Mad God (2021)

DES HANDWERKERS INFERNO

9/10


madgod© 2021 Tippett Sudios Inc.


LAND / JAHR: USA 2021

REGIE / DREHBUCH / PRODUKTION: PHIL TIPPETT

MUSIK: DAN WOOL

LIVE ACT CAST: ALEX COX, NIKETA ROMAN, SATISH RATAKONDA, HARPER & BRYNN TAYLOR U. A.

LÄNGE: 1 STD 23 MIN


Hier bracht es keinen Ring, um sie zu knechten, um sie alle zu finden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Es reicht ein über Leichen gehender Fortschritt, die gnadenlose Industrialisierung und technologische Übermannung arg- und ahnungsloser Seelen, die manipuliert und gehirngewaschen werden für die Gier der Wenigen. In dieser ungebändigten Geister- und Grottenbahnfahrt in die Tiefe des Menschenverstands ist ein sogenannter Sauron – wenn wir schon bei Tolkien bleiben wollen – die Summe vieler Teile, eine intrinsisch entstandene, gestaltlose Aura, die als Deus ex Machina eine Maschinenwelt antreibt, die die Gekechteten vor sich hertreibt. Es wird düster, in Phil Tippetts Opus Magnum, an dem er rund 30 Jahre lang, natürlich mit Pausen, gearbeitet hat. Immer wieder kamen andere Projekte dazwischen, darunter auch Steven Spielbergs Jurassic Park. Doch vor 30 Jahren, da waren die goldenen Jahre für den Gott der Stop-Motion schon vorbei. Vor 30 Jahren, da kam eben genannter Dino-Blockbuster ins Kino und läutete das Zeitalter der computeranimierten Special Effects ein – die größte Niederlage für einen Analogkünstler wie Tippett, einem akribischen und von seiner Leidenschaft fürs Kreative besessenen Meisterklassler, der seine liebevoll geformten Dinosauriermodelle nun anderswo aufstellen durfte, nur nicht vor der Kamera. Phil Tippett – er ist schließlich ein Begriff für all jene, die mit der Originaltrilogie von Star Wars groß geworden sind. Für all jene, die niemals vergessen können, wie es sich angefühlt hat, als Luke Skywalker auf seinem Tauntaun über die Eiswüste von Hoth galoppiert war, die vierbeinigen AT-ATs angegriffen haben oder das Rancor-Monster in Jabbas Grube zum Angriff überging. Tippett und das Team von Industrial Light & Magic waren es auch, welche die Effekte für Polstergeist oder Ghostbusters kreierten – im Grunde so gut wie alles, was damals an Phantastischem auf die Leinwand kommen sollte. Bis heute hat Tippett die Freude am Reiz der Stop-Motion nicht verloren. Aus Liebe zu seiner Arbeit, als devotes Geständnis und hingebungsvolle Verbeugung vor dem, was ohne CGI alles möglich ist; aus Liebe zu allem Monströsen in unseren Köpfen entstand das hier: Mad God – ein elektrisierendes Unikum, ein bizarres Denkmal, ein so wunderschönes wie erschreckendes filmisches Evangelium über den Albtraum der Neuzeit.

Es reicht nicht, Mad God einfach nur zu sehen und dabei vielleicht völlig unsinnigerweise darauf zu achten, Distanz zu wahren. Mad God muss man erfahren, man muss sich ihm hingeben und vor allen Dingen: sich darauf einlassen, ohne groß mitzudenken oder während des Erfahrens herausfinden zu wollen, was uns diese finstere Oper eigentlich sagen will. Dass es etwas zu vermitteln gibt, scheint immer wieder mal klar, doch dann auch wieder nicht. Dann stößt uns Tippett noch viel tiefer in Dantes technologisierte Hölle, es geht nach unten, immer nur nach unten.

Einer, der sich The Assassin nennt – ein Krieger mit Atemmaske, Stahlhelm und einem Koffer – steckt in einer Kapsel, die an den Schichten der Erdzeitalter vorbeikommt, durch eine riesige Kaverne aus allen möglichen, von Menschen erdachten Gottheiten, an gequälten und quälenden Ungeheuern und eigentümlichen Wesen, die, in ihrem Tun gefangen, ihre Ausweglosigkeit grunzend, schreiend oder in unverständlichem Gebrabbel in die Düsternis zetern. Dieser Krieger hat eine Mission. Doch er beobachtet erstmal nur, wartet auf den richtigen Zeitpunkt. Kann vielleicht selbst nicht fassen, was er sieht oder sehen muss. Gigantische Kreaturen unter Strom gebären die Masse, aus der wie von Prometheus aus Lehm geformte Humanoide entstehen, die als schuftende Sklaven meist mit grausamen Toden bestraft werden oder Unfällen zum Opfer fallen, wenn kubrick’sche Monolithen in Kopfhöhe dahinrasen.

