kings Es neues Leben eingehaucht hat, gilt nun als neue Hoffnung am DC-Firmament. Alle sind so richtig begeistert, was dieser aus Flash – sowieso das Sorgenkind, das jahrzehntelang auf seine Origin-Story hat warten müssen – gemacht hat. Obwohl: Ezra Miller, ebenfalls ein Sorgenkind, war schon längst etabliert. Nur die Story musste noch knackig genug werden – und mit dem roten Faden des Marvel-Multiversums mithalten. Denn Zeitreisen und andere Dimensionen sind immer noch der Trend, die kausalen Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung immer noch ein grenzenloses Labor, in welchem sich herumexperimentieren lässt, als gäb‘s kein Morgen mehr. Manchmal ist das auch tatsächlich so, und das Morgen lässt sich nur durch kluge Manipulation des Vergangenen oder der Zukunft garantieren. Auch The Flash rennt, schwitzt und flitzt nun weltenrettend diverse Zeitlinien entlang, die sich als alternative Dimensionen manifestieren. Das ist weniger krass als in Spider-Man: Across the Spider-Verse, aber man ahnt nicht, was eine Dose Tomaten eigentlich alles anrichten kann. Aufbauend auf diesem Schmetterlingseffekt lässt man sich gerne davon überzeugen, dass das scheinbar längst etwas erschöpfte Prinzip der Multiversen in gefühlt allen Comicverfilmungen immer noch einige Blickwinkel in petto hat, aus welchen die Sicht auf das Raum-Zeit-Dilemma nochmal neue Impulse erhält. Bei The Flash gelingt das. Michael Keaton weiß, wie er einfach, aber verständlich, hierzu den Erklärbären gibt, während Ezra Miller im Doppelpack mit sich selbst hadert – und dabei den Film zum Schauspielkino werden lässt, mit ganz besonderen Performancenleistungen. Miller mag im Privaten so einiges ausgefressen haben – als Schauspieler ist er ein Profi. Einer, der nuancieren kann, mit expressivem Ausdruck und kraftvoller Spielfreude. Und auch Michael Keaton, grundsympathisch wie eh und je, feiert den nostalgischen Rückblick auf sein Karrierehoch aus den Achtzigern. Im Team sind die zwei unschlagbar, da mag Supergirl (Sasha Calle) etwas an Kraft verlieren und noch nicht wirklich ihre Bestimmung finden.

Das Publikum aber ist sofort mit dabei. Zumindest mir erging es so. Lose auf dem Comic Flashpoint basierend, gelingt Muschietti ein höchst geschmeidiges, kurzweiliges Abenteuer mit der richtigen Portion an Situationskomik, ohne selten überzogen zu wirken, wenn man von der Krankenhaus-Szene mal absieht. Doch die passt wiederum gut zu James Gunns Stil. So gesehen ist The Flash ein Hybrid zwischen Snyder-Verse und dem rotzfrechen Wahnsinn einer Suicide Squad oder des Peacemaker, alle im selben Universum.

So richtig outstanding ist das Soloabenteuer des blitzschnellen Gutmenschen allerdings nicht. Vielleicht sind es zu viele Kompromisse und manchmal more of the same, doch im Grunde ist The Flash wie aus einem Guss. Ein Sprint ohne Pause, mit ganz vielen Cameos und Referenzen auf die Film- und Fernsehgeschichte des DC-Universe. Es ist das Ziehen einer Bilanz; ein Erkennen, wo man gerade steht, um danach weiterzulaufen. Hoffentlich in die richtige Richtung.

The Flash (2023)

Everything Everywhere All at Once

DAS CHAOS DES MULTITASKINGS

5/10


EverythingEverywhereAllAtOnce© 2022 Leonine


LAND / JAHR: USA 2022

BUCH / REGIE: DANIEL KWAN & DANIEL SCHEINERT

CAST: MICHELLE YEOH, KE HUY QUAN, JAMES HONG, STEPHANIE HSU, JAMIE LEE CURTIS, JENNY SLATE, HARRY SHUM JR. U. A. 

LÄNGE: 2 STD 19 MIN


Kennt Ihr den Film Der Partyschreck? Peter Sellers spielt hier, in Blake Edwards Slapstick-Feuerwerk, einen indischen Statisten, der eine Filmcrew zur Verzweiflung treibt, da er nicht und nicht, wie im Drehbuch vorgesehen, auf dem Schlachtfeld sterben will. Immer wieder erhebt er sich und bläst in sein Horn. Und wenn man glaubt, er hat nun sein Leben ausgehaucht, bäumt er sich nochmal auf. Herrlich köstlich. Was das mit Everything Everywhere All at Once zu tun hat? So einiges. Denn die Peter Seller’sche Methode veranschaulicht ganz gut, wie sich das surreale Filmchaos der beiden Daniels immer wieder und von Neuem weigert, seine ohnehin schon kontinuierlich ausufernde Geschichte abzuschließen.

