Away – Vom Finden des Glücks

DIE ENDLICHKEIT IM NACKEN

6/10


Away© 2019 Der Filmverleih


LAND / JAHR: LETTLAND 2019

BUCH / REGIE: GINTS ZILBALODIS

LÄNGE: 1 STD 14 MIN


Mach es zu deinem Projekt! Dieser Imperativ klingt ein bisschen wie die marketingtechnische Phrase einer Heimwerker-Marktkette, motiviert aber schlicht und ergreifend, das zu tun, woran das Herz dranhängt. Egal, wie lange es dauert. Im Grunde egal, wie viel es kostet. Und wenn ich es ganz alleine mache, muss ich auch niemandem Rechenschaft ablegen. Und es pfuscht mir auch niemand ins Handwerk. Fast schon paradiesisch – zumindest für einen Künstler, der das Tempo seines Workflows selber bestimmt. Beharrlichkeit ist da gefragt. Und am Ende des Tages kommt was Schönes dabei raus. Der lettische Filmemacher Gints Zilbalodis könnte über diese Art des Schaffensprozesses einiges erzählen. Sein Filmdebüt Away nämlich, das hat er ganz im Alleingang durchgeboxt. Selbst geschrieben, selbst entworfen, selbst gezeichnet und animiert. Alles in und aus einer Hand. Ein Autorenfilm, wie er klassischer nicht sein kann.

Zilbalodis Film trägt zumindest in der deutschen Übersetzung den Zusatz: Vom Finden des Glücks – was vielleicht ein bisschen den Anschein erwecken könnte, es hier mit etwas ganz Ähnlichem zu tun zu haben wie den Abenteuern aus der Feder eines François Lelord. Dessen Hector-Romane sind ja schließlich Bestseller, alltagsphilosophisch wertvoll, und sogar mit Simon Pegg ist einer davon verfilmt worden. Auch dort weilt das Glück im Titel, und auch dort ist es natürlich eine Reise weg von Vertrautem, weg von sich selbst, um sich schließlich selbst neu zu finden oder zu er-finden. Away hat aber bei weitem nicht diese unbeschwerte, augenzwinkernde Leichtigkeit – im Gegenteil. Sein Film erinnert an Motive aus dem literarischen Schaffen des Poeten, Kleinen-Prinzen-Schöpfers und Weltkriegspiloten Antoine de Saint-Exupéry, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Protagonist des universellen Abenteuers ebenfalls ein Pilot zu sein scheint, welcher mit dem Fallschirm auf einer namenlosen Insel hat notlanden müssen. Wir sehen den ebenfalls namenlosen jungen Mann, hilflos hängend in den Ästen des einzigen Baumes weit und breit. Dann aber wirds märchenhaft düster: Ein schwarzer Golem mit gespenstisch leuchtenden Augen schreitet durch die Landschaft und nähert sich seinem Opfer, um es vom Baum zu pflücken. Der Pilot kann dem Monster allerdings entkommen und findet sich jenseits eines steinernen Torbogens in einer Oase wieder. Dort wartet ein Motorrad und eine Tasche mit brauchbaren Utensilien. Überdies freundet sich der Bruchpilot mit einem gelben Vogel an, der von nun an nicht mehr von seiner Seite weicht. Beide beginnen eine Reise ans andere Ende der Insel, im Rücken der schreitende Gigant, der ihnen folgt.

Away – Vom Finden des Glücks ist ein zur Gänze wortloses, mitunter auch seltsam bedrückendes Sinnbild vom – wie soll ich sagen, ohne es zu pauschalisieren? – nun, vom Leben. Allgegenwärtig ist der Tod, das Vergängliche, ein riesengroßes, stummes, beängstigendes Wesen, das sich nicht abschütteln lässt, das immer sichtbar bleibt, auch aus großer Entfernung. Dessen Omnipräsenz man vielleicht nur für kurze Zeit ganz verdrängen kann. Die Kunst der Abkehr von Gedanken über das Vergängliche scheint der Protagonist immer besser zu beherrschen, währenddessen erhalten so wichtige ethische Gebote wie Freundschaft und Nächstenliebe ihre visuelle Interpretation. Zilbalodis bleibt aber konsequent meditativ, untermalt seinen Film mit situationsbedingten Geräuschen aller Art, kann aber seiner Geschichte nichts abringen, was auch nur entfernt mit Glück zu tun hat. Statt eines positiven, sinnerweckenden Weltbildes gönnt sich diese Reise nur einzelne, in sich ruhende Momente, während alles andere nichts anderes ist als die Flucht vor dem Unausweichlichen. Angesichts dieser beabsichtigten Roadmovie-Poesie scheint das ziemlich ernüchternd.

Away – Vom Finden des Glücks

Vom Lokführer, der die Liebe suchte

DER DISKRETE CHARME DES BÜSTENHALTERS

7/10

 

THE BRA© 2018 Thimfilm / THE BRA – feature film by Veit Helmer

 

LAND: DEUTSCHLAND 2018

REGIE: VEIT HELMER

CAST: MIKI MANOJLOVIC, DENIS LAVANT, CHULPAN KHAMATOVA, MAIA MORGENSTERN U. A.