Leicht könnte man sich einen von Pink Floyd ersonnenen Score dazu vorstellen, eingestreut deren Klassiker We don’t need no Education. Symbolsprache und Zitate aus Klassikern fantastischer Literatur häufen sich. Später erinnert so manches ans abgründig Surreale eines Michael Ende (Der Spiegel im Siegel), wenn ein entstellter Zwerg das kreischende Monsterbaby aus David Lynch’s Eraserhead entgegennimmt, um dieses seiner Bestimmung zuzuführen. Nebenher prügeln sich zwei Oger und vernachlässigen dabei ihre Arbeit, denn sie müssen schaufeln, schuften, arbeiten, werden mit Elektroschocks gequält, um dann wieder aufeinander einzudreschen, weil Triebe immer noch stärker sind als der Gehorsam. Michael Ende hätte diese surreale Welt wohl gemocht, er hätte sich und seine Kreaturen darin wiedergefunden. Doch auch das ist nicht alles. Mad God bricht all die verrückten Götter, die der Mensch seit dem Holozän errichtet hat, auf eine entfesselte Phantasmagorie herunter, ausgestattet mit enormem Detailreichtum und einer Soundkulisse, die den Wahnsinn aus unzähligen Miniaturen und Modellen so richtig zum Leben erweckt. Sogar Live-Act als ergänzendes Tool findet in diesem Experimentalfilm seine Notwendigkeit, wenn ein klauenbewährter Magier, erinnernd an Terry Gilliams Visionen, seine Krieger ausschickt, um den Kreislauf der immerwährenden Knechtschaft zu durchbrechen.

Mal ist Mad God psychedelischer Experimentalfilm, mal blutrünstiger Horror aus der Puppenstube, dann wieder Steampunk mit Schlachtenszenarien aus dem ersten Weltkrieg, Schläuchen und Sekreten, Flüssigkeiten und organischem, undefinierbaren Leben, das sich irgendwo und irgendwie räkelt, dabei aus vielerlei Augen beobachtet wird, als Symbole des Erkennens und Wahrnehmens prekärer Umstände. Dann ist Mad God wieder wunderschön und berauschend, und ganz plötzlich nachdenklich, philosophisch, an Terrence Malicks Tree of Life und seinen Darstellungen von den Anfängen des Lebens erinnernd. Tippett taucht dann ein ins Universum, distanziert sich von dem Wahnsinn aus Monstern, Mutanten und grimmigen Gutenachtgeschichten mit Trauma-Garantie. Mad God erklärt mehr, als man vermuten würde. Krallt sich den auseinanderdriftenden roten Faden eines Fiebertraums und biegt ihn, nicht mit Gewalt, aber mit dem Willen, seine Komposition einer Conclusio zuzuführen, zu einer Endfrage über Leben und Sterben, über Anfang, Ende und Bestimmung zusammen.

Phil Tippetts dreißig Jahre Arbeit haben sich ausgezahlt. Sowas entsteht, wenn man machen kann, was man will. Dieses Werk ist ein Erlebnis, ein wilder Ritt für die Mutigen, für alle Freunde des Phantastischen, die überrascht und überwältigt werden wollen. Die Stop-Motion lieben und neben Aardman, Laika und dem tschechischen Trickfilm-Virtuosen Jan Svankmajer (u. a. Little Otik) noch einen anderen Weg out of the box finden wollen. Dieser führt eben durch die Finsternis, womöglich aber ans Licht.

Mad God (2021)

Guillermo del Toros Pinocchio

DIE BÜRDEN EINER PINIE

6,5/10


Guillermo del Toro's Pinocchio© 2022 Netflix Österreich


LAND / JAHR: USA, MEXIKO, FRANKREICH 2022

REGIE: GUILLERMO DEL TORO, MARK GUSTAFSON

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): EWAN MCGREGOR, DAVID BRADLEY, CHRISTOPH WALTZ, TILDA SWINTON, FINN WOLFHARD, RON PERLMAN, TIM BLAKE NELSON, CATE BLANCHETT, JOHN TURTURRO U. A. 

LÄNGE: 1 STD 54 MIN


Der Puppenspieler von Mexiko war einmal traurig und einmal froh… das gab bereits Roberto Blanco anno 1972 zum Besten. Fast könnte man meinen, er hätte da eine Vision gehabt, von einem, der auszog, seinen Namen zu einer Marke zu machen, die über allem steht, was dessen Interesse weckt und wofür dieser jemand auch gerne sein Geld investiert: Die Rede ist von Guillermo del Toro, Monster-Meister und Phantast, kreativer Kopf sowohl im Kino als auch als Autor, mit all den Kreaturen, die seinen Stil tragen, und einer Affinität zum Gothic-Horror der Romantik. Kaum ein Regisseur weit und breit, der sich selbst und seinen Namen dem künstlerischen Werk voranstellt. Und kaum ein Regisseur, bei welchem dies auch funktionieren würde. Oder anders gefragt: Wie viele aus dem Publikum würden wohl wissen, wer all die Blockbuster diverser Franchises inszeniert hat. Gut, bei James Cameron kann man eine Ausnahme machen, sonst aber wird es dünn. Del Toro ist also hinsichtlich der Wichtigkeit seiner Namensmarke sowas wie ein Albrecht Dürer, ein Star mit einer fixen Fangemeinde, gerne gesehen und unverwechselbar. Das soll so sein, da habe ich nichts dagegen, ich selbst zähle mich spätestens seit Hellboy – Die goldene Armee zu seinen Fans.