Dabei fällt so ein Vorhaben angesichts des neuen Trends, Multiversen die neuen Zeitreisen sein zu lassen, natürlich nicht leicht. Mit Multiversen lässt sich bequem übers Ziel hinausschießen, denn nichts mehr ist unmöglich. Im MCU hat man den alles überspannenden roten Faden im Auge behalten und rechtzeitig die Kurve gekriegt. Doctor Strange in the Multiverse of Madness ist deshalb so gelungen, weil sich die Macher nicht dazu verleiten ließen, das große Tohuwabohu vom Zaun zu brechen, um mit einem viel zu voluminösen Event dem Publikum unbedingt die Sprache verschlagen zu wollen. Wieder gilt: weniger ist mehr, und: bleib bei dem, was du erzählen willst. Alles im Grunde Weisheiten, die man im Kunstgewerbe eigentlich schon von der Pike auf lernt. Daniel Kwan und Daniel Scheinert, bekannt geworden durch einen furzenden Daniel Radcliffe in der schrägen Robinsonade Swiss Army Man, ignorieren dieses empirische Wissen. Sie setzen sich mit einem rebellischen Trotz, der sich selbst genügt, über Gesetzmäßigkeiten hinweg. Sie fabulieren, philosophieren und ergehen sich in einen dicht gedrängten, scheinbar atemlosen Sermon über das Menschsein.

Michelle Yeoh ist die Heldin dieses kuriosen Reigens, der anfangs noch die Übersicht bewahrt und anmutet wie eine Sozial- und Familienkomödie mit Migrationshintergrund. Yeoh ist Evelyn, Mama einer Tochter und Chefin eines Waschsalons, pflegt ihren Papa und wundert sich über Waymond, ihren eigentlich nichtsnutzigen Ehemann. Gerade als das chinesische Neujahrsfest ansteht, muss die Familie am Finanzamt vorstellig werden, und zwar bei niemand geringerer als Jamie Lee Curtis im konservativen Büro-Look und lustvoller Überzeichnung eines stereotypen Beamtenwesens, das fast schon an Terry Gilliams Brazil erinnert. Die macht den Vieren, die da samt Opa antanzen, die Hölle heiß. Doch es kommt noch dicker: Waymond ist plötzlich nicht mehr der Waymond, den wir bisher kennen, sondern eine Version aus einem anderen Universum, nämlich dem Alphaversum, in welchem Reisen in andere parallele Welten gerne praktiziert werden. Von dort geht auch eine große Gefahr aus, die alles zu verschlingen droht, wäre Evelyn nicht bereit, um das Schicksal der gesamten Existenz zu kämpfen. Dafür müsste sie aber erst das Weltenspringen lernen, was natürlich Platz für reichlich Schauwerte, groteske Ideen und seltsame Wendungen macht.

Im Grunde ist das auch schon das ganze Abenteuer. Die eigentliche Originalität liegt dabei in den Ausgestaltungen der Methoden, von einem anderen Ich zum nächsten zu switchen. Dafür muss man Dinge tun, die einem logischen Verhaltensmuster zuwiderlaufen. Was für eine schöne Idee – die muss man den Daniels lassen, da haben sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort die Köpfe zusammengesteckt und womöglich ein Brainstorming losgelassen, das am Ende des Tages angesichts seiner Ergebnisse so liebgewonnen wurde, dass es eins zu eins in den Film kam. Immer schön, wenn man im Rahmen seiner auszulebenden Kunst das tun kann, was man will. Der verwöhnte und von Formelhaftigkeit ermüdete Zuseher wird es womöglich danken, denn frischer Wind ist im Storytelling des Kinos immer gut. Das dabei die Wahrnehmung der Zeit komplett verloren geht, ist das eigentliche Phänomen dieses Films. Es ist, als säße man bereits Tage im Kinosaal, als wäre ein Filmfestival mit seinen Highlights auf ex genossen worden, und immer noch nicht findet das Werk sein Ende, nachdem es sich mehrmals, wie Peter Sellers eben, zu einem infernalischen Crescendo durchgerungen hatte, um dann ein pathetisches Ende einzuläuten. Das Hinterfragen der Existenz sprudelt in Form gedroschener Phrasen durch die gefühlte Ewigkeit und versickert als bemühtes Blabla, um nochmal, unterbrochen von anderen bedeutungsschweren Zirkusnummern, zum Grande Finale zu gelangen, das in seiner Prämisse plötzlich komplett die Richtung ändert. Wie ernüchternd und überschaubar die Quintessenz des Films, und dafür so viel Brimborium. Die Erkenntnis: Fast alles nur Deko.

Everything Everywhere All at Once

Der dunkle Turm

KING´S SÄMTLICHE WERKE, LEICHT GEKÜRZT

6/10

 

darktower

 

REGIE: NIKOLAJ ARCEL
MIT MATTHEW MCCONAUGHEY, IDRIS ELBA, TOM TAYLOR

 

Nein, die Bücher von Stephen King kenne ich nicht. Ich habe zwar schon des Öfteren mit dem Lesen des achtbändigen Mammutwerkes geliebäugelt, doch bis auf den oft zitierten ersten Satz des ersten Bandes Schwarz kannte ich vor Sichtung des Filmes keine einzige Zeile. Und das war vermutlich ein großer Segen. Denn die radikal komprimierte Verfilmung Der dunkle Turm erscheint für grünohrige Nichtkenner der Materie als bizarre, ungemütliche und sogar ziemlich fesselnde Fantasy auf der großen Leinwand. 