 

Irgendwo in Georgien – oder in Aserbaidschan? Das ist für Veit Helmers aktuellen Film nicht wirklich relevant. Relevant ist das Anderswo, das Irgendwo, ohne näher definiert zu sein. Relevant ist die andere, entrückte Welt, die einem aufstrebenden Westen so konträr zu sein scheint, sich so entschleunigt und fremdartig gibt, als wäre man auf einem anderen Stern. Was die seltsam isolierte, aber andererseits auch wieder in weitläufigen Graslandschaften eingefangene Freiheit gleichzeitig billigt und bändigt, ist die grüne E-Lok, ein Relikt aus vergangenen Zeiten, sorgsam gehegt und gepflegt, da kann sich Lukas, der Lokomotivführer sogar noch ein Stückchen abschneiden. Lokführer Nurlan pendelt hier täglich von A nach B, nächtigt entweder in der Remise oder in seinem Heimatdorf in den Bergen, in einem schmucklosen Steinziegelwürfel mit abblätternder Holztür. Das Leben könnte idyllischer und bescheidener ja fast schon nicht mehr sein, ganz so wie in Michael Endes Lummerland, dieser entrückten Insel mit den wenigen, schlafwandlerischen Figuren, die einem Uhrwerk ähnlich tagtäglich das Gleiche tun. Lokführer Nurlan könnte da gut ins Gesellschaftsbild passen. Andererseits aber ist er auch ein Störenfried, aber was soll er denn sonst tun, wenn die Lok quer durch das namenlose Städtchen führt, und auf dessen Gleisen sich das Volk tagsüber breit macht, Tee trinkt, Brettspiele spielt oder Wäscheleinen spannt. Ein Glück, dass der kleine Waisenjunge, der in einer Hundehütte wohnt und im einzigen Hotel der Stadt aushilft, stets weiß, wann der Zug anrollt, und trillerpfeifend die Gleise entlangläuft. Manchmal aber ist der Zug schneller als die im Alltagstrott versponnenen Bürger, und so manches Wäschestück bleibt wie eine textile Opfergabe zwischen dem Zugdreieck hängen. So wie der blaue Spitzen-BH einer unbekannten Dame, deren Identität Lokführer Nurlan unbedingt herausfinden will, aus Liebe zu einem ungreifbaren, magischen Moment flüchtiger Begegnung.

Veit Helmer lädt wieder einmal zum verspielten Zirkus der Gesten, Mimiken und sehnsüchtigen Seufzer. Seine einzigartigen Filme zeichnen sich dadurch aus, dass Helmer auf fast jedes gesprochene Wort verzichtet. Kommt Euch diese Methode vielleicht bekannt vor? Wundern würde es mich nicht. Denn Jaques Tati, der Großmeister des kultivierten Slapsticks mit der Vorliebe, die Tücke des Objekts zu karikieren, der hat in seinen Meisterwerken wie Mein Onkel oder Die Ferien des Monsieur Hulot ebenfalls auf den Störfaktor der verbalen Konversation verzichtet. So seltsam dieses Stilmittel des Weglassens auch scheinen mag, so sehr schafft diese konsequente Wahl paraverbaler Verständigung einen eigenen Zauber irgendwo zwischen exaltiertem Ballett und kauziger Clownerie. Vom Lokführer, der die Liebe suchte hat schon allein dadurch mit der Realität nichts zu tun, es ist ein merkwürdiges Märchen aus einem merkwürdigen Alltag, der bizarre Apparaturen im Rhythmus einer Jazznummer tickern lässt und mit dem Stampfen tonnenschwerer Maschinen die Diskretion einer heimlichen Schwärmerei aufmischt. Der Franzose Jean-Pierre Jeunet hat in seinen teils makabren, teils unglaublich melodiös versponnenen Märchenfilmen etwas ähnliches vollbracht, in unverwechselbaren Bildern aus Grün, Rot und Ocker, mit einem Hauch Steampunk und der nostalgischen Muffigkeit alter Zinshäuser. Allerdings haben Amelie und Co längst nicht auf das gesprochene Wort verzichtet, zu viel der fabulierenden Schrulligkeit wäre der Kitsch des Exzentrischen. Helmer schraubt, obwohl immer noch voller stimmungsvoller Bildtableaus, die visuelle Opulenz auf einen realen, möglichen Ist-Zustand zurück und kippt mit der menschlichen Stille zwischen dem Lärm der Dinge ohnehin schon in einen seltsamen Mikrokosmos, wo Dessousläden wie Palmers wohl gerne auf Product Placement gesetzt hätten. So schnell kommt ein Film über die Sinnlichkeit eines Büstenhalters nämlich nicht wieder ins Kino, das ist eine vertane Chance. So muss Veit Helmers gealterter Frauenheld so gut wie an jede Tür klopfen, um das Maß aller Dinge zu finden, die richtige Frau zur richtigen Körbchengröße, und da schreckt er auch vor verschmitztem Slapstick nicht zurück, wenn es darum geht, als falscher Arzt Oberweiten zu mammografieren. Die Liebe, die geht hier durch die Spitze, und letztendlich ist es nur die vage Vision von menschlicher Wärme, die so manch einsame Gestalt in Helmers Welt am Fuße des Kaukasus zu träumen hat.

Die Sehnsucht mag in diesem Gleichnis von der Einsamkeit gestillt werden, vielleicht ganz anders, als man denkt, unter den melancholischen Gesängen eines Putzfrauenensembles oder den Trompetenklängen von Denis Lavant. Die Ideen zur Bereicherung eines kargen Lebens sind vielfältig, kreativ – und klammern sich mitunter an einen Stoff, aus dem die Träume nach Nähe sind.

Vom Lokführer, der die Liebe suchte