Längst hat del Toro mit den Trolljägern auch die digitale Animationsschiene erobert. Nun aber muss auch mal ein Stop-Motion-Film im Stile von Aardman oder Henry Selick das Können des Mexikaners auf die Probe stellen. Das kann dieser nicht allein, da muss jemand her wie Mark Gustafson, seines Zeichens Animationskünstler unter anderem für Der fantastische Mr. Fox von Wes Anderson, bei denen man Kader für Kader die Puppen bewegt, was immens viel Zeit in Anspruch nimmt – am Ende aber geschmeidige Bewegungen ergeben, die eine analoge Miniaturwelt lebendig werden lassen. Lebendig wird in del Toros und Gustafsons Trickfilm wieder mal die gute alte und fast schon auf inflationäre Weise interpretierte Leidensfigur des Pinocchio. Collodis Vorlage erfuhr mittlerweile unzählige Verfilmungen, abgesehen von der tragikomischen Anime-Serie aus den Siebzigern. Martin Landau hat mal in einer Neunzigerversion von Steve Barron den Geppetto gegeben, der Italiener Roberto Benigni in seiner eigenen Version die Holzpuppe – innerhalb von wenigen Jahren dann die barocke Version von Matteo Garrone und heuer auch die Realverfilmung des Disney-Klassikers mit Tom Hanks (die ich vorzeitig jedoch aufgrund von Geschmacksdifferenzen abbrechen musste). Der nun mit einer Produktionszeit von 15 Jahren verzeichnete, finanziell längst nicht mehr rentable Puppentrickfilm hat mit Disneys Version nicht mehr viel gemeinsam. Und das ist gut so. Überdies unterscheidet sich ohnehin jede Pinocchio-Version bis auf ein paar Eckpunkte grundlegend von der anderen.

Der naive, unfolgsame und auf seine Art anfangs auch nervige Holzbube muss in del Toros Version nicht nur den Erwartungen von Geppetto gerecht werden und dessen leiblichen Sohn ersetzen, sondern auch dem italienischen Faschismus unter Mussolini als grotesken Giftzwerg die Stirn bieten. Klar gibt es auch den Fuchs in Menschengestalt – der Kater aber ist lieber ein Pavian, dessen tierische Laute Cate Blanchett imitiert, und der Leviathan verschlingt nicht Pinocchio, sondern erstmals den alten Schnitzer. Anders als bei Disney sind auch Pinocchios Ausflüge ins Jenseits, in welchem er halbskelettierten Hasen und einer sphinxähnlichen Kreatur mit Augen an den Schwingen begegnet, die garantiert mal Teil einer Werkschau des Künstlers sein wird. Diese poetische Dunkelheit, fast wie bei Michael Ende – dieses Auseinandersetzen mit politischen Ideologien: das sind Aspekte, die diese Version des Pinocchio noch interessanter machen als andere, wobei del Toros Pinocchio eine Leidensfigur bleibt, die mehr als einmal mit dem Wort Bürde jonglieren muss – sei dieses nun ihn selbst betreffend oder etwas, das die wandelnde Pinie bewältigen muss. Es geht viel mehr um Tod und ewiges Leben als um das Finden einer eigenen Identität. Selbst für Pinocchio muss eine Pinie sterben, unter den wütenden Axthieben Geppettos. Die eine Existenzform geht in die andere über, und am Ende erscheint dieser Übergang nur noch als vorübergehendes, bewältigbares Abenteuer.

Tricktechnisch, in all seinen melancholisch-morbiden Bildern, ist Guillermo del Toro‘s Pinocchio ein Augenschmaus, wenngleich manche Gesichter wenig Charakter widerspiegeln, insbesondere die Figur von Geppettos Sohn Carlo. Sonst aber sind die Animationen virtuos und die tendenzielle Uminterpretation des Stoffes eine willkommene Abwechslung. Letzten Endes aber dürfte es von mir aus mal Schluss sein mit Collodi-Verfilmungen. Der Stoff scheint bis zum Holzkern auserzählt.

Guillermo del Toros Pinocchio

The House

DER ALBTRAUM VOM EIGENHEIM

8,5/10


thehouse_02© 2022 Netflix


LAND / JAHR: GROSSBRITANNIEN 2022

REGIE: EMMA DE SWAEF & MARC ROELS, NIKI LINDROTH VON BAHR, PALOMA BAEZA

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): MIA GOTH, CLAUDIE BLAKLEY, MATTHEW GOODE, MARK HEAP, MIRANDA RICHARDSON, STEPHANIE COLE, JARVIS COCKER, HELENA BONHAM CARTER U. A.

LÄNGE: 1 STD 37 MIN


Dieses Jahr ist nicht nur im Kino bereits reichlich beeindruckend. Netflix zieht mit, und hat einen Animationsfilm im Sortiment, der einem die Sprache verschlägt. Der Episodenreigen mit dem schlichten Titel The House feiert die gute alte Methode der Stop-Motion mit Puppen aus Filz und Fell, deren feine Fasern sich bei jeder Bewegung anders positionieren und der ganzen geschmeidigen Animation das gewisse rustikale Etwas aus den frühen Tagen des DDR-Sandmännchens verleihen. Mit The House bekommt Perfektionist Wes Anderson, der mit Isle of Dogs die Akkuratesse einer solchen Methode auf die Spitze getrieben hat, ernsthafte Konkurrenz. Und wenn man glaubt, mit diesem Trickfilm vergnügliche Familienunterhaltung zu verorten, irrt gewaltig. The House ist düster, beängstigend und so surreal wie seit David Lynch’s Traumgespinste selten ein Film. Dabei ist Dreh- und Angelpunkt dieser absurden Szenarien lediglich ein stattliches, neoklassizistisches Gebäude mit einem kleinen Türmchen in der Mitte, das einmal Menschen, einmal Mäuse und dann wieder Katzen beherbergt, die als klassische Tierfabelfiguren mit ihren eigenen vier Wänden in Clinch gehen.