Dass King´s Opus Magnum so geworden ist, wie es geworden ist, mag in längst gerissenen Geduldsfäden der Drehbuchautoren und Produzenten liegen, die mit dem Damoklesschwert eines Herr der Ringe-Äquivalenten mühsam zu kämpfen hatten. Umgeschriebene Skripten, wechselnde Regisseure und Probleme bei der Finanzierung schoben eine Verfilmung in ungeahnte und nicht mehr greifbare Weiten. Der dunkle Turm mag so etwas wie ein lang liegen gebliebener Auftrag sein, ein Wanderpokal, den keiner wirklich will, und den man endlich vom Tisch haben möchte. Andauernd fällt der Blick auf dieses ungemachte Bett, auf diese unerledigte Sache. Wie fehlende Sesselleisten nach der Wohnungsrenovierung. Und dann kommt irgendwann der Punkt, an dem die Drecksarbeit erledigt werden muss.

Sony Pictures bekam also den sogenannten „Rappel“, engagierte den dänischen Regisseur Nikolaj Arcel, der 2011 mit Die Königin und Ihr Leibarzt ein wirklich famoses Stück Historienkino auf die Leinwand brachte, und wollte das Projekt übers Knie brechen, um es zu den Akten legen zu können. Augen zu und durch – das Ganze ist natürlich eine Vermutung meinerseits, die sich aus dem im Vorfeld Gelesenen und Gehörtem ergeben hat. Und dann noch die Laufzeit! 95 Minuten für ein achtbändiges Werk? Was würde Peter Jackson dazu sagen, der seine Tolkien-Verfilmungen geradezu in Echtzeit bebildert hat? Das nun vorliegende Drehbuch, an dem sogar Arcel selbst Hand angelegt hat, ist wie das Exposé einer Filmtrilogie oder Serie. die da vielleicht noch kommen mag. So jedenfalls fühlt es sich an, wenn man Der dunkle Turm ansieht. Und ich erinnere mich an Wolfgang Petersens Miniserie Das Boot – auch hiervon gab es damals eine filmische Kurz- oder Kinoversion, die aber immerhin zumindest Überlänge hatte. Ich bin kein Fan der langen Filmschinken, aber gerade bei dieser Stephen King-Verfilmung ist die Laufzeit entschieden zu knapp. Die epische Geschichte über den Revolvermann, einem mächtigen Zauberer und allerhand Parallelwelten, die durch einen im Zentrum des Universums stehenden Turm zusammengehalten werden, darf mit nur eineinhalb Stunden auskommen. Ein zeitliches, hautenges Korsett, in dem der Film keine Luft mehr bekommt – und aus Atemnot nur die Eckpfeiler einer spannenden Geschichte erzählt.  

Somit ist klar – Irgendetwas stimmt da nicht. Und damit meine ich nicht den phantastischen, aber etwas sperrigen Plot. Dieser mäandert zwischen paranoidem Invasionshorror, Der Unendlichen Geschichte und Time Bandits mal hierhin und mal dorthin. Ein ungewöhnlicher Genremix, der das Zeug dazu gehabt hätte, die Paradigmen des Fantasykinos umzudefinieren. Einzig – die Produktion kommt über die Doppelfolge einer TV-Show nicht hinaus. Was nicht heißt, dass TV-Shows nicht klotzen können – siehe Game of Thrones. Bei Der dunkle Turm waren die Spendierhosen enger gegürtet. Außer einigen an Matte Paintings erinnernden Supertotalen und akzeptablen Zaubertricks bleibt von epischer Fantasy wenig über. Wider Erwarten bleibt Der Dunkle Turm überraschend unspektakulär, wenn nicht gar irgendwie billig. Dass die Mär aber dennoch auf eine Weise überzeugt – das liegt am Cast. Matthew McConaughey als Mann in Schwarz ist in seiner nüchternen Grausamkeit nicht weniger furchteinflößend als Lord Voldemort, wenn nicht gar furchteinflößender. Die Wucht seiner Zauberkraft liegt in der Reduktion. Selten hat man mit weniger so viel mehr Schrecken verbreitet. Der Oscarpreisträger rettet den Film vor der Belanglosigkeit, genauso wie Idris Elba als verkniffener, alternder Pistolero und Tom Taylor als mit ordentlichem Shining ausgestattetes Medium. Man kann sagen – Der Dunkle Turm ist eine Art filmische Lesung aus Gesichtern, immer wiederkehrenden Zitaten su Stephen King´s Fundus und dem Zusammenspiel der Figuren. Ein reduzierter Ensemblefilm mit starken Charakteren, die das Beste aus dem gemacht haben, was ihnen zur Verfügung stand. Und das ist nicht gerade viel gewesen.

Der dunkle Turm