In Geschichte Nummer 1, inszeniert vom belgischen Animationsduo Emma de Swaef & Marc Roels, schaut eine aus ärmlichen Verhältnissen stammende Familie einem geschenkten Gaul sicherlich nicht ins Maul, als sie in besagtes Haus einzieht. Doch besser, sie hätten es angesichts diverser obskurer Begebenheiten lieber doch gemacht. Geschichte Nr. 2, inszeniert vom Schweden Niki Lindroth von Bahr, lässt im selben Haus einen Mäuserich als Grundstücksmakler, der die Immobilie an die Maus bringen will, an seine Grenzen gehen. Denn die, die sich als einzige für dieses von Ungeziefern heimgesuchte Gemäuer interessieren, sind auch nicht das, was sie scheinen. Zu guter Letzt dann die wohl zuversichtlichste Anekdote von Paloma Baeza, die womöglich ihrer Liebe zu Katzen Tribut zollt. Denn da versucht eine miezende Hausherrin inmitten stetig steigenden Hochwassers all ihre Räumlichkeiten zu renovieren, um doch noch Mieter anzulocken. Womöglich vergeblich – oder doch nicht?

Häuser, die ein Eigenleben führen oder ihre Bewohner zur Verzweiflung treiben, gibt es viele in der Filmwelt. Erst kürzlich klapperten Giebel und Fensterläden in Disneys Encanto fröhlich vor sich hin. Doch Gotte behüte, wenn die Villa mal einen schlechten Tag hat wie zum Beispiel in Roman Polanskis Der Mieter. In Hinterholz 8 oder Geschenkt ist noch zu teuer sind Häuser der Granit, an dem sich motivierte Selfmen die Zähne ausbeißen. In diesen Gutenachtgeschichten hier führt es den Bewohner noch tiefer in die metaphysischen Eingeweide seltsam verwunschener Bauten und scheinbar eleganter Räumlichkeiten. In The House findet nichts eine Erklärung, verschwinden Räume und Treppen, krabbeln Käfer aus allen Ritzen, ist das Ende der Sesshaftigkeit nur bedingt ein neuer Anfang. In detailverliebter Ausstattung Marke Puppenküche und mit auf den ersten Blick zwar herzigen, aber letzten Endes befremdlichen Filzköpfen geraten die Gutgläubigen in einen Sog unheilbringender, höherer Mächte und erinnern an die bis zum großen Knall ausgearbeiteten Visionen eines Eugene Ionesco oder Gert Jonke, die die Sehnsucht nach dem bürgerlichen Wohlstand und heimeliger Glückseligkeit hinters Licht führen – dorthin, wo es finster genug ist, um sich auszumalen, was gar nicht sein kann.

Vor allem aufgrund dieser Rätselhaftigkeit der punktgenau ausformulierten Kurzgeschichten ist The House ein zauberhaft unbequemes Faszinosum, das gegen den Strom gefälliger Feelgood-Plots schwimmt und die Begrifflichkeit des Wohnens, gerade zur Zeiten der Pandemie wieder wichtig geworden, in schwarzgezeichnetem Wohlwollen für den Bewohner und seiner Psyche hinterfragt.

The House

If Anything Happens I Love You

MUT ZUR ERINNERUNG

7/10


ifanythinghappensIloveyou© 2020 Netflix


LAND / JAHR: USA 2020

BUCH / REGIE: MICHAEL GOVIER, WILL MCCORMACK

LÄNGE: 12 MIN


Wohl einer der tränenreichsten Filme, die ich jemals gesehen habe, ist Nanni Morettis Trauerdrama Das Zimmer meines Sohnes. Und dabei war ich damals, als der Film im Kino lief, noch nicht mal selbst Papa und kannte also all diese Emotionen nicht, derer man sich bereichert sieht, wenn man den eigenen Nachwuchs plötzlich in den Armen hält. Wie niederschmetternd wäre der Film wohl jetzt für mich, würde ich ihn heute zum ersten Mal sehen? Darüber nachzudenken, ob und wenn ja, wie man wohl mit dem Verlust eines Kindes umgehen würde, lässt einen gleichzeitig über das Unmögliche nachdenken. Ein Prozess, bei dem man sehr schnell an seine emotionalen Grenzen stößt.

Im Trickfilm If Anything Happens I Love You, der eben erst den Oscar für den besten animierten Kurzfilm entgegennehmen durfte, sind die Emotionen bei den am Boden zerstörten und mittlerweile resignierenden Eltern bereits erkaltet. Ihre gemeinsame Tochter wurde Opfer eines nicht näher definierten Amoklaufs an der Schule, das scheint schon einige Zeit zurückzuliegen. Natürlich ist nichts mehr wie vorher, und die gähnende Leere, die der Verlust verursacht hat, unüberbrückbar. Bis eines Tages, beim Wäschewaschen, ein T-Shirt der Tochter in Mamas Hände fällt. Dieses weckt lange nicht zugelassene Erinnerungen, und auch der Fußball, der plötzlich durch die Gegend rollt oder der abgebröckelte und blau überpinselte Verputz an der Hausmauer fordert die Eltern geradezu auf, ihre Tochter, auch wenn sie unwiederbringlich fort ist, nicht aus ihren Gedanken fernzuhalten.

Bei Kurzfilmen ist es meist recht schwierig, eine runde Geschichte zu erzählen und zumindest im dargestellten Prozess einen vorläufigen Schlusspunkt zu finden, weil der zeitliche Spielraum klarerweise enorm begrenzt ist. Noch schwieriger scheint es, sich einem Thema zu widmen, für das es eigentlich keine Worte gibt. Und das sonst normalerweise überlange Spielfilme füllt. Da Verlust, Trauer und deren Bewältigung enorm schwere Brocken sind, verzichten Michael Govier und WillMcCormick (Die Sopranos, Couchgeflüster) auch auf jeglichen verbalen Einsatz. Die einzige Zeile, die auf dem Display eines Mobiltelefons erscheint, ist jene des Filmtitels – sie bringt das Drama auf den Punkt und schnürt dabei die Kehle zu.

Sehr viel Weißraum, skizzenhafte Zeichnung, eine Animation so flüssig wie ein Daumenkino – diese optische Reduktion lässt Raum für dieses kleine Bilderbuch einer Suche nach dem Mut, schmerzliche Erinnerungen in einen erträglichen Zustand zu wandeln. Das ist mitfühlender, wenn auch zaghafter Optimismus, so trostspendend wie das handgeschriebene Beileidschreiben eines guten Freundes.

If Anything Happens I Love You

Away – Vom Finden des Glücks

DIE ENDLICHKEIT IM NACKEN

6/10


Away© 2019 Der Filmverleih


LAND / JAHR: LETTLAND 2019

BUCH / REGIE: GINTS ZILBALODIS

LÄNGE: 1 STD 14 MIN


Mach es zu deinem Projekt! Dieser Imperativ klingt ein bisschen wie die marketingtechnische Phrase einer Heimwerker-Marktkette, motiviert aber schlicht und ergreifend, das zu tun, woran das Herz dranhängt. Egal, wie lange es dauert. Im Grunde egal, wie viel es kostet. Und wenn ich es ganz alleine mache, muss ich auch niemandem Rechenschaft ablegen. Und es pfuscht mir auch niemand ins Handwerk. Fast schon paradiesisch – zumindest für einen Künstler, der das Tempo seines Workflows selber bestimmt. Beharrlichkeit ist da gefragt. Und am Ende des Tages kommt was Schönes dabei raus. Der lettische Filmemacher Gints Zilbalodis könnte über diese Art des Schaffensprozesses einiges erzählen. Sein Filmdebüt Away nämlich, das hat er ganz im Alleingang durchgeboxt. Selbst geschrieben, selbst entworfen, selbst gezeichnet und animiert. Alles in und aus einer Hand. Ein Autorenfilm, wie er klassischer nicht sein kann.

Zilbalodis Film trägt zumindest in der deutschen Übersetzung den Zusatz: Vom Finden des Glücks – was vielleicht ein bisschen den Anschein erwecken könnte, es hier mit etwas ganz Ähnlichem zu tun zu haben wie den Abenteuern aus der Feder eines François Lelord. Dessen Hector-Romane sind ja schließlich Bestseller, alltagsphilosophisch wertvoll, und sogar mit Simon Pegg ist einer davon verfilmt worden. Auch dort weilt das Glück im Titel, und auch dort ist es natürlich eine Reise weg von Vertrautem, weg von sich selbst, um sich schließlich selbst neu zu finden oder zu er-finden. Away hat aber bei weitem nicht diese unbeschwerte, augenzwinkernde Leichtigkeit – im Gegenteil. Sein Film erinnert an Motive aus dem literarischen Schaffen des Poeten, Kleinen-Prinzen-Schöpfers und Weltkriegspiloten Antoine de Saint-Exupéry, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Protagonist des universellen Abenteuers ebenfalls ein Pilot zu sein scheint, welcher mit dem Fallschirm auf einer namenlosen Insel hat notlanden müssen. Wir sehen den ebenfalls namenlosen jungen Mann, hilflos hängend in den Ästen des einzigen Baumes weit und breit. Dann aber wirds märchenhaft düster: Ein schwarzer Golem mit gespenstisch leuchtenden Augen schreitet durch die Landschaft und nähert sich seinem Opfer, um es vom Baum zu pflücken. Der Pilot kann dem Monster allerdings entkommen und findet sich jenseits eines steinernen Torbogens in einer Oase wieder. Dort wartet ein Motorrad und eine Tasche mit brauchbaren Utensilien. Überdies freundet sich der Bruchpilot mit einem gelben Vogel an, der von nun an nicht mehr von seiner Seite weicht. Beide beginnen eine Reise ans andere Ende der Insel, im Rücken der schreitende Gigant, der ihnen folgt.

Away – Vom Finden des Glücks ist ein zur Gänze wortloses, mitunter auch seltsam bedrückendes Sinnbild vom – wie soll ich sagen, ohne es zu pauschalisieren? – nun, vom Leben. Allgegenwärtig ist der Tod, das Vergängliche, ein riesengroßes, stummes, beängstigendes Wesen, das sich nicht abschütteln lässt, das immer sichtbar bleibt, auch aus großer Entfernung. Dessen Omnipräsenz man vielleicht nur für kurze Zeit ganz verdrängen kann. Die Kunst der Abkehr von Gedanken über das Vergängliche scheint der Protagonist immer besser zu beherrschen, währenddessen erhalten so wichtige ethische Gebote wie Freundschaft und Nächstenliebe ihre visuelle Interpretation. Zilbalodis bleibt aber konsequent meditativ, untermalt seinen Film mit situationsbedingten Geräuschen aller Art, kann aber seiner Geschichte nichts abringen, was auch nur entfernt mit Glück zu tun hat. Statt eines positiven, sinnerweckenden Weltbildes gönnt sich diese Reise nur einzelne, in sich ruhende Momente, während alles andere nichts anderes ist als die Flucht vor dem Unausweichlichen. Angesichts dieser beabsichtigten Roadmovie-Poesie scheint das ziemlich ernüchternd.

Away – Vom Finden des Glücks

Der Brotverdiener

WEIL ICH EIN MÄDCHEN BIN

7/10


breadwinner© 2018 Netflix


LAND / JAHR: KANADA, IRLAND, LUXEMBURG 2017

REGIE: NORA TWOMEY

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): SAARA CHAUDRY, SOMA BHATIA, ALI KAZMI, LAARA SADIQ, ALI RIZVI BADSHAH U. A. 

LÄNGE: 1 STD 33 MIN


Was macht Angelina Jolie eigentlich, wenn sie nicht gerade als Maleficent im Märchenland für Chaos sorgt? Sie produziert und finanziert Werke humanitären Inhalts, wie zum Beispiel diesen Animationsfilm der Kanadierin Nora Twomey (Das Geheimnis von Kells), der sich mit dem Kindsein in Afghanistan der Gegenwart beschäftigt und auf dem Roman Die Sonne im Gesicht von Deborah Ellis basiert, die eine Zeit lang in den Flüchtlingslagern der Region tätig war und so einiges an persönlichen Begegnungen in diese Geschichte einfließen hat lassen. Gäbe es Netflix nicht, hätte ich Der Brotverdiener damals unter den Oscarnominierten 2018 in der Sparte Animationsfilm gar nicht erst wahrgenommen. Zu stark war die Konkurrenz durch Coco – Lebendiger als das Leben. Der Brotverdiener war aber nicht einfach so unter den besten fünf. Wenn es in einem Film um so grundlegende Themen wie Frauenrecht, Gefährdung menschlicher Grundrechte und Fanatismus geht, um verhinderte Kindheiten und politische Willkür, kann sowas ja gar nicht unbeachtet bleiben. Schon gar nicht, wenn so zermürbende Themen so aufbereitet werden, dass auch der Grundschulgeneration sonnenklar einleuchtet, wie man als Mensch leben soll und wie nicht, was man als Mensch dürfen soll und was nicht. So, wie Twomley den Stoff erzählt, kann ein Problemfilm wie dieser familiengerechte Zerstreuung durchaus einmal ablösen, um Umstände auf dieser Welt in den Fokus zu nehmen, die Kinder freilich wissen dürfen. Dazu gehört die Tatsache, dass eben das Glück einer unbeschwerten Kindheit nichts Selbstverständliches ist.

2003 hat der afghanische Filmemacher Siddiq Barmak mit dem Streifen Osama bereits ähnliches erzählt: unter der Besetzung der Taliban dürfen Frauen nicht alleine auf die Straße, da reicht nicht mal die Burka. Das Mädchen Parvana muss eines Tages zusehen, wie ihr ohnehin schon kriegsversehrter Vater von wütenden Taliban-Aufpassern verhaftet wird – wochenlang bleibt dieser verschollen. Das Essen wird knapp, die insgesamt vierköpfige Restfamilie beginnt zu darben. Da hat Parvana eine Idee: sie wird einfach zum Jungen, um zumindest mal das Notwendigste heranschaffen zu können. Und Papa muss auch noch gefunden werden.

Der Zeichenstil dieses Films ist bewusst schlicht gehalten, dennoch haben die Bilder eine ansprechende Tiefe, was natürlich auch an den vorgezeichneten, statischen Hintergrundbildern liegt – ganz so wie Disney das immer schon gemacht hat. Zwischen all dieser eigentlich durchaus dramatischen und berührenden Geschichte öffnet sich eine zweite Erzählebene – illustriert wird hier auf gänzlich andere Art ein Märchen, dass sich Parvana ausdenkt – und im Grunde ihr eigenes Streben widerspiegelt. Mit finsteren Elefanten, Raubtieren und magischen leuchtenden Spiegeln.  Durch diese märchenhafte Komponente fällt es jüngeren Zusehern noch viel leichter, anzudocken. Denn Märchen sind ja von Grund auf nichts für Zartbesaitete, das wissen die Kids. Und entsprechend erträglich werden auch Szenen, die keiner von uns jemals erleben möchte.

Der Brotverdiener hinterlässt einem am Ende mit einem wohligen Gefühl der Zuversicht. Das eine Kindheit wie diese noch nicht ganz verloren ist. Denn die Welt ist groß, und zum Glück eben nicht nur Afghanistan.

Der Brotverdiener

Soul

AUF DEN FUNKEN KOMMT ES AN

8,5/10

 

soul© 2020 Disney/Pixar. All Rights Reserved.

 

LAND: USA 2020

REGIE: PETE DOCTER, KEMP POWERS

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): JAMIE FOXX, TINA FEY, RACHEL HOUSE, ALICE BRAGA, PHYLICIA RASHAD, ANGELA BASSETT, WES STUDI U. A. 

LÄNGE: 1 STD 40 MIN

 

Auch wenn sich das Live Act-Kino immer mehr von philosophischen Träumereien entfernt, um nicht als kitschig, banal oder esoterisch belächelt zu werden – der Animationsfilm arbeitet dagegen. Denn Pete Docter, kreatives Mastermind bei Pixar, hat es schon wieder getan: er ist den Essenzen des Menschseins einmal mehr auf den Grund gegangen. In Oben war Altwerden und Einsamkeit das große Thema. Alles steht Kopf, einem Animationsfilm mit noch nie dagewesenem, teils abstraktem Plot, handelt von unseren grundlegenden Empfindungen. Und jetzt? Jetzt dürfen unsere Seelen mal zeigen, was sie können. In Soul gehen wir also mal davon aus, dass der Mensch diese sogenannten 21 Gramm tatsächlich besitzt. Unser Innerstes also. Das, was unsere Persönlichkeit ausmacht.

Im Zentrum des Geschehens steht ein Mittvierziger namens Joe Gardner. Seines Zeichens leidenschaftlicher Jazzpianist. Der fristet sein recht aussichtsloses Dasein als Musiklehrer an einer Mittelschule, die nicht wahnsinnig viele musikalische Talente birgt – bis auf ein paar Ausnahmen. Als er durch Zufall eine berühmte Jazzsaxophonistin von seinem Können überzeugen kann, wird er für einen Gig engagiert. Voller Freude tanzt Gardner über sie Straßen – bis er in einen Gully stürzt – und sein Leben verliert. Von einem Moment auf den anderen befindet sich die Seele von Gardner nun auf dem Fließband ins Jenseits. Aber eigentlich – ja eigentlich sollte er gar nicht hier sein, denn gerade jetzt wird doch das Leben erst richtig lebenswert?

Pete Docters Soul ist fast schon ein humanphilosophiosches Manifest. In keiner anderen Filmgattung wäre es sonst möglich, zugegeben stark simplifizierte, aber für uns unsichtbare und abstrakte Welten so ausgestaltet darzustellen. All die Seelen sind kleine, quallenartige Gespensterchens, manche tragen immer noch, nachdem sie gestorben sind, die Merkmale ihrer Person. Über allem steht die Quantenwelt in Form von zweidimensionalen Figuren, die an Strichzeichnungen von Picasso erinnern. Das Kreativteam von Pixar entdeckt wieder einmal die hohe Kunst der Gestaltung. Mit der liebevoll und bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Persönlichkeit des Jazzmusikers Gardner wäre es an der Zeit, für die Academy mal die Rubrik „Bester animierter Charakter“ ins Leben zu rufen. Wäre doch eine Idee? Nach dem alten Mann aus Oben oder zum Beispiel die Ratte aus Ratatouille wäre der von Jamie Foxx gesprochene Kerl ein garantierter Gewinner. Und auch abgesehen von diesen Raffinessen spielt Soul mit den Gedanken und Emotionen, lobt das Erdendasein und findet stille Momente der Einkehr. Doch es wäre nicht Pixar, würde sich die Ode an die Freude des Lebens in seifigen Sentimentalitäten verlieren. Soul bietet, Hand in Hand mit intellektueller Ernsthaftigkeit, jede Menge Humor, Situationskomik und eine drollige Bodyswitch-Komponente in feinster Ausarbeitung.

Dieses Streaming-Event ist tatsächlich ein Meisterwerk, dessen „Mood“ man gerne und auch unweigerlich mitnimmt. Zwischen Seelenfängern und verlorenen Seelen ist dieses phantastisch-hintergründige Stelldichein eine ausnehmend komplexe, pointenreiche Vision einer optimistischen Welt- und Weitsicht. Die man garantiert öfters sehen muss, um nichts zu verpassen. So wie die kleinen Dinge des Lebens.

Soul

Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer

EIN AFFE UND GENTLEMAN

7/10

 

misterlink© 2019 eOne Germany

 

LAND: USA, KANADA 2019

REGIE: CHRIS BUTLER

MIT DEN STIMMEN VON (ORIGINAL): HUGH JACKMAN, ZOE SALDANA, ZACH GALIFIANAKIS U. A.

DEUTSCHE SYNCHRO: CHRISTOPH MARIA HERBST, BASTIAN PASTEWKA, COLLIEN ULMEN-FERNANDES U. A.

 

Puppen kann man auf unterschiedlichste Art und Weise tanzen lassen. Muppets und Fraggles waren in diesem Fall Handfigur und Marionette zugleich. Rolf Rüdiger ist überhaupt nur Hand, und auch der Kasperl versteckt sich ungefähr um die Leibesmitte hinter einem Guckkasten. Anders die Puppen der Laika-Studios. Die haben weder Schnur, Hand oder Stange, die haben die Zeit auf ihrer Seite. Nämlich eine, die sich anhalten lässt, je nach Belieben. Das nennt man in Fachkreisen Stop-Motion, das ist die Methode, um leblose Puppen über oder durch Dioramen schreiten zu lassen, die mit Hingabe und bis ins Detail aufgeputzt sind. Von den welken Blättern des Waldes bis zur Miniaturzeitung, die in fürsorglich ausgestatteten Interieurs per Puppenhand durchgeblättert werden. Wenn man Filme von Laika sieht, sollte nicht vergessen werden, welche Leidenschaft, Akribie und auch nerdige Besessenheit dahintersteckt, im Zeitalter von CGI und Motion-Capture so etwas überhaupt noch auf die knorrigen Puppenbeine zu stellen. Weil Stop-Motion einfach ein Handwerk ist, ein perfektioniertes Handwerk, so wie das Malen von Bildern mit Pinsel und Pigment in Zeiten von Photoshop. Und bei Betrachten des fertigen Werks möge der Weg bis zum Ziel, der als Prozess alleine schon wieder ein eigenes Werk darstellt, nicht ganz in Vergessenheit geraten.

Unter diesen Gesichtspunkten lässt auch der ganz neue Streifen rund um einen Kryptozoologen und seinem Affenmenschen durchaus in Staunen versetzen, wenngleich nicht alles, was zu sehen ist, analogen Ursprungs ist. Wellenberge oder die Kulisse des Himalaya-Plateaus sind nur ein paar der ergänzenden Elemente, die natürlich am Rechner entstanden sind. Das macht aber nichts, CGI ist nicht zwingend etwas, dem der unangenehme Beigeschmack einer Mogelei anhaften sollte. CGI ist nicht minder eine Kunstform, und wenn sie wohldosiert dazu verhilft, die Illusion einer völlig autarken Puppenwelt zu vollenden, ist das ein Teamwork, das gelingt, solange der Computer dem Gebärden der erzählenden Figuren nicht die Show stiehlt. Keine Sorge, denn das passiert hier nicht. Die Charaktere, die sich in einem alternativen irdischen 19. Jahrhundert über die Evolutionslehre eines Charles Darwin wundern und Nessie auf der Spur sind, in der sich so was wie die National Geographic Society, die Elite der Weltenentdecker, auf arrogante Art über alle anderen stellt, haben in ihren wächsernen, spitznasigen und rotwangigen Gesichtern ein breites Repertoire an Ausdruck zu bieten. Und wenn Mr. Link dann die Lichtung betritt, findet ein herrlich feiner, distinguierter Humor Einzug auf der breiten Bühne eines Filmstudios, wo Kamerakräne ihre Runden drehen und hunderte Fingerspitzen all die herrlichen Kreationen antauchen, um sie fühlen, denken und träumen zu lassen.

Mister Link, der träumt davon, nicht mehr allein zu sein. Nachdem Mr. Lionel Frost nach seinem versemmelten Versuch, einen Beweis für Nessie zu erbringen, dem Brief eines Unbekannten nachkommt, der die Sichtung eines Sasquatch (Bigfoot, Skunk Ape, alles dasselbe) verspricht, muss er feststellen, dass das so genannte Missing Link über Sprache, abstraktem Denken und Höflichkeit verfügt. Auf dem gemeinsamen Weg nach Shangri-La, wo Mr. Link auf die winterfelligen Verwandten der Yetis zu treffen erhofft, müssen sie allerlei Abenteuer bestehen, muss der allzu menschliche Primat vieles zu wörtlich verstehen und für Krokodilstränen treibenden Humor verantwortlich sein, der den Film wohl zu einem der lustigsten Trickeskapaden der letzten Zeit werden lässt. Die Qualitäten von Mister Link liegen eindeutig beim missverständlichen Verständnis einer viel zu großen Welt, welcher der letzte seiner Art ausgesetzt sein wird. Mit ihm besteht ein erst egomanischer, dann geläuterter Möchtegern-Entdecker Abenteuer, die aus der Feder von Jules Verne kommen könnten. Altmodisch ist das, natürlich, und auch durch die Bank bekannt, was das Szenario natürlich sehr berechenbar und kaum zur Wiege dramaturgischer Wendungen macht. Mister Link ist, was es am besten kann, nämlich auf humorig vorgestrige Art ein Stück animiertes Reisekino zu sein, für Trickfilmfans und Familien, und jenen, die Phileas Fog, Charles Darwin und Russel Wallace gerne schon mal allgemeinbildene Achtung geschenkt haben. Vor Mister Link himself lässt sich nämlich auch bequem der Zylinder lüpfen, so einnehmend charmant ist der schräge evolutionäre Sonderling – mit mehr Manieren als manch ein Homo sapiens.

Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer